4. Fixe Ideen.

[547] Wer mit Ausführung eines Gedankens sich beschäftigt, über dessen Unausführbarkeit der Verstand ihn belehren könnte, und wer eben so wenig durch die Erfahrung sich belehren läßt, vielmehr nach mißlungenen Versuchen immer neue Versuche macht, – der ist von einer fixen Idee besessen, ohne daß er darüber gerade zum Narren zu werden braucht. Auch ich muß[547] mich zu solchen Phantasten zählen. Die Wurzel meiner fixen Ideen lag in der Lebhaftigkeit, mit welcher ich mich als Glied des Ganzen erkannte und nur als solches mich glücklich fühlte. Gemeinsinn war mir die Lebenskraft der Gesellschaft, und uneigennütziges, gemeinnütziges Wirken mein Ideal (S. 43 flg.).

Wenn in der literarischen Republik der Einzelne für sich etwas schafft, das vermöge der über dem Ganzen schwebenden Idee in den organischen Bau sich einfügt, so erschien mir ein freies, bewußtes Zusammenwirken Mehrerer für einen bestimmten wissenschaftlichen Zweck noch würdiger und erfolgreicher, ja schon an sich, abgesehen vom Erfolge, als eine dem Wesen der Wissenschaft und der Würde ihrer Bearbeiter entsprechende That.

So betrachtete ich die gemeinschaftlichen Arbeiten von Lavoisier und Seguin, Fourcroy und Vauquelin, Parmentier und Deyeux, Humboldt und Provençal, Prevost und Dumas, Breschet und Edwards, Leuret und Lassaigne, Allen und Pepys, Tiedemann und Gmelin, Seiler und Ficinus, Frommherz und Gugert, Purkinje und Valentin u.s.w. mit vorzüglichem Interesse. Ernst Heinrich Weber, der in Gemeinschaft mit seinem Bruder Wilhelm die sinnvolle Wellentheorie geschaffen hatte, sagte (de pulsu cet. annotationes. p. 44): est in animo, de tactu observationes, una cum dilectissimo fratre Eduardo et excogitatas et factas narrare. Qua in re, ut in multis aliis physiologiae et physicae locis communi plurium hominum contentione brevi tempore plus proficitur, quam longo et taedioso labore unius. So freut man sich auch über das schöne Verhältniß der Gebrüder Wenzel, die in ihren vielfältigen Untersuchungen und literarischen Arbeiten so unzertrennlich waren, daß Beide für Einen stehen, ausgenommen bei der Herausgabe ihres letzten Werks (über den Hirnanhang fallsüchtiger Personen), wo der Ueberlebende sich bemühte, nur das Verdienst des dahingeschiedenen geliebten Bruders in ein helleres Licht zu setzen.

Daß ähnliche Bündnisse bei einer größern Zahl von Theilnehmern auch einflußreicher sein würden, leidet keinen Zweifel.[548] Diese Ueberzeugung rufte, als die zum Charakter der neuern Zeit gehörige regere Gemeinschaft des zuvor mehr Isolirten sich entwickelte, die Akademieen der Wissenschaften hervor. Indessen blieb die Gemeinschaftlichkeit hier meist auf Berathungen über Preisaufgaben und über Angelegenheiten der Corporation beschränkt, und jeder Akademiker arbeitete für sich in seinem Fache, unbekümmert um den Andern, die Muße und die Hülfsmittel benutzend, welche die Regierung ihnen allen zur Förderung der Wissenschaft dargeboten hatte.

Der immer lebendiger werdende Sinn für Vereinigungen veranlaßte ferner die von mehrern Schriftstellern gemeinschaftlich bearbeiteten encyklopädischen Werke. Aber die Gemeinschaft ist hier bloß eine äußere: der Einzelne liefert unabhängig vom Andern seinen Beitrag zur Collection, und der Redacteur, dem hier eine abschlägliche Antwort gegeben, dort ein gegebenes Versprechen nicht erfüllt wird, muß, um nicht eine Lücke zu lassen, die Leser oft mit ungenießbaren Brocken, deren er habhaft werden kann, abspeisen, und mit Fallstaff sagen: »they'll fill a pit as well as better.«

Zu den vielfältigen Associationen der neuesten Zeit gehören auch die Versammlungen der Aerzte und Naturforscher. Wie schätzbar sie aber auch immer sind, indem sie durch gegenseitige Befreundung, Belehrung und Anregung manchen Nutzen gewähren, so sind sie doch gar nicht darauf eingerichtet, etwas Gemeinsames zu Stande zu bringen. Und wiewohl die british association for the advancement of science durch einige Consolidirung und durch Aufstellung von Problemen mehr darauf ausgeht, selbst Resultate zu gewinnen, so dürfte doch die Zahl der Theilnehmer für Discussionen zu groß, ihr Zusammentreffen zu flüchtig, die Versammlung zu geräuschvoll, und die Verbindung zu locker sein, als daß sich unmittelbar ein irgend erheblicher Gewinn für die Wissenschaft davon erwarten ließe.

Ich träumte mir nun einen permanenten Verein von Männern, die nach einem unter ihnen verabredeten Plane die Wissenschaft des organischen Lebens gemeinschaftlich bearbeiteten, so daß Jeder von ihnen dem Studium eines einzelnen Zweiges[549] vorzugsweise sich widmete und den gerade zu behandelnden Gegenstand der gemeinsamen Untersuchung von seinem Standpuncte aus beleuchtete, um dadurch eine möglichst allseitige Erkenntniß zu gewinnen; ich träumte von einer Gemeinschaft der Geister, wo Jeder in seinem Kreise und auf seine Weise für die Wissenschaft wirkt, aber Alle, auf ein und dasselbe Ziel hinarbeitend und dieses einigen Zieles sich bewußt, in lebendiger Wechselwirkung einander gegenseitig anregen, so daß die von dem Einen gewonnene Ausbeute Gemeingut für Alle, und so auch für jeden Einzelnen förderlich wird, den rechten Gesichtspunct in seinem Wirkungskreise zu finden.

Die erste Aussicht auf Verwirklichung eines solchen Plans glaubte ich in meinem Verhältnisse zu Rußland zu finden, wo ich die Gewogenheit des Ministers Rasumowski zu besitzen meinte, auf den damaligen Präsidenten Uwarof großes Vertrauen setzte, und an meinem Freunde Rehmann den wünschenswerthesten Vertreter der Sache hatte. Letzterem schickte ich im Jahre 1814 einen Entwurf folgenden Inhalts:

»Eine genaue Erkenntniß des innern Baues der Thiere, verglichen mit ihren Kräften, Instincten und äußern Lebensverhältnissen, eine vollständige Uebersicht der Entwicklung der Organisation vom Zoophyten bis zum Menschen herauf, eine Erforschung der Gesetze thierischer Bildung und des innern Sinnes der verschiedenen organischen Formen – ist unstreitig eine der wichtigsten Aufgaben der Naturwissenschaft. Durch ihre Lösung erhalten wir einen tiefern Aufschluß über das Wesen und den Zweck des Lebens, so wie über den Standpunct des Menschen in der Natur. Unser Zeitalter strebt unaufhaltsam nach diesem Ziele, und eine Menge Vorarbeiten sind bereits geliefert; aber noch ungleich mehr bleibt zu thun übrig. Der Einzelne kann hier weniger leisten: es gehört dazu ein Verein von Männern, die ganz diesen Untersuchungen sich widmen und von einem mächtigen Staate unterstützt werden. Nur Frankreich hatte eine solche Anstalt; sie hat Großes geleistet, die Angabe der Gründe, warum sie nicht noch mehr leistete, gehört nicht hierher. Wie Rußland den Ruhm hat, der Welt[550] Freiheit und Frieden gegeben zu haben1, so kann es auch zu wissenschaftlicher Aufklärung mächtig mitwirken. Möchte es doch auch einen Verein von Gelehrten stiften, der die oben angegebenen Zwecke mit verbündeten Kräften zu realisiren strebte.«

»Ein solches kaiserliches Institut für Zoologie und Anthropologie in St. Petersburg wird 1) an die Akademie der Wissenschaften sich anschließen, jedoch so, daß es von dieser unabhängig und selbstständig wirkt. 2) Es besteht aus fünf ordentlichen Mitgliedern; jeder dieser Gelehrten übernimmt ein besonderes Fach der Zoologie, welches er vorzugsweise bearbeiten und durch eigene Forschungen bereichern will, hat auch einen eigenen Adjunct, der ihm als Prosector dient, und dessen Arbeiten er bestimmt. 3) Die Mitglieder widmen sich ganz der Anatomie und Zootomie, betreiben keine andern Geschäfte, arbeiten also continuirlich für diese Wissenschaft. 4) Durch gemeinsame Berathung wird die Arbeit nach einem bestimmten Plane vertheilt, so daß immer Alle zu einem gemeinsamen Zwecke zusammenwirken, indem sie eine und dieselbe Lebenserscheinung auf den verschiedenen Stufen der Reihe organischer Wesen untersuchen. Uebrigens hat jedes Mitglied volle Freiheit, Gegenstände aus andern Fächern der Zootomie als das seinige zu bearbeiten. 5) Wöchentlich findet eine Zusammenkunft Statt. In dieser trägt regelmäßig ein Mitglied, wie selbiges die Reihe trifft, das Resultat seiner Untersuchungen in den letzten vier Wochen vor, unter Vorzeigung der etwa gefertigten Präparate oder Zeichnungen; außerdem theilt jedes Mitglied nach Befinden die von ihm gemachten Bemerkungen mit; Alle berathen sich gegenseitig über Stoff und Plan vorzunehmender Untersuchungen, und neu erschienene Schriften über Anatomie und Zootomie werden angezeigt und beurtheilt. 6) Außer dem allgemeinen Zwecke, die Wissenschaft überhaupt zu befördern, hat das Institut noch die besondere Bestimmung, die Kenntniß der russischen Fauna zu vervollständigen und zur wissenschaftlichen[551] Bildung von Naturforschern, Aerzten und Thierärzten in Rußland beizutragen. 7) Das Institut giebt von seinen Verhandlungen jährlich historischen Bericht an das Publicum; seine Arbeiten selbst, welche entweder gemeinschaftliche oder private sind, macht es zu unbestimmten Zeiten nach Maßgabe der Umstände bekannt.«

Die übrigen Puncte betrafen die Sammlung, die Bibliothek, die Correspondenz und die Reisen. – Ich erhielt von Rehmann folgende Antwort:


St. Petersburg, den 20. August 1814.


»Ich verstehe Dich ganz, mein Theurer! Die Anatomie, auf diese Art und für diese Zwecke bearbeitet, kann und muß zu großen Resultaten führen. Aber leider glaube ich nicht, daß die Ausführung Deines Plans bei uns so bald möglich sein sollte. Dazu gehörten Menschen, die für das reine und höhere Interesse der Wissenschaften tiefer fühlten, als Manche, von denen es abhinge, ein so nützliches Institut zu befördern. – Gegen den Freund halte ich Wahrheit für doppelt Pflicht, daher will ich Dein Kind der Phantasie nicht mit falscher Hoffnung nähren. Nur Rasumowski oder Wylie könnten so etwas realisiren; aber wie wenig sich von diesen erwarten läßt, das müßte ich Dir mündlich erklären. Ich habe mit Ersterem davon gesprochen, und nous verrons – il faudrait voir – avec le tems – peut-être – mais à present ce n'est pas le moment, zur Antwort erhalten. Ich kenne meine Leute zu gut, um nicht zu wissen, was dergleichen Antworten zu bedeuten haben. So, wie die Sachen jetzt stehen, sehe ich daher die Möglichkeit der Ausführung Deines Plans bei uns nicht ein; nur wenn einmal mit der schlummernden Akademie der Wissenschaften eine Reform vorgenommen würde, ließe sich vielleicht mit Ernst daran denken.«

Als ich mich mit dem Gedanken beschäftigte, die Physiologie in größerem Umfange zu bearbeiten, phantasirte ich von der Möglichkeit, meine Arbeit, als Manuscript gedruckt, an die Naturforscher Deutschlands zu versenden, und nach Empfang[552] ihrer Berichtigungen, Einwendungen und Ergänzungen als Redacteur das Einzelne zu verknüpfen und das Ganze zu ordnen. Ich deutete diese Träumerei in der Ankündigung an, welche am Schlusse des genannten Werks (Bd. VI. S. 613) abgedruckt ist. Aber ganz gab ich darum mein Project nicht auf, sondern suchte es, wie ich bereits (S. 336 flg. 407 flg.) erzählt habe, durch Erlangung von Beiträgen zu verwirklichen. Ein Brief, den ich 1830 an J. Müller geschrieben hatte und der zufällig bei mir liegen geblieben ist, enthält folgende Stelle, als Beweis, daß ich den idealischen Bund für die Wissenschaft als ein Phantom erkannte, ohne ihn vergessen zu haben.

»Eine kritische Revision der Lehre vom Blute ist ein wirkliches Bedürfniß unserer Literatur, da so viele breitmäulige Phantasten ihr Wesen hier so toll getrieben haben. Unsere Literaturblätter sind die wahrhaft unparteiischen Correspondenten, die jeden neuen Nebel als ein Meteor, jeden im Sumpfe der Ignoranz und des Dünkels gebornen Irrwisch als ein Wetterleuchten des Genius verkündigen. Die Tüchtigen haben freilich etwas Besseres zu thun, als den Narren die Röcke auszupochen; aber zum Theil sind sie auch zu bequem, um die Sache ernst ins Auge zu fassen, oder zu höflich, um einem Manne, der einigen Namen hat, die Wahrheit zu sagen. Es fehlt an Gemeingeist und an ächtem Sinne für die Wahrheit. – Eine Akademie der Naturwissenschaften, wo nach einem gemeinsamen Plane mit gegenseitiger Belehrung und Unterstützung, mit gemeinsamer Berathung und Prüfung gearbeitet würde, ist eine alte Phantasie von mir, die im Jahre 2830 wohl realisirt werden wird; dann möchte ich wieder kommen und Secretär bei solcher Akademie werden! Jetzt muß ich die planlos hingeworfenen Brocken sammeln; muß, wenn mein Blut über die aberwitzige Mißhandlung der Blutlehre in Aufruhr kommen will, es mit dem Gedanken temperiren, daß ich selbst gehaltvollere Beobachtungen machen sollte, und wenn mir dazu die Kräfte mangeln, mit dem leidigen Troste: non omnia possumus omnes, mich beruhigen.«[553]

Als ich 1832 Wien wieder verließ, forderte mich der Fürst Metternich beim Abschiede auf, ihm künftig alle Schriften, die ich herausgäbe, zu schicken. Nun wurde unmittelbar nach meiner Ankunft in Leipzig der Druck des vierten Bandes meiner Physiologie beendigt, und bloß um bei dessen Uebersendung doch irgend etwas zu sagen, äußerte ich in meinem Schreiben an den Fürsten, es würde ihm sonderbar scheinen, daß ich bei einem systematischen Werke mir Mitarbeiter erbeten hätte; ich hätte aber diesen Weg eingeschlagen, um eine wünschenswerthe Vereinigung mehrerer Gelehrter zu gemeinsamer Bearbeitung der Physiologie einigermaßen zu ersetzen. Ich erhielt darauf folgendes Schreiben:

»Ewr. Wohlgeboren Schreiben aus Leipzig habe ich nebst dessen Beilagen mit wahrer Erkenntlichkeit erhalten. Ich besaß bereits die drei ersten Bände Ihrer allgemein für classisch anerkannten Physiologie, und ich werde dem nun erschienenen eben die Aufmerksamkeit widmen, welche ich den früheren zugewendet hatte. Ihre Arbeiten tragen sämmtlich den Stempel ächten Wissens, denn Sie sind deutlich: Sie suchen das Wissen in der That und nicht in den Worten, und so allein soll der Lehrer vorschreiten. Worte decken weit öfter die Leere, als die Fülle, und dies achten eben manche deutsche Schriftsteller nicht: sie überlassen die Entdeckung dem Leser. – Ihr Wunsch für die Schaffung eines Centralpunctes für die Naturwissenschaften muß von jedem Freunde derselben aufrichtig getheilt werden. Kann ich zu dessen Erfüllung ein Scherflein beitragen, so werde ich es sicher thun. Haben Sie die Güte, mir eine nähere Andeutung über die Mittel zum Zwecke zu schicken. Ich werde dieselben reiflich prüfen und Ihnen meine Ansicht ganz unbefangen mittheilen. Empfangen Ewr. Wohlgeboren nebst meinem wiederholten Danke die Versicherung meiner vollkommensten Hochachtung.«


Wien, 7. November 1832.

Metternich.
[554]

Dieses Schreiben versetzte mich in die größte Aufregung: ich sah ganz unerwartet die Ausführung meines Lieblingsprojectes als möglich vor mir! Ich schickte dem Fürsten noch in demselben Monate den folgenden Aufsatz, der den Plan in Form von Statuten enthält.


»I) Plan zu Organisation de Akademieder Naturforscher.


§. 1. Zweck. Die Akademie der Naturforscher ist ein Verein zu Förderung der Naturwissenschaft durch Zusammenwirken sowohl von Gelehrten eines und desselben Faches, welche gemeinschaftliche Untersuchungen anstellen und einander dabei unterstützen, als auch von Gelehrten verschiedener Fächer, die einen Gegenstand von allen Seiten her aufzuklären sich bemühen. Die gemeinsame Bestrebung ist nur darauf gerichtet, in das Thatsächliche der Erscheinungen tiefer einzugehen. Was sich daraus für eine wahrhafte Anschauung der Natur und für das praktische Leben, namentlich für die Heilkunst ergiebt, gehört nicht zum eigentlichen Wirkungskreise der Akademie.

§. 2. Gegenstände. Die Akademie zerfällt in drei Abtheilungen: eine physikalisch-chemische für die Naturlehre der unorganischen Welt; eine physiologische für die Naturlehre des organischen Reichs; und eine pathologische, welche theils den Hergang der Krankheiten, namentlich der krankhaften Bildungen (pathologische Anatomie) und deren Aeußerungen, theils die Wirkungsart äußerer Einflüsse (Schädlichkeiten und Heilmittel) zum Gegenstande hat.

§. 3. Geschäftsgang. a) Reihenfolge. Jede Abtheilung verabredet sich zuvörderst über die systematische Reihenfolge, in welcher sie die einzelnen Theile ihrer Wissenschaft einer Revision unterwerfen und, wo es nöthig ist, von Neuem bearbeiten will. Auf besondere Anträge kann von der festgesetzten Ordnung abgewichen werden, wenn entweder eine neue Entdeckung durch ihr Zeitinteresse oder eine zufällig dargebotene Gelegenheit durch ihr baldiges Vorübergehen eine sofortige Untersuchung nöthig macht. – b) Revision. Ein Mitglied[555] giebt eine Revision des jedesmal in Frage stehenden Gegenstandes: er schildert in gedrängter Kürze den gegenwärtigen Zustand unseres Wissens darüber; giebt die Methoden und das Resultat der bisherigen Forschungen an; bemerkt die noch vorhandenen Ungewißheiten, Dunkelheiten und Lücken; stellt Aufgaben, welche zu lösen sind, und schlägt die dazu führenden Methoden der Untersuchung vor. – c) Berathung. Diesem Vortrage folgt eine allgemeine Erörterung des fraglichen Gegenstandes, indem die übrigen Mitglieder ihre Bemerkungen über unser bisheriges Wissen, so wie über die Wege zu dessen Bereicherung mittheilen. – d) Commission. Hierauf wird eine Commission zu Anstellung der erforderten Untersuchung ernannt. Sie besteht aus einem Commissär, der sich eigens dazu verpflichtet, die Untersuchung zu Stande zu bringen, und aus einem oder mehreren Adjuncten, welche dem Commissär als Zeugen, Rathgeber und Gehülfen bei der Untersuchung zur Seite stehen und demselben die von ihnen gemachten Erfahrungen mittheilen. Wünschenswerth ist es, daß Mitglieder freiwillig sich erbieten, das Geschäft eines Commissärs oder Adjuncten anzunehmen; wo dies nicht der Fall ist, wird die Commission durch schriftliche Abstimmung erwählt. Wer so erwählt ist, kann den Auftrag nicht ablehnen, wenn er nicht gültige Gründe anführt und nicht ein anderes Mitglied, welches zu Annahme des Auftrags bereitwillig ist, dazu vorschlagen kann. Wenn die Mitwirkung von Mitgliedern einer andern Abtheilung bei der Untersuchung erforderlich ist, so ergeht deßhalb eine Einladung an diese Abtheilung, welche dann auf gleiche Weise eine mit ersterer in Verbindung tretende Commission ernennt. e) Frist. Die Frist, in welcher die Untersuchung zu beendigen ist, richtet sich nach der Beschaffenheit des jedesmaligen Gegenstandes; die längste ist die eines Jahrs. f) Vorläufige Berichte. Im Laufe der Untersuchung berichtet der Commissär in jeder Sitzung seiner Abtheilung, also (§. 5) monatlich, über die von ihm eingeschlagenen Wege und die erlangten Resultate, wobei er gewissenhaft jeden von einem Adjunct gegebenen Beitrag anzeigt. Die übrigen Mitglieder geben ihre Bemerkungen[556] zu diesen Berichten, theils als Zusätze und Ergänzungen, welche sie aus ihrer Erfahrung schöpfen, theils als Winke zu neuer Prüfung der bisherigen Resultate bei Berücksichtigung übersehener Momente oder bei Anwendung einer andern Methode. g) Endlicher Bericht. Nach beendigter Untersuchung erstattet der Commissär seiner Abtheilung einen vollständigen Bericht, welchem die Adjuncten ihre Zustimmung geben oder nöthigenfalls ihre eigenen Bemerkungen beifügen. Soweit es die Natur des jedesmaligen Gegenstandes gestattet, schafft der Commissär seiner Abtheilung eine unmittelbare Ueberzeugung von der Richtigkeit der ausgemittelten Thatsachen, indem er vor ihren Augen die Experimente, über welche berichtet wird, wiederholt oder Präparate und Zeichnungen vorlegt. h) Bekanntmachung. Sind keine weiteren Erinnerungen zu machen, so genehmigt die Abtheilung den abgestatteten Bericht, der sodann in die im Drucke erscheinenden Verhandlungen der Akademie aufgenommen wird. i) Auswärtige Concurrenten. Um auch von den Talenten und Kenntnissen der außerhalb der Akademie stehenden vaterländischen Naturforscher Gewinn zu ziehen, wird jede Aufgabe, welche die Akademie sich stellt, alsbald zur öffentlichen Kenntniß gebracht, so daß Jeder, der Beruf dazu in sich fühlt, bei der Lösung concurriren kann. Die in solchem Falle gelieferten Arbeiten werden von deren Verfassern unter Nennung ihres Namens an die Akademie eingesendet, von derselben geprüft und in deren Verhandlungen nach Beschaffenheit der Umstände entweder bloß angezeigt, oder auszugsweise mitgetheilt oder vollständig aufgenommen.

§ 4. Personale. a) Präsident. Die Akademie hat an ihrer Spitze einen hohen Staats- oder Hofbeamten als Präsidenten, welcher sie bei der Regierung vertritt, in allen ihren Angelegenheiten, welche nicht rein wissenschaftlicher Art sind, die oberste Leitung hat und Alles beseitigt, was die Wirksamkeit der Akademie hemmen und die Erreichung ihres Zweckes hindern könnte. Er führt den Vorsitz im Verwaltungsrathe (§. 7), in der jährlichen öffentlichen Versammlung (§. 5, c), und, wo möglich auch in den monatlichen allgemeinen Sitzungen (§. 5, b);[557] er ernennt die Beamten nach den ihm deßhalb gemachten Vorschlägen (§. 6, b) und bewilligt die nöthigen Ausgaben (§. 7). b) Beamte der Akademie. Der Geschäftsführer der Akademie besorgt die allgemeinen Angelegenheiten derselben, ordnet ihre allgemeinen (§. 5, b) und öffentlichen Sitzungen (§. 5, c), trägt in denselben die von den einzelnen Abtheilungen empfangenen Berichte vor, besorgt die Herausgabe der Verhandlungen und unterzeichnet jede im Namen der Akademie oder einer einzelnen Abtheilung zu erlassende Bekanntmachung. Der Secretär der Akademie ist sein Gehülfe und erforderlichen Falls sein Stellvertreter. Er empfängt die an die Akademie gerichteten Zuschriften, theilt sie zuerst dem Geschäftsführer, dann in der monatlichen allgemeinen Sitzung der Akademie mit und beantwortet sie dem gefaßten Beschlusse gemäß; er führt das Protokoll in der allgemeinen Sitzung und verlieft es, nachdem es vom Geschäftsführer mit unterzeichnet ist, beim Anfange der folgenden Sitzung; er legt ein Archiv an und hält dasselbe in Ordnung. c) Abtheilungsbeamte. Jede Abtheilung hat ihren besonderen Geschäftsführer und Secretär, welche ihr dieselben Dienste leisten, wie die (b) angeführten Beamten der Akademie überhaupt. Jeder besondere Geschäftsführer leitet den Gang der Verhandlungen in den Sitzungen seiner Abtheilung, schlägt die Ordnung vor, in welcher die einzelnen Theile der Wissenschaft einer Revision unterworfen werden sollen (§. 3, a) und liefert diese Revisionen (§. 3, b) entweder selbst, oder sorgt dafür, daß andere Mitglieder dies Geschäft übernehmen; er übergiebt endlich die von seiner Abtheilung zum Drucke bestimmten Verhandlungen so wie andere Bekanntmachungen derselben dem Geschäftsführer der Akademie zu weiterer Besorgung. d) Akademiker. Die Akademiker machen den eigentlichen Körper der Akademie aus, welcher in die drei Abtheilungen (§. 2) sich scheidet, jedoch so, daß ein Akademiker auch zweien Abtheilungen angehören kann. Sie verpflichten sich, die von ihrer Abtheilung ihnen übertragenen Arbeiten zu übernehmen; sie berathen sich und entscheiden in allen rein wissenschaftlichen Angelegenheiten der Akademie. e) Aggregirte Mitglieder[558] sind solche, welche, ohne sich zu bestimmten Leistungen zu verpflichten, die Arbeiten ihrer Abtheilung durch Mittheilungen aus dem Schatze ihrer Erfahrungen und Kenntnisse unterstützen wollen. An Abstimmungen nehmen sie keinen Theil. 1) Auswärtige Mitglieder (§. 6, d) können nur in so fern Theil nehmen, als man sie mit den Verhandlungen der Akademie bekannt macht und sie ihrerseits zu Lösung der gestellten Aufgaben einzelne Beobachtungen und Erfahrungen oder vollständige Abhandlungen einsenden; bei temporärer Anwesenheit steht ihnen der Zutritt zu den Sitzungen frei.

§. 5. Sitzungen. Die Sitzungen folgen einem vierwöchentlichen Turnus, so daß in jeder der drei ersten Wochen die besondere Sitzung einer der drei Abtheilungen, in jeder vierten Woche aber eine allgemeine Sitzung Statt findet. a) Besondere Sitzungen. Die Sitzungen der einzelnen Abtheilungen werden von deren Geschäftsführern und Secretären geleitet. Außerdem, daß hier die eigentlichen Geschäfte der Akademie (§. 3) betrieben werden, finden auch freie Mittheilungen Statt, welche entweder eigene Beobachtungen und Entdeckungen oder neue literarische Erscheinungen betreffen. Die Akademiker der einen Abtheilung können den Sitzungen der beiden andern Abtheilungen beiwohnen, jedoch nur mit den Rechten aggregirter Mitglieder. Bei gehäuften Geschäften oder in dringenden Fällen kann eine Abtheilung auch außergewöhnliche Sitzungen halten, die jedoch mit denen der andern Abtheilungen nicht collidiren dürfen. b) Allgemeine Sitzungen, an welchen alle Akademiker Theil nehmen, werden aller vier Wochen gehalten; hier werden die Arbeiten der einzelnen Abtheilungen angezeigt und die allgemeinen Angelegenheiten der Akademie zur Sprache gebracht. c) Eine öffentliche Sitzung wird jährlich an einem bestimmten Tage gehalten und darin über den Zustand und die Leistungen der Akademie Bericht erstattet.

§. 6. Wahlen. a) Der Präsident wird von der Regierung ernannt. b) Beamte. Zur Stelle des Geschäftsführers und des Secretärs einer Abtheilung schlägt diese zwei aus[559] ihrer Mitte vor, welche bei Abstimmung durch Zettel die meisten Stimmen haben und von welchen der Präsident einen wählt. Sämmtliche Akademiker schlagen eben so zum Geschäftsführer und zum Secretär der Akademie dem Präsidenten zwei ihrer Collegen vor. Ein und derselbe Akademiker kann zu einem solchen Amte bei einer besondern Abtheilung und zugleich bei der gesammten Akademie berufen werden. c) Einheimische Mitglieder. Sämmtliche Naturforscher und Aerzte, welche an dem Sitze der Akademie ein öffentliches Amt bekleiden, werden zum Beitritte eingeladen, wobei sie zu bestimmen haben, ob sie einer oder zweien Abtheilungen angehören und als Akademiker oder als aggregirte Mitglieder Antheil nehmen wollen. Unter denen, welche daselbst wohnhaft, aber nicht angestellt sind, wählen die Akademiker diejenigen aus, an welche eine gleiche Einladung ergehen soll. d) Auswärtige Mitglieder. Unter Auswärtigen endlich können nur diejenigen einen solchen Antrag erhalten, welche eine von der Akademie gestellte Aufgabe (§. 3, i) gelöset haben oder sonst als gründliche Forscher bekannt sind und ihre Bereitwilligkeit zur thätigen Theilnahme erklärt haben.

§. 7. Der Verwaltungsrath, bestehend aus dem Präsidenten und sämmtlichen Beamten (§. 4, b. c), besorgt die äußeren und finanziellen Angelegenheiten der Akademie. Die Beamten machen die Anträge zu Verwendung der etatsmäßigen Summe, indem sie über die Nothwendigkeit der einzelnen Ausgaben ihr Urtheil abgeben; die Genehmigung und Zahlungsanweisung ist Sache des Präsidenten. Mit Cassenführung und Rechnungsablegung sind die Akademiker verschont, da diese Geschäfte einem öffentlichen Cassenbeamten zufallen.«


»II. Ueber Ausführung des obigen Plans


Die Akademieen der Wissenschaften, dergleichen die meisten europäischen Staaten besitzen, haben allerdings manchen bedeutenden Fortschritt in der Wissenschaft herbeigeführt, indem sie einzelnen Gelehrten Muße und sonstige Mittel zu ihren Forschungen gewährten, durch Preisfragen gehaltvolle Untersuchungen[560] veranlaßten, auch zum Theil jährliche Uebersichten von dem neuesten wissenschaftlichen Gewinne gaben. Aber unbezweifelt hätten diese Institute ungleich mehr haben leisten können, wenn ihr Wirken nicht vereinzelt und ohne Bindung geblieben und nicht außer Naturwissenschaft und Medicin auch auf Mathematik, Philosophie, Geschichte und Literatur ausgedehnt gewesen wäre.

Eine Akademie nach dem vorgelegten Plane würde, indem sie auf die Naturwissenschaft sich concentrirte, von allen bisherigen Akademieen sich dadurch wesentlich unterscheiden, daß sie nicht isolirte Beiträge von einzelnen Gelehrten über diesen oder jenen Gegenstand, wie Zufall und Laune es fügen, sondern die Resultate planmäßiger und gemeinschaftlicher Forschung eines Vereins von Gelehrten lieferte, und Oesterreich würde durch Errichtung eines solchen neuen Instituts sich den Dank der wissenschaftlichen Welt erwerben, während es zugleich die geistige Bildung seiner Bürger beförderte, den Forschungsgeist belebte und auf den richtigen Weg leitete, das heranreifende Talent aufmunterte und eine Pflanzschule von Männern bildete, die dem Vaterlande einst wichtige Dienste leisten könnten. Und Oesterreich ist gewissermaßen auch geschichtlich dazu berufen. Kaiser Leopold I. gab 1677 einer in Franken gebildeten Gesellschaft von Aerzten und Naturkundigen Privilegien, welche Kaiser Karl VII. 1742 besonders bestätigte: so wurde denn dieser Verein mit dem Namen einer Römisch Kaiserlichen Leopoldinisch-Karolinischen Akademie geschmückt und ihr jedesmaliger Präses mit einem gewissen Glanze umgeben. Aber einer organischen Bindung noch vielmehr als andere Akademieen ermangelnd und von realen Hülfsmitteln entblößt, mußte sie sich begnügen, Arbeiten von ihren in- und außerhalb Deutschland zerstreuten Mitgliedern in einem Magazine zu sammeln, wobei ihr wenig Auswahl gestattet war; selbst heimathlos, wanderte sie, dem jedesmaligen Präsidenten folgend, von einer Stadt zur andern, so daß sie denn auch dem Schutze einer andern Regierung anheim fiel. An die dankbare Erinnerung der Aufmunterung, welche die römischen Kaiser auf eine den Stempel ihrer[561] Zeit tragende Weise dem deutschen Fleiße gewährten, würde sich die freudige Anschauung einer licht- und kraftvollern Gegenwart knüpfen, wenn Oesterreichs erster Kaiser eine Akademie der Naturforscher in neuer Gestalt und in innigerer Bindung für seine Staaten hervorrufen wollte.


A) Bedingende Momente von Seitender Regierung.


Man könnte eine solche Akademie mit Pomp auftreten lassen, berühmte Gelehrte aus den verschiedenen deutschen Staaten dazu berufen, ansehnliche Besoldungen aussetzen, ein stattliches Gebäude, große Apparate und Sammlungen geben u.s.w. Dies würde aber sowohl zweckwidrig, als auch überflüssig sein. Denn erstlich folgt einem voreiligen üppigen Aufblühen nur zu oft eine dürftige Frucht; überall bringt nur eine ruhige, allmälig fortschreitende Entwickelung wahrhaftes Heil. So muß denn diese Akademie wenig versprechen und viel leisten; sie muß in einfacher Form als Verein Wiener Naturforscher zu gemeinschaftlichen Untersuchungen auftreten, um dereinst ein Centralpunct der Naturwissenschaften zu werden; ja man könnte aus Vorsicht vielleicht den Anfang damit machen, daß man, ohne den umfassendern Plan kund zu geben, zunächst nur eine einzelne Abtheilung, namentlich die physiologische, auftreten ließe, um den Erfolg zu beobachten und einen Kern für die größere Anstalt zu gewinnen. Zweitens aber ist Wien an naturwissenschaftlichen und ärztlichen Anstalten, wie an eifrigen und geschickten Forschern auch so reich, daß es bei Benutzung der vorhandenen Mittel nur eines mäßigen Aufwandes bedarf, um die Akademie zu Stande zu bringen.

a) Zuvörderst würden die Gelehrten, welche bei der Universität, der Josephinischen Akademie, dem Naturalienkabinete, dem allgemeinen Krankenhause, der Thierarzneischule und dem polytechnischen Institute angestellt sind, zu einer freiwilligen und, in sofern sie schon eine zureichende Besoldung genießen, mit keinem Gehalte verbundenen Theilnahme an der Akademie einzuladen sein. Manche würden, von reinem Eifer für die Wissenschaft[562] und ächtem literarischen Gemeingeiste bestimmt, mit Freuden beitreten, um sich geistesverwandten Collegen inniger beizugesellen. Wissenschaftlicher Ehrgeiz würde für Andere eine mächtige Triebfeder sein. Daß die Anstalt unter höchster Autorität errichtet wäre, daß die Regierung ihr eine fortdauernde Theilnahme bewiese und ihr einen Präsidenten gäbe, der durch Stellung und Charakter Ehrfurcht einflößte, würde noch Andere ganz vorzüglich zur Theilnahme willig machen. Sicher ist es, daß Einige den Plan mit Wärme ergreifen würden und ihr Beispiel würde manchen sonst Gleichgültigen mit fortreißen. So würde es bald allgemein zur Ehrensache werden, Akademiker zu sein und als solcher die gemeinsamen wissenschaftlichen Zwecke zu verfolgen. Dadurch, daß die Akademie Niemanden bereicherte, würde sich ihr Charakter reiner erhalten können. Indessen dürfte den wirklichen Leistungen doch auch einige pecuniäre Entschädigung zu gewähren sein, indem die Akademie die im Drucke erscheinenden Arbeiten besonders honorirte; auch könnte vielleicht für zehnjährige, der Akademie mit Eifer und Erfolg gewidmete Dienste eine Belohnung ausgesetzt werden. – Uebrigens würde eine Collision mit den Directionen jener Anstalten wohl nicht zu befürchten sein, da die Akademie ihnen auf keine Weise in den Weg träte und den Beamten kein Vorwurf gemacht werden könnte, wenn sie bei Erfüllung ihrer Amtspflicht ihre Mußestunden dem allgemeinern wissenschaftlichen Berufe in einer vom Staate gegründeten Anstalt widmeten.

b) Es wäre möglich, daß für einzelne Fächer nicht die hinreichende Zahl von Akademikern gewonnen werden könnte, entweder weil ein solches Fach bisher noch keinen besondern Gegenstand ausgemacht hätte, wie dies mit der vergleichenden Anatomie der Fall ist, oder weil die in den Anstalten fungirenden Gelehrten dieses Fachs zu sehr mit Amtsgeschäften überladen wären. In solchen Fällen wären allerdings Berufungen tüchtiger Männer nöthig, und die Berufenen müßten, bis ihnen ein einträgliches Amt in Wien angewiesen werden könnte, einstweilen und ausnahmsweise von der Akademie anständig besoldet werden.[563]

Jedenfalls aber müßten einige durch Talent und Fleiß ausgezeichnete junge Männer, welche nach Beendigung ihrer akademischen Studien entweder noch gar nicht oder doch nicht mit hinlänglicher Besoldung angestellt sind, von Seiten der Akademie in den Stand gesetzt werden, sorgenfrei für die Wissenschaft zu arbeiten. Die Bekanntmachung der Aufgaben (§. 3, i) würde dahin führen, dazu geeignete junge Männer in den verschiedenen Gegenden der Monarchie kennen zu lernen; man müßte sie zunächst nur auf zwei Jahre anstellen und die Verlängerung der Anstellung von der Ausdauer ihres Eifers abhängig machen. – Die Akademie würde dadurch nicht allein eine Bildungsanstalt für wissenschaftliche Forschung werden und dem Staate ausgezeichnete Lehrer und Beamte liefern, sondern auch von der unbedingtern Hingebung dieser ihrer jüngern Mitglieder bedeutende Vortheile bei ihren Untersuchungen ziehen.

d) Was die zu Anstellung von Untersuchungen erforderlichen Hülfsmittel betrifft, so würde wohl ein großer Theil derselben von den erwähnten Anstalten gewährt oder von den Commissären (§. 3, d) auf eigene Kosten angeschafft werden können; wo dies nicht ausreichte, würde beim Verwaltungsrathe auf Gewährung der nöthigen Geldmittel anzutragen und bei deren Auszahlung der gehörige Nachweis beizubringen sein.

e) Es würde auszuwirken sein, daß die Kaiserliche Bibliothek die ihr etwa noch fehlenden Werke, deren die Akademiker benöthigt wären, ankaufte und die neu erscheinenden naturwissenschaftlichen Werke dem Geschäftsträger der Akademie zu ihrer Bekanntmachung (§. 5, a) zuerst auf einige Zeit übergäbe.

f) Zum Locale bedürfte die Akademie nur eines Saals, der ihr mit zwei Nebenzimmern zu den gewöhnlichen Sitzungen und zum Archive für immer eingeräumt würde. Für die jährlichen öffentlichen Sitzungen könnte sie sich die Erlaubniß auswirken, ein anderes dazu geeignetes Locale dazu benutzen zu dürfen.

g) Wiewohl im Voraus, besonders bei Mangel an hinreichender Localkenntniß, kein bestimmter Etat entworfen werden kann, so möchte doch folgende ungefähre Schätzung vor der Hand nicht überflüssig sein.
[564]

Für den Fall, daß zwei Gelehrte ohne

anderweitige Anstellung zur Akademie

berufen würden, an Besoldung derselben8000Fl. C.-M.

An Besoldung für 8 junge Männer4000Fl. C.-M.

Zu Untersuchungen und Zeichnungen1500Fl. C.-M.

An Honorar für gedruckte Arbeiten1500Fl. C.-M.

Den Secretären für Druck von Bekannt-

machungen, Briefporto und Ausgaben

beim Archiv400Fl. C.-M.

Zu Utensilien und unvorhergesehene

Ausgaben500Fl. C.-M.

Für einen Aufwärter100Fl. C.-M.

16000Fl. C.-M.


B) Bedingende Momente von Seitender Akademiker.


Wenn es nun an äußern Mitteln, eine solche Akademie zu errichten, auf keine Weise gebricht, so ist es noch die Frage, ob sie von dem rechten Geiste beseelt sein wird, um ihre Bestimmung zu erfüllen? ob die Akademiker mit dem Eifer und der Einmüthigkeit, ohne welche der vorgelegte Plan unausführbar bleibt, wirken werden? Daß sie unter gehöriger Leitung der Arbeiten und steter Anregung des wissenschaftlichen Interesse es an Thätigkeit nicht werden fehlen lassen, ist wohl sicher. Darauf aber müßte man sorgfältig Bedacht nehmen, daß jede mögliche Zwietracht unter ihnen verhütet würde.

Damit kleinliche Leidenschaften, Eifersucht und Neid keine Nahrung fänden, müßten einzelnen Mitgliedern so wenig als möglich besondere Begünstigungen eingeräumt werden. Geschäftsführer und Secretäre dürften nicht als Betitelte und bevorrechtete Häupter auftreten, sondern als Mitglieder, welche die durch die Ordnung gebotenen Arbeiten außer ihrer eigentlich akademischen Thätigkeit noch übernehmen. Die nöthigen Falls berufenen und ausnahmsweise aus den Fonds der Akademie besoldeten Gelehrten müßten möglichst bald ein sie ernährendes Amt erhalten, um in die Reihe der übrigen Mitglieder treten und der Akademie unentgeltlich dienen zu können. Alle Arbeiten müßten nach gleichem Maßstabe honorirt werden.[565]

Dagegen wäre der literarische Ehrgeiz auf alle Weise zu schonen, namentlich das Recht des literarischen Eigenthums und der Priorität auf das Sorgfältigste zu schützen. Jede Bemerkung, die nicht etwas allgemein Bekanntes enthält, jeder noch so kleine Beitrag zu einer Untersuchung wäre in Protokollen und Berichten namentlich anzuführen. Es müßte sich die Ueberzeugung feststellen, daß, wer literarischen Gemeinsinn hat und selbst etwas zu leisten vermag, auch die Leistungen Anderer ehrt, und es müßte dadurch zur Ehrensache werden, das Verdienst der Collegen auf das Gewissenhafteste anzuerkennen.

Zu Geschäftsführern und Secretären wären vorzüglich anspruchlose Männer zu wählen, die ein möglichst allgemeines Vertrauen genießen. Durch reinen Sinn für die Wissenschaft bestimmt, würden sie den Ton der Offenheit und Vertraulichkeit einführen, den Gemeinsinn beleben, den Geist der Eintracht aufrecht halten, Niemandem zu nahe treten, billig im Urtheile, wie schonend und vorsichtig in dessen Aeußerung sein und etwanige Mißhelligkeiten schnell zu beseitigen suchen.

Vorzüglich aber würde auch der Präsident durch seine Autorität den Verein zusammenzuhalten und durch seine Humanität den, der sich etwa für verletzt hielte, zu versöhnen im Stande sein.«


Es hatte mir Vergnügen gemacht, dem Fürsten mein Project auseinandersetzen zu können, ohne daß ich große Hoffnung auf Erfolg gehabt hätte. Denn wie gut bürgerlich auch der Anstrich des Luftschlosses war, so schimmerte doch der phantastische Grund zu deutlich hindurch; und selbst wenn der Lenker der großen Staatsmaschine den ganzen Plan mit seinen Maximen verträglich gefunden hätte, so konnte doch das Räderwerk einen nicht zu besiegenden Widerstand leisten. Indeß gehörte die, wenn auch modificirte Ausführung, nicht geradezu in das Reich der Unmöglichkeit, und erfolgte sie wirklich, so konnte ich vielleicht selbst daran Theil nehmen sollen. Daß ich mir dies als möglich dachte, stammte nicht aus eitler Einbildung, sondern[566] hatte einigen Grund. Ich war nämlich während meines Aufenthaltes in Wien im Jahre 1832 von den höchsten Staatsbeamten auf eine ausgezeichnete, zum Theil selbst auffallende Weise behandelt worden und der Oberst-Hofcanzler, Graf Mittrowski, hatte sich durch den Vicekanzler von Lilienau erkundigen lassen, welchen Gehalt ich in Königsberg bezöge und ob ich überhaupt mit meiner Stellung daselbst zufrieden oder zu einer Aenderung derselben geneigt wäre? Sodann hatte der Kaiser in der mir ertheilten Privataudienz gesagt, er wisse, daß ich meine Studien in Wien gemacht und eine Wienerin zur Frau hätte, was denn so gedeutet werden konnte, als hätte man ihn durch Anführung dieser Umstände zu Genehmigung meiner Berufung geneigter zu machen gesucht; endlich hatte er mich mit den besonders betonten Worten entlassen: »Sie kommen doch noch einmal nach Wien.«

Zwar hatte ich auf die oben erwähnte Anfrage erwidert, daß ich mit meiner Stellung in Königsberg ganz zufrieden wäre; aber die Aussicht auf eine meinen Wünschen entsprechende Akademie konnte ja eine Aenderung bei mir hervorbringen. Ging nun der Fürst auf meinen Plan ein, so durfte ich nach dem, was vorhergegangen war, es mir wohl als möglich denken, daß er bei der guten Meinung, die er von mir hatte, mich an die neue Anstalt berufen würde. Dieser Gedanke erschreckte mich: aus meiner ruhigen, sichern Lage, die mir hinlängliche Muße für meine Privatarbeiten gewährte, sollte ich in einem Alter von nahe an 60 Jahren in ein Verhältniß treten, wo vielleicht eine Last von Geschäften und gewiß eine Menge von Widersachern und Neidern mich erwartete; ich sollte die gewohnten, mir lieb gewordenen Verhältnisse aufgeben, um mich mannichfaltigen Anfeindungen und Intriguen auszusetzen, die, wie ich die Wiener Aerzte und Consorten kannte, mit Sicherheit zu erwarten waren. Ich hatte Wien auch von seiner Schattenseite kennen lernen, und so konnte es unter diesen Umständen keinen Reiz für mich haben: aber ich entschloß mich, den Ruf, wenn er käme, anzunehmen, weil ich es für eine Ehrensache hielt, an der Ausführung meines Lieblingsplanes Theil zu nehmen.[567] Ich sah voraus, Anstrengung, Verdruß und Kränkung würden mein Leben verbittern und verkürzen, aber ich hielt es für schimpflich, vor der Gefahr zurückzuweichen. – Indessen sollte meine heroische Gesinnung nicht in Thaten vor die Welt treten und das Stück ging ohne tragische Ende auseinander: Fürst Metternich blieb mir die Antwort schuldig und ich hielt es nicht für angemessen, ihm nochmals zu schreiben, machte also auch von der mir ohne mein Bitten ertheilten Erlaubniß, ihm jede neue Schrift von mir überschicken zu dürfen, keinen Gebrauch. Von Wiener Freunden, gegen weiche ich übrigens das strengste Stillschweigen über die ganze Angelegenheit beobachtet habe, erfuhr ich, daß zu Anfange des Jahres 1833 der Fürst Anstalten getroffen hatte, monatlich eine Versammlung von 15-10 Naturforschern bei sich zu sehen, wobei Littrow, Baumgarten und Czermak als Secretäre fungiren sollten, daß aber die Ausführung von Zeit zu Zeit verschoben worden war. Auch wurde in den öffentlichen Blättern eine Zeitlang von Errichtung einer Akademie der Wissenschaften in Wien mit ziemlicher Bestimmtheit gesprochen, und eine 1837 erschienene Schrift über »die gelehrte Donaugesellschaft in Wien unter Kaiser Maximilian I.« schien mit diesem Plane in Beziehung zu stehen. Endlich kam die »Kaiserlich Königliche Gesellschaft der Aerzte in Wien,« deren Ehrenmitglied ich wurde, zu Stande, – und damit hatte es sein Bewenden. Näheres über Absichten, Vorbereitungen und Hemmungen ist mir nicht bekannt geworden.


Als eine andere fixe Idee dürfte meine Vorliebe für die Freimaurerei zu betrachten sein, in deren Logen ich mir das Bild eines idealen Menschenbundes dachte, in welchem dessen Glieder die Fesseln der bürgerlichen Welt, des materiellen Bedürfnisses und der Leidenschaft, der Ungleichheit nach Rang und Besitz, so wie jedes Vorurtheils abstreifen, um in brüderlicher Eintracht bei heiterem Genusse des Lebens einander gegenseitig in geistiger und sittlicher Vervollkommnung zu unterstützen. Natürlich kommt Alles darauf an, wie man in jedem Logenverbande[568] und in jeder einzelnen Loge die Idee auffaßt und zu verwirklichen strebt: bei geistvoller Behandlung kann die Freimaurerei etwas wahrhaft Erhabenes sein; wo aber der befreiende Geist oder gar die Wahrheit der Gesinnung fehlt, sinkt sie zu einem nichtigen Formenspiele herab, wo denn die Loge nur noch als Ressource einige Bedeutung behält. Ich ließ mich daher 1806 in Leipzig in einer Loge aufnehmen, welche nur eben errichtet worden war, weil ich hoffte, in diesem jugendlichen Vereine ein frischeres Leben und eine freiere Bewegung zu finden; da ich jedoch mich in meinen Erwartungen getäuscht sah, übrigens auch die Loge von den übrigen Leipziger Logen nicht als rechtmäßig constituirt anerkannt wurde, so trat ich zur Loge Minerva über, in der ich auch 1811 zum Redner erwählt wurde. In Dorpat fand ich an meinen Collegen Kaisarow und Styx, so wie an einigen Bürgern eifrige Freimaurer, die schon daran dachten, eine Loge, die durch den Kaiser Paul aufgehoben worden war, wieder zu errichten. In Königsberg besuchte ich die dasigen Logen bisweilen und schloß mich 1818 der zu den drei Kronen an, verwaltete in derselben einige Jahre das Amt eines Redners und wurde 1825 deputirter Meister, legte aber zwei Jahre darauf dies Amt nieder, da ich durch strenge Rüge der von einem angesehenen Manne begangenen Unschicklichkeit lebhafte Unzufriedenheit erregt hatte. 1834 wurde ich Meister vom Stuhle, und, um nicht in offenbare Opposition zu treten, ließ ich mich bestimmen, auch die höheren Grade anzunehmen, ohne jedoch mich zu einer thätigen Theilnahme an derselben zu verstehen. 1841 legte ich den Hammer nieder, da die von mir getroffene Einrichtung zu Belebung des geistigen Verkehrs weniger Anklang fand, als ich der Würde des Zwecks und meiner eigenen Ehre angemessen erachtete. Uebrigens verdanke ich meiner Theilnahme an der Freimaurerei manchen erhebenden Genuß, und achte die Zeit, die ich ihr gewidmet habe, nicht für verloren.

Fußnoten

1 Im Jahre 1814 geschrieben.


Quelle:
Burdach, Karl Friedrich: Rückblick auf mein Leben. Selbstbiographie. Leipzig 1848, S. 569.
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