4. Theilnahme an öffentlichen Angelegenheiten.

[449] Meine Frau war Mitglied des Frauenvereins für eine Kleinkinderschule des Dintervereins und vollzog die hierbei übernommenen Pflichten auf das Gewissenhafteste und Liebevollste; weder Witterung noch irgend etwas Anderes konnte sie abhalten, sich, wenn die Reihe sie traf, in der Schule einzustellen, und ihr Erscheinen war eben so ermunternd für die Lehrerin, als erfreulich für die Kinder; Alles bei Zeiten im Voraus berechnend, hatte sie schon vor ihrem letzten Erkranken die Bekleidungen besorgt, die sie zu Weihnachtsgaben bestimmt hatte und deren Vertheilung sie nicht erlebte. Nach ihrem Tode vertrat ich ihre Stelle so lange, bis diese von meiner ältesten Enkelin eingenommen werden konnte. Indem ich mich dann zurückzog, wollte ich noch etwas für den Bestand und die Vermehrung dieser Anstalten thun. Es waren deren jetzt sechs in Königsberg: vier davon waren von dem zu Ehren des um das Volksschulwesen hochverdienten Dinter gestifteten Vereine errichtet worden und standen unter der Leitung von drei aufgeklärten Geistlichen; zwei andere waren von hyperorthodoxen Geistlichen errichtet und geleitet. Diese fünf Geistlichen nebst dem Vorsteher des Dintervereins lud ich nun im Anfange des Jahres 1842 zu einer bei mir zu haltenden Berathung ein und legte ihnen den Plan zu einem Vereine vor, der für die Sicherung und Ausbreitung der Kleinkinderschulen in Königsberg Sorge tragen sollte. Mein Vorschlag fand im Ganzen genommen Beifall und es kam der »Centralverein für die Kleinkinderschulen in Königsberg zu Stande«, dem auch zwei Jahre darauf nach Genehmigung seiner Statuten Corporationsrechte zu Erwerbung von Grundstücken und Capitalien vom Könige verliehen wurden. Um das Interesse des Publicums für diese Anstalten zu beleben, verfaßte ich eine kleine Schrift1, die ich auf[449] meine Kosten drucken ließ; der Ertrag ihres Verkaufs bildete den Stamm für das Vermögen des Centralvereins. Im Winter 1843-44 veranlaßte ich es, daß drei meiner Collegen sich mit mir verbanden, vier öffentliche Vorlesungen zu halten, welche dem Centralvereine nach Abzug aller Kosten 355 Thaler eintrugen.

Längst hatte ich die Ueberzeugung, daß das Bedürfniß eines die Verhältnisse der verschiedenen Staatsgewalten regulirenden Grundgesetzes und einer an der Gesetzgebung Theil nehmenden so wie die Verwaltung überwachenden Volksvertretung in Preußen vorhanden war; ich erkannte, daß dasselbe nur aus Ehrfurcht gegen den hart geprüften, ursprünglich liberal gesinnten, späterhin aber durch die »demagogischen Umtriebe« verstimmten Friedrich Wil helm III. während dessen Regierung nicht förmlich ausgesprochen wurde, und sah voraus, daß es unter dessen geistreichem Nachfolger gewiß laut genug hervortreten würde. Aber das hatte ich nicht erwartet, daß gerade in der Provinz Preußen die ersten Stimmen dafür sich erheben würden. Bei ihrer Entfernung vom Mittelpuncte des Staats und bei der geringen Aufmerksamkeit, welche dieser ihr schenkte, hatte die Provinz ein gewisses Selbstgefühl in sich entwickelt; bei der einfachern, hauptsächlich aus Landwirthschaft beschränkten Industrie hatten die materiellen Interessen dem gesunden Sinne, der die Forderungen der Zeit erkannte, keinen Eintrag gethan, und bei den schwächeren Beziehungen zum Hofe war auch das Auge in dieser Hinsicht nicht geblendet worden. Die Provinz war die erste, in welcher Friedrich Wilhelm IV. erschien, um die Huldigung anzunehmen, und die Begeisterung, welche er überall erweckte, war hier eine wahrhafte, ihres Grundes sich bewußte, ermuthigte also auch zu einem freien Worte. Die Huldigungsdeputirten trugen auf Veranlassung des Landraths von Auerswald, eines Zöglings der Königsberger Universität, auf eine reichsständische Verfassung an; die Antwort[450] war ablehnend, jedoch nicht unbedingt verwerfend. Auf dem im folgenden Jahre gehaltenen Landtage sollte dieser Antrag erneuert werden; Dr. Jacoby schrieb seine »vier Fragen,« und es wurde eine Subscription veranstaltet, um diese Schrift mit einer Petition um Beantragung von Reichsständen dem Landtage zu übergeben. Ein Beamter, der zu den höheren Staatsdienern gehört, d.h. ein zu Erreichung des Staatszweckes nöthiges, nur durch freie geistige Thätigkeit zu vollziehendes Geschäft verwaltet, hat meiner Meinung nach das volle Recht eines Staatsbürgers, darf also auch sein Urtheil und seine Wünsche in Betreff der Einrichtungen des Staats öffentlich aussprechen; ja er ist vorzüglich dazu berufen, da er theils als Grundlage der zu seiner Amtsführung nöthigen Kenntnisse allgemeine wissenschaftliche Bildung besitzt, theils dem Staate, dem er dient, noch näher als jeder andere Bürger verpflichtet ist. Ueberzeugt, daß eine Verfassung, welche die persönliche Willkür in der Staatsverwaltung beschränkt und das Beamtenwesen der Controle unterwirft, für Preußen wahrhaft heilsam sein würde, war ich daher auch bereit, an dieser Petition Theil zu nehmen. Zwar hätte ich gewünscht, daß Jacoby's vierte Frage weggeblieben wäre; allein, wo eine gemeinsame Erklärung von einer größern Zahl Menschen zu Stande kommen soll, muß es uns genügen, daß unsere Meinung im Wesentlichen ausgesprochen ist, wenn wir auch mit mancher Einzelheit nicht einverstanden sind; denn wenn Jeder verlangte, daß Alles, was nicht ganz nach seinem Sinne wäre, gestrichen würde, so bliebe am Ende gar nichts davon übrig. Für diese Theilnahme wurde ich von einigen höheren Beamten bestraft, aber nur gelinde und versteckt, indem sie theils mehr zurückhaltend gegen mich wurden und mich mit argwöhnischen Blicken beobachteten, theils bei einer Anwesenheit des Königs mich von der königlichen Tafel ausschlossen, aber so human waren, gegen mich und Andere vorzugeben, es sei nur durch ein Versehen vergessen worden, mich einzuladen. – Da ich bereits in einer Stellung war, wo ich sorgenfrei leben und mich wissenschaftlich beschäftigen konnte, also auch vom Gouvernement nichts mehr wünschte, und da[451] auch einige meiner Collegen an der Petition Theil nahmen, so hatte ich es vorausgesehen, daß ich mit meiner Unterschrift nicht viel wagte, denn ich wußte wohl, daß man einem freisinnigen Manne sehr unhold war und ihm gern etwas zu Leide that, jedoch den »éclat« scheute: da kein schützendes Gesetz vorhanden war, mußte die öffentliche Meinung, die man zu schonen sucht, Schutz gewähren. Hätte ich noch der Gunst des Ministeriums zu meiner Existenz bedurft und hätte überdies kein anderer akademischer Lehrer an der Petition Theil genommen, so würde auch ich vielleicht zurückgeblieben sein, denn mit meiner Namensunterschrift war zu wenig ausgerichtet, und nur wo man für das Gemeinwohl etwas wirklich zu erreichen hoffen darf, kann man sein persönliches Wohl auf das Spiel setzen. Das Verdienstliche bei meiner Unterschrift beschränkt sich also darauf, daß ich es nicht scheute, die Gunst der Hochgestellten zu verscherzen. Indeß ist auch dies nicht ganz werthlos; denn es giebt nur zu viele unabhängige Männer, die lediglich durch die Besorgniß, in den höheren Sphären zu mißfallen, von jeder freimüthigen Aeußerung zurückgehalten werden.

Die liberale Partei Königsbergs zählte mich nun zu den Ihrigen, irrte sich aber sehr, indem sie meinte, daß ich mich ihr unbedingt anschlösse, und als sie sah, daß ich meinen eigenen Weg ging, beschuldigte sie mich der Halbheit, indeß die stabile Partei mich für einen Radicalen erklärte. Am Krönungsfeste 1843 hielt ich in der öffentlichen Sitzung der deutschen Gesellschaft einen Vortrag über die rechte Mitte (in den dritten Band der »Blicke ins Leben« aufgenommen), und um ihre Vertheidigung zu übernehmen, führte ich zuerst einen Gegner derselben redend an, der lieber einen Marat als einen Casimir Périer haben wollte; die extremen Zuhörer faßten diese Worte allein auf: ein liberaler Zeitungsartikel gab sie als meine eigene heroische Meinung an und die entgegengesetzte Partei konnte mir nicht vergeben, sie auch nur ausgesprochen zu haben. So mußte ich es auch ablehnen, als die Unternehmer des für Herwegh veranstalteten Festmahls mich durch eine förmliche Deputation einladen ließen, dabei den Vorsitz zu führen.[452]

Dagegen widmete ich einem großartigen vaterländischen Unternehmen im Sinne der rechten Mitte meine eifrigste Theilnahme. Der Oberpräsident von Schön, dieser geniale, wissenschaftlich gebildete und erfahrene Staatsmann, hatte, wie es sein fester, durchaus reiner Charakter mit sich brachte, seit 1840, wo ihm der Titel eines Ministers ertheilt worden war, sich noch bestimmter als früher gegen die Maximen des Ministeriums erklärt, namentlich in dem »woher? und wohin?« überschriebenen Aufsatze seine Ansicht über die einzuschlagenden Wege offen dargelegt, und, da er in einem seiner Ueberzeugung nach allein heilsamen Wirken sich gehemmt sah, die Entlassung aus dem Staatsdienste nachgesucht und erhalten. Eine dankbare Anerkennung seines hohen Verdienstes um das Vaterland, welche zugleich die Trauer über sein Ausscheiden und über die vereitelte Hoffnung, seine Rathschläge befolgt zu sehen, bezeugte, schien Demjenigen, der die Größe des Mannes und die Gediegenheit seiner Principien zu würdigen wußte, eine Pflicht der Staatsbürger zu sein, zu deren Erfüllung dadurch Anlaß gegeben wurde, daß die Zeit herannahte, wo seit seinem Eintritte in den Staatsdienst funfzig Jahre verflossen waren. Als daher im Juni 1842 Herr von Fahrenheid und Generallandschafts-Director von Brandt außer dem Landschaftsrathe Unruh und dem Obervorsteher der Kaufmannschaft Bittrich auch mich zu einer Berathung über eine solche Veranstaltung berief, stimmte ich mit Freuden ein und wurde eines der thätigsten Mitglieder des zu diesem Zwecke gebildeten Comité. Ueber die Art, den Gedanken auszuführen, gab es von Anfang vornehmlich zwei verschiedene Vorschläge: nach dem einen, welcher von den vorsichtigen Conservativen beliebt wurde, sollte eine Denkmünze geprägt, nach dem andern, den die Liberalen vertheidigten, sollte ein Landgut gekauft und als Beweis der Nationaldankbarkeit für ewige Zeiten der Schönschen Familie erhalten werden. Vielfältige Berathungen mit Berücksichtigung der von Vaterlandsfreunden gewährten Geldmittel führten auf einen Mittelweg; von den durch Unterzeichnung zusammengekommenen 16500 Thalern wurden 11760 zu Einlösung der auf[453] dem Schönschen Gute Arnau haftenden Pfandbriefe, und der Rest zu Errichtung eines Denkmals von Gußeisen auf der Königsstraße verwendet. Der 8. Juni 1843, als der Tag, an welchem von Seiten des Staats das Dienstjubiläum des Herrn von Schön würde gefeiert worden sein, wenn er, um die wohlverdiente höhere Pension zu erlangen, bis dahin in seinem Amte hätte bleiben wollen, wurde nun von seinen Mitbürgern in wahrhaft erhebender Weise gefeiert, wobei die Legung des Grundsteins zu dem Denkmale und die Uebergabe der eingelösten Pfandbriefe die materielle Grundlage ausmachten. Ich mußte einen öffentlichen Bericht über das Fest abfassen.2

Fußnoten

1 Ueber Kleinkinderschulen und die in Königsberg insbesondere. Vom Geh. Med.-Rath Burdach. Zum Besten der Königsberger Kleinkinderschulen. Königsberg 1842. Im Commission der Gebrüder Bornträger. 56 S. 8


2 Die Jubelfeier des Herrn Staatsministers von Schön am 8. Juni 1843. Königsberg 1843 bei G.L. Voigt. 71. S. 8.


Quelle:
Burdach, Karl Friedrich: Rückblick auf mein Leben. Selbstbiographie. Leipzig 1848, S. 454.
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