Seeschwalben (Sterninae)

[520] Als die vollkommensten Flieger und Stoßtaucher der Familie sehen wir die Seeschwalben (Sterninae) an, mittelgroße oder kleine, schlankgebaute Vögel mit kopflangem, hartem, geradem oder auf der Oberfirste sanft gebogenem Schnabel, dessen Unterkiefer sich ebenfalls vorbiegt, kleinen, niedrigen, vierzehigen, mit kurzen, oft tief ausgeschnittenen Schwimmhäuten und wenig gebogenen, ziemlich scharfen Krallen ausgerüsteten Füßen, sehr langen, schmalen und spitzigen Flügeln, unter deren Schwingen die erste die längste ist, mittellangem, mehr oder weniger tief gegabeltem, aus zwölf Federn gebildetem Schwanze und dichtem, knapp anliegendem, weichem Gefieder, in welchem Lichtbleigrau, Schwarz und Weiß vorherrschen, und welches nach dem Geschlechte wenig oder nicht, nach Jahreszeit und Alter wesentlich abändert.

Der Schädel ist, nach Wagners Untersuchungen, gewölbt, das Hinterhauptsloch rundlich, das Stirnbein schmal, die Augenhöhlenscheidewand durchbrochen, das Thränenbein oben seitlich vorgezogen. Die Wirbelsäule besteht aus dreizehn kurzen Hals-, acht Rücken-, zwölf verschmolzenen Kreuzbein- und sieben Schwanzwirbeln; unter den acht Rippen sind die vordere und hintere falsch; das Brustbein ist oben schmäler als unten, sein Kamm stark, der hintere Theil durch zwei kurze Fortsätze ausgezeichnet; die Aeste der Gabeln sind stark und gekrümmt, die hinteren Schlüsselbeine ziemlich kurz, die Schulterblätter schmal, die Armknochen sehr lang. Die Zunge ist lang, schmal und ziemlich tief gefurcht, der Schlund sehr weit, der Muskelmagen klein und rundlich, aber fleischig und dick, der Dickdarm kaum weiter als der Dünndarm usw.

Die Seeschwalben, von denen man über funfzig Arten kennt, bewohnen alle Gürtel der Erde, leben am Meere und an süßen Gewässern und folgen wandernd der Küste oder dem Laufe der Flüsse. Einige Arten lieben den flachen, kahlen Seestrand, andere pflanzenreiche Gewässer; einzelne siedeln sich vorzugsweise in südlichen Küstenwäldern an.

Alle Arten sind äußerst unruhige, bewegungslustige Vögel und von Sonnenaufgang bis zu Sonnenniedergang fast ununterbrochen thätig. Die Nacht verbringen sie liegend am Ufer, den Tag fast ausschließlich fliegend in der Luft. Im Sitzen halten sie den Leib wagerecht oder vorn ein wenig gesenkt, so daß die langen Säbelflügel mit den Spitzen höher liegen als der eingezogene Kopf, erscheinen daher nur dann, wenn sie auf erhöhten Gegenständen, Steinen, Pfahlspitzen und dergleichen ausruhen, etwas gefälliger; beim Gehen bewegen sie sich trippelnd, deshalb auch bloß auf kurze Strecken; im Schwimmen werden sie zwar, ihrer Leichtigkeit halber, wie Kork getragen,[520] sind aber nicht im Stande, die Wellen zu zertheilen; fliegend dagegen entfalten sie bewunderungswürdige Bewegungsfähigkeit. Wenn sie keine Eile haben, bewegen sie die Schwingen in langsamen, weit ausholenden Schlägen und gleiten unstet in einer sanften Wellenlinie fort; wollen sie aber rasch sich fördern, so greifen sie kräftig aus und jagen dann reißend schnell durch die Luft. Bei ruhigem Wetter sieht man sie auch die schönsten Schwenkungen und Kreislinien aus führen, wogegen sie bei heftigem Winde in einem beständigen Kampfe mit dem Luftstrome liegen und trachten müssen, dem Winde beständig sich entgegen zu stellen, weil sie sonst unfehlbar erfaßt und wie ein Flederwisch zurückgeschleudert werden. Gewöhnlich sieht man sie niedrig über dem Wasser fortfliegen, bald aufsteigend, bald sich senkend, bald plötzlich auch mit knapp eingezogenen Flügeln in schiefer Linie herabstoßen und sich so tief in die Wellen einsenken, daß beinahe der ganze Körper verschwindet, hierauf wieder sich emporarbeiten, die Flügel zuckend bewegen, um die Wassertropfen abzuschütteln und das alte Spiel von neuem zu beginnen. In dieser Weise durchmessen sie im Laufe des Tages sehr bedeutende Strecken, obgleich sie sich ungern von einer und derselben Stelle weit entfernen, vielmehr immer und immer wieder zum Ausgangspunkte zurückkehren. Die Stimme ist ein unangenehm kreischender Laut, welcher durch »Kriäh« ausgedrückt werden kann und sich bei den verschiedenen Arten wenig unterscheidet. Unter den Sinnen stehen Gesicht und Gehör entschieden obenan. Beobachtung ihrer geistigen Eigenschaften läßt erkennen, daß sie ebenso vorsichtig und scheu wie rastlos sind, ohne Gesellschaft anderer ihrer Art kaum bestehen können, demungeachtet jede Erwerbung ihrer Genossen mit mißgünstigem Auge betrachten, deshalb auch eilig und scheinbar neugierig herbeistürzen, sobald sie einen anderen Stoßtaucher arbeiten oder auch nur einen lichten Gegenstand in ähnlicher Weise von der Höhe zur Tiefe herab auf das Wasser fallen sehen, daß ihr ganzes Sinnen und Trachten auf Erbeutung der Nahrung gerichtet ist und alles übrige sie nur insofern kümmert, als es ihre Erwerbungen begünstigen oder beeinträchtigen kann, daß sie demgemäß zwar oft in Gesellschaft anderer Thiere sich begeben, niemals jedoch Anhänglichkeit an diese bekunden, unter sich aber so viel Gemeinsinn besitzen, über jeden gemeinschaftlichen Gegner herzufallen und für das Wohl der Gesammtheit nach Kräften einzutreten. Beide Gatten eines Paares hängen mit Treue an einander und lieben ihre Brut warm und innig, setzen sich auch trotz ihrer sonstigen Vorsicht ohne Bedenken augenscheinlichen Gefahren aus, wenn sie die Eier oder Jungen bedroht sehen.

Fische und Kerbthiere bilden ihre Nahrung; die größeren Arten verzehren jedoch auch kleinere Säugethiere und Vögel oder Lurche und die schwächeren Arten verschiedene Würmer und ebenso mancherlei kleinere Seethiere. Um Beute zu gewinnen, fliegen sie in geringer Höhe über dem Wasserspiegel dahin, richten ihre Blicke scharf auf den letzteren, halten, wenn sie ein Opfer erspähten, an, rütteln ein paar Augenblicke lang über ihm, um es sicher auf das Korn neh men zu können, stürzen schnell herab und versuchen, jenes mit dem Schnabel zu fassen.

Schon einige Wochen vor Beginn des Eierlegens sammeln sich die Seeschwalben am Brutorte, ein Jahr wie das andere möglichst an derselben Stelle. Diejenigen, welche das Meer bewohnen, wählen hierzu sandige Landzungen oder kahle Inseln, Korallenbänke und bezüglich Mangle- oder ähnliche Waldungen; diejenigen, welche mehr im Binnenlande leben, entsprechende, jedoch minder kahle Stellen an oder in Seen und Sümpfen. Gewöhnlich brütet jede Art abgesondert von den übrigen und in Masse, ausnahmsweise unter anderen Strand- und Wasservögeln und bezüglich einzeln. Ein Nest bauen bloß die Arten, welche in Sümpfen brüten; denn die seichte Vertiefung, welche andere für ihre Eier ausgraben, kann man kein Nest nennen. Bei ihnen stehen die Nester einzeln, bei diesen so dicht neben einander, daß die brütenden Vögel den Strand buchstäblich bedecken und genöthigt sind, im Sitzen eine und dieselbe Richtung einzunehmen, daß man kaum oder nicht im Stande ist, ohne Eier zu zertreten, zwischen den Nestern zu gehen. Die meisten legen drei Eier, einige vier, andere regelmäßig zwei und die wenigen, welche auf Bäumen brüten, gewöhnlich nur eins. Beide Gatten widmen sich den Eiern abwechselnd, überlassen sie aber in den heißeren Stunden [521] des Tages gewöhnlich der Sonne. Die Jungen kommen nach zwei- bis dreiwöchentlicher Bebrütung in einem bunten Dunenkleide zur Welt, verlassen ihre Nestmulde meist schon an demselben Tage und laufen, behender fast als die Alten, am Strande umher, ängstlich bewacht, sorgsam beobachtet und genährt von ihren zärtlichen Eltern. Ihr Wachsthum schreitet verhältnismäßig rasch vorwärts; doch kann man sie erst, wenn sie vollkommen fliegen gelernt haben und in allen Künsten des Gewerbes unterrichtet sind, erwachsen nennen. Nunmehr verlassen die Alten mit ihnen die Brutstelle und schweifen, wenn auch nicht ziellos, so doch ohne Regel umher.

Alle vierfüßigen Raubthiere, welche sich den Brutplätzen der Seeschwalbe nähern können, die Raben und größeren Möven stellen den Eiern und Jungen, die schnelleren Raubvögel auch den Alten nach; Schmarotzermöven plagen und quälen letztere in der Absicht, sie zum Ausspeien der frischgefangenen Beute zu nöthigen. Auch der Mensch tritt ihnen feindlich gegenüber, indem er sie ihrer schmackhaften Eier beraubt. Im übrigen verfolgt man sie aus dem Grunde nicht, weil man weder das Fleisch noch die Federn benutzen und sie auch kaum oder doch nur für kurze Zeit in der Gefangenschaft halten kann. Mißgünstige Menschen zählen ihnen jedes Fischchen nach, welches sie sich erbeuten, ohne an die Kerbthiere zu denken, durch deren Vertilgung sie mindestens ebenso viel nützen, wie sie durch ihre Jagd uns schaden. Diejenigen, welche am Meere leben, beeinträchtigen unser Besitzthum in keiner Weise, und alle übrigen erfreuen durch Regsamkeit und Anmuth den Naturfreund in so hohem Grade, daß er wohl berechtigt ist, für sie Schonung zu erbitten.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Sechster Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Dritter Band: Scharrvögel, Kurzflügler, Stelzvögel, Zahnschnäbler, Seeflieger, Ruderfüßler, Taucher. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 520-522.
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