[252] Der Reisende, welcher den Nil herauf- oder hinabschwimmt, lernt schon in den ersten Tagen nach seinem Eintritte in das Land der Pharaonen einen Vogel kennen, welchen er nicht übersehen und, wenn dies wirklich der Fall sein sollte, nicht überhören kann. Derselbe, unser Sporenkiebitz (Hoplopterus spinosus, persicus und armatus, Charadrius spinosus, persicus und cristatus, Vanellus spinosus und melasomus), kennzeichnet sich durch echten Kiebitzschnabel, schlanke Beine, dreizehige Füße, einen scharfen, am Flügelbuge sitzenden Sporn, verhältnismäßig spitzige Flügel, in denen die zweite Schwinge die längste ist, sowie endlich eine stumpfe Holle am Hinterkopfe. Das Kleid, welches sich weder nach dem Geschlechte noch nach dem Alter unterscheidet, ist auf dem Mantel graubraun, auf dem Kopfe, dem Unterkörper schwarz, an den Kopf-, Hals- und Bauchseiten, dem Hinterhalse und in der Bürzelgegend weiß; die Handschwingen und die Steuerfedern sind in ihrer Endhälfte schwarz, die Spitzen der großen Flügeldeckfedern und der beiden äußersten Steuerfedern weiß. Die Länge beträgt etwa dreißig, die Fittiglänge achtzehn, die Schwanzlänge neun Centimeter. Adams meint, daß der Sporenkiebitz der eigentliche Trochylos oder Krokodilwächter sei, vermag aber diese Ansicht in keiner Weise zu unterstützen. Die Araber unterscheiden beide Vögel genau und nennen nur diesen Krokodilwächter, jenen aber nach seinem Geschreie »Siksak«.
Unter allen egyptischen Stelzvögeln ist dieser Kiebitz der gemeinste. Man bemerkt ihn überall, wo ein süßes Gewässer ihm den Aufenthalt möglich macht; denn vom Wasser entfernt er sich selten oder niemals weit. Aber er ist genügsam in seinen Ansprüchen und findet schon auf einem Felde, welches zuweilen unter Wasser gesetzt wird, einen ihm in jeder Hinsicht zusagenden Aufenthaltsort. [252] Die Küste des Meeres scheint er zu meiden; an den Strandseen hingegen, welche brakiges und zum Theil salziges Wasser enthalten, kommt er vor. In dem dürren Nubien tritt er seltener und in Ostsudân und in Habesch nur einzeln auf; doch trifft man ihn an allen Strömen und Seen der Nordhälfte Innerafrikas noch regelmäßig an. Im Frühlinge und im Herbste besucht er von Egypten oder Palästina aus Griechenland, brütet hier aber nicht.
In seinem Betragen hat der Sporenkiebitz viel Aehnlichkeit mit dem Kiebitze, scheint jedoch minder gesellig zu sein, und hält sich mehr paarweise zusammen. Aber ein Paar lebt dicht bei dem anderen und vereinigt sich gern auf kurze Zeit mit seinesgleichen. Wenige Vögel gibt es, welche den Forscher durch ihre Allgegenwart so belästigen wie der Sporenkiebitz. Anfangs freut man sich allerdings über ihr munteres, lebendiges Wesen, über den raschen Lauf, über den leichten, schönen, strandläuferartigen Flug und die laute, wenn auch nicht gerade wohltönende, so doch nicht unangenehme Stimme, ihren Muth und ihre Kampflust; bald aber lernt man sie gründlich hassen. Sie verstehen es meisterhaft, dem Jäger und dem Naturforscher seine Jagd zu verleiden; denn sie sind nicht bloß für das kleine Strandgeflügel, sondern für alle Vögel überhaupt Wächter und Warner. Ihnen entgeht nichts. Der Jäger, welcher an einem der Seen eine Viertelstunde lang durch Sumpf und See gewadet ist und endlich auf dem Bauche herankriecht, um einen scheuen Flaming oder Pelekan zu überlisten, muß zu seinem größten Aerger vernehmen, daß er von einem Paare dieser allgegenwärtigen Vögel aufgespürt wurde und Gefahr läuft, die Beute, welcher er sich schon ganz sicher dünkte, zu verlieren. In weiten Kreisen umfliegen die Störenfriede mit lautem »Siksak, siksäh« den Schützen, stoßen frech auf ihn herab, regen die ganze fliegende Bevölkerung des Sees auf und scheuchen alle klügeren Vögel in die Flucht. Erzürnt springt man auf, und oft genug schießt man voller Ingrimm einen der zudringlichen Gesellen aus der Luft herab. So geht es bei Tage, nicht anders bei Nacht; denn die Sage der Araber, daß der von Allah gestrafte Siksak niemals schlafe und umsonst die Ruhe suche, fußt auf Beobachtung des Vogels. Wie dem Jäger, ergeht es auch jedem anderen Geschöpfe, welches geeignet ist, das friedliche Zusammenleben der verschiedenen Seevögel zu stören. Jeder Milan, welcher lungernd vorüberschwärmt, jede Nebelkrähe, jeder Wüstenrabe, welcher naht, jeder Rohrweih und insbesondere jedes vierfüßige Raubthier wird angegriffen und oft in die Flucht geschlagen. Vögeln gegenüber macht der Sporenkiebitz unter solchen Umständen von seiner Waffe Gebrauch, indem er sich plötzlich auf den Gegner wirft und ihn mit einem Schlage des Fittigs zu schädigen sucht. Es unterliegt für mich keinem Zweifel, daß er mit seinen Sporen empfindlich verletzen kann; denn man sieht es den angegriffenen Vögeln an, wie unangenehm ihnen diese Belästigung ist. Allen hebt mit vollem Rechte hervor, daß die Sporen vielfach benutzt werden müssen, weil man sie so oft zersplittert sieht.
Die Nahrung des Sporenkiebitzes ist ungefähr dieselbe, welche der deutsche Verwandte zusammensucht; man findet Kerbthiere verschiedener Art, Würmer, Muscheln und Sand in dem Magen der getödteten. Das Fleisch nimmt von letzterem einen höchst unangenehmen Geschmack an, und der Siksak gilt deshalb bei Arabern wie bei Europäern als ungenießbar.
In Nordegypten beginnt die Fortpflanzung dieses Vogels um die Mitte des März; die meisten Nester findet man aber in der Mitte des April, viele noch im Mai. In Egypten erwählt das Pärchen zu seinem Nistorte regelmäßig ein feuchtes Feldstück; am oberen Nile brütet es unter anderem Strandgeflügel auch auf Sandbänken. Ich habe ausdrücklich angemerkt, daß man drei bis sechs Eier in einem Neste finde: es erscheint mir jedoch wahrscheinlich, daß eine solche Anzahl von zwei Weibchen, welche zufällig in ein und dasselbe Nest gelegt haben, herrührt, und daß eine Anzahl von vier die Regel sein wird. Die Eier sind bedeutend kleiner als die unseres Kiebitzes, etwa fünfunddreißig Millimeter lang und fünfundzwanzig Millimeter dick, denselben aber ähnlich gestaltet und auch ähnlich gezeichnet. Die Grundfarbe ist ein schwer zu beschreibendes Gemisch aus Grün, Grau und Gelb; die Zeichnung besteht aus dunklen Unter-und schwarzbraunen Oberflecken, welche nur die Spitze freilassen, am stumpfen Ende aber in einander verschwimmen. Bei Annäherung [253] eines Menschen verläßt das brütende Weibchen die Eier, und beide Eltern geberden sich ganz nach Art unseres Kiebitzes. In einigen Nestern fand ich feuchte Erde zwischen die Eier geschichtet oder letztere damit bedeckt, wage aber nicht zu entscheiden, ob der Vogel damit bezweckt, die Eier vor den kräftigen Sonnenstrahlen zu schützen oder aber, sie zu verbergen. Die Jungen sind anfänglich mit graubunten Dunen bedeckt, bekommen schon nach wenigen Tagen ein Jugendkleid, welches dem der Alten vollständig ähnlich ist, anfangs aber noch mit Flaum überkleidet ist. Sie verlassen bald nach dem Auskriechen das Nest, haben im wesentlichen das Betragen aller kleinen Sumpfvögel, einen erstaunlich schnellen Lauf und wissen sich bei Gefahr geschickt zu verbergen.
Während meines Aufenthaltes in Afrika habe ich oft Sporenkiebitze gefangen und kurze Zeit unterhalten. Sie nahmen ebenso wie unser Kiebitz mit einfachem Futter vorlieb und schienen sich sehr bald an den Verlust ihrer Freiheit zu gewöhnen.
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