Regenkukuk (Coccygus americanus)

[242] Durch Wilson, Audubon, Nuttall, Newton, Brewer, Coues und andere Forscher ist uns eine Art der Familie, der Regenkukuk (Coccygus americanus, Bairdii und Julieni, Cuculus americanus, carolinensis, dominicus und cinerosus, Coccyzus, Erythrophrys und Curcus americanus), bekannt geworden. Die Sippe der Fersenkukuke (Coccygus), welche der Vogel vertritt, kennzeichnet sich durch kopflangen, schwachen, zusammengedrückten, leicht gebogenen, spitzigen Schnabel, kurze Füße, lange Flügel, in denen die dritte Schwinge die längste ist, und langen, abgestuften, aus zehn schmalen, zugerundeten Federn bestehenden Schwanz. Das Gefieder der Oberseite, einschließlich der Flügeldeck- und beiden mittelsten Schwanzfedern, ist licht graubraun mit schwachem Erzschimmer, ein verwaschener Ohrstreifen dunkler, die ganze Unterseite, einschließlich der Halsseiten, milchweiß, zart graulich überflogen; die dritte bis siebente Schwinge sind in der Wurzelhälfte zimmetröthlich, die übrigen außen und an der Spitze braun wie der Rücken, die Schwanzfedern mit Ausnahme der mittelsten schwarz, weiß an der Spitze, die äußersten auch weiß an der Außenfahne. Das Auge ist dunkelbraun, der Schnabel oben bräunlichschwarz, der Unterschnabel gelb, der Fuß blaugrau. Die Länge beträgt 33, die Breite 42, die Fittiglänge 15, die Schwanzlänge 17,5 Centimeter.

»Ein Fremder«, sagt Wilson, »welcher die Vereinigten Staaten besucht und im Mai und Juni durch unsere Wälder geht, vernimmt zuweilen tiefe Kehllaute, welche den Silben ›kau kau‹ [242] ungefähr ähneln, langsam beginnen, aber schneller werden und so rasch endigen, daß die Laute in einander zu laufen scheinen. Diese Töne kann er oft hören, ohne daß er den Vogel bemerkt, von welchem sie herrühren; denn derselbe ist scheu und einsam und sucht sich stets die dichtesten Gebüsche zu seinem Wohnsitze aus. Dies ist der gelbschnäbelige oder Regenkukuk, ein Sommervogel der Vereinigten Staaten, welcher um die Mitte oder, weiter nach Norden hin, zu Ende des April, auch wohl erst Anfang Mai, einzutreffen pflegt und bis Mitte September im Lande verweilt, dann aber, und zwar zu großen Scharen vereinigt, nach Mittelamerika zieht, um dort zu überwintern.«


Regenkukuk (Coccygus americanus). 1/2 natürl. Größe.
Regenkukuk (Coccygus americanus). 1/2 natürl. Größe.

Der Vogel verbreitet sich über sämmtliche Vereinigte Staaten, von Kanada bis Florida, und von der Atlantischen Küste bis zu der des Stillen Meeres, kommt ebenso und zwar zum Theil als Brutvogel im südwestlichen Texas und auf allen Hauptinseln Westindiens vor. Newton fand ihn brütend auf St. Croix, Gosse auf Jamaika, Gundlach wie Lembeye auf Cuba, Salvin in Mittelamerika; sein Brutgebiet dehnt sich also von Kanada und Minnesota bis Florida und von Neu-Braunschweig bis Texas aus. In den südlichen Theilen dieses Wohnkreises dürfte unser Kukuk wohl nur Strichvogel sein; im Norden gehört er unter die regelmäßigen Zugvögel. Die Flüge, welche gelegentlich des Zuges gebildet werden, verbreiten sich auf weithin, ohne eigentlichen Zusammenhang zu haben, obgleich ein Vogel der Gesellschaft dem anderen folgt. Werden die Wanderscharen durch Stürme heimgesucht, so geschieht es wohl auch, daß sie auf kleineren Inseln im Antillenmeere Zuflucht suchen und dann weite Strecken buchstäblich erfüllen. Eine solche [243] Wandergesellschaft sah Hurdis im Oktober auf den Bermudainseln. Der Schwarm, welcher tausende zählte, kam nach einem starken Südwestwinde mit Regen und ließ sich zwischen den Wacholderbüschen der Südküste nieder, setzte aber schon am folgenden Tage seine Reise fort.

Bald nach seiner Ankunft im Frühjahre vernimmt man den Regenkukuk überall in Nordamerika, und wenn man seine Gewohnheiten kennt, hält es auch nicht schwer, ihn zu beobachten, da er nirgends selten, an geeigneten Oertlichkeiten sogar häufig ist. Die meisten Paare siedeln sich allerdings im Walde an, sehr viele aber nehmen ebenso in unmittelbarer Nähe der Wohnungen, z.B. in Baumgärten, Herberge, und das Männchen verräth sich hier bald durch sein aus der Kehle kommendes »Kau kau« oder »Kuk«, schreit auch an warmen Tagen, wie Nuttall bemerkt, stundenlang ununterbrochen und selbst noch während der Nacht. Coues vergleicht das Geschrei mit dem der Höhleneule und versichert, daß man unter Umständen leicht getäuscht werden und in dem einen Schreier den anderen vermuthen kann. Nach Coopers Beobachtungen ähnelt der Ruf auch dem Stimmlaute einer Kröte.

Der Regenkukuk ist ein Schlüpfer, kein Läufer. Im Gezweige der Bäume bewegt er sich mit meisenartiger Gewandtheit, zum Boden kommt er selten herab, und wenn er hier wirklich einmal umherhüpft, geschieht es in einer ungemein täppischen Weise. Der Flug ist schnell und geräuschlos, wird jedoch selten weit ausgedehnt, sondern beim ersten geeigneten Baume unterbrochen, da sich der Vogel im Inneren dichtwipfeliger Baumkronen am sichersten zu fühlen scheint. Wenn er seinen Weg durch die Zweige nimmt, läßt er, laut Audubon, bald die Ober-, bald die Unterseite sehen.

Die Nahrung besteht aus Kerbthieren und Früchten, namentlich Schmetterlingen, Heuschrecken, haarigen Schmetterlingsraupen und dergleichen, und im Herbste aus verschiedenen Beeren. Wohl nicht mit Unrecht steht auch er in dem Verdachte, die Nester kleinerer Vögel auszuplündern.

Coues bezeichnet unseren Kukuk als einen scheuen und unzuthunlichen Vogel, welcher am liebsten hochstämmige Waldungen bewohnt, jedoch auch in große, baumreiche Parks, selbst in solche inmitten der Städte hereinkommt, in der Regel aber immer nur in den Zweigen sich versteckt hält. Nur wenn er einem fliegenden Kerbthiere durch die Luft nachfolgt, macht er sich sehr bemerklich; denn das metallische Olivengrau der Oberseite schimmert dann in der Sonne und sticht lebhaft von der schneeigen Unterseite ab. In der Regel hört man ihn viel öfter, als man ihn zu sehen bekommt, und auch, wenn er sich von einem Baume auf den anderen begibt, geschieht dies in versteckter Weise. Beim Schreien sitzt er bewegungslos wie eine Bildsäule lange Zeit auf einer und derselben Stelle, und ebenso ruhig verhält er sich, wenn er einen verdächtigen Gegenstand entdeckt hat. Seine Neugier scheint nicht gering zu sein; wenigstens beobachtet man ihn häufig, wie er forschenden Auges aus dem dichtesten Gezweige hervorlugt, um sich über irgend einen ihm ungewöhnlichen Gegenstand genau zu vergewissern. Infolge seiner Plünderungen der Vogelnester hat er sich bei der gesammten kleinen gefiederten Welt höchst verhaßt gemacht und wird, sobald er sich zeigt, ebenso eifrig und heftig verfolgt wie unser Kukuk.

Das Fortpflanzungsgeschäft bietet insofern etwas merkwürdiges dar, als der Vogel seine Kukuksnatur doch nicht ganz verleugnet, sondern wenigstens zuweilen seine Eier in anderer Vögel Nester legt. Noch merkwürdiger ist, daß das Weibchen die Eier, welche es legt, sofort bebrütet, und daß demzufolge die Jungen nicht gleichzeitig ausschlüpfen. Das Nest besteht aus wenigen trockenen Zweigen und Gras, ist sehr einfach, flach, dem der gemeinen Taube ähnlich und ebenso auf wagerechten Zweigen befestigt, oft in Manneshöhe. Die vier oder fünf Eier sind länglich und von lebhaft grüner Färbung. »Als ich mich«, sagt Audubon, »im Jahre 1837 im Anfange des Juni zu Charleston befand, wurde ich von einem Herrn Rhett eingeladen, auf sein Grundstück zu kommen, um dort das Nest eines Vogels in Augenschein zu nehmen. Es stand nahezu in der Mitte eines Baumes von mäßiger Höhe und wurde von dem Sohne des genannten Herren leicht erreicht. Einer der alten Kukuke, welcher darauf saß, verließ seinen Platz erst, nachdem ihm der Kletterer mit der Hand bis auf wenige Centimeter nahe gekommen war; dann flog er lautlos einem anderen [244] Baume zu. Zwei junge Kukuke, welche fast schon im Stande waren, zu fliegen, verließen eiligst ihre Wiege und krochen zwischen den Aesten hinaus, wurden hier aber bald gefangen. Das Nest enthielt noch drei Kukuke, jedoch alle von verschiedener Größe. Der kleinste von ihnen war anscheinend eben erst ausgekrochen, der nächstfolgende sicherlich auch nur ein paar Tage alt, während der größte von ihnen, welcher schon ziemlich befiedert war, im Verlaufe einer Woche hätte ausfliegen können. Neben diesen Jungen lagen auch noch zwei Eier im Neste, eins, welches schon ein Junges enthielt, und ein anderes, welches noch frisch war, also erst kürzlich gelegt sein konnte. Als wir alle die jungen Kukuke neben einander betrachteten, entdeckten wir zu unserer größten Verwunderung, daß auch nicht zwei von ihnen dieselbe Größe hatten. Sie mußten zu verschiedenen Zeiten ausgeschlüpft und die größten drei volle Wochen älter sein als die übrigen. Rhett versicherte mich, dasselbe bei einem zweiten Neste beobachtet zu haben, und erzählte, daß in demselben von einem Paare während einer Brutzeit nach und nach elf junge Kukuke ausgebrütet und groß gezogen worden wären.« Audubons Entdeckung wurde später durch Brewers Beobachtungen bestätigt. »Das Weibchen«, schreibt dieser seinem Freunde, »beginnt offenbar zu brüten, sobald es das erste Ei gelegt hat. Ich habe in dem Neste ein Ei noch frisch gefunden, während in einem zweiten das Junge soeben die Schale durchbrechen wollte, und ebenso habe ich Eier ausgehoben, welche zum Ausschlüpfen reif waren, während nicht bloß kleinere, sondern zum Ausfliegen fertige Junge in demselben Neste saßen.«

Nach Nuttalls ziemlich eingehenden Beobachtungen verläßt der Regenkukuk in der Regel seine Eier, wenn sie berührt werden, bevor er mit dem Brüten begonnen hat, legt dagegen die wärmste Zärtlichkeit gegen seine Jungen an den Tag und erscheint in so großer Nähe eines das Nest beunruhigenden Menschen, daß man ihn fast mit der Hand ergreifen kann. Wie viele andere Vögel auch, fällt unter solchen Umständen eines oder das andere der Eltern zum Boden herab, flattert, taumelt, spiegelt Lahmheit vor und gebraucht sonstige Künste der Verstellung, um den Eindringling von dem Neste abzulocken, gibt auch bei solcher Gelegenheit klägliche Kehllaute zu hören, welche man sonst nicht vernimmt. Während das Weibchen brütet, hält sich das Männchen in seiner Nähe, hält treue Wacht und warnt die Gattin vor jedem sich nahenden Feinde. Nach dem Ausschlüpfen der Jungen vereinigen sich beide in aufopfernder Weise, um die gefräßige Brut groß zu ziehen. Newton bestätigt Nuttals Angaben, beobachtete aber auch einen Fall von Gattentreue, welcher Erwähnung verdient. Als er ein Männchen erlegt hatte und dieses kreischend zu Boden fiel, erschien das Weibchen augenblicklich und begann, sich verstellend, über den Boden weg zu flattern, ebenso als ob seine Jungen in Gefahr gewesen wären. Ein Nest, welches der letztgenannte Beobachter auffand, stand wenig versteckt auf einem niedrigen Zweige und war so klein, daß es eben nur hinreichte, die drei Eier, nicht aber auch das brütende Weibchen aufzunehmen. Dieses flog nicht eher auf, als bis Newton sein Reitthier dicht unter dem Neste angehalten und den brütenden Vogel fast mit der Peitsche berührt hatte. Nuttall glaubt, daß der Regenkukuk mehr als einmal im Jahre brüte, hat wenigstens noch gegen Ende des August Eier gefunden. Auch die auffallende Angabe, daß auch der Regenkukuk zuweilen in die Nester anderer Vögel legt, rührt von Nuttall her. Ein Ei soll im Neste eines Katzenvogels, ein anderes in dem der Wanderdrossel gefunden worden sein. Kein anderer Beobachter hat ähnliches erfahren.

In Amerika wird der Regenkukuk selten verfolgt, und dies erklärt die geringe Scheu, welche er an den Tag legt. Uebrigens merkt er bald, ob man ihm wohl will oder nicht: Erfahrung witzigt auch ihn. Nach Audubon soll er den Edelfalken oft zur Beute werden.


*


Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Vierter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Erster Band: Papageien, Leichtschnäbler, Schwirrvögel, Spechte und Raubvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 242-245.
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