1. Amtliche Thätigkeit.

[323] Jetzt erst befand ich mich in einer meinen wissenschaftlichen und ökonomischen Bedürfnissen genügenden Lage und ich habe meiner Ueberzeugung nach es nie unterlassen, meine Dankbarkeit dafür zu äußern und zu bethätigen. Nicolovius schrieb mir 1821: »Die Nachricht von dem glücklichen Gedeihen der Ihrer Leitung anvertrauten Anstalt mußte mir sehr erfreulich sein; mehr aber noch und in großem Maße der Ausdruck Ihrer Zufriedenheit mit Ihrer Lage. Selten wird dem Minister bei aller unermüdlichen, redlichen Vorsorge solche Freude zu Theil, und eine solche Bezeigung von Zufriedenheit ist doppelt willkommen, wenn sie von einem hochgeachteten Manne ausgeht, dessen Lage und Wirkungskreis man vorzüglich gern seinen Wünschen entsprechend und von Sorgen und Störungen befreit wüßte.«[323]

Auch bewies mir das Ministerium fortwährend Wohlwollen und Vertrauen. So forderte der Minister von Altenstein 1822 mein vertrauliches Urtheil über die Wirksamkeit und Qualification des Professors Sachs, so wie 1825 auch über den Charakter und die ganze Haltung desselben, wobei er offenbar dessen Verhältnisse zu dem Mystiker Ebel im Sinne hatte, und Sachs wurde hierauf ordentlicher Professor. Ich kann mir das Zeugniß geben, daß ich hier wie bei allen anderen Veranlassungen mein Urtheil nie durch persönliche Verhältnisse habe bestimmen lassen.

Dabei habe ich auch nicht angestanden, gegen ungerechte Maßregeln mit allem Ernste zu protestiren, z.B. wegen des Dr. Jacobson. Dieser sehr geschickte Arzt wollte im Jahre 1822 als Privatdocent sich habilitiren; er bekam von den Behörden die Erlaubniß dazu, hielt vor der medicinischen Facultät über ein wenige Stunden vorher ihm gegebenes Thema eine Probevorlesung, die ungemeinen Beifall erhielt und ließ eine Dissertation drucken und vertheilen. Am 20. December, als dem Tage vor der Disputation, wurde diese untersagt, weil das Gesetz, welches den jüdischen Glaubensgenossen die Erlangung akademischer Lehrämter gestattete, eben aufgehoben worden war. Diese Eile der Reaction – Fürst Hardenberg war am 26. November in Genua gestorben – erschien mir ebensowenig würdig, als die Zurücknahme eines gegebenen Versprechens gerecht und ich machte kräftige Vorstellungen. Das Ministerium ließ hierauf den Dr. Jacobson durch die Facultät auffordern, anzugeben, wieviel er zur Entschädigung für Abfassung und Druck seiner Dissertation verlange und verschaffte mir wenigstens die Genugthuung, das Schreiben, in welchem er dieses Anerbieten mit der gebührenden Indignation zurückwies, im Originale dem Ministerium zu überschicken. So habe ich auch sonst die Rücksicht auf Verschiedenheit der Confession bei der Universität, als die Ausschließung katholischer Gelehrter vom akademischen Lehramte und katholischer oder jüdischer Studenten vom Freitische nach Kräften bekämpft.

Ich mußte aber doch auch in Königsberg einen collegialischen[324] Kampf bestehen und dazu gab mir mein Protectorat im Winter 1821/22 (ich war 1821, da Schweigger auf seiner Reise in Sicilien ermordet worden war, auch schon Senior der medicinischen Facultät geworden) hinreichenden Anlaß. Zuerst kündigte ich nämlich meinen Collegen durch ein Circular an, daß am 18. Januar, als am Krönungsfeste, der neue große akademische Hörsal feierlich eingeweiht werden solle und setzte hinzu: der nun beendigte Ausbau des Albertinums drückt der Reihe von bedeutenden Verbesserungen, welche die Universität der Gnade des Königs zu verdanken hat, den Stempel auf, und mit der Einweihung unseres Hörsaales feiern wir zugleich die sämmtlichen Dotationen, welche wir seit Herstellung des Friedens erhalten haben. So ziemt es sich denn wohl, daß wir unsere Dankbarkeit durch die feierlichste Begehung dieses Festes an den Tag legen. Ich erlaube mir daher den Vorschlag, an diesem Tage ein Festmahl zu veranstalten, welches die sämmtlichen akademischen Docenten geben und wozu die hiesigen höheren Beamten als Gäste eingeladen werden. Ich rechne, daß 20 Gäste einzuladen sind und daß 30 zahlende Theilnehmer sich finden, deren Jeder einen Beitrag von 10 Thalern giebt. Der Vorschlag fand nur bei wenigen Professoren Beifall; Herbart aber erklärte: »ich bin gänzlich gegen ein Festmahl; es ist meine Ueberzeugung, daß großen Aufwand zu zeigen sich für eine Universität, die nur eine gelehrte Existenz hat, nicht wohl schicke.« Dies stimmte allerdings ganz mit der Ansicht überein, welche dieser Philosoph immer, namentlich auch in Göttingen den Septemvirn gegenüber befolgt und in der nach seinem Tode erschienenen Broschüre ausgesprochen hat, daß der Bearbeiter der Wissenschaft sich mit dem öffentlichen Leben nichts zu schaffen machen dürfe. Wiewohl ich nun, trotz der Verschiedenheit unserer Ansichten, bisher einen freundschaftlichen Umgang mit ihm gehabt hatte, so mochte ich mir doch jene Aeußerung nicht von ihm gefallen lassen und erließ nun folgendes Circular an den akademischen Senat:

»Da mehrere meiner verehrten Herren Collegen an dem für den 18. Januar vorgeschlagenen Gastmahle nicht Theil nehmen[325] wollen, so muß dasselbe unterbleiben, und da hierbei Niemand mehr gewinnt als ich, indem ich außer 10 Thalern noch eine undankbare Mühe und ziemlichen Zeitverlust mir erspart sehe, so ist mir dies auch sehr lieb. Indessen ist mein Vorschlag nicht bloß verworfen, sondern auch als unschicklich bezeichnet worden und dagegen muß ich mich erklären. – Es ist gesagt worden, ›daß großen Aufwand zu zeigen sich für eine Universität, die nur eine gelehrte Existenz hat, nicht wohl schicke.‹ Dagegen läugne ich


1) daß die Universität nur eine gelehrte Existenz hat. Sie hat auch eine bürgerliche Existenz, bildet eine eigene Corporation und ist eine vom Staate angeordnete Behörde, nimmt daher eine bestimmte Stellung in Hinsicht der bürgerlichen Verhältnisse ein und steht mit andern Behörden in mancherlei Beziehung. Sie muß, dünkt mich, auch darnach trachten, daß dem Publikum das Dasein eines akademischen Gemeinwesens offenbar werde und daß sie die ihr zukommende Stellung gegen die übrigen Behörden behaupte.

2) Ich läugne ferner, daß bei dem vorgeschlagenen Feste ein großer Aufwand würde gezeigt worden sein. Dieser Aufwand wäre nicht zu groß gewesen

a) für uns. Freilich, wenn wir alle Wochen oder alle Tage 10 Thaler für ein Mittagsessen ausgeben wollten, so würde dies ein großer Aufwand zu nennen sein. Aber hier galt es ein Fest, welches in unserer ganzen Lebenszeit nicht wieder kommt: die Feier der Restauration der Universität. Daran konnte Jeder von uns 10 Thaler setzen. Wenn man es nicht unziemlich findet, daß Privatgesellschaften von uns gegeben werden, die ungleich mehr Kosten verursachen, so konnte auch ein solches gemeinsames Fest nicht den Vorwurf der Verschwendung auf sich ziehen.

b) Für unsere Gäste wäre der Aufwand auch nicht zu groß gewesen. 50 Thaler würden etwa für Musik, Decoration etc. verwendet worden sein; die Bewirthung[326] von 50 Personen für 250 Thaler wäre anständig, aber keineswegs luxuriös gewesen.

3) Ich läugne endlich, daß, wenn auch eine Universität eine bloß gelehrte Existenz hätte und wenn sie großen Aufwand zeigen könnte, Letzteres sich für sie nicht schicken würde. Mir kommt die äußere Form bloß dann nichtig vor, wenn kein beseelender Geist zum Grunde liegt. Wo innerer Gehalt ist, da ziemt sich auch ein würdiges und, wenn die Verhältnisse es gestatten, selbst ein kostbares Aeußere. Wenn also ein solcher wissenschaftlicher Verein, seinen eigenthümlichen Zweck verfolgend, nebenbei großen Aufwand zeigte, um durch die Gaben der Künste das Leben zu verschönern, so würde dies nichts weniger als unpassend sein.«


War nun hiermit die Sache abgemacht, so gerieth ich bald darauf in einen weitläufigen Streit mit Herbart wegen Ernennung eines Studirenden zum Redner bei der Gedächtnißfeier von Kants Sterbetage. Ich fand in Herbarts leidenschaftlichem Benehmen, daß er, wie überall Wissenschaft und Leben streng scheidend, die Philosophie für das Katheder aufsparte und im Geschäftsverhältnisse nichts davon spüren ließ. Die Angelegenheit war aber zu kleinlich und die Verhandlung zu weitläufig, als daß ich meine Leser mit dem Detail behelligen dürfte. Eine vollständige Erzählung mit beweisenden Belegen habe ich dem akademischen Senate vorgelegt und von demselben für meine in diesem Streite bewiesene Ruhe und Mäßigung Dank empfangen.

Um neben den Leiden des Protectorates auch die Freuden desselben nicht unerwähnt zu lassen, bemerke ich noch, daß mir kurz nach diesem Streite ein feierliches Vivat gebracht wurde. Wie hoch ich dies aufnahm, bewies ich dadurch, daß ich den Studirenden, die ich an demselben Abende bewirthete, ein Lied widmete, das nach der Melodie: mihi est propositum gesungen wurde.[327]

Quelle:
Burdach, Karl Friedrich: Rückblick auf mein Leben. Selbstbiographie. Leipzig 1848, S. 323-328.
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