5. Marienbad und Wien.

[399] Die durch die Epidemie veranlaßte Aufregung und Anstrengung mochte, wiewohl ich mich deren nicht bewußt geworden war, doch wohl Antheil daran haben, daß ich gegen Ende des Jahrs 1831 in ein gastrisch-nervöses Fieber verfiel. Nach den Blattern und Masern war es meine erste Krankheit, und in der Genesung hatte ich noch dasselbe überschwengliche und üppige Gefühl der wiederkehrenden Kraft, wie nach jenen Kinderkrankheiten, wo die materiellen Genüsse einen Werth erlangen, den sie sonst gar nicht haben. So war denn auch für das nächste Jahr Grund genug für mich vorhanden, an einer Badereise Theil zu nehmen, die für meine Frau nöthig war; außerdem aber stand die Versammlung der Naturforscher in Wien bevor, bei der wir Beide nicht fehlen durften. Das Ministerium gewährte mir mit dem Urlaube zugleich einen Beitrag von 150 Thalern zu den Reisekosten.

Wir reisten am 21. Juni (1832) ab, hielten uns acht Tage in Berlin auf, und gingen dann über Dresden und Karlsbad nach Marienbad, wo wir vom 11. Juli bis 18. August blieben. Hofrath Heidler, mit meiner Frau bereits befreundet, nahm uns mit großer Freundlichkeit auf, und die angenehme, zum Theil interessante Gesellschaft von Badegästen, die wir hier fanden, kam zu den Annehmlichkeiten des Orts,[399] so wie zu dem Gefühle der Gesundheit und dem Bewußtsein der Muße hinzu, um mir den Aufenthalt daselbst sehr genußreich zu machen. Der eminenteste unter den hier anwesenden Männern war der Geheime Rath Speranski. Während meines Aufenthalts in Petersburg hatte man mir erzählt, daß er als Staatssecretär und vertrauter Freund des Kaisers Alexander den bedeutendsten Einfluß auf die Staatsverwaltung ausgeübt und dabei wie ein einfacher Privatmann gelebt hatte; daß aber seine Feinde, über die von ihm eingeführten Reformen erbittert, und wegen Ausführung seines Plans die Leibeigenschaft aufzuheben besorgt, ihn vor dem Ausbruche des Kriegs 1812 eines Einverständnisses mit Napoleon beschuldigt hatten; daß er von Alexander, der bei dem Gefahr drohenden Kriege der Hülfe seiner Großen bedurfte, geopfert und, nachdem man ihn noch Tages zuvor am Arme des Kaisers hatte gehen sehen, in der Nacht als Gefangener auf eine Festung gebracht worden war. Nach einigen Jahren war er wieder angestellt und General-Gouverneur von Sibirien, 1821 aber Mitglied des Reichsraths geworden. Ich lernte ihn im Jahre 1830 auf seiner Durchreise durch Königsberg kennen, da Rehmann, dessen Freund und Gönner er war, ihm einen Brief an mich mitgegeben hatte. Ein hoher Wuchs, ein schön geformter Kopf, eine ausdrucksvolle Physiognomie und eine würdevolle Einfachheit in seinem ganzen Benehmen stimmte mit dem Reichthume seines Geistes zusammen, den er in der Unterhaltung entwickelte und der die höchste Achtung einflößte. Da er auch für Naturwissenschaft, sofern sie zu allgemeinen, das Leben befruchtenden Ansichten führt, sich lebhaft interessirte, so fand ich auch Berührungspuncte mit ihm, und sein Umgang in Marienbad war für mich von großem Werthe. – Nächst ihm ward mir der Oberlandesgerichts-Präsident Kuhn sehr werth; ein reiner Praktiker, aber lebhaft, geisteskräftig und gemüthvoll. Auch mit vielen andern Brunnengästen befreundeten wir uns; Besuche, gesellschaftliche Zusammenkünfte, musikalische und declamatorische Vereinigungen, Spaziergänge, Ausflüge[400] nach Königswarth, Tepel, Eger und Franzensbrunnen gewährten uns die heiterste Unterhaltung.

Ueber Prag, wo ich außer der Heinrichskirche und den noch lebenden Gliedern der Wagnerschen Familie die Krankenanstalten besuchte, und auf Veranstaltung des Prof. Krombholz mit einer Abendmusik beehrt wurde, reisten wir nach Wien. Wir bezogen hier die Wohnung einer Verwandten, die vor einigen Wochen an der Cholera gestorben war, und fanden diese Epidemie noch sehr verbreitet, indem sie täglich hundert Menschen wegraffte; aber ungeachtet der vielen Leichenzüge und der Hunderte von Personen in tiefer Trauer, denen man auf der Straße begegnete, hatte die Stadt ihre gewöhnliche heitere Physiognomie, und ich zählte am nächsten Sonntage an den Straßenecken gegen 20 Ankündigungen von Tanzmusik.

Von unserer Freundin, der Hofräthin Dollinger, eingeladen, fuhren wir alsbald nach Heiligen Kreuz, wo sie mit ihrer Familie den Sommer über sich aufhielt, und verlebten hier wieder acht frohe Tage. Wir wohnten im Kloster selbst, und fanden im geselligen Umgange mit den dasigen Cisterciensern, besonders mit Pater Ignaz (Wiedemann, späterhin Erzieher im Hause des Vicekönigs von Italien), Pater Maximilian (Bruck) und Pater Ambrosius, gebildeten, aufgeklärten und lebensfrohen Männern, viel Vergnügen. Unter ihrer Leitung wurden wir dem Herrn Abte vorgestellt, und lernten die Merkwürdigkeiten des Klosters kennen, die mit mancherlei Kunstwerken, vorzüglich von Altomonte und Giuliani geschmückte Kirche, das Begräbniß von Babenbergen und Habsburgen, das von zwanzig Säulen durchzogene Dormitorium der Laienbrüder und der Brüder, die bilderreichen Kreuzgänge, den kunstvollen Springbrunnen, die Schatzkammer, die Bibliothek, das Kunst- und Naturaliencabinet, die Bildergallerie und die sehr ansehnlichen Gastzimmer. Vorzüglichen Eindruck machte auf uns die über dem Thore angebrachte colossale Orgel, welche, wenn ihre Bälge getreten werden, einen C Accord ertönen läßt, der weit in das Thal hinein schallt und so Sonntags früh um 5 Uhr die Gemeinde zur Kirche ruft. Die geistlichen Herren[401] kamen in der Regel jeden Abend zum Quartett zur Familie Dollinger; bewirtheten uns mit dieser den einen Tag auf ihrem romantisch gelegenen Schlosse Wildenegg, und eines Nachmittags auf ihrem Gute Meierling; begleiteten uns auf unsern Spaziergängen in ihrem lieblichen Thale, welches mit dem Helenenthale zusammenhängt, und machten mit uns die Fahrt nach Gutenstein, wo wir unter Anderm auf dem Berge im Parke, von einem Sitze aus, über welchen der Felsen vierzig Fuß weit herüberragt, die angenehme Landschaft in der Abendbeleuchtung betrachteten; dann im Mondscheine auf der Brücke gingen, welche den zwischen hohen, nicht weit über zehn Fuß weit von einander abstehenden Felsen sich durchdrängenden Fluß Triesting in einer Länge von zweihundert Schritten bedeckt; wo wir ferner am folgenden Morgen den Klosterberg erstiegen, das dasige Servitenkloster besahen, eine Messe hörten und vom Calvarienberge aus die erhabene Aussicht auf den benachbarten Schneeberg und die an seinem Fuße sich hinziehenden Thäler genossen.

Diesem genußreichen, stillen Aufenthalte auf dem Lande folgte ein vielbewegtes Leben in der Stadt selbst. Wir fanden da außer unsern Verwandten alte und neue Bekannte, unter den Wienern sowohl, als unter den herbeiströmenden Naturforschern und Aerzten. Am 18. September war die erste öffentliche Versammlung. Nachdem der Baron Jacquin als erster Geschäftsführer die Eröffnungsrede gehalten und Director Littrow als zweiter Geschäftsführer die auf die Versammlung bezüglichen Nachrichten mitgetheilt hatte, trat ich mit einem Vortrage auf, den ich in Marienbad ausgearbeitet hatte, und der auch alsbald im Drucke erschien1. Der Gegenstand war gut gewählt, die Abhandlung kurz, und so bedurfte es nur einer passenden Art des Vortrags, um einen rauschenden Beifall einzuernten. Meine Vorlesung wurde durch ein Gedicht von [402] Rupprecht und durch ein Distichon vom Grafen Mailath gefeiert.

Theils aus wirklicher Achtung, theils um meinen Freunden, besonders aber meiner Frau eine Freude zu machen, erbat ich mir die Erlaubniß, dem Kaiser diesen Aufsatz überreichen und ihm den Dank der versammelten Naturforscher darbringen zu dürfen. Ich erhielt diese Audienz am 26. September, und hatte dabei Gelegenheit, von dem wahrhaft väterlichen Benehmen des Kaisers gegen die sich ihm nahenden Unterthanen jedes Standes ein Augenzeuge zu sein.

Spaßhaft war mir der Auftritt bei Wahl des Präsidenten für die anatomish-physiologische Section. Die mir wohlwollenden Wiener Aerzte hatten trotz meines Deprecirens mich dazu ausersehen und dadurch einige Fremde nicht wenig erschreckt, die, um dies zu vereiteln, nun nach Kräften für anderweitige Wahlen warben. So genoß ich denn die mir zugedachte Ehre bloß in der ersten Sitzung, indem jede folgende ihren eigenen Präsidenten erhielt, wobei denn meinem Ehrgeize volle Genüge geschah.

Von meinen alten Freunden fand ich den Hofrath Isfordink in einem traurigen Zustande; er hatte in Folge eines Verdrusses mit Stifft einen apoplektischen Anfall gehabt, wovon eine lähmungsartige Schwäche zurückgeblieben war. Dagegen gewann ich einen neuen Freund am Professor Czermak, den ich früher nur oberflächlich kennen gelernt hatte, und der jetzt mit großer Lebhaftigkeit sich mir anschloß, auch nachher noch eine Zeitlang Briefe mit mir wechselte.

Ueber das Festliche, was für die versammelten Aerzte und Naturforscher bereitet war, über das tägliche Mittagsmahl im Augarten, die abendlichen Zusammenkünfte im Casino, die Soirée am 22. September beim Fürsten Metternich, die Bewirthung von der Stadt Baden am 23., die Festmahle des Kaisers am 25. in Luxemburg, des Oberkanzlers Grafen Mittrowski am 27. und des Fürsten Metternich am 28. habe ich in der Zeitung für die elegante Welt (1832 Nr. 205-207) berichtet.[403]

Auf der Rückreise mußte ich noch einmal durch die Fratzen der Cholerasperre belästigt werden. Ich hatte mich bei Zeiten an meine Freunde in Dresden gewendet und durch deren Vermittelung war der sächsischen Contumazanstalt zu Höllendorf der Befehl gegeben, mich und meine Frau in Sachsen einzulassen, wenn wir 1) uns in Prag nicht länger als 24 Stunden aufgehalten hätten, und 2) unsere bisherigen Reisekleider in Höllendorf ablegten, um dagegen andere, wenigstens zwei Tage früher dahin geschickte und daselbst desinficirte Kleider anzulegen. Die Prager Polizei gab uns, nachdem wir zwei Tage dagewesen waren, von freien Stücken die Bescheinigung, daß wir ohne Aufenthalt durchpassirt wären; umgekehrt gab man uns in dem von der Cholera freien Teplitz nach einem zweitägigen Aufenthalte das Zeugniß, daß wir fünf Tage daselbst gewesen wären; die Höllendorfer Contumazbeamten aber hatten zu viel Einsicht, als daß sie einen Wechsel der Kleidungsstücke hätten zumuthen sollen, da wir uns gar nicht darauf eingerichtet hatten.

Wir reisten über Dresden nach Leipzig, wo wir vierzehn Tage im Kreise unserer Freunde uns aufhielten, lebten dann noch einige Tage bei meinem theuren Onkel in Torgau und kamen in den ersten Tagen Novembers nach Königsberg zurück.

Fußnoten

1 Ueber den Schlag und Schall des Herzens. Ein Vortrag in der Versammlung der Aerzte und Naturforscher zu Wien am 18. September 1832, gesprochen von K.F. Burdach. Wien. Becks Universitätsbuchhandlung. 15 S. 4.


Quelle:
Burdach, Karl Friedrich: Rückblick auf mein Leben. Selbstbiographie. Leipzig 1848, S. 404.
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