22. Sippe: Plattschweifsittiche (Platycercus)

[155] Die artenreichste Papageisippe, welche in Neuholland und Oceanien überhaupt heimisch ist, umfaßt die Plattschweifsittiche (Platycercus), mehr oder minder prachtvoll gefärbte Arten von Drossel- bis Krähengröße. Ihre Merkmale liegen in dem kurzen, kräftigen Schnabel, welcher fast immer höher als lang, oben, seitlich und auf der Firste abgerundet und vor der stark übergebogenen, aber meist sehr kurzen Spitze mit einem stumpfen Zahnausschnitte versehen ist, während der meist dem oberen gleich hohe Unterschnabel eine etwas breite, abgerundete, zuweilen durch einen schwachen Leistenvorsprung ausgezeichnete Dillenkante zeigt, den schwachen, aber verhältnismäßig hochläufigen Füßen, den spitzigen und langen Fittigen mit langer Flügelspitze, unter deren Schwingen die zweite [155] bis vierte die längste ist, dem fast immer sehr langen, stufenförmigen Schwanze, welcher aus auffallend breiten, an der Spitze zugerundeten Federn besteht, sowie endlich dem weichen, in der Regel sehr bunten, ausnahmsweise auch nur grün und roth gefärbten Gefieder.

Die Plattschweifsittiche, etwa vierzig an der Zahl, vertreten in Australien und auf den übrigen zu ihrem Verbreitungsgebiete gehörigen Eilanden die Edelsittiche Indiens und Afrikas. Als bemerkenswerth hebt Finsch die Thatsache hervor, daß sie da fehlen, wo Edelsittiche vorkommen, und ihr Verbreitungsgebiet erst dort beginnt, wo das jener aufhört. Timor, Buru, Ceram, die östlichen Molukken, Neuguinea, Australien, Tasmanien, die Neuen Hebriden, Neukaledonien, Neuseeland mit den Norfolks- und Auklandsinseln und einige Gruppen der Südsee-Eilande, die Fidschi-, Freundschafts- und Gesellschaftsinseln, bilden den Kreis, über welchen die Gruppe sich ausbreitet. Dagegen fehlt sie auf dem Festlande Asiens, den Philippinen, ja merkwürdigerweise auch auf Celebes und der Timor und die großen Sundainseln verbindenden Gruppe Flores, Gumbawa, Bali und Lombok. Eine Art dringt bis auf die Maquariinseln oder bis zum vierundfunfzigsten Grade südlicher Breite und damit bis zum südlichsten Punkte des Papageienverbreitungsgebietes überhaupt vor.

Unsere Kenntnis des Freilebens der durch Farbenpracht und Anmuth bestechenden Plattschweifsittiche ist noch dürftig und mangelhaft. Goulds und anderer Forschungen haben uns insofern unterrichtet, als sie uns belehrt haben, daß die genannten Vögel wie die meisten ihrer in Neuholland lebenden Verwandten mehr auf dem Boden als auf Bäumen sich aufhalten. In Neuholland bilden jene weiten, parkartigen Ebenen, welche in einzelnen Jahren reiche Nahrung bieten, in anderen gänzlich verarmen, ihre Aufenthaltsorte und zwingen sie, wie Corellas, Wellen- und Grassittiche zu mehr oder minder ausgedehnten, unregelmäßigen Wanderungen. Sie zählen zu den besten Fliegern ihrer Ordnung, sind meist auch treffliche Läufer, stehen aber in der Fertigkeit zu klettern hinter anderen Verwandten merklich zurück. Ihre Stimme unterscheidet sie zu ihrem Vortheile von den meisten übrigen Papageien. Widerwärtig kreischende, gellende oder knarrende Laute vernimmt man selten von ihnen, häufiger klangvolles Pfeifen und nicht selten wohllautenden Gesang oder singendes Geschwätz. Ihre höheren Fähigkeiten sind nicht in dem Grade entwickelt als bei anderen Papageien. Sie stehen diesen wohl an Sinnesschärfe annähernd gleich, aber an Verstand bei weitem hinter ihnen zurück. Viele Arten leben im Freien wie auch in der Gefangenschaft gesellig und verträglich unter einander; andere bekunden jedoch zur Ueberraschung und zum Kummer des Liebhabers gerade die entgegengesetzten Eigenschaften, fallen zuweilen, ohne eigentlich erkennbaren Grund, über ihresgleichen oder Sippschaftsgenossen her und tödten sie durch hämisch versetzte Bisse in den Nacken, fressen die getödteten auch wohl theilweise auf. Bis zur Brutzeit hin leben sie in ihrer Heimat in kleinen Trupps und jede Art in gesonderten Flügen, obgleich ein Weidegebiet mehrere derselben vereinigen kann. Diese Flüge streifen ziemlich regellos im Lande umher, besuchen dabei auch die unmittelbare Nähe menschlicher Behausungen, kommen selbst bis in das Innere der Städte hinein, treiben sich in den Früh- und Abendstunden geschäftig auf dem Boden umher und nehmen währenddem ihre Nahrung ein, welche in allerhand Grassämereien besteht. Gegen die Brutzeit hin vereinzeln sich diese Trupps, je nachdem reichlichere oder spärlichere Baumhöhlungen dies erfordern. In einer solchen legt das Weibchen entweder auf dem losgebissenen Mulm am Boden der Höhlung oder nachdem es einige leichte Niststoffe herbeigetragen, vier bis acht, nach einzelnen Angaben sogar bis zwölf glänzend weiße Eier und bebrütet dieselben, wie es scheint ohne Hülfe des Männchens, mit treuester Hingebung. Beide Geschlechter vereinigen sich sodann, um die zahlreiche Brut groß zu ziehen und fliegen, wenn die Jungen so weit erwachsen sind, daß sie ihren Eltern folgen können, wiederum in das weite Land hinaus.

Seit etwa zehn bis zwölf Jahren führt jedes von Neuholland kommende Schiff, welches sich mit der Ueberführung lebender Vögel befaßt, auch Plattschweifsittiche auf unseren Thiermarkt. Die schönen, zum Theil prachtvollen Vögel verfehlten nicht, die Aufmerksamkeit der Liebhaber sich [156] zuzuwenden. Diese aber erfuhren bald, daß es überaus schwer ist, Plattschweifsittiche im Käfige zu erhalten, richtiger vielleicht, daß wir bis heutigen Tages noch nicht ergründet haben, wie wir die Vögel pflegen müssen. Keine einzige Papageiengruppe ist hinfälliger als sie. Allerdings gibt es einzelne Ausnahmen, welche selbst bei offenbar mangelhafter Pflege jahrelang im Käfige ausdauern; die Regel aber ist, daß man diese Vögel, ohne erkennbare Ursache, nach kurzer Gefangenschaft verliert. »Für keine andere Papageigruppe«, bemerkt Linden, durchaus im Einklange mit meinen eigenen Erfahrungen, »gilt das Sprichwort: ›heute roth, morgen todt‹, mehr als für die Plattschweifsittiche. Ein anscheinend ganz gesunder Vogel dieser Sippe liegt am Morgen todt am Boden oder steckt morgens den Kopf unter die Flügel und ist mittags nicht mehr am Leben. Man kann alles denkbare versuchen; das Ergebnis ist und bleibt mehr oder weniger dasselbe.« Die Vögel ertragen, wie Versuche erwiesen haben, unser Klima recht gut, halten sich sogar besser als sonst, wenn man sie im Freien überwintert; wer aber glaubt, dadurch ihr Dasein zu fristen, irrt sich ebenso wie derjenige, welcher einige von ihnen im geheizten Zimmer hielt und dadurch zu der Meinung verleitet wurde, daß sie eine derartige Behandlung verlangen möchten. Einige Arten haben sich in unseren Käfigen auch fortgepflanzt; im allgemeinen aber sind die Errungenschaften auch in dieser Beziehung als höchst geringfügig zu bezeichnen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Vierter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Erster Band: Papageien, Leichtschnäbler, Schwirrvögel, Spechte und Raubvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 155-157.
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