Aufenthalt in Paris

1810

[358] Man sieht Paris nicht von weitem, man fährt auch nicht plötzlich hinein, sondern wird allmählich, nachdem die Gebäude der Landstraße, dann die Vorstädte uns gleichsam eingeleitet, ohne überraschenden Augenblick mitten in der Stadt gewahr, daß man wirklich in Paris ist. Ich dachte, es sollte noch erst recht kommen, als wir schon in den Hof des Hôtel de l'Empire einfuhren, wo wir uns bestens aufgenommen fanden. Nach dem ersten Ausruhen und Erfrischen, wobei das Bad nicht fehlen durfte, machte ich mich alsbald auf den Weg, die Stadt etwas näher anzusehen. Sie machte mir keinen fremdartigen Eindruck, aber auch keinen gefälligen noch imponierenden; ich hatte schönere Straßen und Plätze, reichere Pracht, gedrängteres Menschengewühl gesehen, alles zusammen aber war doch größer und lebendiger als jede der einzelnen Anschauungen, die ich zur Vergleichung herbeiziehen konnte. Mich überkam ein Gefühl von Zuhausesein, das mir behaglich war und mit welchem ich ohne Scheu in das Labyrinth von Straßen schritt, durch das ich mich zu meinem Ziele hinfragte.

Mein erster Weg war nämlich zu Chamisso, den ich noch in Paris hoffte und auch glücklich fand. Seine Überraschung und Freude waren groß, er hatte keinen Gedanken an mein Hierherkommen gehabt, und kein anderer Freund war ihm hier zur Seite. Mit ihm machte ich sogleich weitere Ausflüge, er kannte die Stadt und liebte sie, es war ihm ein Stolz, der erste zu sein, der mich in ihren Merkwürdigkeiten herumführte. Die Hauptgebäude und Denkmale wurden angeschaut, die Boulevards, Quais, die öffentlichen Plätze, das Palais Royal, der Garten der Tuileries wurden durchstrichen und dann in erster Ungeduld dem Schatze der Antiken und Gemälde ein Blick gewidmet. Doch hier fanden wir uns gleich gefesselt, und wir gingen nicht so bald, als wir gemeint[359] hatten. Wir fühlten, hier sei für uns eine große Hauptsache in Paris, ein Weltinteresse, welches mit Paris eigentlich nichts zu schaffen hatte, außer daß diese Stadt ihm zufällig jetzt den Boden lieh. Die starke Anziehung der gesammelten Kunstschätze empfanden wir jeden Tag, es verging selten einer, an dem wir nicht hier einsprachen. Da jene Zeit schon historisch geworden und seitdem große Veränderungen eingetreten sind, so werde ich Stoff und Eindruck wohl am besten durch einen möglichst wörtlichen Auszug meiner damaligen Aufzeichnungen überliefern.

Der größte Teil dieser reichen Sammlungen, die unter dem Namen Musée Napoléon – des Kaisers Büste, kolossal in Erz nach Canova, prangt über dem äußern Eingang – hier vereinigt sind, ist aus Italien, Deutschland und Holland, einiges auch schon aus Spanien hierhergekommen, als Raub oder Opfer des Kriegs. Wirklich ist auch der erste Eindruck, als stehe man vor einem Siegesdenkmal, als sehe man einen römischen Triumph hier abgelagert, dann mehr wegen des Ruhmes als um der Kunst willen scheint alles angeordnet. Wie wenig diese unschätzbaren Werke ihrer selbst wegen beachtet werden, gibt sich in zahllosen Merkmalen kund. Der Regen ist vielfältig eingedrungen und hat manches Gemälde beschädigt, noch mehr aber ist dies durch Kalk und Staub geschehen, da die Bilder weder entfernt noch verhüllt wurden, wenn dicht neben ihnen Maurer und Zimmerleute zu tun hatten. Viele Tafeln haben von dem scharfen Luftzuge, der durch die dünnen Wände und schlechten Fenster überall durchdringt, Risse bekommen, und die Farben sind hin und wieder abgesprungen. Ein nicht kleiner Teil ist beim Aufputzen verdorben worden, namentlich die berühmte Madonna della Sedia, welcher alle Farbenkraft entschwunden ist und die von denen, welche sie früher gesehen, kaum noch erkannt wird. Über tausend Gemälde, darunter die größten und kostbarsten, stehen staubbedeckt, zu Dutzenden übereinandergehäuft, in einem Saale, wo rohe Handwerker ihre Arbeit aufsichtslos treiben, gesägt, gehobelt,[360] geklopft, Leim, Kalk und Gestein gehandhabt wird und wo täglich Tausende von Menschen durchgehen. Daß jedermann freien Zutritt in diese Säle hat, ist wohl schön und löblich; allein wenn mittwochs und sonnabends ganze Scharen Pöbels, Fischweiber, Soldaten, Bauern in Holzschuhen, Sackträger, mit dem Hut auf dem Kopf und die Tabakspfeife in der Hand, unter gemeinen Scherzen und rohem Lachen, auch wohl unter Stoßen und Drängen, zwischen den Geniuswerken sich herumtreiben, dann überfällt uns doch ein schmerzlicher Jammer, und wir erkennen die Wahrheit des Dichterwortes: »Werke des Geistes und der Kunst sind für den Pöbel nicht da.« Damit keine Art von Vernachlässigung zurückbleibe, so hat Denon das Verzeichnis der Bilder abgefaßt, welches von Unwissenheit und Mißgriffen strotzt und dabei den entschiedensten Anspruch auf ausgebreitete Gelehrsamkeit macht. Für ein Schaugepränge angehäufter Kriegsbeute mag dies alles genug sein, ein Kunstheiligtum darf höhere Sorgfalt und edlere Einrichtung fordern.

Von den neun zusammenhängenden Sälen, welche die lange Galerie des Louvre bilden, ist einer mit französischen, vier mit deutschen und niederländischen und vier nebst einem großen Vorsaal mit italienischen Gemälden gefüllt. Die meisten der französischen Bilder sind immer in Frankreich gewesen, doch hat auch die Eroberung einige geliefert, zum Beispiel die vier herrlichen Claude Lorrains aus Kassel, die jetzt aber nicht im Museum, sondern in Malmaison hängen; die niederländischen Bilder sind großenteils aus Dem Haag, die deutschen aus Nürnberg, Augsburg, Wien, Kassel, Berlin, Potsdam, Danzig und andern Städten entführt, die italienischen aber aus ganz Italien zusammengeraubt, wo sie der Stolz und die Andacht der ganzen Nation, ja, einzelne Bilder die Kleinodien ganzer Stadtgemeinden und andrer Körperschaften waren, an dem bestimmten Platze, für den der Maler sie gemalt, in der Mitte der Menschen, mit denen sie in nächster Beziehung standen.[361] Mit welchem Gefühle von Schmerz und Trauer steht man vor diesen Bildern, wenn man die edle Einfalt und stille Größe der deutschen, die mächtige Hoheit und berauschende Farbenglut der italienischen Bilder mit dem rohen Sinne dieser Menschen zusammenhält, die nur einen frechen Genuß der Eitelkeit, ein gemeines Erstaunen dabei empfinden! Wahrlich, diese auserwählten Kinder göttlicher Kunst hätten nicht unrecht, wenn sie ihre Lebensfarben in Todesblässe erlöschen ließen und in chemischer Zersetzung aus dieser Profanation sich retteten!

Diese Empfindung der Profanation drängte sich mir fast noch stärker bei den Werken antiker Skulptur auf, die das untere Geschoß des Museums füllen. Viel leicht ist unter allen Gegenständen, die man lieber nicht in Paris sähe, keiner, der durch diesen Aufenthalt mehr gedemütigt, ja, ich möchte sagen, vernichtet wird als diese höchsten Bildwerke der Alten. Die engen, schmutzig-düstern Räume, mit abscheulich bunten Decken voll allegorischer und mythologischer Malereien, das schlechte Licht, die bedachtlose Aufstellung der meisten Bildsäulen, alles vereinigt sich zu dem ungünstigsten Eindruck, der sich noch steigert, wenn auch hier an den öffentlichen Tagen das zahllose abgeschmackte Volk hereinstürzt und wie Gewürm unter den Göttern frech umherkriecht. Auch sind mir die Antiken nie so fremd gewesen als gerade in Paris. Ich erinnerte mich lebhaft der mächtigen Wirkung, mit der vor zwei Jahren in Dresden die erste Anschauung dieser Art mich aufregte, wie die Malerei mir gegen die Skulptur zurückstand und wie besonders der Marmor als solcher mir so lieb wurde. Solche Wirkung erneuerte sich mir jetzt durchaus nicht! Vor dieser Fülle göttlichen Lebens, dessen bloße Ahndung in ungenügenden Beschreibungen und Abbildern mich oft in lichte Sehnsucht und unruhiges Entzücken aufgeregt hatte, vor diesem Apollo von Belvedere, der Venus von Medici, dem Laokoon und andern weltberühmten Statuen, deren bloßer Name schon die Brust in Schwingung setzt, mußte ich hier[362] so unfreudig, leidend, sinnarm und nüchtern dastehen, mit der strafen den Mahnung, daß es nicht an den Götterbildern, sondern nur an mir liege, wenn sie mich nicht begeistern. Ich kam mir selbst wie einer der Barbaren vor, die mich so sehr empörten.

Nicht der Ausländer allein, der Deutsche und Italiener, der Holländer und auch schon der Spanier muß wehmütig den Blick abwenden, wenn er in Paris die teuersten Denkmäler seiner vaterländischen Geschichte und Kunst erblickt: auch dem Franzosen selbst ist dieses traurige Gefühl bereitet, und auch ihm muß die glänzende Hauptstadt ein allverschlingendes Ungeheuer dünken. Zwar ist die Anhäufung der Kunstschätze so groß, daß der Überfluß wieder ausströmt und in den Departementstädten Töchtermuseen errichtet werden, allein ihr ursprüngliches Besitztum kehrt den beraubten Örtlichkeiten nicht zurück. Beim Eintritt in das Musée des monuments français drängt sich diese Betrachtung lebhaft auf. Das alte Frankreich war im Laufe der Jahrhunderte überreich geworden an Denkmalen und Kunstgebilden, wie teils andächtiger Sinn und fromme Liebe, teils prunkende Eitelkeit sie errichten, und Kirchen, Schlösser, Abteien, Marktplätze und Privathäuser dienten als Bewahrorte dieser öfters kaum über ihren nächsten Kreis hinaus bekannten Altertümer. Wie reich außer der Hauptstadt auch die Provinzen in diesem Betreff waren, erkannte man erst recht, als es galt, diese Gebilde zu zerstören, dem furchtbaren Gebote gemäß, welches der Nationalkonvent hatte ergehen lassen. Nichts, was mit dem Königtum, der Geistlichkeit, dem Adel zusammenhing, durfte bestehen, die ganze Vorzeit sollte vernichtet werden. Groß war die Zahl der Zerstörer, unermüdlich ihr Eifer, und ihnen gelang ihr Werk nur allzusehr; aber Zeit und Kräfte langten gleichwohl nicht hin; manches Denkmal widerstand, manches wurde übersehen, viele litten nur Verletzungen. Schon während der Stürme, noch mehr aber, als diese nachzulassen anfingen, hatten einige wackre Männer, die es mit[363] ihrem Lande wie mit der Kunst redlich meinten, sich im stillen bemüht, solche Denkbilder zu retten, die halbzerstörten unterzubringen, die zusammengehörigen Stücke wieder zu vereinigen. Einer dieser Männer war Alexandre Lenoir, der um die Sammlung und Aufstellung dieses Museums die größten Verdienste hat. Als die Macht wieder in mildern Händen ruhte, durfte man den Vorschlag wagen, das Gerettete öffentlich zu ehren, eine der Merkwürdigkeiten der Hauptstadt daraus zu machen, und das ehemalige Kloster des Petits-Augustins wurde zu dem Zweck eingerichtet. Hier sind nun staunenswürdige Prachtwerke zu sehen, besonders Grabmäler der Könige und Königinnen, Steingebilde, Glasmalereien, Säulen, Mosaiken, welche sämtlich die französische Kunst früherer Jahrhunderte auf das höchste bewundern lassen. In der Anordnung ist die Folge der Jahrhunderte genau beobachtet, und, den Eindruck zu erhöhen, sind auch die verschiedenen Hallen, in welchen die Denkmäler stehen, diesen gemäß ausgestattet; Verzierungen, Fenster, Deckengewölbe, Fußböden, alles ist, soweit die Mittel ausreichen, aus demselben Jahrhundert. Man empfängt hier einen hohen Begriff von der französischen Bildhauerei der früheren Zeit, die Namen Jean Goujon und Germain Pilon reiht man sogleich willig denen der ersten Meister aller Zeiten an. Durchaus verschieden von der griechischen Kunst hatte diese einen eigentümlichen, selbständigen, in ihrer Art durchaus gerechtfertigten Charakter. Zunächst der Kirche angehörig, ist diese Skulptur wesentlich eine architektonische, alles in ihr strebt zum Gebäude, fügt ihm sich an. Etwas Ehrwürdiges und Feierliches spricht aus diesen Steinen, frommer Sinn, Kraft und Tüchtigkeit, Lebensernst und Todesschauer. Hier ist nicht sinnliche Schönheit der Zweck des Künstlers, er will tiefe Gedanken anregen, durch den Sinn das Gemüt fesseln. Unendliche Zieraten und sorgsamste Künstlichkeit des Einzelnen zerstreuen die Gesamtwirkung nicht, sondern erhöhen sie nur. Die drei Grabmäler aus der Abtei von Saint-Denis, nämlich[364] Ludwig des Zwölften und Annas von Bretagne, die Grabkapelle Franz des Ersten und endlich das Grabmal der Valois, gehören gewiß zu dem Merkwürdigsten, was in dieser Art zu sehen ist.

Zurückkommen aber muß ich auf den Eindruck des Ganzen, der wirklich nur der einer Merkwürdigkeit ist. Man meint, die Überbleibsel eines längst untergegangenen Volkes zu sehen, dessen Sprache uns fremd, dessen Glaube und Liebe uns gleichgültig und dessen Geschlechter und Ruhm und Größe uns nichts mehr angehen. So haben wir Sammlungen ägyptischer Bildsäulen und Denksteine, Mumien ägyptischer Könige als Zierden nordischer Hauptstädte, und niemand hat daran ein Ärgernis. Was aber soll ein Franzose hier empfinden, ein Franzose, der für seine Nation ein Herz und ein Gedächtnis hat! Die Grabmäler seiner Könige, seiner Helden und Staatsmänner sieht das noch lebende Volk aus seiner Geschichte herausgeworfen, aus dem Zusammenhange des Lebens und der Örtlichkeit gerissen, um sie in der Enge eines Museums zur Erinnerung des Gewesenen als einregistrierte Nummer zu besitzen!

Die Kaiserliche Bibliothek ist ein geräumiges Gebäude in der Rue Richelieu, einer der belebtesten von Paris; der ununterbrochene Lärm des mannigfachen Verkehrs bildet einen unangenehmen Gegensatz mit den stillen Studien; außerdem droht die Nachbarschaft des gegenüberstehenden Opernhauses den Bücherschätzen immerfort Gefahr, denn kein Theatergebäude, sagt man, sterbe den Tod des Alters, im Feuer unterzugehen stehe jedem bevor. Der Kaiser beabsichtigt auch in der Tat, die Bibliothek an bessere Stätte zu verpflanzen. Der Zusammenhang des Louvre mit den Tuilerien soll, wie schon auf der Flußseite durch die Galerie du Louvre, so auch auf der Stadtseite durch eine solche Galerie zustande kommen. Diese neue Galerie soll eine Menge Sammlungen aufnehmen, die teils noch im Louvre, teils an andern Orten untergebracht sind, der Louvre selbst aber dann lediglich zu kaiserlichen und prinzlichen Wohnungen[365] und zur Aufnahme fremder Herrscher eingerichtet werden. Doch der zwischen dem Louvre und den Tuilerien dann eingeschlossene Raum ist zu groß, um leer bleiben zu können, er darf dies um so weniger, als unglücklicherweise die beiden Schlösser nicht in grader Richtung aufeinander stehen, wie denn der Triumphbogen des Karussellplatzes mit dem Louvre einen mißfälligen Winkel macht. Dies zu verdecken und zugleich den großen Raum abzuteilen, ist ein ungeheures Quergebäude bestimmt, welches mit Ausschluß alles Holzes ganz von Stein und Eisen aufgeführt werden und künftig die Bibliothek feuerfest verwahren soll, sogar die Bücherbretter würden von Eisen sein und der Bau selbst und die Einrichtung alles übertreffen, was in dieser Art je erdacht worden. Diese Angaben empfing ich aus dem Munde des Grafen von Metternich, dem sie der Kaiser am Vormittage im Gespräche mitgeteilt hatte. Zwar ist die Ausführung dieser kolossalen Arbeiten noch sehr im weiten, ganze Straßen müssen erst abgetragen, ja der Louvre selbst erst vollendet werden; aber im Sinne Napoleons ist alles Gewollte schon fertig, und seine Ungeduld eilt der Zeit so voran, daß er dem Louvre, an welchem noch stets gearbeitet wird, schon die Inschrift gegeben hat, durch ihn sei das Werk vollendet; eine Unwahrheit, die nach vieler Franzosen Meinung stets eine bleiben wird, denn der Louvre dürfe nie fertig werden! Die berühmte und wirklich schöne Säulenfassade von Perrault rings um das Gebäude zu wiederholen, vor diesem Vorschlage schreckte doch selbst Napoleon zurück! – Noch jetzt, nach so vielen Jahren, ist die Bibliothek noch auf der alten Stelle.

Für mich war natürlich hier nicht Studierenszeit, wie etwa für Bekker oder Uhland, aber ich hatte gleichwohl den reichsten Gewinn von diesen Schätzen. Die Handschriften, deren man über achtzigtausend zählte, zogen mich besonders an; die Gefälligkeit der Bibliothekare, der Herren Dutheil, Langlès, Dacier, Chézy und unsers lieben Landsmannes Hase, bestand jede Probe, sie ließen nicht nur das[366] Gewünschte sogleich herbeischaffen, sie kamen den Wünschen zuvor und halfen nötigenfalls dem Ungeübten. Auch hier wurde genug Siegesbeute vorgezeigt, aus Rom, Venedig, Wolfenbüttel, Wien, aus letzterm Orte besonders orientalische Handschriften, von denen die Doubletten für Wien zurückzuerlangen doch eben dem Herrn von Hammer geglückt war, der aus eignem Antrieb und auf eigne Kosten zu diesem Zwecke die Reise nach Paris unternommen hatte. Mich gingen Heinrichs des Vierten, Franz' des Ersten und Ludwigs des Vierzehnten Briefe damals wenig an, historische Forschungen lagen mir fern, auch Fenelons viel durchbessertes Manuskript des »Telemach«, die Turnierbücher des Grafen René von Provence, griechische und römische Autoren reizten meine Neigung nur flüchtig. Dagegen hatte ich die Manessische Sammlung der Minnesinger besonders liebgewonnen und las viel darin, ja, begann auch Lesarten auszuziehen und dachte den Dichter Süßkind, der Jud von Trimberg genannt, einzeln zu bearbeiten, bis ich hörte, daß ein junger Gelehrte gründlich darüber her sei und jede vereinzelte Bemühung unnütz mache. Sieveking hatte mich auf einen Schatz, der uns Deutsche noch näher anging, aufmerksam gemacht, und ich widmete ihm fortan manche Stunde. Dies waren sechzehn Bände handschriftlicher Auszüge und Bemerkungen von Winckelmann, welche aus Rom hierher gebracht worden. Für die Kenntnis des Mannes, seiner Studien, seiner Hülfsmittel sind diese Schriften unschätzbar, wiewohl oft nur Auszüge aus gewöhnlichen Büchern, zum Beispiel aus einer englischen Sprachlehre, die der große Mann anstatt für weniges Geld, das er nicht hatte, mit seinem kostbaren Fleiße sich hatte aneignen müssen; alles in der festen deutlichen Schrift, die ihm so förderlich war, denn für seinen Ruf nach Rom hatte der Umstand nicht wenig Bedeutung, daß, wie er in seinen Briefen sagt, seine griechische Hand dem Kardinal Passionei so sehr gefiel; und in der Tat ist gerade sein Griechisch überaus anmutig. Die ersten Entwürfe zu seiner »Geschichte der Kunst des[367] Altertums« sind hier aufbewahrt, mit zahllosen Änderungen, Herumwerfungen, so ist zum Beispiel mehrmals zu der Beschreibung des Apollo von Belvedere angesetzt. Hiezu kommen angefangene Briefe, kleine Aufsätze, Bemerkungen und Berichtigungen, in kräftigen, oft ergötzlichen Ausdrücken, genug, eine Fundgrube von Zügen, die für die vertraute Kenntnis seiner Eigenart von Wichtigkeit sind. Bei den Unterhandlungen im Jahre 1815, vor dem Zweiten Pariser Frieden, strebte der preußische Minister von Altenstein, zum Teil auf mein Anregen, diese Winckelmannschen Bände sowie die Manessische Handschrift der Minnesänger, mittelst annehmbarer Tauschvorschläge für die Königliche Bibliothek zu Berlin zu gewinnen. Die Franzosen schienen auf den Handel einzugehen, ich reiste von Paris in der Meinung ab, die Sache sei gelungen, und glaubte lange Zeit, der Schatz sei bei uns wohlaufbewahrt, bis ich in späten Jahren erfuhr, jenes Bemühen habe keinen Erfolg gehabt.

Die Zusammenstellung Napoleons mit Karl dem Großen fanden wir auch bei Besichtigung der Kirche Notre-Dame aufdringlich dargeboten. In dem dortigen Tresor werden Krone, Reichsapfel, Zepter und Gerichtshand Karls des Großen aufbewahrt und gleich daneben die Kronen Napoleons und Josephinens. Die Krone Napoleons ist ein goldner Lorbeerkranz und äußerst geschmackvoll in ihrer Einfachheit; ihm lagen abwechselnd der römische Imperator im Sinn und der König von Frankreich, in jener Rolle traf er es glücklicher als in der letztern, seine Adler waren ein gut gewähltes Sinnbild, das nicht nur im Heere sogleich faßte, sondern auch vom Volke günstig angesehen wurde, dagegen ihn seine Hervorsuchung der Hofkleider aus den Zeiten Ludwigs des Vierzehnten nicht nur lächerlich, sondern auch verhaßt machte. Seine gekrönten und belorbeerten N und seine Bienen, die er überall mit Verschwendung anbringen ließ, besonders an den öffentlichen Orten, wo bisher die Zeichen und Sprüche der Freiheit gestanden, waren ein rohes Mittel, sich überall dem Sinn einzuprägen, aber für[368] die Menge wohl zweckmäßig. Doch sahen wir noch an manchen Mauern vergessene Freiheitsmützen und noch nicht abgekratzte Beischriften: »Liberté, Égalité« oder »République une et indivisible«, denn auch die Republik hatte nicht versäumt, sich in solchen Zeichen überschwenglich darzustellen.

Da ich der Kirche Notre-Dame erwähnt, so will ich gleich anmerken, daß ihr Eindruck dem des Straßburger Münsters unendlich nachstehen mußte und auch das Besteigen der Türme nicht sehr belohnend war. Für den Überblick von Paris ist die Aussicht von der Höhe des Montmartre sowohl jener von Notre-Dame als der von der Höhe des Panthéon und der Säule des Platzes Vendôme weit vorzuziehen.

Die Vendôme-Säule ist ohne Zweifel das tüchtigste und eindrücklichste der von Napoleon errichteten Denkmale. Der Stil ist nicht neu, aber darum sicher, die Arbeit gewaltig und fast unzerstörbar, die Kunst in den Bildwerken, welche den Säulenschaft in fortlaufendem Band umwinden, erscheint wohl schwach und mangelhaft, aber schon diese Art der Umwindung kann künstlerisch nicht viel gelten, sondern ist gleichsam eine Nachgiebigkeit gegen das Geschichtliche, auch schwinden diese Bildwerke schnell in eine undeutliche Verzierung, und der Wirkung des Ganzen können sie wenig schaden, die kolossalen Verhältnisse sind hier die Hauptsache. Trotz dieser Verhältnisse wird das Aufsteigen im Innern des Schaftes doch etwas beklemmend. Übrigens ist hier einmal durchaus Wahrheit, in dem Werke selbst und in seiner Bedeutung, ungeheure Kriegstaten, vollständiger Sieg, entschiedene Feldherrngröße, erobertes Erz; hier ist kein falscher Aufputz, kein Trug, kein eitles Spiel.

Wäre der Elefant auf dem Platze der ehemaligen Bastille fertig, mit den unendlichen Wassergüssen, die er sprudeln soll, so würde dies Denkmal wohl zunächst mit der Vendôme-Säule zu nennen sein. Auch hier ist dem reinen Kunstsinne nicht gehuldigt, es ist ein Element roher sinnlicher Kraft in dem Entwurf, das aber in Verbindung mit[369] äußerer Größe und Gediegenheit unsern gemischten modernen Zuständen vielleicht besser ansteht als die reinsten Schöpfungen der höchsten Kunst. Hier wäre neben den ungeheuern in den kolossalen Tierkörper geformten Massen zugleich die überschwengliche, jeden Augenblick den Sinnen sich aufdrängende Gemeinnützigkeit des größten und ergiebigsten Brunnens der Welt ein mächtiges Moment, das manchen sonstigen Tadel überflutete.

Im Tuileriengarten und auf den Boulevards welkte das Laub schon in der Mitte des Sommers, die Champs-Élysées und das Bois de Boulogne hatten längst verzichtet, Feld und Wald zu sein; wollte man freie Natur und frisches Grün, so mußte man in den Garten von Saint-Cloud oder nach Montmorency fahren. An letzterm Orte war ich mehrmals, die Familie Fould hatte dort ein Landhaus, die Gräfin von Metternich liebte dort im Walde spazierenzugehen, auch fuhr Fräulein Mendelssohn mit einigen ihrer Zöglinge bisweilen hieher. Wir machten dann schöne Eselritte, die Esel von Montmorency waren unsre erklärten Lieblinge, denen man auch üble Launen gern nachsah, weil diese doch immer ergötzlich wurden. Aber Montmorency hat einen andern Reiz: hier lebt auf allen Wegen und Stegen das Andenken von Jean-Jacques Rousseau!

Über Rousseau zu sprechen ist jetzt eine schwere Aufgabe, da die Mehrzahl heutzutage seine Werke kaum noch kennt und sich gewöhnt hat, mit seinem Namen ungeprüft die willkürlichsten Vorstellungen zu verbinden. Wer kann über ihn urteilen, ohne genau das Lebensmeer, von dem er getragen wurde, und jede Strömung und Woge, die ihn ergriffen, zu kennen und ihre Wirkung zu würdigen? Und wer darf über ihn urteilen, der nicht, bei der Kenntnis dieser Zustände, dennoch diese und alle Zeitumstände wieder zu vergessen vermag, um zu den lichten Höhen des freien Geistes mit ihm aufzusteigen? Denn Rousseau, wie tief verwickelt in die Äußerlichkeiten seines Zeitalters und wie schnöde oft von ihnen beherrscht, lebte ein innres Leben[370] aus den Urquellen des Daseins, stand im Bunde mit der frischen Natur und fühlte sich selber als eine ganze Schöpfung. Da kommen die kleinen Leute, die von solchem Zusammenhange nichts ahnden, und suchen an Rousseaus Sonderbarkeiten sich zu ergötzen, beschuldigen ihn der Eitelkeit und finden in dieser den Schlüssel seines Wesens, seiner Schriften, besonders der »Confessions«! Der Vorwurf der Eitelkeit ist wahrlich bei Rousseau am wenigsten statthaft, aber ich weiß wohl, er ist der allgemein angenommene, wie er denn in der Tat wohlfeil und bequem genug ist; doch hat er auch seine verräterische Tücke und biegt sich wohl auf diejenigen zurück, die ihn so unbedacht gebrauchen. Wie über Rousseau zu urteilen ist, das hat uns Fichte gezeigt; auf diesem Wege ist weiterzugehen, aber dieser Weg liegt seit langer Zeit öde, sowohl von Deutschen als von Franzosen unbetreten. Doch wird die Zeit kommen, wo auch Rousseau wieder in all seiner Geistesmacht erkannt und sein Verständnis den Herzen teuer sein wird! Einstweilen ist er mir ein Prüfstein für viele Menschen, für die ausgezeichnetsten und besten; denn wie jemand über Rousseau urteilt, das gibt mir das entscheidende Maß, was ich im höchsten Sinne von dem Urteilenden zu halten habe! Am häufigsten, und verzeihlichsten noch, ist die bloße Unwissenheit; wo aber eine nähere, freilich oft auch nur vermeinte, literarische Kenntnis doch nur zu schiefen Ergebnissen und dürftiger Ansicht geführt, da weiß ich, mögen die Leute sonst noch soviel sein und leisten, von welchen Regionen sie für ewig ausgeschlossen sind!


Für ein gemächliches, vergnügtes, mit allen Reizen und Befriedigungen geschmücktes Leben findet man schwerlich einen bessern Ort als Paris. Die allmächtige Hauptstadt zaubert das Ausgezeichnetste und Vorzüglichste jeder Art von allen Seiten her in ihren Kreis; alles, was die Bildung und Erfindungskraft, nicht nur des eignen sinnreich bemühten Volkes, sondern auch des Auslandes, nah und fern, in[371] irgendeiner Kunst, in irgendeinem Zweige des Lebens hervorbringt, gehört ihr sogleich an, liefert ihr seine besten Leistungen, bietet ihr sich in genußfertigster Anwendung. Der ganze Handel von Paris besteht fast nur in Sachen des Wohllebens und des Überflusses. Geschmack in Kleidung, in Geräte und Wohnung, Glanz und Verzierung jeder Art, Schmuck des Leibes und der Seele, die Freuden der Tafel, Gespräch und Neuigkeit, die Künste des Schauspiels, der Musik, des Tanzes, jedes Talent und jede Geschicklichkeit, alles bemüht sich, mit regem Wetteifer und glänzendem Erfolg, um reiche Ausstattung des Pariser Lebens; der Koch, die Mätresse, der Lakai, der Schmeichler und Augendiener verstehen wohl nirgends ihr Fach besser als gerade hier; kurz, es steht alles hier, auch der Geist und das Wissen, zunächst im Dienste der ausgebildeten Sinnlichkeit. Mit klugem Verstande sind alle Einrichtungen auf die schnellste, wohlfeilste und anmutigste Befriedigung unzähliger Bedürfnisse berechnet; der unbedeutendsten Sache, der geringsten Verrichtung wird mit eigner Gewandtheit eine Art von zierlicher Wichtigkeit gegeben, ein Aufputz gefälliger Manier, die auch das Gemeinste nicht als gemein will erscheinen lassen. Man sieht es auch diesem Leben gleich an, daß ihm, dessen Ziel nur der Tag ist, Jahrhunderte im Rücken stehen. Nur eine lange Folge von Geschlechtern, stets erneut, bewegt und tätig in derselben Richtung, nur der unaufhörliche Wetteifer und die tausendfältige Durchkreuzung eitler Gefallsucht mit schmeichelnder Betriebsamkeit, törichter Verschwendung mit klugem Eigennutz, nur der stete Zusammenfluß größter Laster und schönster Talente konnten dieses Gebilde hervorbringen, das wirklich als ein abgerundetes Ganze erscheint, bis in das kleinste Geäder von demselben Stoffe gemacht, von demselben Geist erfüllt. Pracht und Aufwand mögen anderswo größer sein, Genuß und Schwelgerei sich kräftiger darstellen, aber gewiß hat nirgends die Annehmlichkeit des Lebens so auf alle Klassen sich ausgebreitet, so jede Geringfügigkeit der täglichen Begegnisse[372] durchdrungen, so durch leichte Formen das eigne Bestehen gesichert. Klugheit und Feinheit erhöhen das Leben, aber sie mäßigen es auch, und das Öl der Höflichkeit schwimmt besänftigend und ausgleichend über allen Unebenheiten der erregten Wogen. In der Tat dünkt mich das Ganze des Pariser Lebens mehr darauf berechnet, in steter Wiederholung und reichem Wechsel von tausend Annehmlichkeiten gegen Langeweile und Unlust gesichert zu sein, als in Tüchtigkeit und in Erfüllung eigentliches Glück und echte hohe Freude zu empfinden. Nirgend scheint es so gleichgültig, ob man lange lebt oder kurz, als in Paris; denn zehn Jahre sind dort leicht wie eines und eines wie zehn, in vergänglichem Wechsel vergißt man der Zeit, und für den, der sich nie besinnt und in sich selbst zusammenfaßt, ist die vergangene völlig bedeutungslos.

Und dennoch: Ist dieser Ort vorzugsweise der Herd, wo sich seit Jahrhunderten die größten Geschichtsbewegungen entzünden, wo die heftigsten Erschütterungen alltäglich sind, die stärksten Leidenschaften und Schicksale den Schauplatz füllen? Allerdings. Gerade solch eine gleichförmige, in allen ihren Bestandteilen zusammenstimmende, nach derselben Richtung streichende und in den kleinsten Teilchen dieselbe Wirkung äußernde Masse ist das allerfähigste Werkzeug der Tat für die genialen Kräfte, die leitenden Talente, welche aus ihr emporsteigen. Dieser Boden ist immer elektrisch, die leisen Strömungen sind überall, sie wirken im gewöhnlichen Laufe nur sanft belebend, aber jede Faser gibt, auf Erfordern, augenblicklich ihren Beitrag zu den großen Gewittern, in welche die Anhäufung sich entladet.

Außer den vielfachen Gegenständen, die sich gewöhnlich hier vorfinden und drängen und den Sinnen immerfort zu tun geben, verlangt und empfängt jeder Tag hier auch etwas Neues, das für den Augenblick eine Spannung erregt, gesehen und besprochen werden muß und als eigentlicher Gegenstand des Tages gilt. Man kann auch um so eher lebhaften Anteil an diesen Neuheiten nehmen, da bei der[373] großen Volksmenge und ihrer eifrigen Regsamkeit schon die bloße Zahl der Anteilnehmer auch dem Unbedeutendsten wirklich eine Art von Wichtigkeit gibt und, was vorher nichts war, nun in der Tat etwas wird. »La foule s'y est portée«, las ich neulich im »Moniteur«, und der Ausdruck sagt allerdings viel. Könnte der Zufluß von Neuheiten einmal verstopft werden und sollte der Pariser ohne sie leben, es wäre fast so schlimm, als wenn die Zufuhr von Lebensmitteln stockte, denn mit den alten Vorräten käme man nicht weit. Die gewöhnlichen Reizungen können hier nicht genügen, um den zum Leben erforderlichen Grad der Erregung zu erhalten, so blasiert ist der Sinn des Parisers über alles, immer lauern dicht unter der dünnen Schleierdecke des Vergnügens der Überdruß und die Langeweile.

Das Bedürfnis des Auffallenden und Eindringlichen zeigt sich bei jeder Gelegenheit. Wer etwas zu verkaufen, seine Dienste anzubieten, etwas bekanntzumachen hat, muß zu den außerordentlichsten Mitteln greifen, um nur bemerkt zu werden. Lächerlich sind in diesem Betreff besonders die Aushängeschilder, die Anschlagzettel, die Inschriften, welche in den belebtern Straßen überall wuchern. Ungeheure Tafeln, riesige Buchstaben, von allen Gestalten und Richtungen, gedrückte, gedehnte, vorwärtsliegende, rückwärtsliegende, Bilder mit dem Anspruch auf schöne Malerei, andre fratzenhaft verzerrt, oftmals die Zeichen der Ware zahlreicher als die Ware selbst, alles, um nur eben über Wasser zu bleiben. Die Vervielfältigung der Abbilder wird in manchen Fällen wahrhaft komisch. In der Rue Richelieu ging ich einst mit dem Ritter von Eskeles, der kürzlich von Wien gekommen war und, wiewohl selbst ein Großstädter, doch hier über vieles verwundert war. Ihm fiel besonders diese Verschwendung der Schildzeichen auf; er stand vor einem Laden still, betrachtete dessen äußere Ausstattung und sagte bedächtig, indem er mich am Arme faßte: »Wenn einer hat zu verkaufen Würst, sollt man denken, er wird heraushängen sechs Würst – zwölf Würst – zwanzig Würst« – er hielt[374] inne, dann, die bisher vor der Brust gespreizte Hand ausstreckend, rief er mit einer Explosion: »Hundert Würst!« Und er hatte wahrlich ganz recht, das Übermaß war lächerlich und nicht bloß bei den Würsten, die dem guten Eskeles so besonders aufgefallen waren. Aber die Kaufleute nehmen gern eine Lächerlichkeit auf sich, ja, sie ersinnen sie mit Fleiß, wenn es nur gelingt, den Zulauf damit zu locken. Bei den Tuilerien befindet sich ein Schnupftabaksladen, wo nicht nur Aushängeschilder, sondern die ganze Vorderwand des Gebäudes mit prächtigen lateinischen Sprüchen zum Eintreten auffordern. Ungemein ergötzlich ist im Palais Royal die Inschrift eines Ladens, dessen Besitzer, ein Perückenmacher, auf mehreren großen und kleinen Tafeln sich selber dieses Denkmal gestiftet hat:


TELLIER

INVENTA EN L'AN DIX

LES PERUQUES ELASTIQUES

IMITANT LA CHAIR


Welche Begebenheit! Und en l'an dix! Welcher Lapidarstil! – Ein Schulhalter lockt durch einen Vers aus Virgil an: »Disce, puer, virtutem ex me, verumque laborem.« Ein andrer Mann, der freilich nicht anlocken, sondern vielmehr abschrecken will, denkt seine Mauer durch die beleidigenden Worte zu schützen: »Ici pissent les cochons!«, ohne doch jemals einen Besucher in seinem Vorhaben irrezumachen. Ungemein erlustigte uns auch eine Tafel, die uns etwas näher anging; seit der Vermählung des Kaisers waren die Deutschen im Werte gestiegen, man beachtete sie, man wünschte sie anzuziehen; ein verdorbener Garkoch glaubte den echten Deutschheitsköder entdeckt zu haben, und an seiner schmutzigen, engen Bude zwischen den Tuilerien und dem Louvre stand herrlich:


Hier Be Finden sich die Deuschen

vor das gud Saurgrauth.
[375]

Er hatte die Freude, daß neben den Handwerksburschen, die ihn besuchten, auch manche vornehme Deutsche bei ihm einblickten und wenigstens ein Trinkgeld zurückließen.

Sie haben wohl recht, die gewerbfleißigen Pariser, daß sie alles anwenden, einen, wenn auch nur augenblicklichen Schwung zu erlangen, denn wer etwas Neues aufgebracht, wer von sich sprechen gemacht hat, ist seines Gewinnes sicher; ehe die ganze Masse der Neugierigen die Sache durchprobiert, die Täuschung eingesehen hat, ist das Glück schon ergiebig genug gewesen, und die üble Nachrede kann nicht mehr schaden. Ja, es haftet selbst an dieser noch einige Ehre, denn es gilt für keine Kleinigkeit, die klugen, feinen Mitbürger insgesamt aufgeregt, beschäftigt und wohl gar genarrt zu haben.

Glück aber gehört hier mehr als anderswo zu jeder Unternehmung, ein günstiges Etwas, das sich selten voraussehen und noch seltner berechnen läßt; ein feiner Takt für das Örtliche, für Bedürfnis und Neigung mag wirksam dabei sein, ist aber für sich allein nicht hinlänglich. Und wunderbar, die Laune des eigensinnigsten Publikums, das sich in Widersetzlichkeit gegen jede Autorität recht eigentlich gefällt, erweist sich bisweilen von der verhaßtesten Seite abhängig! So ist auf dem Boulevard bei dem Théâtre des Variétés ein schönes Haus und großer Garten, wo man Erfrischungen bekommt, das ehemals berühmte Frascati, welches der Glacier Carchi aufs geschmackvollste und angenehmste eingerichtet hat, wo das vortrefflichste Gefrorne und die eleganteste Bedienung stets bereit ist und wo sonst die Pariser vornehme und feine Welt im höchsten Putz jeden Abend versammelt war; dieser Ort ist jetzt ganz verlassen, nur wir Freunde besuchen häufig die einsamen Räume, wo wir zwanglos und unbehorcht unsre traulichen Gespräche führen. Man sagt uns, der Kaiser sei an dieser Verödung schuld, er habe den Herzoginnen von Bassano und von Rovigo schmachvoll vorgeworfen, daß sie ihre kaum empfangene Titelwürde in solchen Wirtshäusern herumschleppten;[376] gleich ihnen mied nun jedermann den Ort, und das große Publikum zog sich nach dem engen, geschmacklosen Jardin Turc, wo ihm alles, was in Frascati vortrefflich ist, schlecht geboten wird. Carchi kündigte zwar zum Versuch eine neue Art Eis an, eine »invention nouvelle qui surprendra le public« heißt es auf den Anschlagzetteln, die Sache konnte Glück machen, ein günstiger Stern ihm den großen Haufen zurückführen, Frascati für ein halbes Jahr aufs neue beleben, allein die Menge biß nicht an, und Frascati blieb leer. Vielleicht hilft ihm eine noch viel geringere Kleinigkeit wieder auf, ein Zufall oder eine Dummheit, der Mann verliert wenigstens den Mut noch nicht und setzt mit großen Opfern die Einrichtung fort.

Der Einfluß des Kaisers ist sonst in dergleichen Dingen am wenigsten merkbar, und die Sitte und Geselligkeit unterwerfen sich seiner Herrschaft keineswegs, sondern folgen ihrem eignen Zuge, der sich nicht scheut, der höchsten Gewalt zu widersprechen. Wohin man blickt, wird man wohl an die Tagesgeschichte erinnert; hier ist ein Café de Jéna, dort eines à l'archiduc Charles, au duc de l'Infantado; Namen der Straßen erinnern an Schlachten; Brücken, Brunnen, Triumphbogen verherrlichen den Sieger, dessen Namenszug und Wappen allerorten vervielfältigt ist; die kleinen Theater geben häufig Stücke, deren Stoff den neusten Ereignissen entnommen ist. Aber im Grunde nimmt der Pariser an den großen Begebenheiten, die nicht unter seinen Augen vorgehen, nur geringen Anteil; sie haben für ihn nur insofern Wert, als sie in seinen kleinen Kreis eingreifen, sich in Festen und Lustbarkeiten abspiegeln. Es ist kaum zu glauben, mit welcher Gleichgültigkeit hier die Nachrichten von neuen Kriegserfolgen des Kaisers aufgenommen werden; als Zeitungsartikel sind sie dem Publikum allenfalls wichtig, nicht als wirkliche Ereignisse. Sogar für den französischen Ruhm ist man schon abgestumpft: »Nous en avons assez«, hört man in hohen und niedern Kreisen. Vom Kaiser wird gleichwohl viel gesprochen, doch meist[377] nur in bezug auf das kleine Leben, auf die Anordnungen des Tages, die Feste, die Bauten, die Paraden, das Hofzeremoniell, die Gunst oder Ungunst, in der einzelne Personen stehen, und anderes der Art; eine neue Uniform, die in den Straßen gesehen wird, ist den Parisern wichtiger als ein Sieg in Spanien oder ein Gefecht in Kalabrien. In den Provinzen soll dies anders sein und dort Napoleon mehr in seinen Taten geschaut werden und gelten. Darin kommen die meisten Stimmen überein, daß dennoch der stets erneuerte Glanz der Waffenerfolge für das Bestehen seiner Herrschaft unentbehrlich ist und hauptsächlich durch diesen die Unternehmungen seiner innern Gegner gehemmt werden. Diese Gegner zerfallen in zwei Klassen, Freiheitsfreunde und Königsfreunde, deren jede in ihrer Art ihm bedeutend erscheint und furchtbar werden kann. Er wütet gegen beide Parteien und sucht auch aus beiden die einzelnen zu gewinnen, was ihm auch bisher merkwürdig genug gelungen ist, denn er hat die ärgsten Jakobiner in seinem Staatsdienst und die altadeligsten Emigrierten zu Höflingen. Aber beide sind ihm nur sicher unter der Bedingung andauernder Glückserfolge. Außerdem ist auf beiden Seiten ein starker Kern, der sich nicht gewinnen läßt und gerade dadurch um so bedeutender und beunruhigender ist. Daß der Kaiser mehr den Faubourg Saint-Germain, wo die Altadeligen sitzen, fürchtet als das eigentliche Volk, in welchem die Revolution noch ihre Nachschwingungen hat, dünkt dem Grafen von Schlabrendorf ein Irrtum, den einst Napoleon sehr kann zu büßen haben. Auffallend ist es mir, wie wenig der Kaiser im Volke gefürchtet wird; die meisten Leute haben Furchtbareres erlebt als seine Herrschaft und haben auch dies Furchtbarere plötzlich schwinden sehen, so daß ihnen keine Gewalt als entschieden befestigte vorkommt, sondern bloß als provisorische. Diese wird anerkannt für den Augenblick, aber nur soweit sie sich tatsächlich geltend macht, auf den guten Willen hat sie nicht zu rechnen. Zuverlässig ist noch viel Revolutionäres im Volke, Freiheit[378] und Gleichheit sind noch immer nicht aufgegebene Voraussetzungen, die Jakobiner brüten im stillen, und eifrige Anhänger der Republik finden sich überall, selbst unter den ersten Großen und Betitelten des Reichs. Freilich ist diese Meinung für jetzt ohne Bajonette und Kanonen, aber alle Macht in der Welt geht doch von der Meinung aus, und jene Werkzeuge fügen sich ihr zuerst. Man hat in Deutschland, wo man das französische Joch so schwer fühlt, kaum einen Begriff, wie wenig die Franzosen selbst unterjocht sind. Ich habe überall sehr frei sprechen hören, doch freilich nicht auf offnem Markte, und auch hier ist in Gestalt des Witzes viel erlaubt. Das Volk selber ist nicht nur witzig, sondern auch gewitzigt und klug und fein von alter Zeit her; die Blendwerke und der Aufputz, durch die man auf dasselbe einzuwirken sucht, täuschen nur den rohen Haufen und oft diesen kaum; man kennt die Leute, die jetzt etwas vorstellen wollen, aus früherer Zeit, man weiß, wie es mit ihnen ist, man lacht ihrer neuen Würden und Titel.

Napoleons wahres Bezwingungsmittel, auch der Franzosen, bleibt immer das Kriegsheer, in welchem allein die verschiedenen Parteien und Klassen wahrhaft verschmolzen werden. Man hat bemerkt, daß nur hier die Royalisten wie die Republikaner sich einigermaßen in treue Anhänger des Kaisers verwandeln, welches im Hof- und Verwaltungsdienste keineswegs ebenso gelingt. Auch scheint Napoleon dies recht gut zu wissen und sucht auf alle Weise den Soldatengeist in der Nation zu heben. Den Ehrenlegionsrittern schreibt er vor: »De préférer toujours la noble poussière des camps au vain luxe de la grande ville«; schöne, stolze Worte, denen nur sein eignes Beispiel oft in mißfälliger Art widerspricht, denn sein Hofprunk und seine Feste behalten immer etwas Plumpes, und aller Aufwand vermag nicht die feine Üppigkeit ehemaliger Zeiten zurückzurufen. Auch ist ihm nichts schmeichelhafter, als Altadelige in seinem Hofdienste zu haben, die alten Namen klingen ihm angenehm ins Ohr. Der alte Name »Hof« dagegen be[379] stach eine gute Anzahl von jenen, sie konnten dem Zauber nicht widerstehen; die kleine Beschämung suchen sie durch Selbstverspottung zu überwinden. Der Graf von Ségur war Oberzeremonienmeister geworden, sein Bruder unterzeichnete nun öfters: »Ségur, sans cérémonie«; aber auch dieser Bruder nahm Dienste und hatte mit dem Bühnenwesen zu tun. Eines Tages wohnte er einer Opernprobe bei, und Elleviou benahm sich gegen ihn sehr ungebärdig, worauf jener, das Unziemliche zu rügen, die witzigste Wendung nahm: »Mais, mon cher Elleviou«, sagte er ganz gelassen, »vous oubliez tout-à-fait que depuis la révolution je suis devenu votre égal!« Dergleichen witzige Verknüpfungen, Widersprüche und Gegensätze bietet der Zustand der Dinge jedem Beobachter täglich in Menge an, es bedarf nur einer raschen Auffassung.

Die politische Beredsamkeit war zu jener Zeit in Frankreich verstummt, mir zum größten Bedauern, denn meine Jugend hatte deren Widerhall mit Begeisterung vernommen. In Ermangelung der lebendigen suchte ich wenigstens die durch Schrift bewahrte, und mir gelang, die fünf Bände der »Travaux de Mirabeau à l'Assemblée nationale« aufzufinden. Die akademische Beredsamkeit, wie sie im Nationalinstitut nach den alten Mustern noch betrieben wurde, mit ihren zarten Feinheiten, leisen Kühnheiten, geschickten Verschweigungen und allen Künsten literarischer Seiltänzerei war mir ein Greuel, und auch mancher ernste Franzose, der die Macht des Wortes in ganz anderer Gestalt erlebt hatte, blickte darauf mit Verachtung. In Zeiten drückender Gewalt muß die wenige Freiheit wohl sich winden und drehen und alle Hülfen hervorsuchen, die Feinheiten der Sprache, die dichterischen Formen, den Witz und die Laune; aber wo diese Geschicklichkeit überhandnimmt, wo sie fast die einzige Art wird, in der man sich aussprechen darf, da gibt sich kund, daß es mit dem öffentlichen Leben schlecht bestellt ist. Die Franzosen waren damals in dieser harten Klemme, und gewiß, sie haben viel gelernt in der großen[380] Drangsal! Denn die reiche Beredsamkeit, die sich nach der Wiederkehr der Bourbons so mächtig entfaltete und doch aus bestimmten engen Schranken nicht herausdurfte, kam großenteils aus der Schule der schwierigen Geschicklichkeiten, in welche alle Redemitteilung sich geflüchtet hatte.


Das tragische Feuerwerk, mit dem wir die Reihe der Vermählungsfeste geschlossen hatten, konnte durch seine furchtbaren Eindrücke nicht hindern, daß auch die Witzfeuer, welche neben jenen Festen reichlich aufgeflackert waren, noch häufig Anwendung und Beachtung fanden. Die verhallenden Klänge der Mißreden schlugen noch oft an unser Ohr, und wir hörten nur allzu gern hin! Je strenger diese Art Äußerungen verboten waren, desto größer war der Reiz, sie zu verbreiten. Vorzüglich sind die scharfen Calembourgs bekannt, mit denen der treffliche Schauspieler Brunet bei dieser Gelegenheit die Pariser belustigte. »L'empereur n'aime que Joséphine et la chasse!« ist eines dieser kühnen Wortspiele; ferner, als in Saint-Cloud die bürgerliche Trauung nach dem Code stattfinden mußte, hieß es: »Jamais archiduchesse d'Autriche n'a fait un mariage civil.« Das Stückchen, daß Brunet vor dem Triumphbogen, auf welchem die Pferde aus Venedig an dem noch leeren Siegeswagen gespannt stehen, emporzeigend ausgerufen habe: »Le char l'attend!«, mußte jedem Vorbeigehenden immer aufs neue einfallen. Fast jeden Abend im Théâtre des Variétés nahm Brunet Gelegenheit, durch dergleichen Späße von der Bühne herab das nach solcher Würze begierige Publikum zu belustigen. Als die Sache zu arg wurde, ließ der Polizeipräfekt Graf Dubois ihn rufen und gebot ihm mit harter Drohung, diese Richtung aufzugeben. »Mais que voulez-vous, que je fasse«, versetzte Brunet mit kläglicher Stimme, »c'est mon métier de faire des calembourgs, j'y gagne ma vie, voulez-vous donc que je scie du bois?« Der Witz konnte durch wiederholte Gefängnisstrafe nicht gebrochen werden, wir sahen noch oft genug sein ungeschwächtes Hervorsprudeln.[381]

Der merkwürdigste und schärfste Spott aber, der die Heirat getroffen, ist ohne Zweifel ein Poissardenlied, das in hundert Abschriften verbreitet und von Tausenden auswendig gelernt war, dessen Verfasser jedoch, ungeachtet der Wut Napoleons und aller möglichen Anstrengungen der Polizei, nicht ermittelt wurde; noch im September waren einige hundert Personen, die sich des Abschreibens oder Hersagens schuldig gemacht hatten, in Verhaft, aber alle Verhöre blieben fruchtlos, der Ursprung blieb unentdeckt.

In dem Metternichschen Frühstückskreise war es immer sehr lebhaft, die Stammgäste fanden sich zahlreich genug, und Fremde wurden fast jeden Tag eingeführt. Der Graf von Metternich liebte gesellschaftliche Regung und scheute sogar ernsthafte Erörterungen nicht, ja, sogar manche politische Bemerkung, die er in seiner Stellung nicht gutheißen konnte, ließ er freisinnig mit hingehen oder überhörte sie großmütig.

Hier wurden gewöhnlich die Neuigkeiten des Tages ausgetauscht, die frisch angekommenen deutschen Blätter mitgeteilt. Ein Beiblatt des »Österreichischen Beobachters«, den damals noch Friedrich von Schlegel herausgab, Pilat aber schon als sein künftiges Eigentum ansah, brachte uns das Gedicht Goethes an die Kaiserin von Österreich bei ihrer Ankunft in Karlsbad, welches die mannigfachsten Urteile hervorrief. Die Anerkennung, welche Goethen zuteil wurde, hatte schon damals die Art angenommen, daß man im ganzen ihn als den ersten Dichter pries, jedes neue Erzeugnis aber ansehen wollte, als sei es des großen Dichters nicht wert und schmälere seinen Ruhm. Der Neid und die Verkleinerungssucht, welche am liebsten den ganzen Goethe hätten verwerfen mögen, aber zu feig hiezu waren, suchten hinter dieser allgemeinen Anerkennung mit ihrer Bosheit gegen das einzelne desto sicherer Bahn zu finden; allein wo ich zugegen war, traf solches Bemühen jedesmal einen hartnäckigen Widersprecher, und auch jetzt wurde von mir jenes Gedicht gründlich durchgekämpft, wobei ich das Vergnügen hatte, daß der Graf von Metternich, im allgemeinen[382] für Goethe nicht sehr eingenommen, für den besondern Fall mir größtenteils beistimmte.

Wertvoller konnte mir keine Bekanntschaft sein als die des Freiherrn Alexander von Humboldt. In den Metternichschen Sälen sah ich ihn nur wie ein glänzendes, angestauntes Meteor vorüberschweben, und es gelang mir kaum, mich ihm vorzustellen und einige der Namen ihm zuzuflüstern, die mir ein nahes Recht auf seine Bekanntschaft gaben, die Namen Rahel Levin, Hofrätin Herz, Willdenow, Johannes von Müller. Selten hat ein Mann so der allgemeinen Hochachtung, der Huldigung der verschiedensten Parteien, der Beeiferung aller Mächtigen genossen. Napoleon liebte ihn nicht, er war als ein freidenkender und in seiner Denkart nicht zu beugender Mann bekannt; aber der Kaiser und sein Hof und seine Staatsbehörden verleugneten nie den Eindruck, den sie in der Person des kühnen Reisenden von der Macht der Wissenschaft und ihres nach allen Seiten ausstrahlenden Lichtes empfingen; die Gelehrten aller Nationen waren stolz auf ihren hohen Standesgenossen, die Deutschen insgesamt auf ihren Landsmann und alle Freisinnigen auf den Gesinnungsverbündeten. Ein junger Freund führte mich später zu ihm, wir genossen mehrmals seiner lehrreichen Unterhaltung, besahen mancherlei mit ihm, unter andern den Jardin des Plantes und die schöne Sammlung antiker und orientalischer in Gips und Kork nachgebildeter Baudenkmale des Architekten Cassas. Auch der reichen und schönen Zeichnungen zu Humboldts eignem Reisewerke wurden wir durch seine Güte früher als das Publikum ansichtig. Zugleich in wissenschaftlicher Tätigkeit und in großer Weltverbindung, in der einsamen Forschung und dem lebhaftesten Gesellschaftsgewirr immer sich selber gleich und selbständig hervorzuragen wie Humboldt ist nur selten einem Manne verliehen worden, keiner aber ist mir vorgekommen, der dabei so beharrlich und gleichmäßig ein ganzes Leben hindurch für Menschenwohl mit reichstem Erfolge beeifert und bemüht gewesen.[383]

Auch die Bekanntschaft des Doktor Gall machte ich bei der Frühstückstafel des Grafen von Metternich, der ihn eifrig beschützte, wie auch der Fürst von Schwarzenberg und überhaupt alle Österreicher, die sich angelegen sein ließen, dem berühmten Landsmanne wenigstens im Auslande die Gunst und Berücksichtigung zu bezeigen, welche die Heimat ihm versagte, denn in Wien war ihm der Vortrag seiner Lehre verboten worden. Pilat führte mich ihm vor und gab ihm auf, den Neuangekommenen, von dem er noch nichts wissen konnte, sogleich nach der Schädellehre zu untersuchen. Gall war etwas ungehalten über die Zumutung, aber teils aus Nachgiebigkeit gegen Pilat, teils aus eigner Lust an seinem Treiben warf er doch einen Blick auf meine Stirne und sagte vor sich hin: »Phantasie, Phantasie genug!« Und nach wiederholtem Blicke fügte er hinzu: »Auch Raufsinn, ja Raufsinn!« Pilat aber rief lustig aus: »Gall, das hättet Ihr nicht besser treffen können, seht nur, wie Ihr Eurer Kunst Ehre macht! Denn der da vor Euch steht, ist Soldat und macht Verse!« Da erheiterte sich Galls Gesicht, und er ließ sich nun willig auf weitere Bestimmungen ein. Pilat aber fand nötig, mich wegen des Wortes »Raufsinn« zu verständigen, indem bei Gall jederlei Tapferkeit damit bezeichnet werde; seine grobe und ungeeignete Terminologie sei leider ein Hauptgebrechen seiner Lehre und setze diese mancher Lächerlichkeit und großen Mißverständnissen aus. Der von Gall über mich erteilte Ausspruch wurde darauf mit vielem Gepränge wieder erzählt und ich vielfältig als neues bestätigendes Beispiel der Richtigkeit des Systems angeführt, so daß mir der Urheber eine Art wohlwollender Aufmerksamkeit widmete.

Ich aber hatte nicht die geringste Neigung zu ihm, seine Lehre sprach mich nicht an, den begeisterten Anpreisungen derselben von Koreff hielt ich die höhern Naturansichten von Steffens und Harscher entgegen, und eines Tages geriet ich über Steffens und seinen Wert mit Gall selbst in Streit, wobei seine plumpe, handwerksmäßige Auffassung wissenschaftlicher[384] Gegenstände sogar den sonst unkundigsten Zuhörern auffiel. Diesen Streit, in welchem ich kein Haarbreit nachgab und auf dem scheinbar mir fremden Felde mich mit Erfolg behauptete, hat er mir nie verziehen, und wir begegneten einander fernerhin nur als Widersacher oder doch mit entschiedener Kälte.

Dies hinderte nicht, daß er mir bei einer Gelegenheit ein Wort zuwendete, das mich in seiner Verbindung unendlich ergötzen mußte. Es war ebenfalls beim Frühstück des Grafen von Metternich, der Graf von Sternberg aus Prag war vor kurzem angekommen, und ich fand ihn und Gall in lebhaftem Gespräch über Religion; sie standen beide in schroffstem Gegensatze, und besonders Galls Äußerungen waren oft herb und schnöde; plötzlich aber vereinigten beide Männer sich sehr zufrieden in dem Satze, Religion sei doch notwendig! – »denn«, sagte Sternberg, sich zu Pilat wendend, »was sollte am Ende aus der Welt werden, wenn nicht das gemeine Volk durch Religion noch einigermaßen gezügelt würde?«, und: »was wollten wir anfangen«, sagte gleichzeitig Gall, zu mir gewandt, »wenn unsre Fürsten nicht durch Religion noch etwas in Furcht gehalten wären?« Zum Glück hörte keiner der beiden Streiter, was der andere sagte und nach wie verschiedenen Seiten ihre vermeinte Einigkeit auseinanderfuhr. Ich aber, der die Worte beider vernahm, hatte nun freilich einen Überfluß von Gründen, um nicht länger zweifeln zu dürfen, wie Religion doch notwendig sei!

Die Mittagsmahle bei dem Fürsten von Schwarzenberg – man speiste um 6 und auch wohl erst um 7 Uhr – waren prunkvoller und feierlicher als die Metternichschen Frühstücke, doch weniger fein und gewählt. Hier sah man häufig die französischen Großen, die Mitglieder der Diplomatie, die Vornehmen aller Länder und selbst die Herrscher von einigen, mit einem Worte, die ganze in Paris vereinigte große Welt. Waren einmal, was selten genug vorkam, nur Österreicher oder andere Deutsche zugegen, so herrschte die[385] vertraulichste Mitteilung, der freieste Ton, man sprach deutsch, und die behaglichste Fröhlichkeit beherrschte den ganzen Kreis, der dann wirklich ein Familienkreis zu nennen war. Der edle Fürst, von Wohlwollen wahrhaft durchdrungen, die Fürstin, eine Frau von genialem Verstand und echtem praktischen Freisinn, eifrig und anteilvoll, in Kenntnissen und Gedanken stets fortschreitend, von guter Laune und sie auch in andern weckend, dazu die herrlichen in Gesundheit und Geistesfrische blühenden Kinder und die treuergebenen, frohen Angehörigen und Freunde – man konnte kein schöneres Bild deutscher Häuslichkeit sehen, alle Pracht und aller Stolz der Umgebung schwanden vor der edlen Einfachheit, für welche der Palast nicht mehr war als eine Hütte. Fand sich der Graf von Metternich ein, so verbreitete sich noch ein besonderer Geist in der Gesellschaft, dann konnte man nicht umhin, an witzigen Spielen teilzunehmen, die bisweilen zu ganzen Aufführungen wurden, deren Ergötzlichkeit auch diejenigen, welche sonst Mystifikationen nicht liebten, unwiderstehlich fortriß. Ein Teufelskerl von Franzos, den der Graf meisterhaft den Stocktauben spielen ließ, brachte solche Auftritte hervor, daß Brunet sie nicht besser hätte liefern noch größern Beifall ernten können!


Der den Parisern eigne Witz und die Gabe, welche selbst die untersten Klassen haben, alles auf eine sinnreiche, feine Weise zu wenden, macht aber auch, daß sie sich für die ersten Menschen der Welt, für die klügsten und gebildetsten halten und unbeschreiblich wohl mit sich selbst zufrieden sind; ihre Eitelkeit findet keine Lobsprüche zu groß und preist mit unbefangener Offenheit die eignen Vorzüge. Ein garçon coiffeur im Hôtel de l'Empire trat in den Dienst des russischen Botschafters Fürsten Kurakin, und als er mich zum letztenmal rasierte, zeigte er mir die schönsten Rasiermesser, die er für den Fürsten angekauft. »C'est déplorable«, sagte er, »comme la toilette du prince est mal fournie!«[386]

Er tat, als ob er den Fürsten aus der größten Not rettete, und schloß endlich: »Mais que voulez-vous? C'est un Russe, ça n'a point de goût, ça n'a rien!« – Jedes Umherstreifen durch die Straßen, jedes zufällige Gespräch mit einem Kaufdiener, mit einer Hökerin brachte uns ein artiges Geschichtchen irgendeiner Art.

Gleichwohl fand ich das Pariser Volk bei all seiner Scherzlust doch im ganzen traurig, und die Stadt schien mir wohl hie und da lustig, aber eigentlich ohne Freude. Ein alter Stamm ehrbarer und tüchtiger Bürger, wurde mir versichert, lebe hier ruhig fort, abgeschieden von der Leichtfertigkeit und den Lastern der großen Stadt, und in dieser Klasse finde sich wahres Wohlbehagen und echte Freudigkeit, der wahre französische Volkscharakter, die levissima Gallorum ingenia, von denen Julius Cäsar spricht, durch gute Sitten und Herzlichkeit gemäßigt. Aber diese Klasse lebte für sich, und der Fremde kam nur selten mit ihr in Berührung. Was zunächst unserm Verkehr sich darbot, war keineswegs erfreulich. Man sagte uns, Paris sei überhaupt im Verfall, wir dürften aus dem, was wir vorfänden, nicht die früheren Zeiten beurteilen. Die Volksmenge sei auf fünfmalhundertsiebzigtausend Seelen herabgesunken, da man vor der Revolution gegen neunmalhunderttausend Einwohner gezählt, der Handel und die Gewerbe gingen schwach, und trotz der Üppigkeit und Pracht, die man zur Schau trage, seien Not und Bedrängnis allgemein. Auch die sonstige Liebenswürdigkeit der Franzosen, versicherte man, habe sehr gelitten, die zuvorkommende Artigkeit sei verschwunden, nur die Redensarten würden noch gebraucht, aber die Sache fehle; überhaupt scheine die ganze Nation bedroht, ihren Charakter zu ändern, die ewigen Kriege Napoleons trügen dazu bei, den Grund aber habe schon die Revolution, und besonders die Schreckenszeit, gelegt. Namentlich sei alle Blüte der Geselligkeit, welche sonst der höchste Glanz und Ruhm von Paris gewesen, unwiderruflich zerstört.[387]

Das letztere bestätigte auch Chamisso; er selbst wußte kein altfranzösisches Haus, wo er uns hätte einführen können. Im Faubourg Saint-Germain fing man erst an, wieder etwas zu Kräften zu kommen und sich einzurichten, außerdem war man vorsichtig und hielt sich in engem Kreise. Die Großen und Reichen der Kaiserzeit machten ihre Vorteile geltend, aber es waren nur äußerliche, alles wahrhaft Feine und Vornehme fehlte. Ich hatte nicht die geringste Lust, mich in diesen leeren Prunk zu stürzen; die Pflichtbesuche, denen ich mich nicht entziehen konnte, hatten mich schon genug sehen und erkennen lassen, was auf diesem Boden zu gewinnen sein könne, nämlich nur Widerwillen und Langeweile.

Dabei gab es ohne Zweifel noch reizende Geselligkeit genug, und wer vom Glück einigermaßen begünstigt war, fand sicher noch ein gutes Stück altes Paris in dem neuen wieder. Der Graf Fedor Golowkin zum Beispiel lebte in solchem Überflusse geselliger Verhältnisse, daß er sagte, um ganz ohne Zwang in Paris zu sein, habe er sich mit etwa dreißig seiner besten Bekannten entzweien müssen, nun erst genieße er mit denen, die ihm geblieben, das ganze Vergnügen eines solchen Aufenthalts. Frau von Genlis unter andern sah immerfort einen Kreis feiner und ausgezeichneter Leute um sich, wenn auch mit geringen Mitteln. Auch manche Künstler und Gelehrte vereinigten glänzende Gesellschaft, und man rühmte sehr die Unterhaltung bei ihnen. Allein dies alles war doch sehr vereinzelt, war nur versuchsweise und der Einfluß auf das Ganze sehr gering. Die Klage über Mangel an Geselligkeit und über Langeweile wurde in Paris überall gehört.

Für Einheimische und Fremde war glücklicherweise die Zuflucht der Theater offen; doch war für mich deren Reiz nicht groß, und ich vertauschte selten ganz freiwillig das freie Himmelblau eines schönen Sommernachmittags mit der lampenerhellten Gruftenge schwieriger Logenplätze, wo man für einen ganzen Abend wie gefangen saß. Für das[388] Trauerspiel und höhere Lustspiel kamen mir die Aufführungen in Saint-Cloud zu Hülfe; die große Oper besuchte ich pflichtmäßig und sah die »Vestalin« und den »Triumph des Trajanus«. Im Théâtre Feydeau durfte die beliebte »Cendrillon« nicht verschmäht werden. Bei dieser Bühne war unstreitig Elleviou das merkwürdigste Talent. Am stärksten zog uns das Théâtre des Variétés an, wo Brunet unser Liebling war. Das Vaudeville und andere kleinere Theater gewannen uns wenig Beifall ab. Lieber verweilten wir bei den kleinen Wanderbühnen auf den Boulevards, bei Polichinelle und Bobèche oder in dem festlich erleuchteten Garten von Tivoli bei den muntern kleinen Stücken, die im Freien aufgeführt wurden, bei den Schauspielern aus dem Stegreif und den Gesichterschneidern, wo doch wenigstens das echt Volkstümliche hervortrat.

Die Vergnügungen in Tivoli dünkten mich im Kleinen das getreue Abbild des Pariser Lebens. Vom ersten Eintritt bis zur Abfahrt wurde man einer Folge von Ergötzlichkeit gleichsam überliefert; jedes Winkelchen, jedes Zeitchen mußte seine besondere Unterhaltung anbieten, von dem prächtigsten Feuerwerk und der rauschenden Militärmusik bis zu kleinen optischen Spielereien und bescheidenem Gitarrensang war alles erschöpft, um nur jedem Augenblick einen Zeitvertreib anzuweisen. Diese vervielfachten Anstalten und Einrichtungen, dieser Groß- und Kleinkram, diese Klaubereien des Vergnügens, was zeigen sie anders an, als daß es überall fehlt? Und in Wahrheit, ich habe in Tivoli kein fröhliches Gesicht gesehen, sondern überall nur den Ausdruck der Blasiertheit, der Enttäuschung, des quälenden Bedürfnisses, dem Gefühle der elendesten Nichtigkeit zu entfliehen, dem Tode, vielleicht dem Gewissen.

Quelle:
Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten des eigenen Lebens. Berlin 1971, S. 358-389.
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