Hellenenspecht (Picus Lilfordi)

[487] In Griechenland und Kleinasien wird der Vogel durch einen ihm sehr nahe stehenden, neuerdings aber als Art unterschiedenen Verwandten (Picus Lilfordi) vertreten, welchen wir Hellenenspecht nennen wollen. Er unterscheidet sich vom Weißspechte durch dunkel scharlachrothe Färbung des Scheitels und Hinterkopfes und die breit schwarz und weiß in die Quere gebänderte Schulter und Manteltheile sowie endlich die etwas lebhafter gefärbte Unterseite.

Das nördliche und nördöstliche Europa, auch ganz Südsibirien bis ins Amurland, bilden das Verbreitungsgebiet des Weißspechtes, welchen wir neuerdings als deutschen Brutvogel kennen gelernt haben. In unserem Vaterlande tritt er jedoch immer nur sehr vereinzelt auf, und es erscheint mir richtiger, ihn als Strichvogel, welcher dann und wann auch einmal zum Brutvogel wird, denn als Standvogel anzusehen. In Spanien, Italien, Frankreich, Belgien, Holland, Dänemark und England ist er, so viel mir bekannt, bis jetzt noch nicht beobachtet worden, in Südskandinavien dagegen kommt er nicht selten vor. Nach Collett brütet er in den Niederungen der Provinzen Christiana und Hamar an einzelnen Stellen in zahlreicher Menge, wird jedoch nach Norden hin noch häufiger und ist im Süden der Provinz Trondjem, namentlich in Oerkedal und Surendal, der gemeinste aller dort vorkommenden Spechte. In Schweden bemerkt man ihn, laut Nilsson, vereinzelt hier und da, im Norden ebenfalls öfter als im Süden; doch scheint sich sein Verbreitungsgebiet nicht bis in die nördlichsten Theile Skandinaviens zu erstrecken. Finnland verbindet sein Verbreitungsgebiet mit Rußland, einschließlich der Ostseeprovinzen und Polen, welche Länder man für Europa vielleicht als sein eigentliches Vaterland betrachten darf. In Sibirien bewohnt er, nach Radde, ohne Zweifel alle bewaldeten Gebiete des südlichen Theiles, und im Borejagebirge muß er häufig brüten. Ich glaube nun, daß alle Weißspechte, welche man in Deutschland und zwar in Ost- und Westpreußen, Schlesien, der Mark und Mecklenburg und ebenso in Bayern, Böhmen, Oberösterreich und den Pyrenäen gefunden hat, nur als solche Wanderer angesehen werden dürfen, welche einmal die Grenzen ihres eigentlichen Verbreitungsgebietes überschritten, unter Umständen sogar sich seßhaft gemacht und gebrütet haben.

Ueber das Freileben des Weißspechtes berichtet ausführlicher wohl nur Taczanowski. »Der Weißspecht findet sich in Polen überall, aber nicht zahlreich, im Gegentheile stets seltener als beispielsweise der Mittelspecht. Er bewohnt die Laubwälder, insbesondere wenn dieselben aus Eichen, Birken und Ulmen bestehen; in Nadelwaldungen hingegen trifft man ihn nicht. Von den übrigen Spechten unterscheidet er sich durch sein ruhiges Wesen. Er ist weniger laut, bedächtigter in seinen Bewegungen, und auch sein Ruf wird seltener als von anderen vernommen. Manchmal verweilt er stundenlang auf einem und demselben Baume, beklettert ihn dann und wann auch ziemlich rasch von allen Seiten und sucht still nach seiner Nahrung. Ungeachtet seines stärkeren Schnabels verursacht er viel weniger Lärm durch Klopfen als andere Buntspechte, arbeitet im Gegentheile ruhig und erwählt dazu so viel als möglich sehr vermorschte Bäume, schält aber auch von ihnen nur die Rinde ab. Während des Winters begegnet man ihm nicht selten in Gärten und Ortschaften. Hier verweilt er unter Umständen den ganzen Tag über und begnügt sich, unbekümmert um den Menschen, wenige Bäume oder Hecken abzusuchen. Während der Brutzeit trommelt er nach Art anderer Buntspechte; das hierdurch verursachte Geräusch ist jedoch ebenfalls nicht laut und wird nicht auf fernhin gehört. Seine Nahrung besteht ausschließlich in Kerbthieren. Um einige Tage früher als der Schwarzspecht, meist schon Anfang April, schreitet er zum Nisten, und um die Mitte des Mai verlassen die Jungen das Nest. Letzteres legt er in einem sehr vermorschten Baume an, mit Vorliebe in Birken, Eschen, Ulmen, selten in Eichen, weitaus in den meisten Fällen im Stamme, ungefähr vier bis sechs Meter über dem Boden. Seine Vorliebe für verottete Bäume ist so groß, daß er auch solche erwählt, welche nur noch durch die Rinde zusammengehalten werden. Mir selbst begegnete es, daß einer von ihnen, welcher ein Nest mit Jungen enthielt und schon einige Jahre zum Nisten benutzt worden war, in buchstäblichem Sinne des Wortes in Stücke zerbrach, als ich daran schüttelte. Ein geübter Beobachter kann das Nest des Weißspechtes nicht allein an [488] den verhältnismäßig großen Spänen unter demselben, sondern auch an dem kreisrunden Eingangsloche erkennen, während dieses bei den übrigen Arten bekanntlich länglich rund zu sein pflegt. Die Bruthöhle ist geräumiger als die des Buntspechtes, zuweilen so weit und tief wie die des Grünspechtes. Drei Eier bilden die gewöhnliche Anzahl des Geleges; ich kenne nur ein einziges Beispiel, daß auch vier in einem Neste gefunden wurden. Die Eier sind denen des Buntspechtes zum Verwechseln ähnlich, ändern aber hinsichtlich der Form vielfach ab, indem einzelne eine sehr verlängerte, andere sehr rundliche Gestalt haben.«

Unter den übrigen Beobachtungen, welche über den Weißspecht veröffentlicht worden sind, mögen noch folgende erwähnt sein. Nilsson, welcher mit Taczanowski darin übereinstimmt, daß unser Vogel Wälder mit sehr vermorschten Bäumen anderen bevorzuge, stellt das Vorkommen des Weißspechtes auch in Nadelwaldungen fest, bemerkt, daß derselbe nicht besonders scheu sei und an den Bäumen regelmäßig die oberen Theile absuche, im Sommer wie üblich paarweise gefunden, im Winter dagegen auch wohl in Familien beobachtet werde. Collett berichtet, daß man ihn in jedem Herbste in Dohnenstiegen fange, womit bewiesen wird, daß er auch Pflanzennahrung nicht gänzlich verschmäht. Altum endlich gibt höchst beachtenswerthe Mittheilungen über sein Brüten in Deutschland. Man kannte bis dahin zwei Fälle, daß der Weißspecht in unserem Vaterlande und zwar in der Gegend von München und in Schlesien sich fortgepflanzt habe, erfuhr aber trotzdem mit einiger Ueberraschung, daß derartige Fälle, nach Altums Meinung wenigstens, nicht ganz so selten sein dürften. Wie der letztgenannte Forscher glaubt, brütet er in der Mark vielleicht schon seit einer langen Reihe von Jahren. Ein Weibchen aus der Sammlung der Forstschule von Eberswalde wurde während der Brutzeit im Lieper Forste erlegt, ein Männchen 1847 im Juni geschossen. Einen sicheren Beweis des Brütens erhielt Altum jedoch erst am neunundzwanzigsten Mai 1872 und zwar dadurch, daß ihm Forstkandidat Hesse ein altes Männchen in abgetragenem Kleide brachte, welches er Tags vorher im Lieper Reviere erlegt hatte, während es mit dem Füttern seines Jungen beschäftigt war. Auf dringendes Ersuchen um Erlegung des Jungen wurde dieses am ersten Juni erlegt. Das deutsche Bürgerrecht des Weißspechtes kann also nach diesem nicht mehr bestritten werden.


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Gloger war meines Wissens der erste Naturforscher, welcher, auf zwei in Deutschland vorkommende Arten gestützt, die Grünspechte, eine aus ungefähr einem Dutzend Arten bestehende Gruppe, unter dem Namen Ameisenspechte von den übrigen Familiengenossen sonderte. Man hat dieser Ansicht insofern Rechnung getragen, als man gegenwärtig die in Rede stehenden Spechte in einer besonderen Sippe vereinigt, welcher wir den Rang einer Untersippe zugestehen wollen.

Die Grün- oder Ameisenspechte (Gecinus) kennzeichnen sich durch ziemlich bedeutende Größe, gestreckten Leibesbau, schwach keilförmigen, undeutlich vierseitigen Schnabel, welcher auf der Firste ein wenig gebogen ist, kurze, kräftige, vierzehige Füße, abgerundete Flügel, in denen die vierte und fünfte Schwinge die übrigen an Länge überragen, und auffallend lange Zunge. Das Gefieder ist meist grün, auf der Unterseite lichter und oft quer gewellt; die lebhaft gefärbten Kopffedern sind zuweilen zu einer Holle verlängert. Reichenbach vergleicht die Grünspechte mit den Bienenfressern und sagt, daß ihr schwaches Geripp auf mindere Kraft deute, daß sie auch seltener oder nicht pochen oder zimmern. Ihr Schädel ist mehr als bei anderen verlängert und die Brustwirbel haben breite, dicht an einan der gerückte, obere Dornfortsätze. Als wichtigstes Kennzeichen der Gruppe wird jedoch immer die mehr oder weniger gleichmäßige Färbung des Gefieders anzusehen sein; denn auch die Grünspechte bilden durchaus keine streng nach außen abgeschlossene Sippschaft.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Vierter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Erster Band: Papageien, Leichtschnäbler, Schwirrvögel, Spechte und Raubvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 487-489.
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