Grünspecht (Picus viridis)

[489] Der bekannteste, weit über ganz Deutschland verbreitete Ameisenspecht ist unser Grünspecht, Wieherspecht, Holzhauer, Zimmermann, gemeiner oder großer Grünspecht, kleiner Baumhacker [489] (Picus viridis, Gecinus viridis, pinetorum, frondium und virescens, Brachylophus und Chloropicus viridis). Die Oberseite des Kopfes, Nacken und ein breiter, schmal schwarz umsäumter Mundwinkelfleck sind scharlachroth, auf dem Scheitel durch die sichtbar hervortretenden grauen Federwurzeln grau schattirt, die Nasenfederchen und Zügel rauchschwarz, die Obertheile olivengrasgrün, die Flügel mehr bräunlich verwaschen, Bürzel und obere Schwanzdeckfedern glänzend olivengelb, Ohrgegend, Kinn und Kehle weiß, schmutzig grünlich angehaucht, Halsseiten und Untertheile gelbgrünlichweiß, die Schenkelseiten wie die unteren Schwanzdeckfedern mit dunklen Querbinden, die Handschwingen außen mit sechs bis sieben rostweißlichen Querflecken, alle Schwingen innen mit breiten, weißlichen Randflecken, die schwarzen Schwanzfedern endlich mit fünf bis sieben olivenbraun verwaschenen Querbinden gezeichnet.


Grünspecht (Picus viridis). 2/5 natürl. Größe
Grünspecht (Picus viridis). 2/5 natürl. Größe

Das Weibchen unterscheidet sich durch breite schwarze Mundwinkelflecke, der junge Vogel durch die mit schwarzen Querflecken bindenartig gezeichnete Unterseite, den dunkelgrauen, roth getüpfelten Ober- und Hinterkopf, den nur durch schwarze Endflecke der Federn angedeuteten Bartflecken und die dunkel längs gestrichelten Halsseiten. Das Auge ist bei den Alten bläulichweiß, bei den Jungen dunkelgrau; der Schnabel ist schmutzig bleigrau, an der Spitze schwärzlich, der Fuß grünlich bleigrau. Die Länge beträgt einunddreißig, die Breite zweiundfunfzig, die Fittiglänge achtzehn, die Schwanzlänge zwölf Centimeter.

Auch der Grünspecht zählt zu den weit verbreiteten Arten. Vielleicht mit Ausnahme Spaniens und des von der Tundra eingenommenen Nordrandes unseres Erdtheils kommt er überall, hier [490] häufiger, dort spärlicher, in Europa vor. Blandford fand ihn noch in Persien; in Egypten dagegen fehlt er, obgleich mein Vater, Naumann, Gloger und andere das Gegentheil behaupten. Nach Norden hin verbreitet er sich bis Lappland. In Spanien wird er durch einen ihm sehr nahe stehenden Verwandten (Picus oder Gecinus Sharpei) vertreten, welcher sich nur dadurch von ihm unterscheidet, daß Zügel und Augenkreis nicht schwarz, sondern schiefergrau und der rothe Bartstreifen nicht schwarz umrandet wird, dessen Artselbständigkeit daher einstweilen noch fraglich erscheinen muß.

In manchen Gegenden Deutschlands ist der Grünspecht ein allbekannter Vogel, wogegen er in anderen nicht oder höchstens gelegentlich seiner winterlichen Streifereien angetroffen wird. Weiter nach Osten hin tritt er seltener, in Rußland namentlich viel vereinzelter auf als der Grauspecht. In Gebirgen steigt er regelmäßig bis zu funfzehnhundert Meter unbedingter Höhe empor; Baldamus traf ihn noch als Brutvo geldes Engadin. Während der Brutzeit bewohnt er ein mehr oder weniger ausgedehntes, im allgemeinen nicht auffallend weites Gebiet. Im Herbste verlassen dieses zunächst die von ihm erbrüteten Jungen, bei sehr strenger Kälte und starkem Schneefalle aber auch die Alten. Die Streifzüge beginnen, sobald die Jungen selbständig geworden sind, und enden erst im nächsten Frühjahre, wenn die Brutzeit herannaht; sie werden aber weder mit bestimmter Regelmäßigkeit, noch auf gewisse Strecken ausgedehnt: in manchen Wintern streicht der Vogel gar nicht, in anderen fliegt er ziemlich weit im Lande umher, wendet sich auch wohl gegen Süden und kann unter Umständen bis an die Grenzen unseres Erdtheiles reisen, da man beispielsweise in Macedonien während des Winters mehr Grünspechte beobachtet haben will als während des Sommers. Nach Art der ganzen Verwandtschaft wandern auch unsere Spechte einzeln, gesellen sich jedoch zuweilen zu zahlreicheren Trupps. So beobachtete Schacht einmal um Weihnachten eine Gesellschaft von acht Stück auf einer Wiese, woselbst sie Nahrung suchend in großen Sprüngen herumhüpften, bei Ankunft des Beobachters aber nach allen Richtungen hin aus einander stoben. Oberndörfer, ein guter Kenner einheimischer Vögel, will, wie Martin mittheilt, sogar einen, zu dreiviertel aus Grün- und zu einviertel aus Grauspechten bestehenden Trupp von weit über hundert Stück beobachtet haben, welcher in einem Wiesenthale auf einer Fläche von einviertel Hektar versammelt gewesen sein soll.

Man kann nicht sagen, daß der Grünspecht ein Waldvogel ist. Im reinen Nadelwalde ist er sehr selten, im Laubwalde trifft man ihn häufiger an; am liebsten aber bewohnt er Gegenden, in denen Baumpflanzungen mit freien Strecken abwechseln. Während der Brutzeit hält er sich in der Nähe seiner Nesthöhle auf; im Winter durchstreift er, auch wenn er nicht die Gegend verläßt, ein größeres Gebiet als im Sommer, pflegt aber allabendlich eine Höhlung aufzusuchen, um in ihr zu schlafen. Dann erscheint er monatelang in den Gärten, unmittelbar neben den Wohnungen, auch selbst in den Gebäuden: einer, welchen ich lange Jahre beobachtet habe, schlief regelmäßig im Gebälke der Kirche meines Heimatdorfes, ein anderer in einem Staarkübel, welcher in unserem Garten aufgehängt war.

Der Grünspecht bethätigt dieselbe Munterkeit und Fröhlichkeit, dieselbe List und Vorsicht und dieselbe Unruhe und Rastlosigkeit wie seine Verwandten. Er klettert ebenso gut wie sie, übertrifft die bei uns einheimischen aber im Gehen; denn er bewegt sich sehr viel auf dem Boden und hüpft hier mit großem Geschick umher. Sein Flug ist hart, rauschend, und dadurch von dem anderer Spechte verschieden, daß er sehr tiefe Bogenlinien beschreibt. Die Stimme ist ein helles, weit tönendes »Glück«, welches, wenn es oft wiederholt wird, einem durchdringenden Gelächter ähnelt, der Laut der Zärtlichkeit ein wohltönendes »Gück«, »Gäck« oder »Kipp«, der Angstruf ein häßliches Gekreisch. Das so vielen anderen Spechten gemeinsame Trommeln scheint der Grünspecht nicht auszuführen; wenigstens habe ich es nie vernommen.

Das tägliche Leben unseres Vogels verläuft etwa folgendermaßen: sobald der Morgenthau einigermaßen abgetrocknet ist, verläßt der Grünspecht seine Nachtherberge, schreit vergnügt in die [491] Welt hinaus und schickt sich an, sein Gebiet zu durchstreifen. Wenn nicht gerade die Liebe in ihm sich regt, bekümmert er sich wenig um seinen Gatten, geht vielmehr selbständig seine Wege und kommt nur gelegentlich mit dem Ehegenossen zusammen. Er streift von einem Baume zum anderen, in einer gewissen Reihenfolge zwar, aber doch nicht so regelmäßig, daß man ihn mit Sicherheit an einem bestimmten Orte erwarten könnte. Die Bäume sucht er stets von unten nach oben ab; auf die Aeste hinaus versteigt er sich seltener. Nähert man sich einem Baume, auf welchem er gerade beschäftigt ist, so rutscht er schnell auf die dem Beobachter abgekehrte Seite, schaut zuweilen, eben den Kopf vorsteckend, hinter dem Stamme hervor, klettert höher aufwärts und verläßt plötzlich unbemerkt den Baum, pflegt dann aber seine Freude über die glücklich gelungene Flucht durch lautes, frohlockendes Geschrei kundzugeben. Bis gegen den Mittag hin ist er in ununterbrochener Thätigkeit. Er untersucht in den Vormittagsstunden gewiß über hundert Bäume und nimmt außerdem jeden Ameisenhaufen mit. An hartholzigen Bäumen hämmert er viel weniger als andere Spechte, dagegen meiselt er nicht selten in das Gebälk der Wohnungen oder in Lehmwände tiefe Löcher. Wenn im Sommer die Wiesen abgemäht sind, läuft er viel auf dem Boden umher und sucht dort Würmer und Larven zusammen; im Winter fliegt er auf die Gehänge, von denen die Sonne den Schnee weggeleckt hat und späht hier nach verborgenen Kerfen. Er ist kein Kostverächter, zieht aber doch die rothe Ameise jeglicher anderen Nahrung vor und fliegt ihr zu Gefallen weit auf den Feldern umher. Im Ameisenfange ist er geschickter als alle übrigen Spechte, weil seine Zunge verhältnismäßig länger ist und, Dank ihrer Kleberigkeit, in derselben Weise wie beim Ameisenfresser gebraucht werden kann. »Wie erpicht die Grünspechte auf Ameisen und deren Puppen sind«, schreibt mir von Reichenau, »davon habe ich mich in den an Ameisenhaufen reichen Waldungen um Wetzlar oft überzeugt. Die anfangs lockeren Hügel werden durch ihr eigenes Gewicht und die Vermoderung der Holztheile sowohl wie durch die Einwirkung des Regens nach und nach so fest, daß der Grünspecht sich genöthigt sieht, mit seinem spitzigen Keilschnabel einen Weg zu bahnen, um zu seiner Lieblingsnahrung zu gelangen. Zur Winterszeit nun stecken die Ameisen sehr tief in der Erde, und der hungrige Specht sieht sich dann genöthigt, bis zu dreißig Centimeter tiefe Löcher, ähnlich den in morschen Stämmen und Aesten angelegten Schlupf- und Nisthöhlungen, auszumeiseln, um die in halber Erstarrung liegenden Kerfe zu erhalten. Bei diesem Geschäfte ist er natürlich im Sehen und Umschauhalten beschränkt; der Hunger läßt ihn seine ihm sonst eigene Vorsicht vergessen, und es fällt alsdann einem Raubthiere gewiß leicht, seiner habhaft zu werden: griff doch mein ehemaliger Jagdgenosse Weber einen völlig gesunden Vogel dieser Art, welcher in obiger Weise beschäftigt war, mit der Hand«. Dasselbe wird von mehreren anderen Beobachtern mitgetheilt, so auffallend es auch erscheinen will, daß der sonst sehr vorsichtige Vogel in so plumper Weise sich übertölpeln läßt. Außer den Ameisen verzehrt der Grünspecht auch mancherlei Käfer- und Schmetterlingslarven, namentlich die des Bockkäfers und des Weidenbohrers, ebenso, nach einer beachtenswerthen Mittheilung Hallers, Maulwurfsgrillen, welche er wie jene Maden thatsächlich mit seiner Zunge anspießt und aus ihren Höhlen und Winterschlupfwinkeln hervorzieht. Da er sich gewöhnt, im Winter Dörfer und Gehöfte zu besuchen, so kann es geschehen, daß er sich auch wohl Uebergriffe in menschliches Besitzthum zu Schulden kommen läßt. Ganz abgesehen davon, daß er bei seinem Suchen nach versteckten Kerbthieren Lehmwände und Strohdächer zerhackt, zermeiselt er auch dann und wann einmal die Wand eines Bienenstockes und richtet nunmehr unter den im Winterschlaf liegenden Immen arge Verheerungen an. Auch Pflanzenstoffe verschmäht er nicht gänzlich. Schacht erfuhr, daß er Vogelbeeren verzehrt, und Haller beobachtete einen Grünspecht, welcher allwinterlich ein mit wilden Reben übersponnenes Gartenhäuschen besuchte und hier an den Beeren sich gütlich that.

Ende Februar stellt er sich auf seinem Brutplatze ein; aber erst im April macht das Weibchen Anstalt zum Nisten. Im März sieht man beide Gatten stets vereinigt, und das Männchen zeigt sich dann sehr erregt. Es setzt sich auf die Spitze eines hohen Baumes, schreit stark und oft und jagt [492] sodann das herbeigekommene Weibchen spielend von Baum zu Baum. Gegen andere Grünspechte benimmt sich das Pärchen sehr unfreundlich; das einmal gewählte Gebiet wird gegen jeden Eindringling und, wenn es an geeigneten Nistbäumen fehlt, auch gegen den Grauspecht hartnäckig vertheidigt. Wie üblich erwählt der Grünspecht zur Ausarbeitung seiner Nisthöhle einen Baum, welcher im Inneren kernfaul oder schon hohl ist. Hier sucht er sich eine Stelle aus, wo ein Ast ausgefault war, und diese Stelle wird nun erweitert. Beide Gatten arbeiten gemeinschaftlich und sehr fleißig, so daß die Höhlung schon innerhalb vierzehn Tagen vollendet ist. Der runde Eingang ist so klein, daß der Vogel eben aus- und einschlüpfen kann, die innere Höhlung fünfundzwanzig bis funfzig Centimeter tief und etwa funfzehn bis zwanzig Centimeter weit. Trifft der Grünspecht im Innern auf sehr festes Holz, so läßt er die begonnene Arbeit liegen, und lieber noch, als er eine neue Höhlung sich zimmert, benutzt er eine alte, welche ein anderer seiner Art meiselte, kehrt auch, wenn er nicht gestört wurde, im nächsten Jahre wieder zu derselben zurück. Das Gelege besteht aus sechs bis acht länglichen, glattschaligen, glänzend weißen Eiern. Beide Gatten brüten wechselweise sechszehn bis achtzehn Tage lang, das Männchen von zehn Uhr morgens bis drei oder vier Uhr nachmittags, das Weibchen während der übrigen Zeit des Tages; beide erwärmen die zarten Jungen abwechselnd, und beide tragen denselben eifrig Nahrung zu. Die Jungen sind ebenso häßlich wie anderer Spechte Kinder, entwickeln sich ebenso rasch und schauen schon in der dritten Woche ihres eigentlichen Lebens aus dem Nestloche heraus. Später beklettern sie von hier aus den ganzen Baum, und endlich durchstreifen sie mit ihren Eltern das Wohngebiet, kehren aber noch eine Zeitlang allabendlich zu der Bruthöhle zurück. Die Streifzüge werden nun weiter und weiter ausgedehnt, und schließlich sucht die Familie, welche noch immer zusammenhält, nicht mehr die Bruthöhle auf, sondern übernachtet irgendwo in einer anderen. Vom Oktober an vereinzelt sich die Gesellschaft: die Jungen sind selbständig geworden, und jeder sucht sich nunmehr, ohne Rücksicht auf die anderen, sein tägliches Brod.

Der Grünspecht ist schwer zu fangen. In Sprenkeln oder auf dem Vogelherde wird bloß zufällig einer berückt; eher noch gelingt dies, wenn man seine Schlafhöhlung ausgekundschaftet hat und vor dem Eingange Schlingen anbringt. »In meinem Wäldchen«, erzählt Naumann, »hatte sich einst ein Grünspecht eine Höhle zu seiner Nachtruhe in eine alte, hohe, graue Espe gezimmert. Ich erstieg den Baum mit einer langen Leiter, schlug ein Stiftchen dicht über das zirkelrunde Loch und hing einen dünnen Bügel mit Schlingen lose daran, so daß diese den Eingang bestellten. Aus einer alten Laubhütte beobachtete ich nun ungesehen den schlauen Specht, welcher erst im Düstern ankam, die Anstalten scheu betrachtete und einigemal vom Baume abflog, ehe er den Muth hatte, sich dem verfänglichen Loche zu nähern. Endlich hing er sich vor dasselbe, guckte ein-, zweimal hinein, fühlte die Schlinge um den Hals, wollte entfliehen, kam aber mit gräßlichem Geschrei, den Bügel am Halse, herabgeflattert und war gefangen. Ich behielt ihn nur einen Tag lang und ließ ihn dann wieder fliegen. Er scheute nun den verhängnisvollen Baum auf lange Zeit, ging aber doch nach Verlauf von mehreren Wochen allabendlich wieder in seiner Höhle zur Ruhe.«

»Der Grünspecht«, bemerkt Naumann noch, »ist ein so stürmischer, unbändiger Vogel, daß man an Zähmung eines Alten gar nicht denken darf. Man hat es versucht und ihn an ein Kettchen gelegt; aber der Erfolg war immer ein baldiger Tod des ungestümen Gefangenen. Aus einem hölzernen Vogelbauer helfen ihm seine kräftigen Schnabelhiebe sehr bald, und läßt man ihn in die Stube, so klammert er sich an allem an und zermeiselt das Holzwerk. Daß sie sich, jung aufgezogen, leichter zähmen lassen, mag sein; mir ist aber kein Fall derart bekannt geworden.«

Aufgemuntert durch meine Erfolge bei Aufzucht der Schwarzspechte, habe ich auch den Grünspecht zeitweilig gepflegt, kann aber nicht sagen, daß er mir Freude bereitet hätte. Sein Benehmen war im wesentlichen das des Schwarzspechtes, die an den Käfigen von ihm bethätigte Zerstörungslust nicht geringer als bei diesem. Zu voller Munterkeit aber gelangten meine Pfleglinge nicht, obgleich ich ihnen Ameisenpuppen bot, so viel sie deren bedurften. Auch Liebe hat dieselbe [493] Erfahrung machen müssen wie ich: die von ihm mit größter Sorgfalt gepflegten Grünspechte sind nicht alt geworden.

Unter unseren Raubvögeln gefährdet wohl nur der Hühnerhabicht den Grünspecht ernstlich. Gegen die Edelfalken, welche bekanntlich bloß fliegende Beute aufnehmen, schützen ihn die Baumstämme, zu denen er angesichts eines solchen Räubers sofort flüchtet und welche er dann so rasch umklettert, daß ein minder gewandter Vogel als der Habicht ihm nicht beizukommen vermag. Dieser freilich führt im Fluge so kurze Schwenkungen aus, daß er wohl zum Ziele gelangen mag. Darauf hindeutet wenigstens das ängstliche Schreien, welches der Grünspecht beim Anblick dieses furchtbaren Räubers wie auch des Sperbers ausstößt. Andere größere Waldvögel, beispielsweise Krähen, stoßen wohl auch einmal neckend auf ihn herab; zu ernstlichen Kämpfen mit ihnen kommt es aber nicht. Dagegen kann es gelegentlich seiner Wühlereien in Ameisenhaufen geschehen, daß er wiederum in Streitigkeiten geräth, welche man sonst nicht beobachtet. So sah Adolf Müller einen Nußheher, nachdem derselbe neugierig die Arbeit eines in beschriebener Weise beschäftigten Grünspechtes beobachtet hatte, allmählich näher kommen und plötzlich dem Spechte sich zum Kampfe stellen. Beide Vögel griffen gegenseitig an und vertheidigten sich mit gleicher Geschicklichkeit, bis der Heher Verstärkung herbeiholte und mit fünf anderen seiner Art den Grünspecht in die Flucht trieb.

Von den Menschen hat dieser nicht mehr als andere Spechte zu leiden, obgleich er zuweilen die Rachsucht eines Zeidlers, dessen Bienenstöcke er schädigte, heraufbeschwört. Verderblicher als alle Feinde wird dem Grünspechte der Winter. Wenn tiefer Schnee den Boden bedeckt, tritt bald Hungersnoth ein, und nur da, wo alte große Bäume wirtlich mit der in ihrem morschen Holze versteckten Kerbthierbevölkerung aushelfen, übersteht er ohne Schaden die unfreundliche Jahreszeit. Bei plötzlich sich einstellender Kälte und tiefem Schneefalle begegnet man ihm dann nicht selten in alten Hochwaldungen, zuweilen in zahlreicher Menge. So beobachtete Snell, daß in dem Winter von 1860 zu 1861 ein uralter Eichwald fast alle Spechte der Umgegend in sich versammelte. »Man hörte«, sagt er, »in jenen Tagen vom Morgen bis zum Abend ein Hämmern und Pochen, ein Schwirren und Schreien, daß selbst die stumpfsinnigsten Bauern, welche des Weges vorüberzogen, aufmerksam wurden und stehen blieben.« In Gegenden, in denen es solche Waldungen nicht gibt, nimmt man nach harten Wintern ersichtliche Abnahme der Spechte wahr. »Ich selbst habe«, berichtet Liebe, »zu solcher Winterszeit verendete, aus Mangel umgekommene Grün- und Grauspechte im Walde gefunden, und sind mir auch von anderen einigemal derlei Leichen ins Haus gebracht worden. Wenn sich im Nachwinter die Ameisen tief in ihre Bauten zurückgezogen haben und Schnee die Wiesen und Grasplätze bedeckt, dann sind die Grünspechte auf Holzmaden und dergleichen angewiesen. Unsere Forstwirtschaft läßt aber in ihren den Gartenbeeten gleichenden Schöpfungen gewiß nicht so leicht einen Baum am Leben, welcher für jene Vögel Nahrung in sich bergen könnte. Die Grün- und Grauspechte, die kleineren Bunt- und die Schwarzspechte werden bei uns aussterben wie die Indianer infolge der Kultur.«

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Vierter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Erster Band: Papageien, Leichtschnäbler, Schwirrvögel, Spechte und Raubvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 489-494.
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