Sichler (Falcinellus rufus)

[328] Der lange, bogenförmige, verhältnismäßig dünne Schnabel, der mittellange Fuß, der ziemlich breite, abgerundete Flügel, in welchem die zweite und dritte Schwinge die längsten sind, der verhältnismäßig kurze Schwanz und die dichte Befiederung, welche nur den Zügel unbekleidet läßt, kennzeichnet die Sichler (Falcinellus), welche in Europa durch den Sichler, auch Sichelschnabel, Sichelreiher oder Schwarzschnepfe genannt (Falcinellus rufus und igneus, Scolopax rufa und Guarauna, Tringa autumnalis, Numenius autumnalis, viridis, castaneus, igneus und [328] Chili, Tantalus falcinellus, manillensis, bengalensis, mexicanus und chalcopterus, Ibis sacra, fuscata, castanea, cuprea, peregrina, erythrorhyncha, brevirostris und Ordi), vertreten werden. Das Gefieder ist auf Hals, Brust, Bauch, Schenkel und dem Obertheile der Flügel kastanienbraunroth, auf dem Scheitel dunkelbraun, mit rothem Schimmer auf dem Rücken schwarzbraun mit violettem oder grünlichem Schiller; ebenso sehen die Schwung- und Steuerfedern aus. Das Auge ist braun, der nackte Augenkreis grüngrau, der Schnabel schmutzig dunkelgrün, der Fuß grüngrau. Im Winterkleide sind Kopf, Vorder- und Hinterhals schwarz, nach unten hin lichter, alle Federn seitlich weiß gesäumt; der übrige Oberkörper ist kupferfarben und grün unter einander gemischt, der Unterkörper vom Kopfe an braungrau. Die Länge beträgt sechzig, die Breite achtundneunzig, die Fittiglänge fünfunddreißig, die Schwanzlänge neun Centimeter.

Alle fünf Erdtheile beherbergen den Sichler. In Europa bewohnt er die Donautiefländer, Rußland und das südliche Polen, einzeln auch Süditalien, Südfrankreich und Spanien; in Asien kommt er in allen Ländern ums Kaspische und Schwarze Meer, in Anatolien, Persien, Syrien und ganz Indien vor; in Afrika nistet er an den nördlichen Strandseen, vielleicht auch in der Mitte, dem Westen und Südosten des Erdtheiles, wohin er regelmäßig wandert; in Australien tritt er an geeigneten Orten allenthalben auf; in Amerika ist er vom sechsundvierzigsten Grade nördlicher Breite bis zum vierzigsten Grade südlicher Breite beobachtet worden. Von Ungarn und Rußland aus haben sich einzelne nach Schlesien, Anhalt, Braunschweig und anderen deutschen Ländern verflogen; ja es ist vorgekommen, daß solche Irrlinge bis nach Island verschlagen wurden. In Egypten hält sich der Sichler, wie ich annehmen darf, jahraus jahrein in derselben Gegend auf; in Ungarn gehört er zu den Zugvögeln, welche regelmäßig zu Ende des April oder im Anfange des Mai ankommen und im August, spätestens im September, wegziehen. Hier beherbergen ihn alle geeigneten Oertlichkeiten an der unteren Donau, Sau oder Drau, und zwar die großen Sumpflandseen und Teiche, welche von jenen Flüssen aus zeitweilig überflutet werden. Strandseen und Brüche oder schlammige Sümpfe, auch Moräste werden bevorzugt; in ihrer Nähe oder in ihnen selbst brütet er. Die Flüge, welche eine gewisse Gegend bewohnen, scheinen ihren Aufenthalt zu wechseln und von einem Sumpfe zum anderen zu schweifen. Dasselbe gilt für die Winterzeit, während die Fortpflanzung selbstverständlich an einen und denselben Ort bindet.

Bei ruhigem Gange trägt der Sichler den Hals ziemlich eingezogen, Sförmig zusammengebogen, den Leib vorn aufgerichtet, den Schnabel gegen die Erde geneigt; der Gang selbst geschieht mit leichten, großen Schritten, deren Eile und Weite sich unter allen Umständen gleich zu bleiben scheint. Beim Nahrungsuchen wadet er gern in tieferem Wasser umher, und wenn es ihm behagt, schwimmt er, auch ohne eigentlich genöthigt zu sein, von einem Inselchen nach dem anderen. Im Fliegen streckt er den Hals und die Füße geradeaus und schlägt die Flügel ziemlich schnell, in nicht weit ausholenden Schwingen, schwebt hierauf mit stillgehaltenen Flügeln gerade fort und gibt sich durch erneuerte Flügelschläge wiederum einen Anstoß. Höchst selten sieht man einen dieser Vögel allein, fast ausnahmslos vielmehr eine ziemliche Anzahl gemeinsam dahinfliegen, stets hoch über dem Boden und die ganze Schar in einen stumpfen Keil, öfter noch in eine einzige lange Linie geordnet, welche ihrer ganzen Breite nach so dicht neben einander fortzieht, daß sich die Schwingenspitzen der einzelnen fast zu berühren scheinen, und welche, wie Naumann sehr richtig sagt, in den anmuthigsten, schlängelnden Bewegungen fortrückt. »Es gewährt einen herrlichen Anblick, eine lange Schnur solcher Vögel die Luft durchschneiden zu sehen. Wie ein fadenfliegender Sommer, den ein leiser Lufthauch quer forttreibt, scheinen sie dahin zu schweben; nicht streng in gerader Linie, sondern in anmuthigsten, mannigfaltigsten, sanft auf- und absteigenden, alle Augenblicke veränderten Bogen schlängelt sie sich durch die Lüfte fort, indem sich bald die Mitte, bald das eine, bald das andere Ende oder die Räume zwischen diesen senken oder erheben, etwas voreilen oder zurückbleiben, so daß die Linie wellen- oder wogenförmig fortwährend abwechselt, dabei jedoch stets geschlossen und jeder einzelne Vogel mit dem neben ihm fliegenden in derselben Richtung bleibt. Wenn ein solcher Zug [329] sich niederlassen und Halt machen will, dann erst zerreißt der lange Faden in Stücke; diese lösen sich auf, die einzelnen Vögel fliegen durch einander, fangen an zu schweben, in Kreisen sich zu drehen oder einzelne Schneckenlinien zu beschreiben, und stürzen sich nun mit sausendem Hin- und Herschwenken einzeln oder doch nicht alle in demselben Augenblicke, aber rasch einander folgend und ein jeder auf seine eigene Weise hernieder. Beim Bilden einer solchen Linie steigen die Sichler auf, erheben sich in Kreisen höher und höher, fangen an fortzurücken, und ehe man es sich versieht, wird aus dem unordentlichen Haufen der Anfang einer Querlinie, der sich zu beiden Seiten nach und nach, aber sehr schnell, die übrigen Vögel anschließen, und sowie der Zug fortrückt, sieht man immer noch bald an diesem, bald an jenem Ende andere Wanderungslustige sich anreihen und so die Schnur verlängern. Die Stimme ist ein heiserer, wenig hörbarer Laut, welcher wie ›Rah‹ klingt und nur auf wenig Schritte hin vernommen wird. Von den Jungen hört man zuweilen, aber ebenfalls selten, noch ein eigenthümliches Zischen.

Auch die Sichler gehören zu den klugen oder verständigen Mitgliedern ihrer Familie. Sie bekunden scheinbar würdigen Ernst, sind aber in Wirklichkeit fröhliche, ja sogar übermüthige Geschöpfe, welche eine gewisse Necklust zeitweilig offenbaren und sie nicht bloß unter einander, sondern auch anderen Vögeln gegenüber bethätigen. An Vorsicht und Scheu stehen sie den übrigen Sumpfvögeln nicht nach. Da, wo sie sich ansässig gemacht haben oder auch nur zeitweilig aufhalten, lernen sie sehr bald die gefährlichen Menschen von den harmlosen unterscheiden. Am Mensalehsee flogen diejenigen, welche ich beobachten konnte, von dem Schlafplatze aus stets in bedeutender Höhe nach Stellen in den Sümpfen, welche die Annäherung eines Feindes erschwerten oder ihnen doch freie Aussicht gestatteten, trieben sich hier während des Tages umher und kehrten erst mit Einbruche der Dämmerung nach den Ruheplätzen zurück, regelmäßig nach Bäumen, welche auf Inseln inmitten des Sees oder der ihn umgebenden Sümpfe selbst standen, oder doch sonst schwer zugänglich schienen. An den einmal gewählten Schlafplätzen hingen sie freilich mit solcher Vorliebe, daß man nur unter ihnen anzustehen brauchte, um reichlicher Beute gewiß zu sein, ja daß selbst wiederholte Schüsse, welche unter ihnen das höchste Entsetzen hervorriefen, sie nicht zu vertreiben im Stande waren. Trotz ihrer Vorsicht habe ich übrigens niemals beobachtet, daß auch sie sich zu Warnern und Leitern des Kleingeflügels aufgeschwungen hätten.

Je nach der Oertlichkeit und Jahreszeit nährt sich der Sichler von verschiedenem Gethiere. Während des Sommers scheinen Kerbthierlarven und Würmchen, aber auch ausgebildete Kerbthiere, insbesondere Heuschrecken, Libellen, Käfer usw., die Hauptnahrung auszumachen; im Winter erbeutet er Muscheln, Würmer, Fischchen, kleine Lurche und andere Wasserthiere.

An der Donau nisten die Sichler in buschreichen Sümpfen und Brüchen. Mit Vorliebe bemächtigen sie sich alter Nester der kleinen Reiher, polstern sie höchstens mit Stroh des Kolbenschilfes aus und machen sie dadurch schon von weitem kenntlich. Ihre drei bis vier blaugrünen Eier sind länglich, durchschnittlich etwa funfzig Millimeter lang, achtunddreißig Millimeter dick und starkschalig; die Färbung ist ein schönes Blaugrün, welches zuweilen ins Blaßgrüne überspielt. Ob beide Geschlechter abwechselnd brüten, oder ob nur das Weibchen Mutterpflichten übt, ist unbekannt. Die Jungen werden fleißig geatzt, sitzen lange im Neste, klettern später oft auf die Zweige und fliegen endlich unter Führung der Alten aus.

Gefangene Sichler dauern vortrefflich aus, vertragen sich mit allerlei Geflügel, werden ungemein zahm und schreiten im Käfige auch wohl zur Fortpflanzung.«

In dem Nilstrome erkannte das sinnige Volk der Pharaonen den Bringer und Erhalter alles Lebens; daher mußte auch der mit den schwellenden Fluten in Egyptenland erscheinende Ibis zu hoher Achtung und Ehre gelangen. Also heiligte man den Vogel und sorgte dafür, daß sein vergänglicher Leib der Verwesung enthoben und für Jahrtausende aufbewahrt werde. In einer der [330] Pyramiden von Sakhara findet man die von Urnen umschlossenen oder auch in Kammern schichtenweise aufgestapelten Mumien des Vogels zu tausenden.

Der Ruhm des Ibis wurde nicht bloß von den Egyptern, sondern auch von Fremden, welche das Wunderland besuchten, verkündet. Herodot erzählt, daß der Ibis Drachen, fliegenden Schlangen und anderem Ungeziefer Egyptens auflauere, sie tödte und deshalb bei den Bewohnern des Landes in hohen Ehren gehalten werde. Nach anderen Schriftstellern soll Merkur die Gestalt des Ibis angenommen haben. Ovid läßt jenem im Streite der Götter mit den Riesen unter den Flügeln eines Ibis sich verbergen. Plinius erwähnt, daß die Egypter bei Ankunft der Schlangen andächtig den Ibis anriefen; Josephus berichtet, daß Moses, als er gegen die Aethiopier zu Felde gezogen, Ibisse in Käfigen aus Papyrus mit sich genommen habe, um sie den Schlangen entgegenzustellen. Plinius und Galen schreiben dem Ibis die Erfindung des Klistirs zu; Pieräus erzählt, daß der Basilisk aus einem Ibiseie hervorkommt, welches von dem Gifte aller vom Ibis verzehrten Schlangen entsteht. Krokodile oder Schlangen, von einer Ibisfeder berührt, bleiben durch Verzauberung unbeweglich oder werden augenblicklich getödtet. Zoroaster, Demokritos und Philo fügen hinzu, daß das Leben des göttlichen Vogels von außerordentlich langer Dauer, ja daß der Ibis sogar unsterblich ist und stützen sich dabei auf die Zeugnisse der Priester von Hermopolis, welche dem Apion einen Ibis vorgezeigt haben, der so alt war, daß er nicht mehr sterben konnte! Die Nahrung des Ibis, wird ferner und in viel späterer Zeit wieder erzählt, besteht in Schlagen und kriechenden Thieren. »Er hat«, bemerkt Belon, »eine sehr heftige Begierde nach Schlangenfleisch und überhaupt einen Widerwillen gegen alle kriechenden Thiere, mit denen er den blutigsten Krieg führt, und die er auch, wenn er gesättigt ist, doch immer zu tödten sucht.« Diodor von Sicilien behauptet, daß der Ibis Tag und Nacht am Ufer des Wassers wandelt, auf die kriechenden Thiere lauert, ihre Eier aufsucht und nebenbei Käfer und Heuschrecken auftreibt. Nach anderen Schriftstellern soll er sein Nest auf Palmenbäumen bauen und es mitten zwischen den stechenden Blättern anbringen, um es gegen den Angriff seiner Feinde, der Katzen, in Sicherheit zu setzen. Er soll vier Eier legen und sich bezüglich der Anzahl derselben nach dem Monde richten, »ad lunae rationem ova fingit«. Auch Aelian bringt den Ibis mit dem Monde in Verbindung, sagt, daß er dem Monde geweiht sei, und daß er ebensoviel Tage zum Ausbrüten seiner Jungen gebrauche, als der Stern der Isis, um seine Wandelbahn zu durchlaufen. Aristoteles spottet bereits über solche und andere irrige Vorstellungen, z.B. darüber, daß der Ibis von jungfräulicher Reinheit sei. Cicero bemerkt, daß die Egypter göttliche Verehrung nur solchen Thieren zu theil werden ließen, welche ihnen wirklich Nutzen verschafften; Juvenal eifert gegen diesen Götzendienst und rechnet den Egyptern solche Verehrung geradezu als Verbrechen an.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Sechster Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Dritter Band: Scharrvögel, Kurzflügler, Stelzvögel, Zahnschnäbler, Seeflieger, Ruderfüßler, Taucher. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 328-331.
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