Spatelraubmöve (Lestris pomatorhina)

[554] Die Spatelraubmöve (Lestris pomatorhina, pomarina, pomarhina, striata und sphaeriuros, Catarrhactes pomarina, Stercorarius pomatorhinus, pomarinus und pomarhinus) unterscheidet sich zunächst dadurch von der Riesenraubmöve, daß ihre merklich verlängerten mittleren Schwanzfedern am Ende sich abrunden. Oberkopf und Kopfseiten, Mantel, [554] Flügel und Schwanz sind tief schwarzbraun, Kinn und Kehle sowie die Untertheile weiß, die Halsseiten weiß, deutlich lehmgelb überflogen, die Kropfgegend, ein Halsband bildend, sowie die Seiten bräunlich quergezeichnet, die weißschaftigen Handschwingen an der Wurzel weiß. Das Auge ist braun, der Schnabel an der Wurzel blaugrau, an der Spitze schwärzlich hornfarben, der Fuß schwarz. Bei jungen Vögeln sind die Halsseiten auf lichtem Grunde dunkel längs-, die Obertheile quergestreift und die Spießfedern noch nicht entwickelt. Die Länge beträgt, einschließlich der um etwa acht Centimeter vorragenden mittleren Schwanzfedern, fünfundfunfzig, die Breite einhundertfünfunddreißig, die Fittiglänge fünfunddreißig, die Schwanzlänge dreiundzwanzig Centimeter.

Brutvogel der Tundren aller drei nördlichen Erdtheile, besucht die Spatelraubmöve zuweilen alle Meere der Erde und demgemäß auch die Küsten Afrikas und Australiens.

Von den großen Möven unterscheidet sich die Riesenraubmöve, deren Lebensschilderung auch für die verwandte Art genügen darf, durch die Mannigfaltigkeit, Behendigkeit und Gewandtheit ihrer Bewegungen. Sie läuft rasch, schwimmt zierlich und anhaltend mit tief eingesenkter Brust, erhebt sich leicht vom Wasser oder vom Festlande und fliegt nach Art großer Möven, aber nicht so gleichmäßig dahin, überrascht vielmehr durch ihre kühnen und unerwarteten Wendungen, welche an die Flugbewegung der Raubvögel erinnern. Zuweilen schwebt sie ohne Flügelschlag, zuweilen jagt sie in schiefer Richtung von oben nach unten mit reißender Schnelligkeit durch die Luft. Ihre Stimme ist ein tiefes »Ach, ach« oder ein rauhes »Jia«; beim Angriffe auf einen Feind stößt sie ein tiefes »Hoh« aus. An Muth, Raubgier, Neid und Ungeselligkeit überbietet sie zwar nicht ihre Familienverwandten, wohl aber alle übrigen Seeflieger, so sehr auch die genannten Eigenschaften ausgebildet sein mögen. Sie ist der gefürchtetste Vogel des Meeres, lebt mit keinem anderen in freundschaftlichem Verhältnisse, wird allgemein gehaßt und nur von den muthigsten angegriffen. Welchen Eindruck ihre Kühnheit auf die übrigen Vögel macht, geht am besten daraus hervor, daß ihr selbst die größten und stärksten Seeflieger, welche ihr an Kraft weit überlegen zu sein scheinen, ängstlich ausweichen. Mit ihrer Regsamkeit steht beständiger Heißhunger im Einklange: so lange sie fliegt, so lange liegt sie auch ihrer Jagd ob. Sieht sie keinen anderen Vogel in der Nähe, so läßt sie sich herbei, selbst zu jagen, stößt auf Fische herab, läuft am Strande hin und sucht das zusammen, was die Flut auswarf, oder liest am Lande Würmer und Kerbthiere auf; sobald sie aber andere fleischfressende Seevögel von weitem erblickt, eilt sie auf diese zu, beobachtet sie, wartet, bis sie Beute gemacht haben, stürzt herbei und greift sie nun, wie ein gefiederter Räuber sein fliegendes Wild, mit ebensoviel Kraft und Gewandtheit als Muth und Frechheit an, bis sie die eben erbeutete Nahrung von sich speien. Gar nicht selten bemächtigt sie sich auch des Vogels selbst. Graba sah, daß sie mit einem einzigen Stoße einem Papageitaucher den Schädel zerschmetterte, andere Beobachter, daß sie Möven und Lummen abwürgte, die todt herabstürzenden zerriß und stückweise verschlang. Todte oder kranke Vögel, welche auf dem Meere treiben, werden ihr unfehlbar zur Beute, während sie gesunde aus dem einfachen Grunde unbehelligt läßt, weil diese bei ihrem Erscheinen sofort durch Untertauchen sich zu retten suchen. Auf den Vogelbergen plündert sie die Nester der dort brütenden Vögel in der rücksichtslosesten Weise aus, indem sie Eier und Junge weg- und ihrer Brut zuschleppt. »Ein allgemeines Angstgeschrei«, schildert Naumann, »ertönt aus tausend Kehlen zugleich, wenn sich dieser kühne Räuber einem solchen Nistplatze nähert; jedoch wagt es keiner der geängstigten, seinem bösen Vorhaben ernstlich sich zu widersetzen. Er packt das erste beste Junge, und dieses windet sich im Schnabel des forteilenden, während die unglückliche Mutter schreiend, aber ohne weiteren Erfolg, ihm ein Stück nachfliegt. Sobald er sich ungestört sieht, läßt er sich auf das Wasser herab, tödtet die Beute und verschlingt sie, fliegt dann seinen Jungen zu und würgt sie diesen vor.« So wird die Skua zur Geisel aller Bergvögel. Ihre Angriffe hat man sie stets nur mit dem Schnabel ausführen sehen; doch mögen auch die scharfen Krallen zuweilen mit benutzt werden. Nach einer reichlichen Mahlzeit wird sie träge, sucht [555] eine ruhige Stelle und setzt sich auf dieser mit aufgeblähtem Gefieder nieder, bis der bald wiederkehrende Hunger zu neuem Ausfluge mahnt.

Um die Mitte des Mai begeben sich die Paare nach den Brutplätzen auf den Bergebenen oder nach den mit Gras und Moos bedeckten Abhängen der Bergrücken, fertigen sich hier im Grase oder Moose durch häufiges Herumdrehen ihres Körpers ein rundes Nest und belegen dasselbe in den ersten Tagen des Juni mit zwei etwa sieben Centimeter langen, fünf Centimeter dicken, schmutzig ölgrünen, braun gefleckten Eiern. Ein Brutplatz, welchen Graba besuchte, wurde von ungefähr funfzig Paaren bevölkert. Kein anderer Vogel nistet in unmittelbarer Nähe der Skua; denn jeder fürchtet die gefährliche Nachbarschaft. Männchen und Weibchen brüten abwechselnd ungefähr vier Wochen lang; im Anfange des Juli findet man in den meisten Nestern die in ein braungraues Flaumenkleid gehüllten Jungen. Naht ein Mensch, so verlassen diese das Nest in möglichster Eile, humpeln, laufen und rennen über den Boden dahin und verbergen sich dann in der angegebenen Weise. Die Alten erheben sich bei Ankunft des Feindes sofort in die Luft, schreien fürchterlich und stoßen mit unvergleichlicher Kühnheit auf den Gegner herab, Menschen ebensowenig scheuend wie Hunde. Ersteren bringen sie oft derbe Stöße auf den Kopf bei: die Färinger halten, laut Graba, zuweilen ein Messer über die Mütze, auf welches sich die herabstoßenden Alten spießen. Je näher man dem Neste kommt, um so dichter umkreisen die Alten den unwillkommenen Besucher und stürzen zuletzt in schräger Linie auf ihn hernieder, so daß man sich unwillkürlich bückt, um nicht ein Loch in den Kopf zu erhalten. Die Jungen werden anfänglich mit Weichthieren, Würmern, Eiern und dergleichen aus dem Kropfe geatzt und erhalten später Fleisch- und Fischbrocken, junge Vögel, Lemminge und dergleichen vorgelegt, fressen auch, wenn sie bereits einigermaßen selbständig geworden, gern von den verschiedenen Beeren, welche in der Nähe ihres Nestes wachsen, und schnappen, wie ich selbst beobachtete, ebenso die sie fortwährend umschwebenden und belästigenden Mücken weg. Gegen Ende des August haben sie ihre volle Größe erreicht, schwärmen nun noch eine Zeitlang umher und fliegen um die Mitte des September nach dem hohen Meere hinaus.

Gefangene Riesenraubmöven werden selten in unseren Thiersammlungen gesehen. Ich erhielt ein Paar Junge durch Vermittelung dänischer Freunde und hatte Gelegenheit, sie eine Zeitlang zu beobachten. Sie unterscheiden sich von den Möven kaum durch etwas regere Gier und Freßsucht, zeigen sich anderen Vögeln gegenüber sehr friedlich, auch durchaus nicht neidisch, wie ich wohl erwartet hätte, scheinen sich überhaupt nur mit sich selbst zu beschäftigen. Ihren Pfleger kennen sie bereits nach wenigen Tagen genau und verfehlen nicht, ihn zu begrüßen, wenn er sich zeigt. Die Laute, welche sie hören lassen, sind unverhältnismäßig schwach; sie bestehen nämlich nur in einem leisen Pfeifen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Sechster Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Dritter Band: Scharrvögel, Kurzflügler, Stelzvögel, Zahnschnäbler, Seeflieger, Ruderfüßler, Taucher. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 554-556.
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