Nach dem Wiener Frieden

1809–1810

[338] Wie ganz anders jetzt bot Wien sich dem Anblick dar als noch vor wenigen Monaten! Ich hatte die Stadt im Sonnenschein verlassen, erfüllt und belebt von Glanz und Üppigkeit – zwar des Feindes, aber eines Feindes, der zu gefallen suchte –, aufgeregt in den Ansprüchen des Tages und gespannt in Erwartung der nächsten Zukunft; jetzt, in Dunst und Regen eingehüllt, entblößt des fremden Glanzes und der Wiederkehr des eignen noch ungewiß, nun entschieden die gebrachten Opfer und erlangten Nachteile überschauend, gedemütigt durch den Frieden, noch hart bedrängt und unselig bedroht durch dessen nächste Folgen – das waren in der Tat starke Verdunkelungen des vorher so hellen Bildes! Die Augen wurden zumeist beleidigt durch den nach allen Seiten unvermeidlichen Anblick der Bollwerke, die zerrissen und gestürzt als mächtige Trümmer den Kern der Stadt umlagerten. In den bürgerlichen Verhältnissen begann die Entwertung des Papiergeldes, das aus den abgetretenen Ländern zurückströmte und immer tiefer sank, als ein neues Unheil[338] fühlbar zu werden, und Sorge, Mißmut und Widerwillen brachen aller Ecken und Enden her vor. Damit kein Übel fehlte, suchte die Verstimmung auch den Gegensatz auszubeuten, der zwischen den Dagebliebenen und den Wiederkehrenden sich finden ließ: diese warfen jenen vor, mit dem Feinde zu freundlich gewesen zu sein, worauf die erstern mit der Anklage antworteten, daß sie dem Feinde preisgegeben, daß überhaupt der Krieg so schlecht ausgefochten worden.

Gleich nach uns war der Kaiser Franz in Wien eingetroffen und hatte durch diese schnelle Wiederkehr die Einwohner freudigst überrascht und wirklich beglückt. Für einen Augenblick war alle Unzufriedenheit und Klage vergessen; man frohlockte, den geliebten Herrscher wiederzusehen; man drängte sich, ihn zu sehen, ihm auf alle Weise zu bezeigen, wie er geliebt sei, wie sein treues Volk an ihm hänge. Im Burgtheater, wo er abends in der Loge zuerst öffentlich erschien, jauchzte ihm unendlicher Jubel entgegen, das Beifallklatschen und Leberufen wollte gar nicht enden, und die dankenden Grüße und Verbeugungen des Kaisers mußten seine Kräfte beinah erschöpfen. Ich war sehr nah, und seine schmächtigen, kummervollen Züge rührten mich tief; nur verwunderte mich die blitzartige Schnelligkeit, mit der sie vom Ernst in Freundlichkeit und von Freundlichkeit wieder in Ernst übersprangen, denn der Anlaß zu solchem Wechsel erneuerte sich immerfort. Man gab ein damals beliebtes Stück, »Agnes Sorel«, worin der Anspielungen auf einen bedrängten unglücklichen Fürsten genug vorkamen, die von den Zuschauern mit Leidenschaft aufgefaßt wurden und immer aufs neue einen Sturm der Begeisterung erregten. Niemand schien ein Arg dabei zu haben, daß die Vorgänge auf der Bühne mit dem Geschicke des Kaisers doch auch bittre Gegensätze lieferten und daß man ihm ein Bild alles dessen vorhielt, was ihm nicht zuteil geworden war. Drei Nächte hindurch war die Stadt freiwillig beleuchtet, und neues Leben schien die Bürger zu beseelen, mit dem Kaiser war ihnen Mut und Zuversicht wiedergekehrt. Doch je mehr die Liebe und Begeisterung[339] für den Kaiser laut wurde, desto bittrer äußerte sich zugleich der Grimm und Haß gegen die Personen, welche, wie man behauptete, seiner guten und hoffnungsvollen Sache durch Unfähigkeit oder Verrat geschadet hatten; in demselben Maße wie der Herr gepriesen, wurden seine Diener verwünscht. Durch den langen Aufenthalt der Franzosen war ein Geist des Widerspruchs, des Tadels und Hohnes in dem Volk erregt worden, den man in ihm früher so nicht gekannt hatte. Die Ehrerbietung vor den höchsten Namen war verschwunden, der Unwillen achtete keiner Würden noch Formen, man konnte bedenklich wahrnehmen, was für gefährliche Elemente auch hier schon in der Menge hin und her wogten.

In dieser Atmosphäre, welche sowohl die höchsten als die untersten Kreise durchdrang, schien kein sonderliches Behagen zu hoffen, und die sonstige Anziehungskraft des Wiener Lebens übte wenige Wirkung mehr. Auch mein Oberst, von dem unfreundlichen Element widrig berührt, dachte nicht lange darin zu verweilen, sondern nach Besorgung der notwendigsten Geschäfte die Reise nach Italien alsbald anzutreten. Wir waren im Gasthofe Zum Erzherzog Karl eingekehrt, wo wir uns enge behelfen mußten, weil die besten Zimmer noch von Franzosen besetzt waren, die mit den österreichischen Behörden noch allerlei abzuschließen hatten. Die ersten Tage vergingen in trüber Zurückhaltung, denn wir mußten vor allem abwarten, daß unsre bürgerliche Kleidung fertig würde, da die österreichischen Offiziere die Uniform nur im Dienste zu tragen pflegten. Nun begannen wir unsre Besuche zu machen, jeder die seinigen, manche auch zusammen.

Die Häuser Arnstein, Pereira, Eskeles fand ich offen und freundlich wie immer; allein die Art, wie in diesen Kreisen die herrschende Unzufriedenheit sich aussprach, konnte mir nicht gefallen und wurde mir oft peinlich. Besonders war Frau von Arnstein leidenschaftlich aufgeregt; ihren Haß gegen die Franzosen überbot noch der Haß gegen diejenigen[340] Österreicher, denen sie die Schuld der unglücklichen Kriegführung und des noch unglücklichern Friedens beimaß; natürlich kamen hiebei Äußerungen vor, die ruhig anzuhören mir nicht geziemte. Bei einem solchen Anlasse, der durch die Zahl und Art der Zeugen noch unangenehmer wurde, gab ich ihr, mit Berufung auf Worte von Goethe, eine Erwiderung, daß sie verstummte, worauf ich mich empfahl und nicht wieder hinging. Bei Frau von Eskeles war dergleichen Verlegenheit nicht zu fürchten, alles war dort in gemäßigter Form, dagegen hatte die Unterhaltung viel von ihrem früheren Reiz eingebüßt; die lebhaften Franzosen, die ich dort früher gesehen, waren durch niemand ersetzt, am wenigsten durch Bartholdy, der in diesen Kreisen nun eine Hauptperson war und in seinem eitlen Ehrgeiz oft die wunderlichsten Ansprüche machte; daß er Geist und Kenntnisse hatte, war ihm von allen Seiten zugestanden, daß er aber bei seiner Häßlichkeit ein Liebling der Damen sei und an Verschwendung, Sittenfreiheit und Weltton den glänzendsten Kavalieren gleichstehe, wollte man nicht gelten lassen; auch das politische Ansehn, welches er sich zu geben strebte, hatte keinen Grund und Halt mehr, die öffentlichen Angelegenheiten wurden nun in enger Häuslichkeit abgetan, wo für fremden Diensteifer kein Raum blieb.

Frau von Schlegel, die ich aufsuchte, lebte bald wieder mit ihrem Manne vereint, der aus Ungarn etwas später eintraf; auch sie hielten sich in bescheidener Stille, weil ihnen der Umgang in jenen Häusern, mit denen sie doch nahe Verbindung hatten, wenig behagen konnte. Zwar regte sich in Friedrich von Schlegel die Tadelsucht heftig, und er mochte in manchen Urteilen die Strenge der Frau von Arnstein noch überbieten, aber in seinen Äußerungen beobachtete er die größte Vorsicht, denn ungeachtet er schon damals seine eignen Wege im Auge hatte und dem Gange der österreichischen Sachen oft gar nicht zustimmte, so schloß er sich doch möglichst an die Staatsbehörde an und suchte den Maßregeln derselben eine gute Seite abzugewinnen, die sich[341] loben ließe. Anfangs hatte er viele Offenheit für mich und verhehlte seine tieferen Gedanken weniger; als er aber bemerkte, daß ich gerade in diesen von ihm abwich, wollte er auch seine Tagesmeinungen nicht mehr bloßgeben und verhielt sich schweigend, wenn ich, unbefangen und rücksichtslos, frei heraussagte, was mir in den Sinn kam. Seinen Geist und seine edlern Geisteswerke, seine Gedichte, Fragmente, kritischen Forschungen verehrte ich mit treuem Eifer, der ihm auch in der Öde, die ihn damals umgab, doppelt wohlgefällig sein mußte, denn er gestand, daß kein eigentlicher Wiener das Geringste von ihm wisse oder höchstens ihn mit seinem Bruder verwechsle, der das Jahr vorher als Begleiter der Frau von Staël dort einigermaßen bekannt geworden war; in Ungarn aber sei ihm widerfahren, daß man wohl von ihm gewußt, doch nur als von dem Verfasser der »Lucinde«, und daher gezweifelt habe, ob man ihn bei Damen einführen könne! Diesen berüchtigten Roman und das sinnliche Treiben, das ihm zugrunde liegt, wollte er damals noch keineswegs preisgeben, wie er späterhin zu tun doch gezwungen war, indem sowohl er selbst als auch die Forderung der Welt sich in entgegengesetzter Richtung steigerten. Nicht in ebensolchen Ehren wie ihn konnt ich seinen Bruder August Wilhelm halten, obschon ich bekennen mußte, daß dessen Meisterschaft und Eleganz der Formen von jeher wie ein Zauber auf mich gewirkt habe; es half nichts, daß in dieser Zeit aus Coppet ein Brief von ihm eintraf, der mich und meine Freunde wegen des Doppelromans ungemein lobte, ich verspottete die Vornehmheit und Beschützerart, die aus seinem Briefe sprachen, und gewann mir dadurch auch bei Friedrich keinen Dank, der wohl selbst über den Bruder sich gern lustig machte, aber dies doch höchst ungern von andern sah.

Ein glänzender Mittelpunkt für das gesellige Leben war der Graf Ferdinand Palffy, wo Theater, Kunst, Laune und Vergnügen und insbesondere auch hohes Spiel den politischen Anteil ganz in den Hintergrund drängten. Doch hatte[342] dieser Mann auf die letzten Verhandlungen einen nicht unbedeutenden Einfluß gehabt, denn die Kaiserin schätzte seinen hellen Verstand und vernahm gern seine Ansichten; er war auf diese Art ein starker Stützpunkt der Kriegspartei gewesen und nur spät erst von der Notwendigkeit des Friedens überzeugt worden. Aber von diesen Sachen war nun bei ihm keine Rede mehr, wenige Eingeweihte wußten um seine Beteiligung, und er selbst war der erste, sie zu vergessen. Man mußte doch wohl eine edle Stärke und geistige Freiheit in solcher Sinnesart anerkennen, welche sich den wichtigsten Aufgaben ebenso leicht entzieht als widmet und in beiden Fällen kaum davon spricht. Sein Glück im Spiel, seine Theaterführung, seine pracht- und geschmackvolle Eleganz lagen ihm jetzt mehr an als der politische Ehrgeiz, der ohnehin jetzt auch der eifrigsten Arbeit nur kurze Früchte verheißen konnte.

Bald war auch das Haus des venezianischen Grafen Geniceo wiedereröffnet, wo sich eine auserlesene vornehme Welt einfand, die regelmäßig am großen Spiel hier teilnahm; bedeutend waren die Summen, die jeden Abend hier umgesetzt wurden und deren Verlust bisweilen in die Lebensverhältnisse erschütternd eingriff; da mir das müßige Zuschauen nur langweilig war und neben der Geselligkeit des Spiels keine andre recht aufkommen konnte, so hatte das Haus für mich keinen Reiz, und wenn ich den Obersten abends dorthin begleitete, kehrte ich am liebsten schon vor der Türe um.

Dagegen fand ich Behagen und Annehmlichkeit jeder Art in dem Kreise, der sich um die Gräfin Eleonore von Fuchs, geborne Gräfin von Gallenberg, vereinigte. Sie war weniger schön als lieblich, reizend und fein, sie hatte nicht eben hervorstechenden Geist noch irgend solche Talente, aber die anmutigste Laune, eine sanfte Munterkeit voll kleiner Blitze, die natürlichste, offenste Freundlichkeit, bemüht und sorglos zugleich, mit einem Wort, ein hinreißendes Benehmen, dem Männer und Frauen gleicherweise huldigten. Von[343] denen, die sich ihr angehörig bekannten, wurde sie »die Königin« genannt, ihre Untertanen freuten sich der Ausbreitung ihres Reichs und lebten in größter Eintracht miteinander. Bentheim, der Graf von Wallmoden und Graf von Neipperg, der Prinz Philipp von Hessen-Homburg, der Graf Nugent, ebenso die Prinzessinnen von Kurland, besonders die jüngere, Herzogin von Acerenza, ferner eine Stiftsdame, Gräfin Christine von Kinsky, häßlich, aber überaus klug, in höchstem Grade lebhaft und aufregend, und noch andre Damen hohen Ranges und Ansehens waren hier ganz heimisch. Der Fürst Paul Esterházy, die Fürsten Moritz und Wenzel von Liechtenstein, der Niederländer Boreel, der Engländer King, der Major Graf von Nesselrode und andre beschlossen hier die meisten ihrer Abende. Auch den Grafen von Cavriani, der im Lager von Wagram nützlich gewesen war, sah ich hier wieder, wo seine heitern Einfälle viel zur Unterhaltung beitrugen. Man bedauerte die Abwesenheit von Gentz, der aus Ungarn gleich nach Prag gereist war, des Freiherrn von Tettenborn, des Fürsten von Windischgrätz und anderer, die ebenfalls diesem Kreise angehörten. Diese Gesellschaft, aus den glänzendsten Bestandteilen zusammengesetzt, hatte durchaus nichts von dem Zwange der großen Welt, dagegen alle Bildung und Freiheit derselben; Geschmack und Feinheit waren hier ein gemeinsames Element, in welchem jeder sich bewegte und seine Eigenheiten spielen ließ; von Schein und Ansprüchen konnte nicht die Rede sein, sie ordneten sich von selbst dem Wirklichen unter, was jeder war und leistete. Im besten Sinne durfte diese Gesellschaft die gute heißen, und ich habe selten genug andre gefunden, die ich ihr hätte gleichstellen können. Zwischen muntre Scherze und leichten Austausch unwichtigster Kleinigkeiten drängte sich die Erörterung großer Geschichtsmomente, der Ausdruck tiefer Empfindungen für Vaterland und Freiheit, denn beide Begriffe waren auch damals eng verknüpft, wenn schon der Inhalt des letztern etwas beschränkter gefaßt wurde als späterhin,[344] so war doch die Vorstellung des erstern groß und weit, denn man dachte nicht Österreich allein, sondern immer auch Deutschland und nahm die Sache des einen für die des andern. Oft betrachtete ich mir im stillen, wie diese Vornehmsten und Ersten des Landes hier zusammensaßen, unparteiisch und vorurteilslos die Gebrechen der öffentlichen Zustände aufdeckten, deren Abhülfe und Heilung besprachen und in Ermanglung solcher Möglichkeit wenigstens Mut und Hoffnung in sich aufrechterhielten; sie schienen dann ihrer Titel und Würden völlig zu vergessen und nur edle Krieger zu sein; sie dünkten mich von bürgerlichen Verschwörern, wie ich sie im nördlichen Deutschland kannte, durch nichts verschieden. Den Prinzen von Hessen-Homburg hörte ich einst mit so eindringender Biederkeit über die deutschen Zustände reden, daß er mir das innerste Herz rührte, ebenso den Grafen von Wallmoden und einst auch den Fürsten Paul von Esterházy, wovon diese Männer vielleicht keine Erinnerung mehr haben, mir aber blieb es eingeprägt. Sie erkannten die Notwendigkeit an, daß das gesamte Volksleben neue Gestalt gewinne, daß der einzelne darin aufgehe und scheinsamen Auszeichnungen entsage, um wirkliche zu gewinnen und durch diese zu gelten. So glücklich wirkt auf edle Gemüter Not und Drangsal; es waren vom Schicksal hart Getroffene, in ihrem Stolz Gekränkte, auf Selbstverleugnung Angewiesene, die so zusammensaßen.

Übrigens darf ich dergleichen Richtung keineswegs für die allgemeine ausgeben. Die große Menge, vornehm und gering, trachtete nur, alles Überstandene zu vergessen und so schnell als möglich wieder in alten Gewohnheiten und Genüssen zu leben. Kaum vier Wochen waren vergangen, so gewährte Wien schon wieder den Anblick einer belebten, volkreichen, üppigen Stadt; die bürgerliche Tätigkeit, die Lustbarkeiten des Volks, die Gesellschaften der Vornehmen, alles nahm einen neuen Schwung. Fünf Theater waren jeden Abend gefüllt. Man versprach sich eine herrliche Faschingszeit. Die Nachwehen des Kriegs suchte man zu[345] verschmerzen, den Verlusten, welche das Papiergeld verursachte, standen andrerseits ungeheure Gewinste gegenüber; es war auch hier sichtbar, daß öffentliches Unheil nicht alle Schultern belastet, daß mancher einzelne nicht nur frei ausgeht, sondern auch unverhoffte Vorteile zieht; die Reichsten und Begütertsten des Landes wurden persönlich ihre Einbußen oft kaum gewahr, die Größe ihrer Mittel bot ihnen immer noch im Überfluß alle gewohnten Annehmlichkeiten des Lebens. Wollte dem strengern Sinne, der die traurigen Ereignisse und die allgemeine politische Lage nicht vergessen konnte, dieses eilige Zurücksinken in Weichheit und Üppigkeit, in den Wirbel alltäglicher Vergnügung und Langweile nur widerwärtig und verächtlich dünken, so mußte ein billiger Betrachter doch zugestehen, daß in diesem Leichtsinn auch ein Selbstgefühl verborgen lag, welches mit Mut und Trotz nicht ohne Verbindung ist. Wohlleben und Fröhlichkeit kleiden das Wiener Volk auch ganz besonders gut, ihm scheint vor andern ein Recht darauf gegeben, dessen Ausübung mit so viel Anmut verbunden ist, daß alles Anstößige dabei verschwindet. Unmerklich wird auch der widerstrebendste Sinn etwas hingezogen; der Luft, die man atmet, muß man einige Einwirkung schon gestatten.


Das deutsche Schauspiel und Singspiel mußten wir als vortrefflich anerkennen, wenn auch einzelne – wie der alte Lange – uns in ihrer Manier zuwider oder mindestens fremd blieben, andre uns keineswegs so hochzustehen schienen, als der herkömmliche Beifall es besagen wollte. Für die Sängerin Anna Milder fühlten wir die reinste Bewunderung, auch Brockmann und Ochsenheimer befriedigten uns sehr, besonders aber Krüger, der in humoristischen Feinheiten des Lustspiels unübertrefflich war. Mehr indes als das Burgtheater gefiel uns das Theater am Kärntnertore, wo die italienische Oper herrschte und besonders Cimarosa uns entzückte, dessen »Matrimonio segreto« so frisch und rund gegeben[346] wurde, daß wir keine Wiederholung versäumten; die Ballette, welche mit der italienischen Oper verbunden waren, übertrafen alles, was wir je gesehen hatten, manche der Pantomimen, in welchen auch gewaltige Grotesktänzer auftraten, gingen in Mutwillen und Laune weit über den Ausdruck sogar des Wiener Komischen hinaus und versetzten uns in die überschwengliche halbtolle Volksart der Italiener, wo denn Kerner für seinen Humor vielfachen Anklang fand.

Das Theater an der Wien leistete in seiner Weise ebenfalls Außerordentliches. Die großen Lärmstücke mit Gefechten, Pferden, Verwandlungen ließen in betreff dieser Erfordernisse nichts zu wünschen übrig. Auch niedrigkomische Vorstellungen, besonders wenn Hasenhut darin zu tun hatte, gewannen verdienten Beifall. Für uns blieben jedoch die Schauspiele von Emanuel Schikaneder bei weitem die Hauptsache. Dieser Mann, der als Direktor und Dichter einst in Wien so hoch gestanden und durch Talent und Tätigkeit eine große Bedeutung und mannigfachen Einfluß erworben hatte, genoß außerhalb Österreichs nur einen schlechten Ruhm; von Jugend auf hatten wir seinen Namen nur als Bezeichnung des Verwerflichen, des Jämmerlichen gehört, und sein Textbuch zu Mozarts »Zauberflöte«, das uns ebenso gering dünkte als die Musik herrlich, konnte die Verdammnis nur bestätigen. Hier aber, wo wir die Schauspiele des Mannes kennenlernten, seine »Bürger in Wien«, seine »Fiaker«, diese Stücke, welche freilich nur in der Örtlichkeit wurzelten, nur hier verstanden und gefühlt werden, ja auch nur hier die entsprechenden Darsteller finden konnten, erfuhr unser Urteil eine gänzliche Umkehrung. Ich mußte gestehen, daß in Schikaneders Erzeugnissen eine poetische Kraft waltete, in der sich Lebensverstand und Phantasie mit ernstem Gehalt vereinigten; ich bedachte die Umstände, unter denen er hervorgetreten und gewirkt, das Verhältnis der Literatur und der Sprache, dem er unterworfen blieb, und mir wurde klar, daß ein großes Talent in[347] ihm durch notgedrungene Hingebung an das unmittelbare Leben gleichsam verbraucht und aufgerieben worden! Ein Geschick, das wohl tragisch zu nennen ist und das in gewissem Sinne ein wahrhaft deutsches heißen kann, denn bei andern Nationen, wo Literatur und Sprache in gleichmäßiger Geltung und mehr zur Einheit entwickelt sind, kann ein solches Los weniger vorkommen. Schikaneder hätte in der deutschen dramatischen Literatur gewiß Großes leisten können, wäre ihre Bildung mit dem Volkstümlichen, das ihm zunächst lag, vereinbar gewesen; aber um das allgemeine Deutsche anzustreben, hätte er das Wienerische zurücksetzen und dadurch seiner wahren Kraft entbehren müssen, ohne diese wäre er den Deutschen doch immer nur gering, den Wienern aber gar nichts gewesen; es war natürlich, daß er dem stärkeren Zuge folgte und sich dem ihm nächsten Element überließ, das ihn doch eigentlich verschlang.

Das Leopoldstädter oder Kasperle-Theater, welches damals in der Höhe seines Glanzes stand, besuchten wir weniger gern und nur zweimal, soviel ich mich erinnere, das Josephstädter; dem Niedrig-Komischen, wie es dort ausgeführt wurde, sprachen wir seine Vortrefflichkeit nicht ab, indes waren wir doch weit mehr dem Humor zugetan, der uns auf den andern Bühnen angenehm entgegentrat; übrigens herrschte in den kleinen Theatern ein Übermaß von Roheit, in welcher Schauspieler und Publikum behaglich zusammenstimmten, wir aber keinen Reiz finden konnten.

Mein Theaterbesuch ließ mich die vornehmere Welt nicht ganz vernachlässigen, die ohnehin erst am späten Abend zusammenkam. Ich fand bei der Gräfin von Fuchs immer die gleiche liebenswürdige Stimmung, das innere Leben der Gesellschaft nur erhöht, den Ton nur offner und traulicher. Mein Seltnerkommen war im Grunde für niemanden beachtenswert, und wenn es zufällig zur Sprache kam, so war es nur in dem Sinne, daß man mir größere Freundlichkeit beweisen wollte. Von dieser Seite war also kein Mangel.[348] Dagegen fühlt ich einen solchen in mir selbst, ich war in dem Kreise nicht mehr so behaglich als in der ersten Zeit. Die Ursache war mir bald klar: der wahre Reiz einer solchen Geselligkeit entsteht aus dem täglichen Zusammensein, aus der ununterbrochenen Gewohnheit, welche stets im Innersten der Beziehungen weilt, ihre Anknüpfungen einmal gemacht hat und nun immer in derselben Spannung erhält; treten Lücken ein und finden Abschweifungen statt, so lockern sich die Fäden, hin und wieder reißt auch wohl einer ab, und man hat dann bei der Wiederkehr immer erst wieder herzustellen, einzurichten. Wiewohl ich nun dies Geheimnis der Geselligkeit genugsam einsah, so wollt ich mich doch der Lehre, die daraus hervorging, nicht recht fügen, sondern war fast auf dem Punkt, aus dem einzigen Grunde, weil ich seltner gekommen, nun gar nicht mehr zu kommen, eine Torheit, die mein Oberst doch hinderte. Aber in dieser kleinen Verstimmung unterließ ich, andre Kreise zu betreten, die mir nicht gleichgültig sein durften, namentlich versäumte ich, den Fürsten von Ligne und die fürstlich Clarysche Familie aufzusuchen, auf welche ich angewiesen und wo ich des besten Empfangs und der mannigfachsten Annehmlichkeiten versichert war. Ich versäumte auch, mit nachheriger Reue, den berühmten Historiker Freiherrn von Hormayr persönlich kennenzulernen, dessen »Geschichte von Tirol« und »Österreichischen Plutarch« ich mir doch nicht entgehen ließ. Gentz war nicht in Wien, sondern aus Ungarn geradesweges nach Prag abgereist, wo er häuslich eingerichtet war.

Wie sehr wir auch von der eigentlichen Literatur abgeschnitten waren, so drang doch die Ankündigung der Goetheschen »Wahlverwandtschaften«, die nächstens erscheinen sollten, früh genug bei uns ein und setzte mich sogleich in Bewegung. Ich beauftragte einen Buchhändler, mir das Buch, sobald es erschiene, gleichviel ob erlaubt von der Zensur oder verboten, um jeden Preis zu verschaffen; denn solchen Schatz noch für die Reise nach Italien mitnehmen[349] zu können war mir die wichtigste Angelegenheit. Er versprach alles aufs beste, und als die Abreise schon ganz nahe schien, kamen richtig einige Exemplare an, welche, unaufgehalten von der Zensur, sogleich vergriffen waren. Ungeduldig fragte ich nach dem meinigen, aber der Buchhändler war so unverschämt, mir zu sagen, er habe mir keines bestellt, sondern mich auf seine Liste geschrieben für den Nachdruck, den er von dem Buche veranstalte, der in drei bis vier Wochen fertig sein würde. Man kann denken, daß meine Empörung in harte Schmähreden ausbrach; die Schändlichkeit des Nachdrucks, der mir gespielte Streich, der Verdruß, nun das Buch vor der Abreise nicht mehr bekommen zu können, alles erregte meinen Zorn aufs heftigste. Da sich der Anlaß fand, an Cotta zu schreiben, so ließ ich den abscheulichen Vorfall mit einfließen, war aber nicht wenig verwundert, nach einiger Zeit im »Morgenblatte« die betreffende Stelle meines Briefes abgedruckt zu finden, mit Angabe aller Namen. Das war ein Vorgriff, zu dem Cotta nicht berechtigt sein konnte, er hatte seinem Eifer und Zwecke jede Rücksicht geopfert und mich ungebührlich bloßgestellt, denn meine Ausdrücke waren nicht für die Öffentlichkeit gewählt. Indes war mir doch eine Genugtuung bei der Sache, und ich gönnte dem Nachdrucker die empfangene Ladung, die er auch still hinnahm. Übrigens war es merkwürdig, daß die während der Anwesenheit der Franzosen begonnenen Nachdrücke von Schillers und Goethes Werken nach der Rückkehr der österreichischen Behörden ungestört fortgingen; man wollte die Verbreitung der ersten Schriftsteller der Nation doch nicht geradezu hemmen, und daß sie durch Nachdruck geschah, war ein Grund mehr, sie zu gestatten, denn es galt noch sehr die Ansicht, daß der Gewinn einheimischer Gewerbe unter allen Umständen zu fördern sei.


Die Reise nach Italien stand noch stets vor Augen, und mancherlei Vorkehr wurde in diesem Sinn getroffen; indes[350] war das Jahr 1809 abgelaufen und bald auch der Januar des neuen Jahres schon größtenteils verflossen, ohne daß die Sachen zum Schlusse kamen. Die Hoffnung auf das Karneval in Venedig wurde schon aufgegeben, und plötzlich stellten sich der ganzen Reise unübersteigliche Hindernisse entgegen. Die Briefe aus Westfalen meldeten nur ungünstige Vorgänge und immer trübere Aussichten in der Heimat. Nicht besser lauteten die Nachrichten aus Prag vom Regimente, das inzwischen dort eingetroffen war; es gab Übelstände jeder Art, die zu beseitigen, vielfache Ansprüche, die nur durch den Obersten zu erfüllen waren; seine Anwesenheit wurde dringend gewünscht, ja wurde durch die Umstände fast geboten. Der Übergang aus dem Krieg in den Friedensdienst, die Schwierigkeiten einer verwickelten, mit großer Verantwortung verknüpften und dabei peinlich beaufsichtigten Verwaltung, die überall im Kriegswesen eintretende Sparsamkeit bei fortwährendem Sinken des Papiergeldes, alles mußte den Obersten bestimmen, sich zuvörderst zu dem Regiment zu begeben, mit dem er ohnehin noch wenig eingelebt war, und demselben als Haupt und Führer kräftig vorzustehen. Wir reisten demnach in den ersten Tagen des Februar von Wien ab, und nach einer dreitägigen Fahrt, die im trüben Winter und Lande nichts Erfreuliches hatte, gelangten wir glücklich nach Prag.

Quelle:
Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten des eigenen Lebens. Berlin 1971, S. 338-351.
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