Erzlori (Domicella atricapilla)

[159] Als Vertreter der Gruppe mag eine der uns am längsten bekannten Arten dienen, welche ich Erzlori genannt habe, »Kastorie« der Amboinesen, »Luri« oder »Ninrie« der Bewohner Cerams, »Kala-Sira-Lori« der Bengalen (Domicella atricapilla, Psittacus domicella, raja, radhea und rex, Lorius domicella). Im Gefieder herrscht ein prachtvolles Scharlachroth vor; Stirn und Schulter sind tiefschwarz, gegen den Hinterkopf zu dunkelviolett; ein breites Schild auf dem Kropfe, welches sich zuweilen bis zur Brust herabzieht, hat lebhaft hochgelbe Färbung. Der Flügelbug ist blau, jede Feder mit weißlichem Endsaume geziert; die Flügel sind dunkel grasgrün, in der Schultergegend olivengelbbräunlich verwaschen, die Handschwingen erster Ordnung innen schwefelgelb und nur im Spitzendrittheil schwarz, die Armschwingen, mit Ausnahme der zwei letzten grünen, innen ganz gelb, die kleinen Unterflügeldeckfedern wie die Befiederung des Unterschenkels kornblumenblau. Um den Stern zieht sich ein schmaler gelber Ring, die übrige Iris ist braun, der Schnabel hochorange, der Fuß grauschwarz. Beide Geschlechter gleichen sich in der Färbung; bei jüngeren Vögeln ist diese im allgemeinen düsterer. Die Federn des Oberrückens sind in der Wurzelhälfte grün, und der gelbe Brustschild fehlt. Laut Rosenberg kommen Farbenabweichungen nicht selten vor. So kann die Kopfplatte rosenroth und der Flügel gelb sein.

Ich verdanke der Güte des eben genannten Forschers die nachstehenden Angaben über das bis dahin gänzlich unbekannte Freileben des Erzlori: »Der schöne Vogel bewohnt ausschließlich Ceram und Amboina und wird ebensowenig wie ein anderer sei nes Geschlechtes auf Borneo oder auf dem Festlande gefunden. In seiner Heimat tritt er häufig auf. Er lebt ebensowohl in der Einsamkeit des Waldes wie in der Nähe der menschlichen Wohnungen; in den Gebirgen Cerams beobachtete ich ihn jedoch, meines Wissens, nie. In kleinen Familien raschen Fluges von Ort zu Ort schweifend, sah ich ihn öfters über die Stadt Amboina dahinstreichen, die zierlichsten Schwenkungen in der Luft beschreiben, wobei sein Geschrei und das prächtige, in der Sonne flimmernde Gefieder ihm zum Verräther wurden. Seine Nahrung besteht, außer Pflanzenhonig, in weichen Baumfrüchten, zumal denjenigen des Pisang. Das Nest steht in Baumhöhlen; die Eier sind, wie bei allen Papageien, glänzend weiß und etwas größer als die unserer Schwarzdrossel.

[159] Auf Amboina findet man keinen Vogel häufiger in der Gefangenschaft als gerade den Erzlori, und in der Stadt Amboina gibt es kaum ein Haus, kaum eine Hütte, in welcher er fehlt. Er ist der Lieblingsvogel der Amboinesen und verdient es auch zu sein, ebensowohl was seine Schönheit und Sanftmuth als seine Gelehrigkeit anlangt. Er lernt ziemlich rasch sprechen und ist dann der Stolz seines Pflegers. Unter dem Preise von acht bis zehn Gulden holländisch ist solch ein gelehrter Vogel, welcher außerdem für anderthalb bis zwei Gulden feilgeboten wird, nicht zu bekommen. Freilich gibt es auch störrische und heimtückische Erzloris. Man füttert sie mit rohem und gekochtem Reis, in Wasser geweichtem Sago und Pisangfrüchten, gibt ihnen auch täglich frisches Wasser, da sie viel trinken und zumal gern baden, wobei sie sich das Gefieder über und über bespritzen. Auch bei ihnen ist der Ruf ›Lori‹ ein angelernter.«


Erzlori (Domicella atricapilla). 1/2 natürl. Größe.
Erzlori (Domicella atricapilla). 1/2 natürl. Größe.

In unsere Käfige gelangt der Erzlori nicht allzu selten, und ich habe daher mehrfach Gelegenheit gehabt, ihn und andere seiner Sippe zu pflegen oder doch zu beobachten. Meine in der ersten Auflage des Werkes ausgesprochene Behauptung, daß sie still und langweilig seien, muß ich widerrufen: als ich jene Zeilen schrieb, kannte ich jene Vögel eben noch nicht. Die Loris machen ganz im Gegentheile den Eindruck munterer, lebhafter, geweckter und kluger Vögel. Sie sind rege vom Morgen bis zum Abende, lebendig und leiblich und geistig beweglich. Alles, was in ihrem Bereiche sich zuträgt, erregt ihre Aufmerksamkeit, und sie findet dann in heftigem Nicken mit dem Kopfe beredten Ausdruck. An Beweglichkeit und Kletterfertigkeit stehen sie hinter keinem anderen Papagei zurück. Ihre Bewegungen sind dabei ebenso rasch als gewandt und noch besonders dadurch ausgezeichnet, daß sie sich oft zu weiten Sprüngen entschließen. Bei guter Laune gefallen auch sie sich [160] in förmlichen Tänzen, welche sie auf ihren Sitzstangen ausführen. Ihre natürliche Stimme ist sehr laut und oft in hohem Tone unangenehm kreischend. Sie lautet, wie Linden nach längerer Beobachtung feststellte, wie ein scharf ausgesprochenes »Wihe wihe wi wi« und wird mit Pfeifen, Schnurren und Schnalzen eigenthümlichster Art begleitet. Auch sie trägt dazu bei, die geistige Regsamkeit des Wesens zu bekunden; allein man bemerkt dieselbe ebenso bei jeder anderen Gelegenheit. Alle Kurzschweifloris, welche wir in Gefangenschaft beobachten konnten, sind nichts weniger als verträglich, vielmehr in hohem Grade streitlustig. Ein von mir gepflegter Erzlori begann, wie ich in den »Gefangenen Vögeln« ausführlicher geschildert habe, mit den verschiedenartigsten Genossen seines großen Käfigs Streit, versetzte dieselben durch eigenthümliche Kopfbeugungen, abwechselndes Ausbreiten und Zusammenziehen der Federn, Sträuben der Kopffedern und vorschnellende Bewegungen in die größte Aufregung oder den heftigsten Zorn, flog dann scheinbar befriedigt weg, um sich mit dem einen oder dem anderen Vogel zu beschäftigen, kehrte aber immer wieder zu dem einen ins Auge gefaßten Gegner zurück. Alle schwächeren Vögel hatte er binnen kurzer Frist unterjocht, bei seinem Hauptgegner, einem Nasenkakadu, aber durch sein herausforderndes Benehmen eine Feindschaft hervorgerufen, welche ihm das Leben kosten sollte. Denn als der Nasenkakadu, welcher in einem besonderen Käfige hauste, einmal diesem entschlüpfte, stürzte er sich nun seinerseits auf den verhaßten Gegner, und nur durch unser Dazwischentreten gelang es, den Lori zu retten. Seine Aufregung war jedoch eine so tiefgehende gewesen, daß er ihr am nächsten Tage erlag. Auch unter sich leben Loris nicht in Frieden; selbst die Paare streiten oft mit einander. Bei ihren Angriffen gehen sie anders zu Werke als ihre Ordnungsgenossen. Sie packen sich mit den Krallen, womöglich am Kopfe und am Schnabel und gebrauchen den letzteren nur gelegentlich, anscheinend bloß zur Abwehr. Ihrem Pfleger gegenüber bekunden sie Zu- oder Abneigung, je nachdem. Einzelne kommen schon als vollkommen gezähmte Vögel in unseren Besitz und sind dann die liebenswürdigsten Gesellen unter der Sonne, lassen sich berühren, streicheln, auf die Hand nehmen, im Zimmer umhertragen, ohne jemals ihren Schnabel zu gebrauchen; andere sind unliebenswürdig und bissig. Jedenfalls aber hat Linden vollständig Recht, wenn er sagt, daß sie insgemein in Bezug auf Verstand, Zähmbarkeit und Dauerhaftigkeit weit über ihren nächsten Verwandten, den Keilschwanzloris, stehen.

Bei geeigneter Pflege dauern die Breitschwanzloris recht gut im Käfige aus; es ist aber nicht allzuleicht, ihnen solche Pflege angedeihen zu lassen. Vor allem verlangen sie einen warmen Raum und sodann geeignetes Futter. Mit gekochtem Reis, Möhren und anderen Früchten, nebenbei auch verschiedenen Sämereien und Milchbrod, befriedigt man die Bedürfnisse einzelner, aber nicht aller, und ein kleiner Fehler, ein gut gemeinter Versuch, ihnen eine Leckerei zu bieten, kann für sie verhängnisvoll werden. So erfuhr Linden, daß seine gefangenen Loris schwarze Kirschen mit Behagen verzehrten und dabei gediehen, unmittelbar nach dem Genusse von Brombeeren aber starben. Eine Hauptbedingung ihres Wohlbefindens ist, ihnen jederzeit Gelegenheit zum Baden zu geben. Sie gehören zu den wasserbedürftigsten Arten ihrer ganzen Ordnung und baden sich wenn nicht täglich, so doch sicher einen Tag um den anderen. Hierbei legen sie sich jedoch nicht in das Wasser, wie andere Papageien zu thun pflegen, sondern setzen sich einfach in den Badenapf und nässen sich Rücken, Brust, Bauch, Flügel und Schwanz, nicht aber den Kopf durch Schlagen mit den Schwingen und Steuerfedern vollständig ein, trocknen sich hierauf ihr Gefieder und bekunden sodann durch erhöhte Beweglichkeit, wie behaglich sie sich fühlen. »Eigenthümlich ist«, schreibt mir Linden, »daß sie auf dem Boden des Käfigs schlafen und in einer Ecke sich ganz platt niederlegen. Ihr Schlaf ist sehr leise und wird, wie sie durch Pfeifen bekunden, durch das unbedeutendste Geräusch, selbst durch jeden Fußtritt außerhalb ihrer Behausung, unterbrochen.«

»Bei keiner anderen Papageiensippe«, bemerkt Linden ferner, »nahm ich die Vermauserung aus Federstoppeln so deutlich und auffallend wahr als bei den Breitschwanzloris. Die weißen Kiele kommen so stark hervor, daß sie sich wie Borsten anfühlen und namentlich den Kopf und Hals oft förmlich struppig erscheinen lassen.

[161] Ob Breitschwanzloris jemals in unseren Käfigen zum Nisten schreiten werden, ist sehr fraglich und dürfte bei den mangelnden Einrichtungen, welche man ihnen zu bieten vermag, verneint werden. Einen dichten Urwald können wir ihnen nicht herstellen, eine ihnen durchaus zuträgliche, auch für die Fütterung ihrer Jungen ausreichende Nahrung schwerlich reichen. Dazu sind sie auch viel zu neugierig und unruhig, als daß sie sich dem angepaarten Gatten ganz und voll hingeben sollten. Sie müssen die Ursache jedes Geräusches und Lautes ergründen und vergessen dabei regelmäßig ihren Genossen. Gleichwohl will ich nicht in Abrede stellen, daß auch bei ihnen ein glücklicher Zufall Schwierigkeiten aus dem Wege räumen kann, welche uns bis jetzt unüberwindlich scheinen.«


*


Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Vierter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Erster Band: Papageien, Leichtschnäbler, Schwirrvögel, Spechte und Raubvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 159-162.
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