Zwölfte Familie: Wehrvögel (Palamedeidae)

[406] Neuere Naturforscher sind der Ansicht, daß die Wehrvögel (Palamedeidae), welche gewöhnlich den Rallen zugerechnet werden, diesen nicht angehören, sondern eher mit den Schaku- und Großfußhühnern vereinigt werden müssen; andere und unter ihnen die tüchtigsten Beobachter, welche jene aus eigener Anschauung kennen lernten, sehen sie als entschiedene Verwandte der Rallen und Sumpfhühner an. Jedenfalls ist man berechtigt, für die sonderbaren Geschöpfe, von denen man nur drei Arten kennt, eine eigene Familie zu bilden. Sie sind große, schwerleibige Vögel mit länglichem Halse, kleinem Kopfe, weniger als kopflangem, dem der Hühner nicht unähnlichem, neben der Firste etwas zusammengedrücktem, an der Spitze hakig übergebogenem, an der Wurzel mit Wachshaut bekleidetem Schnabel, mäßig hohen, dicken, kurzzehigen, mit mittellangen, wenig gebogenen und spitzigen Nägeln bewehrten Füßen, deren äußere und mittlere Zehen durch eine Spannhaut verbunden sind, ziemlich langen und kräftigen Flügeln, unter deren Schwingen die dritte die längste ist, zwölffederigem, sanft abgerundetem Schwanze und vollem, am Halse kleinfederigem Gefieder. Bemerkenswerth sind zwei sehr kräftige Sporen am Flügelgelenke; eine Art trägt auch einen hornartigen Auswuchs auf dem Kopfe. In der Färbung zeigt sich bei den verschiedenen Geschlechtern kein Unterschied. Der Knochenbau ist plump und massig, die Zunge lang, schmal und spitzig, der Kropf weit, der Magen sehr muskelkräftig, der Darmschlauch lang und starkhäutig. Wie bei einzelnen Schwimmvögeln liegt unter der Haut ein dichtes Netz von Luftzellen und Luftblasen, welches beliebig angefüllt und entleert werden kann.

Die Wehrvögel leben in allen größeren Sümpfen Südamerikas, gewöhnlich in kleinen Trupps, während der Brutzeit aber paarweise, sind im ganzen friedlich und gebrauchen ihre kräftigen [406] Waffen selten, die Männchen einander gegenüber während der Begattungszeit und beide Geschlechter, um schwächere Feinde abzuwehren. Daß sie sich in Kämpfe mit mächtigen Schlangen einlassen, welche die von ihnen besuchten Sümpfe bewohnen, und selbst größere Thiere ungescheut anfallen, wie Pöppig angibt, scheint mir sehr unwahrscheinlich zu sein. Im Gehen tragen sie sich stolz und würdevoll; im Fliegen erinnern sie an große Raubvögel, insbesondere an Geier; aufgescheucht, bäumen sie; zum Schwimmen scheinen sie unfähig zu sein. Ihre Stimme schallt auf weithin im Walde wider. Die Nahrung besteht vorzugsweise aus Pflanzenstoffen; doch werden sie, wie andere Sumpfvögel auch, schwerlich Kerbthiere, kleine Lurche und Fischchen verschmähen. Inmitten ihrer Sümpfe errichten sie ein großes Nest, belegen dasselbe mit zwei ungefleckten Eiern und führen die Jungen sofort nach dem Entschlüpfen mit sich weg. Jung aufgezogen, gewöhnen sie sich leicht an die Gefangenschaft, erwerben sich Achtung und Gehorsam unter dem übrigen Hausgeflügel und sollen sogar hier und da als Hirten verwendet werden können. Man hält sie in Südamerika gern auf Gehöften, sendet sie aber selten lebend nach Europa herüber. Das Horn, der linke Flügelsporn und nach ihm der rechte stehen bei den Indianern im Rufe der ausgezeichnetsten Heilkräfte.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Sechster Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Dritter Band: Scharrvögel, Kurzflügler, Stelzvögel, Zahnschnäbler, Seeflieger, Ruderfüßler, Taucher. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 406-407.
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