16. Sippe: Edelsittiche (Palaeornis)

[129] Zu den schönsten, anmuthigsten und zierlichsten aller Papageien zählen die Edelsittiche ( Palaeornis), eine aus sechzehn bekannten, drossel- bis dohlengroßen Arten bestehende, der Mehrzahl nach in Südasien und sonst noch in Afrika heimischen Sippe, welche sich durch folgende Merkmale kennzeichnet. Der verhältnismäßig sehr kräftige Schnabel ist ebenso lang als hoch, der Oberschnabel in der Wurzelhälfte kantig abgesetzt und hier mit einer seichten Längsrinne versehen, seitlich sanft gewölbt, mit der Spitze stark abwärts gekrümmt und überhängend, vor derselben durch einen schwachen Zahnausschnitt ausgekerbt, der Unterschnabel mit breiter, abgerundeter Dillenkante, längs welcher meist ein schwacher Leistenvorsprung verläuft, der Fuß kurz und kräftig, der Fittig, unter dessen Schwingen die zweite die anderen überragt, lang und spitzig, der im ganzen keilförmige, stark abgestufte Schwanz aus mäßig breiten, an der Spitze abgerundeten Federn zusammengesetzt und meist dadurch ausgezeichnet, daß die mittleren Federn weit über die übrigen hervorstehen. In dem ziemlich harten Gefieder ist ein schönes Blattgrün die vorherrschende Färbung; von ihm aber hebt sich der lebhaft gefärbte Kopf, ein schwarzer Bartfleck und ein bunter Halsring meist ansprechend ab. Die Geschlechter unterscheiden sich nicht; die Jungen dagegen weichen stets von den Alten ab.

Wenig andere Papageisippen sind so übereinstimmend gebaut und gezeichnet wie die Edelsittiche. Sie erscheinen, um mich so auszudrücken, wie aus einem Gusse gestaltet, und die Vertheilung ihrer Farben, so verschieden dieselben auch sein mögen, steht hiermit vollständig im Einklange. Aber auch die Lebensweise entspricht dieser Einhelligkeit in so hohem Grade, daß man schwerlich zu viel behauptet, wenn man sagt, daß das Thun und Treiben des einzelnen in allen wesentlichen Stücken ein Bild der Sitten und Gewohnheiten der ganzen Sippe ist.

Das Verbreitungsgebiet der Edelsittiche ist nicht viel kleiner als das der Keilschwänze; denn die Ländergebiete, in denen erstere hausen, umfassen den größeren Theil des heißeren Gürtels von Afrika und Asien oder, um genaueres zu sagen, alle zwischen dem sechsten und siebzehnten Grade der Breite gelegenen Länder Afrikas, von Senegambien an bis an das Rothe Meer und den größten Theil des südasiatischen Festlandes, vom Indus an bis Südchina und von Kaschmir und Ladak an bis Ceylon und den großen Sundainseln. Im südlichen Arabien, Persien und Beludschistan sind sie bis jetzt noch nicht beobachtet worden; dagegen hat Armand David neuerdings erwiesen, daß eine Art der Gruppe allsommerlich in China erscheint und in dem oberen Thale des Yantse bis zum dreißigsten Grade nach Norden hin vordringt. Drei Arten von ihnen kommen auf Madagaskar und den benachbarten Eilanden vor.

Zu ihrem Aufenthalte bevorzugen die Edelsittiche ebene oder hügelige Gegenden und Gebirge. In letzteren überschreiten sie, so viel bis jetzt bekannt, einen Gürtel von funfzehnhundert Meter unbedingter Höhe wohl nur sehr ausnahmsweise. Von ihrem wie bei den meisten Ordnungsverwandten geregelten Tageslaufe gewinnt man eine Vorstellung, wenn man das Leben einer Art ins Auge faßt. Ich glaube ein durchschnittlich richtiges Bild zu geben, wenn ich die Mittheilungen hier folgen lasse, welche Bernstein über den Alexandersittich gegeben hat: »Ueber Tages durchstreift genannter Sittich paarweise oder in kleinen Trupps die Gärten und Gehölze seines Wohnortes; gegen Abend aber versammeln sich alle Vögel dieser Art, welche ein gewisses Gebiet bewohnen, auf einem bestimmten, großen, dicht belaubten Baume oder auch in dichten Bambusgebüschen und [129] verbringen hier gemeinschaftlich die Nacht. Kennt man einen solchen Baum und stellt sich hier gegen Abend auf, so kann man ein anziehendes Schauspiel gewahren. Mit dem Sinken der Sonne kommen die Vögel allmählich von allen Seiten herbeigeflogen; sobald die ersten glücklich angelangt sind, erheben sie frohlockend ihre Stimme und beginnen ein Tonstück, in welches alle neuen Ankömmlinge einfallen, so daß es schließlich zu einem ohrbetäubenden Lärm anschwillt, welcher nicht früher endet, als bis der letzte Schein der Abendröthe am Himmel verschwunden ist. Dann tritt schnell allgemeine Ruhe ein, und sie wird nur zuweilen vorübergehend gestört, wenn einzelne, welche vielleicht ein minder bequemes Sitzplätzchen gefunden haben, aufflattern, um ein anderes zu suchen und dabei einen ihrer schon eingeschlafenen Genossen von dem seinigen vertreiben wollen. Unter solchen Um ständen wird allgemeiner Unwille laut und der Ruhestörer mit einigen kräftigen Schnabelhieben zurechtgewiesen. So dauert es, bis völlige Dunkelheit eingetreten ist. Mit dem ersten Schein des anbrechenden Tages zertheilt sich der Schwarm, um am nächsten Abend auf demselben Baume oder Busche wieder zusammenzukommen und die Nacht gemeinschaftlich durchzubringen.

Während der Brutzeit leben die Edelsittiche paarweise, und dann finden die erwähnten abendlichen Zusammenkünfte nicht statt. Ihr Nest legen sie in Baumhöhlen an, und ihr starker Schnabel kommt ihnen zu deren Erweiterung sehr zu statten.« Das Gelege besteht aus drei bis vier Eiern, welche wahrscheinlich von beiden Geschlechtern bebrütet werden. Die Jungen entwickeln sich langsam, werden nach dem Ausfliegen noch einige Zeit lang von ihren Eltern unterrichtet, betragen sich dann aber bald ganz wie die Alten. Für die Gefangenschaft eignen sich alle Arten der Sippe in besonderem Grade. Die Schönheit ihrer Färbung, ihre vorzüglichen Anlagen und ihre Zutraulichkeit vereinigen sich, um sie zu anziehenden und deshalb allgemein beliebten Käfigvögeln zu stempeln.

»Dieser Papagei«, sagt Plinius, »stammt aus Indien, woselbst er Sittace heißt. Er ahmt die menschliche Stimme nach und führt ordentliche Gespräche, begrüßt den Kaiser und spricht die Worte nach, welche er hört. Sein Kopf ist so hart wie sein Schnabel. Soll er sprechen lernen, so schlägt man ihm mit einem eisernen Stäbchen auf den Kopf, weil er sonst die Schläge nicht fühlt. Fliegt er nieder, so setzt er sich, statt auf die Füße, auf den Schnabel und stützt sich dann auch noch auf diesen, um sich leichter zu machen, weil seine Beine zu schwach sind.«

Anderweitige Mittheilungen desselben Naturforschers stellen außer Zweifel, daß mit diesen Worten der Halsbandsittich gemeint ist. Dieser war es, welcher schon im Alterthume die Zuneigung aller Thierfreunde sich erwarb, und welcher noch im Mittelalter vorzugsweise in Käfigen gehalten und als ein kostbarer Gegenstand betrachtet wurde. Ihn brachte Onesikrit, Feldherr Alexanders des Großen, von seinem Kriegszuge nach Indien mit nach Griechenland; ihn fanden die Römer später auch bei Tergedum, am mittleren Nile, wieder; seiner gedenkt Diodorus Siculus, wenn er von Papageien spricht, welche im äußersten Syrien gefunden werden.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Vierter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Erster Band: Papageien, Leichtschnäbler, Schwirrvögel, Spechte und Raubvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 129-130.
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