Baumliest (Halcyon semicoerulea)

[305] Der Baumliest (Halcyon semicoerulea, erythrogaster, Swainsonii und rufiventris, Alcedo semicoerulea, senegalensis und cancrophaga, Dacelo Actaeon und jagoensis) steht dem Graufischer an Größe wenig nach: seine Länge beträgt 22, die Fittiglänge 10, die Schwanzlänge 6,5 Centimeter. Das Gefieder bleibt zwar an Pracht und Schönheit hinter dem mehrerer Verwandten zurück, ist aber immerhin lebhaft und schön gefärbt. Ober- und Hinterkopf sind blaßbräunlich, Nacken und Hinterhals heller, die Halsseiten und Vordertheile bis zur Brust hinab weiß, die übrigen Untertheile tief zimmetrothbraun, Mantel, Schultern und Deckfedern sowie die Schwingen schwarz, letztere an der Außenfahne, die Handdecken und Eckflügel, Bürzel und Schwanz glänzend smalteblau. Das Auge ist braun, der Schnabel und die Füße sind roth. Baumlieste von den Inseln des Grünen Vorgebirges unterscheiden sich von denen des Festlandes dadurch, daß der Oberkopf fast ebenso weiß ist wie der Hinterhals, werden daher auch von einzelnen Forschern als besondere Art betrachtet.

Man hat diesen Vogel in Westafrika entdeckt, später aber auch auf den Inseln des Grünen Vorgebirges und durch ganz Mittelafrika bis nach Abessinien hin aufgefunden. Heuglin gibt in den von uns durchreisten Gegenden das Gestade des Rothen Meeres, das Hochland von Habesch bis zu zweitausend Meter unbedingter Höhe und den Blauen und Weißen Nil westwärts bis zum Djur als Wohngebiet des Baumliestes an; ich bin ihm oft in den Waldungen des Blauen und Weißen Flusses, aber weder an der Küste des Rothen Meeres noch auch im Bogoslande begegnet.

Soviel ich mich erinnere, habe ich den sonderbaren Gesellen immer nur einzeln gesehen, zuweilen jedoch häufig auch innerhalb eines Umkreises von geringem Durchmesser. In der Regel war er in den Flußniederungen zahlreicher als in den ärmeren Wäldern der Steppe; während der Regenzeit aber konnte man ihn auch hier überall bemerken. Zu gewissen Zeiten sah ich keinen einzigen, und deshalb darf ich annehmen, daß er Strichvogel ist, welcher möglicherweise gar nicht im Sudân brütet, sondern hier nur zeitweilig erscheint, bei reichlicher Nahrung mausert und dann wieder seines Weges zieht. Mitte September waren alle, welche ich erlegte, in voller Mauser.

Im Betragen gleicht der Baumliest den Bienenfressern und Fliegenfängern. Er fliegt während des ganzen Tages von einem Aste ab und so lange auf ihn wieder zurück, als er von dieser Warte aus Beute gewinnt und nicht gestört wird. Doch begründet sich diese Beharrlichkeit durchaus nicht [305] auf Unfähigkeit, sondern nur auf Trägheit und Gleichgültigkeit. Vor dem Menschen zeigt er nicht die geringste Scheu. Er betrachtet den Europäer, welcher den meisten übrigen Vögeln sehr auffällt, mit der größten Seelenruhe und kann deshalb ohne jegliche Anstrengung vom Baume herabgeschossen werden. Selbst wenn er gefehlt wurde, ändert er sein Betragen nicht, sondern fliegt dann höchstens auf den nächsten Baum und setzt sich dort wieder fest. Die Nahrung scheint fast ausschließlich aus Heuschrecken zu bestehen; zu gewissen Zeiten wenigstens bilden diese Kerfe sicherlich seine alleinige Nahrung. Doch achtet er auch der Käfer, welche die blühenden Mimosen umschwirren, und versucht sich zuweilen ebenso an Schmetterlingen, welche an ihm vorübergaukeln.


Baumliest (Halcyon semicoerulea). 3/5 natürl. Größe.
Baumliest (Halcyon semicoerulea). 3/5 natürl. Größe.

Heuglin sagt, daß er mehr Fischfresser als Liebhaber von Heuschrecken und Käfern sei; ich muß bemerken, daß ich ihn niemals beim Fischfange oder auch nur in der Nähe eines Fische führenden Gewässers beobachtet habe. Bolle fand in dem Kropfe eines Verwandten ein Stück von einer Eidechse, und es läßt sich daher annehmen, daß auch unser Vogel derartiges Wild jagt.

Ueber das Brutgeschäft theilt Berreaux einiges mit. Seine Beobachtungen beziehen sich zwar ebenfalls auf einen Verwandten; ähnliches wird aber auch wohl für unsere Art Gültigkeit haben. Die Brutzeit fällt in den Oktober und November. Das Nest steht in Baumlöchern und [306] enthält drei kugelrunde, glänzend weiße Eier. Beide Geschlechter brüten abwechselnd; wenn aber die Jungen ausgekrochen sind, scheint das Männchen allein für Ernährung der Familie zu sorgen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Vierter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Erster Band: Papageien, Leichtschnäbler, Schwirrvögel, Spechte und Raubvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 305-307.
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