Koel (Eudynamys niger)

[233] Die berühmteste Art der Sippe ist der Koel oder »Kuil« der Hindus, »Kokil« der Bengalen, »Koha« der Singalesen, »Kusil« der Malaien, »Tuhu« und »Tschuli« der Javanen (Eudynamys niger, Cuculus niger, variegatus, panayanus, maculatus, honoratus, scolopaceus, indicus, orientalis und crassirostris, Eudynamis chinensis und ceylonensis). Das Männchen ist glänzend grünlichschwarz, das Weibchen glänzend dunkelgrün, auf der Oberseite weiß gefleckt, auf den Schwingen und dem Schwanze weiß gebändert, unten weiß mit schwarzen Flecken, welche in der Halsgegend länglich, in der Brustgegend herzförmig sind. Das Auge ist scharlachroth, der Schnabel [233] blaßgrünlich, der Fuß schieferblau. Die Länge des Männchens beträgt einundvierzig, die des Weibchens sechsundvierzig, die Breite des ersteren sechzig, des letzteren dreiundsechzig, die Fittiglänge neunzehn und bezüglich einundzwanzig Centimeter, die Schwanzlänge ebensoviel.

»Dieser wohlbekannte Vogel«, bermerkt Jerdon, »findet sich in ganz Indien, von Ceylon bis Burmah, und außerdem auf den malaiischen und philippinischen Inseln. Er bewohnt Gärten, Haine, Alleen und lichte Waldungen, frißt fast ausschließlich Früchte verschiedener Arten, namentlich Feigen, Bananen und dergleichen, und hält sich, obgleich er nicht gesellig ist, doch zuweilen in kleinen Trupps zusammen. Er ist keineswegs scheu, hat aber die uns bekannte, ruhige, zurückhaltende Lebensart des gewöhnlichen Kukuks, so lange er sich im Gezweige aufhält, während er laut aufschreit, sobald er fliegt. Der Flug unterscheidet sich von dem des Kukuks; denn er ist nicht so ruhig und gleitend, sondern erfordert zahlreichere Flügelschläge. Gegen die Brutzeit hin wird der Koel lärmend und läßt sich jederzeit vernehmen, selbst mitten in der Nacht, indem er unablässig seinen wohlbekannten Schrei, ein an Stärke anschwellendes ›Koel koel‹ ausstößt. Uebrigens besitzt das Männchen noch einen anderen Stimmlaut, welcher wie ›Huwihu‹ oder ›Hoäo‹ klingt, und wenn er fliegt, läßt er noch ein drittes, etwas klangreicheres Geschrei vernehmen.«

Eingehender berichtet Blyth. Der Koel, obwohl ein Vogel von den Sitten der Kukuke insgemein, und diesen auch darin ähnelnd, daß er von einem Baume zum anderen zu fliegen pflegt, ist nicht besonders scheu und gestattet in der Regel Annäherung eines Menschen, während er sich still hält, um Beobachtung zu vermeiden oder insbesondere, wenn er frißt. Wenn ein Baum in voller Frucht steht und man unter einem solchen sich aufstellt, kann man ihrer so viele erlegen, daß man kaum Zeit hat, das Gewehr wieder zu laden. Je nachdem diese oder jene Frucht in Reise kommt, hält er sich mehr auf dem einen oder anderen Baume auf. Zu anderen Zeiten ernährt er sich von verschiedenen Beeren, welche unzerstückt verschlungen und deren große Körner dann ausgewürgt werden. Beim Fressen sieht man oft mehrere Koels nahe bei einander; doch halten sie keine Gemeinschaft mit einander, und jeder geht unabhängig seinen Weg, wie es wohl bei allen übrigen Kukuken auch der Fall sein mag. Alle diese Gewohnheiten des Vogels ändern sich, wenn die Paarungszeit herannaht. Nunmehr wird der Koel zu einem fast unerträglichen Schreier, dessen laute Rufe man fast ohne Unterbrechung vernimmt. Die verschiedenen Landesnamen sind, wie zu erwarten, ein Klangbild dieses Rufes, welcher nach Kukuksart ausgestoßen wird und, in einer gewissen Entfernung vernommen, das Ohr anmuthet, infolge seiner unendlichen Wiederholungen zu allen Stunden des Tages und der Nacht zuletzt aber doch wenigstens den einen oder den anderen Europäer ermüdet. Anders denken die Eingeborenen. Sie bewundern den Vogel hauptsächlich seiner Stimme halber, halten ihn deshalb vielfach in Gefangenschaft und erfreuen sich an ihm ebenso wie an den besten Sängern. Eine Folge ihrer Liebhaberei ist, daß auch der gefangene Koel bald alle Scheu verliert, nicht nach Art unseres Kukuks verdrossen schweigt, sondern seine laute Stimme in der Gefangenschaft ebensogut zum besten gibt wie im Freien.

»Das Weibchen dieses in Indien äußerst volksthümlichen Vogels«, fährt Blyth fort, »scheint sein Ei ausschließlich in die Nester der beiden indischen Krähenarten, der Glanz- und Aaskrähe (Corvus splendens und Corvus culminatus) zu legen. Dies ist etwas so gewöhnliches, daß uns ein und derselbe Mann zu gleicher Zeit fünf oder sechs Kukukseier brachte, deren jedes in einem verschiedenen Neste gelegen hatte. Man findet das Ei unseres Schmarotzers so oft allein in Krähennestern, daß man fast zu der Annahme berechtigt ist, der Koel zerstöre die Eier der Krähe, in deren Nest er das eigene legen will. Aber unerwiesen bleibt es, ob der junge Koel den ›Instinkt‹ besitzt, etwaige Mitbewohner des Nestes herauszuwerfen. Ich bin sehr geneigt, daran zu zweifeln. Frith, auf dessen Erfahrungen ich das größte Gewicht lege, versichert, nie mehr als ein Koelei in einem Neste und auch nie in anderen Nestern als denen der genannten beiden Krähen gefunden zu haben. Er beobachtete öfters, wie das Weibchen der Glanzkrähe den weiblichen Koel aus seiner Nachbarschaft vertrieb, und einmal, wie dieser letztere, indem er der Verfolgung zu entgehen versuchte, mit [234] solcher Gewalt gegen die Glasscheibe eines Gebäudes flog, daß er mit zerschmettertem Schädel sogleich niederstürzte. Major Davidson erzählt: In der Veranda meines Bungalows stehend, hörte ich plötzlich ein lautes Gekreisch auf dem Rasen und eilte hinzu, in der Meinung, eine junge Krähe sei aus dem Neste gefallen. Anstatt einer solchen fand ich zu meinem Erstaunen einen jungen Koel. Ich näherte mich auf einige Schritte und sah, wie der kleine Vogel aus dem Schnabel der Krähe Nahrung empfing und dabei zitterte und die Flügel ausbreitete. Ein Eingeborener, welcher zugegen war, versicherte, daß der Koel allemal von der Stiefmutter aufgefüttert werde, und daß diese Pflege so lange andauere, bis der fremde Vogel selbst für sich zu sorgen im Stande sei.

Das Ei des Koels ist dreißig Millimeter lang und achtzehn bis zweiundzwanzig Millimeter breit; der Gestalt nach ähnelt es sehr den Eiern des Kotri oder Landstreichers (Dendrocitta rufa), seine Farbe ist aber gesättigter, ein blasses Olivengrün mit gleichmäßig dichter röthlichbrauner Fleckung, welche um das dicke Ende zu gedrängter steht. Für den Eierkundigen hat das Ei ein bezeichnendes kukukartiges Ansehen.«

Im Widerspruche mit der vom Major Davidson mitgetheilten Thatsache erzählt Philipps, er selbst und ein gebildeter, im Beobachten sehr geübter und durchaus zuverlässiger Eingeborener hätten gesehen, daß das Koelweibchen, nachdem es sein Ei in einem Krähenneste niedergelegt habe, dieses häufig aus einer gewissen Entfernung beobachte, um zu gewahren, ob auch sein Junges aus demselben herausgeworfen werde. Dieses geschehe, sobald dasselbe sein geflecktes Jugendkleid anlege, also flügge sei, und sofort nehme sich die echte Mutter des doch noch hülflosen Kindes an, um es zu füttern. Er habe dies mehr als einmal während seines Aufenthaltes in Gwalior beobachtet. Daß die Koelmutter ihr Junges füttere, habe er selbst gesehen. Das Junge war fast ganz erwachsen und saß ruhig in einem Baume, während die Alte, ab und zu fliegend, ihm Früchte zutrug. »Das wahre an der Sache scheint zu sein«, schließt Blyth, »daß der Koel hinter einander verschiedene Eier legt, in Zwischenräumen von zwei bis drei Tagen etwa, wie der europäische Kukuk, und ferner, daß, nachdem die Jungen von den Pflegeeltern herausgeworfen sind, die echte Mutter sie noch einen oder einige Tage füttert.« Blyth bedauert, in dieser Beziehung Gelegenheit zu eigenen Beobachtungen nicht gehabt zu haben, und damit ist, für mich wenigstens, gesagt, daß die Mittheilungen von Philipps wohl auf sich beruhen dürfen.

Hierzu bemerkt Jerdon noch das nachstehende: »Das Koelweibchen legt, wie in Indien längst bekannt, seine Eier fast ausschließlich in das Nest der Glanzkrähe, viel seltener in das der Aaskrähe. Gewöhnlich legt es nur ein Ei in jedes Nest und meist, aber nicht immer, zerstört es gleichzeitig eines der Kräheneier. Es ist ein Volksglaube in Indien, daß die Krähe den Betrug merke, wenn der junge Koel fast ausgewachsen ist, und ihn dann aus dem Neste stoße. Die Regel kann dies aber in Wahrheit nicht sein, denn ich habe den jungen Vogel oft von Krähen füttern sehen, nachdem er schon das Nest verlassen hatte. Uebrigens scheinen es die Krähen recht wohl zu merken, wenn sie durch den Koel zum Hahnrei gemacht werden.« Durch Swinhoe's neuere Beobachtungen erfahren wir, daß der Koel keineswegs einzig und allein die von dem vorher erwähnten Forscher genannten Vögel zu Pflegeeltern seiner Brut erwählt, sondern seine Eier auch in die Nester anderer, obschon immerhin noch den Raben entfernt verwandter Vögel, insbesondere der Grakeln und Mainas, legt. Ein Koel flog vor Swinhoe's Augen nach einem Baume und wurde dort von seinem Weibchen begrüßt, welches sich in der Nähe des Nestes einer Grakel zu schaffen gemacht hatte. Als der rechtmäßige Besitzer des Nestes von einem Ausfluge zurückkehrte, stürzte er sich auf die Eindringlinge, wurde jedoch von diesen besiegt und in die Flucht geschlagen.

Zu meiner Freude sah ich bei einem meiner Besuche des Londoner Thiergartens einen der Koels, welche Babu Rajendra Mulik, ein indischer Vogelliebhaber, der genannten Anstalt geschenkt hatte. Der Vogel war damals bereits seit zwei Jahren in London und befand sich so wohl, daß man mit Recht hoffen durfte, ihn noch jahrelang am Leben zu erhalten. Seine Gefangenkost besteht aus gekochtem Reis und verschiedenen Früchten und Beeren, frischen und gedörrten. Leider nahm [235] mich der Thierreichthum des Gartens so in Anspruch, daß ich zu einer eingehenden Beobachtung des berühmten Vogels keine Zeit gewinnen konnte. Es schien mir übrigens, als ob sich der Koel in der Gefangenschaft durch große Lebhaftigkeit auszeichne und dadurch von seinen europäischen Verwandten sehr zu seinem Vortheile unterscheide.

Die prachtvollsten aller Kukuke bewohnen die Gleicherländer Afrikas, Asiens und Neuhollands. Der Name Goldkukuke (Chrysococcyx) ist für ihre Schönheit noch nicht bezeichnend genug; denn ihr Gefieder schimmert in so prachtvollen Farben, wie sie keine Metallverbindung hervorbringen kann. Diese Farbenpracht ist eines ihrer wesentlichsten, vielleicht das wesentlichste aller Kennzeichen. Sie sind sehr klein, gestreckt gebaut, langflügelig und langschwänzig. Der Schnabel ist mittellang, noch ziemlich schwach und im ganzen wie bei unserem Kukuke gebildet, der Fuß kurzläufig und langzehig, der Fittig ziemlich spitzig, in ihm die dritte Schwungfeder die längste, der Schwanz mehr als mittellang, seitlich etwas abgerundet, das Gefieder knapp, aber großfederig.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Vierter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Erster Band: Papageien, Leichtschnäbler, Schwirrvögel, Spechte und Raubvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 233-236.
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