Nach dem Wiener Kongreß. Berlin. Paris

1815

[108] Berlin, wo wir am 18. Juni vormittags ankamen und das nach Wien, Prag und selbst Dresden uns ziemlich öde und ärmlich vorkam, schwebte in sorgenvoller Betroffenheit; die Rückkehr Napoleons von Elba und sein neues Festsitzen als Herrscher in Paris hatte die Leute schrecklich aus ihrer Siegesruhe aufgeweckt, alle Aussichten getrübt und auch[108] augenblicklich schon die tiefsten Zerrüttungen verhängt; denn das Sinken aller Staatspapiere wirkte auf alle Vermögensverhältnisse, und die allgemeine Unsicherheit brachte Stockung und Mißtrauen in alles Geschäftswesen. Man wußte, daß der Krieg beschlossen sei, und sah die Anstalten dazu mit größtem Eifer betrieben; die preußische Heeresmacht stand in den Niederlanden schon kampfbereit; es hieß, der König werde unverzüglich dahin abreisen, der täglich erwartete Staatskanzler ihm dann sofort an den Rhein folgen, um in der Nähe der Ereignisse zu sein. Aber wie diese Ereignisse ausfallen würden, das war die große Frage, an die fast jedermann nur mit Schrecken dachte. Die offenbar gewordene, durch die gemeinsame Gefahr nur zweifelhaft versöhnte Uneinigkeit der Mächte, der seit den langen Verhandlungen des Kongresses in hingehaltenen Erwartungen, zum Teil unter dem Druck provisorischer Verwaltung, ungeduldig gewordene Volksgeist, das jetzt ganz veränderte Ansehen eines an den Grenzen zu führenden Krieges, der nach der Meinung vieler vermieden bleiben konnte, dessen Zweck nicht jedem Sinn einleuchtete, und gegenüber die staunenswerte Einstimmigkeit der Franzosen, das rasche Zusammenwirken von Heer und Volk unter einem Haupte, das den Zauber alter Kriegsführung mit dem größern des jetzt wieder aufgenommenen Freiheitsrufes verband: dies alles waren Zeichen, bei denen auch der Mutigste auf unserer Seite wohl bedenklich werden durfte. Ohnehin waren die Männer des Entschlusses und der Tat und die frische Jugend meist beim Heer, und das zurückgebliebene Philistertum machte sich in der Stadt ungestraft breit. Hiebei wurde bald bemerkbar, daß bei manchen Beamten und Geschäftsleuten, deren Angst innerlich die größte war, diese äußerlich den entgegengesetzten Anschein nahm: sie wollten sich mit Gewalt Mut machen und ließen ihre erdichtete Zuversicht in die lächerlichsten Prahlereien ausgehen, sie schwelgten im Franzosenhaß, sie fanden auf unserer Seite alle Maßregeln vortrefflich, sie wollten nun entschieden Frankreich teilen[109] und sich gegen künftige Ruhestörungen auf immer sichern; dagegen wußte, wer hinter die Vorhänge sah, daß gerade solche Leute, die das Wort so hoch führten, in der Stille sich auf Unglück und Flucht vorbereiteten!

Ich ließ die unsinnigsten Meinungen und jämmerlichsten Urteile ruhig an mir vorüberrauschen und mied Streitigkeiten, die zu nichts führen konnten; doch im engsten Kreise, und wenn die Anmaßung allzu aufdringlich wurde, konnte ich bisweilen nicht umhin, das vorlaute Gewäsch derb abzuweisen.

Inzwischen hatte Napoleon, nicht ohne mächtigen Eindruck auf die Gemüter bei Freund und Feind, sein »Maifeld« gehalten, einen neuen Vertrag mit der französischen Nation geschlossen und war darauf zu seinem Heer abgegangen, das an der Grenze der Niederlande versammelt stand. Daß er bis zuletzt den Frieden anbot, daß er alles anwandte, um die Mächte einzeln zum Unterhandeln zu bewegen, war in seiner Lage gegründet. Ich wußte aus guten Quellen, daß in Österreich eine starke Meinung sehr zum Frieden neigte und es sogar beklagte, daß die Entführung des kleinen Napoleon aus Schönbrunn nicht gelungen sei; man hatte durch die Kaiserin Marie Luise einen zu guten Einsatz in dem Geschicke Napoleons, um nicht wie schon früher zu wünschen, dessen Glanz und Macht wenigstens teilweise erhalten zu sehen. Wankend waren auch, in manchen Augenblicken, die Gesinnungen des Kaisers von Rußland geworden, und er hatte schon geäußert, die Achtserklärung des Kongresses gegen Napoleon sei eine Übereilung gewesen. Der Frieden schien also noch bis zuletzt wohl möglich, und Hardenberg, Wilhelm von Humboldt, Gneisenau, Grolman und andere Männer solchen Sinnes und Überblicks konnten sich der Befürchtungen nicht erwehren, welche mit einer derartigen Wendung der Dinge insonderheit für Preußen eintreten mußten, das ohne die Aushülfen der andern Mächte in solchem Falle gegen Frankreich nächst und vereinzelt übrigblieb. Andere Männer aber auch gab es, die den[110] Frieden wünschten, weil sie beim Kriege für die Volksfreiheit fürchteten, die ihnen die Hauptsache war und die in Frankreich schon wieder mitsprach, in Deutschland noch kaum zu erwachen schien.

Von allen Seiten indes führte der Zug der Dinge zum Kriege. Die Heere Österreichs und Rußlands wälzten sich gegen den Rhein, und Napoleon, der seine geheimen Unterhandlungen noch nicht verloren gab, sah sich gezwungen, einen großen Schlag zu tun, wenn auch nur, um jene zu fördern; galt es aber ernsten, fortgesetzten Krieg, so war es um so dringender, die vordersten Feinde zu schlagen, ehe die nachrückenden völlig herankämen. Doch glaubten wir nicht, daß die Franzosen zum Angriffe schon bereit wären und dem unsern zuvorkommen könnten. Als wir in Berlin am 24. Juni den von Napoleon begonnenen Ausbruch der Feindseligkeiten und zu gleicher Zeit die Nachricht von einem großen Siege der Preußen erfuhren, zeigte sich in dem tiefatmenden Staunen und zögernden Glauben an die Größe des Erfolgs, wie wenige Gemüter auf einen solchen eigentlich vorbereitet gewesen. Daß zwei Schlachten geliefert und die erste unsererseits verloren worden, daß wir sechzehntausend Mann eingebüßt hatten und Blücher selbst beinahe gefangen worden wäre, gab ernste Gedanken und kühlte die Siegesfreude; dazu fehlte noch der preußische Bericht, nur der des Herzogs von Wellington war eingetroffen und gab uns die Vorgänge fürerst nur in der englischen Beleuchtung. Ich mußte diesen Bericht bei einem großen Gastmahl in der Börsenhalle auf dringendes Begehren laut vorlesen und brachte gute Wirkung hervor; aber die Überlegung des Geschehenen und des nun weiter zu Gewärtigenden ließ noch manche bedenkliche Zweifel stehen. Man hörte mit Unruhe und Sorgen, daß Napoleon schon bei Laon sich wieder gesetzt und Blücher mit den Preußen allein die Verfolgung übernommen habe, man fürchtete, der verwegene Husar könnte diesmal zur Unzeit sein »Vorwärts« ausgerufen und sein Eindringen in das wieder waffenfreudige Frankreich[111] schwer zu büßen haben. Denn jetzt war die Kraft Napoleons wieder mit der Kraft der Revolution im Bunde, die er früher geschwächt und unterdrückt hatte, jetzt aber an seiner Seite – wenn auch ungern – gelten ließ und ihr nur seine Feldherrngröße lieh. Das in den Niederlanden geschlagene französische Heer aufgelöst und vernichtet zu denken fiel niemanden ein, im Gegenteil hörte man aus kriegsmutigstem Munde die Warnung, das Bild unserer Niederlage bei Auerstedt und Jena nicht voreilig auf die jetzigen Unfälle Napoleons zu übertragen. Ich merke diese Äußerung der Ansichten und Meinungen des Tages geflissentlich an, weil man sie später völlig abzuleugnen pflegt, besonders wenn der Ausgang der Dinge sie verworfen hat und den entgegengesetzten Stimmen, welche blind ins Ungefähr alles Erwünschte prahlend verkündigten, den Schein eines Rechtes gibt, das in Wahrheit ihnen doch nicht gebührt.

Unsere Abreise wurde nun eilig angeordnet, doch immer noch von Tag zu Tag verschoben, weil viele dringende Angelegenheiten vorher zu erledigen waren. So konnten wir auch noch Zeugen eines Parteikampfes werden, der in seiner Unscheinbarkeit ein warnendes Bild der leidenschaftlichen Gehässigkeit gab, die unter dem Schimmer begeisterter Eintracht bisher geschlummert hatte und nach kurzer Frist in hellen Flammen ausbrach. Eine gemeine Posse, von einem verstorbenen Breslauer zur Verspottung der Juden geschrieben, »Unser Verkehr« genannt, war von dem Intendanten der Königlichen Schauspiele, Grafen von Brühl, auf den 1. Juli zur Aufführung angesetzt, sehr unschicklich in dieser Zeit und in der Hauptstadt, wo die Juden durch dargebrachte Opfer und durch persönlichen Andrang zu den Waffen mit den übrigen Einwohnern rühmlich gewetteifert, mehrere Juden Offiziere geworden oder das Eiserne Kreuz erworben hatten und auch jetzt wieder dem Feinde kämpfend gegenüberstanden. Aber schon regte sich ein vornehm tuender, sich für christlich ausgebender Stolz, und von vielen Seiten barg man nicht die Freude, eine unbequeme[112] Klasse von Mitbürgern durch jene Aufführung empfindlich beschämt und gedemütigt zu sehen. Der Staatskanzler, zu rechter Zeit angerufen, ließ die Aufführung untersagen, und da der Graf von Brühl, eines mächtigen Hinterhaltes versichert, nicht sogleich nachgeben wollte, so mußte das Verbot mit allem Ernst eingeschärft werden. Hierüber entstand nun großer Lärm in der Stadt; man schrie, Hardenberg maße sich eine Gewalt an, die ihm nicht zustehe, er beschränke die Freiheit, und sogar solche Personen, die dem Sinne des elenden Stückes nicht beipflichteten, ja, dasselbe auspochen wollten, tadelten heftig das Verbot. Das war ein Stoff zu traurigen Betrachtungen; Oelsner meinte, da zeige sich, auf welcher geringen Stufe der Freiheitsentwickelung die Berliner noch ständen, nach der Preßfreiheit frage kein Mensch, kein Mensch nach öffentlichen Verhandlungen, man ertrage die unbedingte Ausübung der Polizeigewalt; aber wenn die Freiheit schnöder Verspottung auf der Schaubühne mit Recht untersagt werde, da schreie der gemeine und vornehme Pöbel, als greife man frevelhaft seine Vorrechte an! Stägemann nahm die Sache von anderer Seite und sagte, wenn die blutigen Schatten der bei Lützen im Kampfe gefallenen Moritz Itzig und Hauschildt unter den Zuschauern sichtbar würden, so dürfte diesen die Lust am rohen Spaße vergehen. Viele unserer angesehensten Männer sprachen mit gleicher Empörung. Für den Augenblick allerdings behielt der gute Sinn die Oberhand. Allein einige Zeit nach der Abreise des Staatskanzlers wußte die feindliche Partei dennoch die Aufführung der Posse durchzusetzen, und ein nicht ungeschickter, aber tief gemeiner Komiker Wurm feierte seinen würdigen Triumph darin!

Bis zum 4. Juli noch verzog sich unsere Reise; am Morgen dieses Tages fuhren wir nach Glienicke, dem Landhause des Fürsten von Hardenberg, wo sich die Reisegesellschaft zusammenfand und noch das Mittagessen einnahm, welches zwischen den zuletzt noch übermäßig gehäuften Arbeiten sich einschieben mußte. In diesen späten Augenblicken traf[113] nun auch der preußische Schlachtbericht ein, der bisher so unbegreiflich gefehlt hatte. Der Staatskanzler reichte mir ihn und hieß mich ihn vorlesen. Der Eindruck war sehr wunderbar; die Hörer empfingen statt gewöhnlicher auf Zahl und Maß begründeter Angaben eine Reihe lebhafter Bilder, welche den Wechsel der Ereignisse den Sinnen vorführten; man fühlte sich aufgeregt und fortgerissen. Da hieß es, man sehe, daß Gneisenau die Feder ebenso mächtig führe als den Degen, und Hardenberg erklärte den Bericht für ein Meisterstück. Der Name Gneisenau stand allerdings unterschrieben, aber gleichwohl hatte seine Feder ihn nicht aufgesetzt. Ich hörte später den wahren Zusammenhang. Als nach dem Gewinne der Schlachten alles nur zur Verfolgung des Feindes drängte, war an die Notwendigkeit erinnert worden, von dem großen Kampfe auch einen raschen Bericht abzufassen. Der Oberst von Pfuel setzte sich eiligst an die Arbeit; aber während er schrieb, ritt Blücher fort; alle Generale folgten, und Gneisenau wollte gleichfalls eben zu Pferde steigen, da hielt Pfuel ihm das noch nasse Blatt zur Unterschrift hin, die dann auch nach einigem Bedenken, ob auch die Sache zulässig, rasch gegeben wurde. Gneisenau und Pfuel sprengten sodann dem Feinde nach, das Blatt ging rückwärts zu den Freunden. Dem Irrtum, der uns damals in Glienicke befing, mußte jeder Leser unterliegen, und noch heute findet sich jener Bericht oft als das Werk Gneisenaus erwähnt, dessen Geisteseigenheit man damit belegen will. – Erst mit einbrechender Dunkelheit kamen wir zur Abfahrt, und der lange Zug von Wagen sauste bald im Sturme durch die Nacht dahin.

Der König mußte den letzten Nachrichten zufolge mit den Truppen jetzt schon in Paris sein, und auch wir sollten uns diesem Ziele nähern; von einem Feldzuge schien kaum noch die Rede, nur von einer Reise, die freilich durch unsichere, verwüstete Gegend, durch fremde Kriegsvölker und deren Nachzügler und vielleicht durch aufständische Bauern führen konnte, wogegen uns aber auch wieder besondere Maßregeln[114] und von seiten der verbündeten Truppen die erforderlichen Bedeckungen zu Gebote standen.

Der Ernst lag uns dabei schwer genug auf und drängte uns mit Macht vorwärts. Kuriere kamen uns von Paris entgegen und eilten, schnell abgefertigt, wieder dahin zurück und uns voraus. Am 15. Juli abends trafen wir daselbst ein und fanden unsere schon bestellten Quartiere im Faubourg Saint-Germain, Rue de Varennes, der Fürst im Hotel des Marschalls Davoust, Stägemann und ich nahebei. Doch wurden wir augenblicklich, und ohne die Reisekleider zu wechseln, wieder zum Fürsten gerufen, um mit ihm zu Abend zu essen, wo wir zu meiner großen Freude noch Justus Gruner fanden. Da wurde denn in raschen Zügen das bisher Geschehene zusammengefaßt, der Stand der Dinge nach den unzweifelhaften Tatsachen erörtert und mit unsern Ansichten zusammengehalten. Hier war denn leicht zu erkennen, daß die Hauptentscheidungen schon vorweggenommen, die Sache der Franzosen wieder in die für uns unvorteilhafteste Gestalt, in die des bourbonischen Königtums, verwandelt sei, und die Sache der Verbündeten in dem vorgreifenden Ansehen Rußlands und Englands für die doch nächstbeteiligten deutschen Angelegenheiten nur eine zweite oder dritte Stelle übriglasse. Hardenberg, mit welchem Stägemann, Gruner und ich längere Zeit ganz allein blieben, gestattete uns die freieste Äußerung, und wir verhandelten mit ihm und vor ihm unsere innersten Meinungen, die wunderbar untereinander und mit den seinigen übereinstimmten. Ich erwarb mir an diesem Abende Hardenbergs Beachtung und erhielt von ihm den Auftrag, in dem Sinne, wie ich die preußische Sache aufgefaßt, fleißig für die öffentlichen Blätter zu schreiben, wozu er mich fernerhin mit näheren Weisungen versehen wolle. Denn es war wohl auf dem diplomatischen Wege viel verloren, aber noch lange nicht alles, und es war die Absicht, mit allen Kräften sich zum Kampf aufzustellen und zu versuchen, wieviel noch wiederzugewinnen, was zu behaupten sei. Dabei konnten die Ereignisse[115] uns allerdings zu Hülfe kommen; denn noch schwankte vieles und ließ neue Wendungen möglich, die wir zwar nicht herbeiführen, aber benutzen durften. Seit acht Tagen waren die Bourbons, ohne unser Zutun, nur durch den Schutz der Engländer begünstigt, nach Paris zurückgekehrt und hausten in den Tuilerien; aber diese acht Tage hatten auch schon gezeigt, wie feindlich ihnen die Masse der Nation sei, wie schwer es ihnen sein würde, die Herrschaft zu behaupten, besonders bei der Wut ihrer eigenen Partei, unter deren Einfluß jede weise Mäßigung unmöglich wurde. Das Heer hinter der Loire behauptete noch eine drohende Stellung. Napoleon wußten wir in Rochefort, aber noch nicht eingeschifft; es konnten noch Schlachten nötig werden, die wir nicht einzig der Bourbons wegen zu fechten dachten; der Süden Frankreichs war voll Unruhen, aus denen sich wunderbare Spaltungen entwickeln konnten.

Am nächsten Morgen war mein erster Gang zu dem Obersten von Pfuel, der von seilen Blüchers als Kommandant der einen Hälfte von Paris, so wie der General von Müffling als Gouverneur derselben eingesetzt war, dagegen Wellington für die andere Hälfte ebenso englische Befehlshaber ernannt hatte. Bei Pfuel fand ich unter den ihm zugeteilten Offizieren auch die Lieutenants Graf von Flemming und Graf von Holck wieder, und der Kreis erwünschter Bekannten erweiterte sich jeden Augenblick. Diese Kriegsmänner waren alle desselben politischen Geistes, voll Mut und Eifer für die Sache Preußens, voll deutscher Gesinnung. Dem Hasse gegen Napoleon gesellte sich schon Achtung und Teilnahme, der Widerwillen gegen die Bourbons, welche auf dem Throne gleich wieder das feindliche Frankreich vorstellten, wurde mehr und mehr zum schnödesten Haß gesteigert; ihre Anhänger gaben uns schon deutlich genug und oft genug durch die Tat zu erkennen, die Verbündeten hätten das ihrige nun geleistet und könnten als lästige Gäste nur eiligst wieder abziehen, höchstens möchten sie sich bereithalten wiederzukommen, falls man sie brauchte;[116] die Ehre, den rechtmäßigen Herrscher wieder eingesetzt zu haben, durften wir uns teilen, damit sollten wir uns für überbelohnt halten. Gegen solches Meinen und Verfahren – denn wirklich traten uns die bourbonischen Behörden überall beengend entgegen, und unsere Truppen mußten die nötigsten Bedürfnisse mit Gewalt ertrotzen – erhob sich eine wahre Erbitterung, deren Ausbrüche sehr schlimm werden konnten, wenn nicht die verbündeten Herrscher durch ihre Rücksicht und Nachgiebigkeit für die Bourbons den kriegerischen Aufwallungen Einhalt getan hätten, so daß sogar Blüchers herber Unmut in dumpfes Murren herabgestimmt wurde. Die Stimmung in der gebildeten und höheren Region des preußischen Heeres war ziemlich gleichmäßig, doch ließ sich eine zweifache Schattierung wohl bemerken, daß nämlich die einen unbedingt Frankreich bekämpfen, besiegen, schwächen und allenfalls teilen wollten, unbekümmert um dessen eigenes Geschick, die andern dagegen nach Besorgung unserer Sache auch die der Franzosen wahrnehmen, ihnen keine Regierung aufdringen, sondern jede selbständige innere Freiheit gönnen wollten; diese sahen nicht ungern die dreifarbige Fahne und die beim Einrücken der Preußen noch tätige Kammer der Repräsentanten, die in ihren Beratungen anfangs von den preußischen Wachtposten sogar beschützt wurde; zu dieser Schattierung gehörten kraftvolle und einflußreiche Befehlshaber, selbst Gneisenau und Grolman waren ihr nicht fremd, und Blücher lieh ihr in manchen Fällen sein derbes Wort, sie war diejenige, der auch Hardenberg und Humboldt bis auf einen gewissen Grad beistimmten; allein nach dem Gange, den die Sachen einmal genommen, war diese Richtung amtlich nicht mehr zu vertreten, und da mit der kundwerdenden Einschiffung Napoleons die Bourbonisten die letzte Furcht verloren, so mußte die großmütige Teilnahme sich allmählich in das Innere der Gesinnungen zurückziehen, und während solche Stimmen verstummten, wurden die entgegengesetzten, ritterlich für die Rechtmäßigkeit des alten[117] Königshauses und für die Vortrefflichkeit des alten Regierungszustandes eifervollen, um so lauter.

Was mir an der vollständigen Kenntnis des Geschehenen noch fehlen mochte, erntete ich reichlich bei dem Grafen von Schlabrendorf, den ich sodann besuchte und bei dem ich Stägemann einführte. Der treffliche Greis nahm sich in dem langen Bart, den er sich aus Bequemlichkeit hatte wachsen lassen, wunderlich aus, aber von seinen Lippen strömte die hellste Kenntnis der Dinge, das reifste Urteil. In ihm war die deutsche Gesinnung ganz lebendig, aber etwas mit der Bekümmernis belastet, daß solche, jetzt bis zur Ungerechtigkeit gegen die Franzosen gesteigert, in diesen dem allgemeinen Geiste der Freiheit leicht zu nahe treten könnte. Er hatte mir während der Hundert Tage zweimal nach Wien geschrieben, ausführliche Schilderungen der Lage der Dinge, beide Briefe waren über die Schweiz gegangen, aber mir nicht zugekommen; der größere erste blieb verloren, der zweite kam später noch glücklich in meine Hände und beweist noch heute den großen Blick des Mannes. Wir waren im eifrigsten Gespräch, da trat unerwartet Wilhelm von Humboldt ein, der ihm für nächstens den Besuch Hardenbergs ankündigte, ihn aber bat, schon heute mit demselben im Rocher de Cancale zu Mittag zu speisen, wozu auch Stägemann und ich im Namen des Fürsten durch ihn eingeladen wurden. Für Schlabrendorf war das nichts, er ging gar nicht aus und lehnte die Einladung ab. Als wir andern das berühmte Gasthaus betraten, fanden wir unter den Geladenen auch Altenstein, Flemming, Holck und sonstige Bekannte, der Fürst aber verließ uns früh wieder; er hatte den ganzen Vormittag in Beratung mit dem Könige zugebracht, jetzt erwartete der russische Kaiser ihn. Wir saßen noch zusammen, da ging die Türe auf, und es zeigte sich in voller Uniform der Feldmarschall Fürst von Blücher und der General Graf von Gneisenau; sie wollten den Staatskanzler begrüßen, nahmen aber nun, da sie ihn nicht mehr fanden, auch bei uns Platz am Tisch, dessen[118] Bedienung durch dies Ereignis kaum eine Unterbrechung erfuhr. Blücher saß neben mir, und ich empfing aus erster Hand die wunderlichen Aussprudelungen des beinahe fabelhaften Helden. Er schimpfte heftig gegen die Bourbonen, wollte Ludwig XVIII. durchaus nicht besuchen, zog gegen den Grafen von Münster und gegen dessen Spießgesellen, den Grafen von Hardenberg in Wien, als gegen erklärte Preußenfeinde los, verschonte selbst seinen »Bruder Wellington« nicht und hielt über Könige und Fürsten, wie der Zufall sie ihm vorführte, ein lästerliches Gericht. Manches klang auch für einige Anwesende nicht eben verbindlich, er sagte zu Humboldt, er und alle Diplomaten hätten noch wegbleiben sollen, sie würden wieder alles verderben. Ungleichartigere Streitkräfte konnte man nicht sehen, als Blücher und Humboldt gegeneinandergestellt; ob die Keule oder der Stoßdegen die bessere Waffe sei, blieb unbestimmt, aber soviel war klar, Humboldt stand nicht im Nachteil, und als man sich etwas näher verständigt hatte, stieß man zusammen auf guten Erfolg und auf beste Eintracht an.

Die französischen Angelegenheiten waren für den Augenblick hauptsächlich in den Händen Talleyrands und Fouchés, von denen der erstere den Bourbons getreu geblieben, der letztere noch eben erst der Minister Napoleons gewesen war; dem Eifer der Bourbonisten machte das jetzt keinen Unterschied, man duldete beide, weil sie jetzt notwendig schienen und der ehemalige Jakobiner und neuerliche Bonapartist Fouché gerade am meisten. Offenbar hatte er den von Elba wiedergekehrten Kaiser, indem er ihm zu dienen schien, doppelt verraten, an die Bourbons und an die Fremden; doch Napoleon war selber nicht aufrichtig gewesen, er hatte sich in den Schein der Freiheit und Gesetzlichkeit gehüllt, und auch dies mehr aus Zwang als freiwillig, unter der Hülle blickte deutlich hervor, daß der Sieg alsbald sie abwerfen würde; man bedauerte ihn daher wenig, und seine Entfernung galt dem Bürgersinn als eine Wohltat für Frankreich. Höhere Teilnahme wendete sich den beiden Männern[119] zu, welche inmitten der Erschütterungen nur immer die Sache des Volks und der Freiheit im Auge gehabt und mit ihren redlichen Bestrebungen gleicherweise dem Verrate Fouchés unterlegen waren, den beiden von seiten der Vaterlandsliebe untadligen Männern Carnot und Lafayette, von denen der erstere dem Wiederkömmling von Elba sich angeschlossen, weil er in ihm die sichere Wehr gegen den äußern Feind, der andere ihn gestürzt, weil er von dieser Wehr die innere Freiheit bedroht geglaubt. Während diese Männer mit allen Ehren und mit der Achtung sogar der Feinde vom Schauplatz abgetreten waren, behauptete sich Fouché auf demselben, verabscheut von allen, die nicht mit seinen Ränken verflochten waren oder Vorteil davon zogen. Als Polizeiminister hatte er eine ungeheure Macht in Händen, eine zum Teil unsichtbare und daher nicht genau zu ermessende; indessen mißtrauten ihm die Bourbons, und schon wetteiferte eine geheime Polizei des Hofes, eigentlich der Prinzen, mit der seinigen, suchte sie zu durchkreuzen, zu überlisten. Die Verbündeten durften sich nicht unbewacht solchem Doppelspiel überlassen, jede der Mächte traf ihre Vorkehrungen; preußischerseits wurde Justus Gruner mit ausreichenden, von ihm selbst bestimmten Hülfsmitteln den Fouchéschen Betreibungen entgegengestellt und entwickelte sogleich eine lebhafte Tätigkeit. Sein freundschaftliches Vertrauen teilte mir von dem, was er in Erfahrung brachte oder in Betrieb setzte, gar manches mit, was ihm für mich von irgendeiner Seite bedeutsam erscheinen konnte.

Die Gegenwirkung wider die Bourbons war in der Tat heftig und mannigfach. Das Heer hinter der Loire konnte noch nicht als ein ihnen unterworfenes angesehen werden. In den Departementern herrschte Zerrüttung und Gewaltsamkeit; wo die Partei des Königtums die Oberhand hatte, wie besonders im Süden, da geschahen Greueltaten, in andern Gegenden hinwieder wurden die Edelleute und Priester verfolgt. In Paris selbst, ungeachtet die Stadt von Preußen und Engländern besetzt war, erneuerten sich von Tag zu[120] Tag die drohenden Zeichen gärender Unruhen. Im Tuileriengarten tanzten wohl weißgekleidete Mädchen und Frauen, zum Teil aus den höheren Ständen, im Kreise und sangen dabei Spottlieder auf den Père la Violette, wie Napoleon nun hieß, aber schnell stoben sie auseinander, wenn eine Schar mit dem Geschrei »Vive l'Empereur!« vorüberstürmte. Abends unter den Fenstern des Königs Ludwig forderte ein tausendstimmiges Gebrüll »Vive le Roi!« gebieterisch sein Erscheinen am Fenster, doch kaum zeigte sich die wohlbeleibte unbehülfliche Gestalt mit dankender Verneigung und Handgebärde, so fehlte nie aus der Mitte vorbereiteter Gruppen der schneidende Zwischenruf: »Vive l'Empereur! à bas les Bourbons!« Die Schreier wurden wohl durch die Nationalgarden verhaftet, allein immer folgten andere, und ich habe eines Abends gegen tausend Mann Nationalgarden vergebens bemüht gesehen, dem unverschämten Hohn Einhalt zu tun. In der Vorstadt Saint-Antoine zog das Volk am hellen Tage mit einem Schwein herum, dem an die Ohren große weiße Kokarden gesteckt waren, und sang dazu mit rauher Wildheit: »Nous amenons le gros cochon.« Ludwig XVIII. hieß nicht mehr »le désiré«, sondern »l'inévitable«, die preußischen Soldaten nannten ihn mit Gespött »Louis tout de suite«, und im Puppenspiel auf dem Boulevard konnte man den Witz hören: »Vous croyez nous pouvoir imposer de si fortes contributions à cause de notre gros revenu!« Einen muntern Zug nationaler Gesinnung übte die bewunderte und unübertreffliche Schauspielerin Mlle Mars aus. Ich war mit Pfuel im Théâtre Français, als sie am 2. August zum erstenmal seit der neuen Wandlung der Dinge wieder auf die Bühne trat, unter dem ungeheuren Beifall der gedrängt vollen Versammlung. Sie hatte Verdruß von seiten der Behörde gehabt, weil sie mit Veilchen, dem damaligen Zeichen Napoleons, aufgetreten war; heute trug sie einen reichen Kleiderbesatz von roten Blumen, die aber beim Wechsel des Anzugs im zweiten Aufzug durch weiße und im dritten Aufzuge durch blaue[121] ersetzt wurden; so waren denn die drei Farben, die zugleich nicht erscheinen durften, nacheinander doch vorgeführt und das nationale Sinnbild richtig zustande gebracht. Der Beifall steigerte sich nun zum wahren Sturme, dessen weiteren Verlauf wir nicht abwarteten; die Nationalgarde, welche zur Stillung des Aufruhrs herbeikam, war in ihrer Uniform ebenfalls dreifarbig anzusehen, wurde darüber beklatscht und hatte nun um so weniger Lust einzuschreiten.

Jene ärgerlichen Auftritte, deren Wiederholung aus der alleinigen Kraft der Mißstimmung nicht zu erklären schien, wurden von vielen den Royalisten zugeschrieben, als welche dadurch den König von der Notwendigkeit scharfer Maßregeln überzeugen wollten, von andern aber, und wohl mit mehr Grund, den Ränken Fouchés, der dadurch noch größere Gewalt zu erlangen hoffte, wiewohl die ihm schon zustehende hätte hinreichen sollen, dergleichen zu verhindern; ließ er doch sogar unter den französischen Tagesblättern solche bestehen, die ganz offen gegen die Bourbons sprachen; der »Aristarque Français« wurde von dem Dichter Arnault in diesem Sinne mit Fouchés Wissen herausgegeben. Zugleich aber war diese Aufregung gegen die Fremden gerichtet, und in diesem Bezuge hatte Fouché, sofern man ihn als den Anstifter betrachtete, manche nationale und sogar manche royalistische Stimme für sich; gegen uns waren fast alle Franzosen einig, uns wünschten alle so schnell als möglich zurückgeschickt, höchstens als dem Hofe willenlos Dienende, gleich den Schweizern, wollten sie uns noch behalten. Die revolutionäre, konstitutionelle, nationale Partei, das war sichtbar, gewann in der Verwirrung täglich mehr Stärke.

Die Preußen standen freilich in den Reibungen und Schlägen wider das französische Wesen allen andern Verbündeten voran und erregten durch ihr folgerechtes Verfahren eine gesteigerte Erbitterung. Ein ungeheurer tausendfältig widerhallender Wehschrei erhob sich bei der Zurücknahme der Kunstwerke und Denkmale, welche Napoleon aus den[122] eroberten Ländern nach Paris zusammengebracht hatte. Bei dem Ersten Pariser Frieden war dieser Gegenstand gänzlich verabsäumt worden, und oft hatten die Friedensschließer darob harte Vorwürfe hören müssen. Auch bei dem Zweiten Pariser Frieden wäre es wohl nicht anders gegangen, hätte nicht Blücher mit seiner Feldherrnmacht hier vor- und durchgegriffen. Ehe noch die Monarchen in Paris waren, ließ er sogleich alles vormals preußische Eigentum dieser Art zurückfordern und wegnehmen. An Widerstand war in diesem Augenblicke nicht zu denken, und der preußische Anteil war nicht so beträchtlich, daß die ungeheuren Pariser Sammlungen den Verlust nicht hätten verschmerzen können. Als aber, auf Blüchers Anreiz, auch andere Beraubte ihre Zurückforderungen erhoben und unter dem Schutze preußischer Waffen bewirkten, nahm die Sache eine bedrohlichere Gestalt, und die Franzosen aller Parteien strengten alle Mittel an, den Verlust abzuwenden. Den Monarchen wurde vorgestellt, daß dieser Schimpf auf ihre Schützlinge, die Bourbons, zurückfalle, daß jene Kunstwerke in Paris dem allgemeinen Genusse und für die ganze gebildete Welt offenständen und daß es eine Barbarei sei, sie aufs neue zu zerstreuen. Rußland und England hatten in diesem Betreff wenig oder nichts anzusprechen und waren nur allzu geneigt, für eine Großmut zu stimmen, die ihnen nichts kostete; Österreich durfte schon bedenklicher sein, hätte jedoch wohl nie aus eigenem Antriebe seine Forderungen geltend gemacht. Doch die Sache lag tatsächlich schon nicht mehr in den Händen der Monarchen, das Beispiel war gegeben, ein Teil des Unternehmens schon ausgeführt, die Arbeit ging frisch vorwärts, und eine ungeheure Gewalt der Meinung hatte sich ihr beigesellt, selbst Wellington wagte nicht, ihr offen entgegenzutreten, und ließ, wiewohl mit Bedauern, geschehen, was sein Bruder Blücher mit der Wucht des Säbels durchzusetzen entschlossen schien. Nun einmal entschieden war, daß jeder nach dem Seinigen greifen dürfe, blieb Österreich nicht zurück; alle deutschen[123] Fürsten, die Niederlande, der Papst und ganz Italien, Spanien und Portugal traten auf, und nun zerstob allerdings die angehäufte Kunstherrlichkeit in alle Himmelsgegenden. Wie früher von preußischen Truppen wurden die Arbeiter nun sogar von englischen geschützt. Die größte Demütigung dieser Art erfuhren die Franzosen zuletzt doch noch durch die Österreicher, als diese auch noch das korinthische Viergespann von dem Triumphbogen der Tuilerien abnahmen und nebst dem Löwen von Sankt Markus nach Venedig zurückführten. Was früher in der Abgeschlossenheit der Säle geschehen war, geschah nun öffentlich auf der Straße, sichtbar auf immer und auf immer ein Zeugnis erlittener Schmach. Die Aufregung des Volkes war hiebei so groß, daß nur unter dem Schutze einer ansehnlichen Truppenmacht die Arbeit vorgehen konnte.

Dem Kaiser von Rußland war diesmal der Aufenthalt in Paris minder angenehm als im vorigen Jahr, man fand ihn unruhig und mißmutig; er wünschte sich den unerfreulichen Verwickelungen, wo weder seine Großmut noch sein Staatsvorteil freie Hand hatte, persönlich zu entziehen; allein die Franzosen sahen in ihm nach Wellington ihren besten Beschützer, und ihren Bitten nachgebend, willigte er in sein längeres Verbleiben. Der Gedanke, sein in Frankreich eingerücktes Heer, dem die Ereignisse keine Kriegstaten übriggelassen hatten, wenigstens den Augen in aller Stärke und vollem Glanze darzustellen, bot sich dem Sinne gefällig dar, und die merkwürdige Truppenschau von Vertus wurde vorbereitet. Hundertundfünfzigtausend Mann bezogen dort ein Lager, das mit aller Sorgfalt und größtem Aufwand ausgestattet wurde. Der Kaiser lud seine Verbündeten zu dem großen Schauspiel ein und führte am 6. September den Kaiser von Österreich und den König von Preußen, denen Wellington und eine Unzahl anderer Heerführer und Offiziere folgten, in die Mitte der kriegerischen Festlichkeit. Alles, was bei solchen Anlässen üblich ist, ging in größter Ordnung und Pracht vonstatten. Der Kaiser Alexander, seiner innern[124] Richtung gemäß, hob in den militärischen Bezeigungen mit Vorliebe ein religiöses Element hervor, und nach einem feierlichen Gottesdienst, den die Augenzeugen als erhebendsten und ergreifendsten Anblick schilderten, verband er sich mit den beiden andern Monarchen zu einem neuen Bunde, der die Lehren und Gesinnungen des Christentums zur Grundlage aller Staatslenkung zu machen versprach. Der Kaiser zog ein Blatt Papier hervor, so ward erzählt, das den Inhalt des neuen Bundes in wenigen Artikeln darlegte und welches, von den drei Monarchen auf der Stelle unterzeichnet, einige Wochen später als Urkunde der vielbesprochenen Heiligen Allianz bekannt wurde. Frau von Krüdener, welche dem Kaiser auf dessen Wunsch in das Lager von Vertus gefolgt war, galt als Urheberin des Entwurfs und hatte jedenfalls an dem Vorgange wirksamsten Anteil, wogegen kein Minister dabei zugezogen worden noch sonst jemand im voraus der Sache kundig war als einige Gesinnungsgenossen, unter denen Graf Kapodistrias. Der Einfluß der Frau von Krüdener auf diese Dinge schien um so bedenklicher, als ihr von Natur gutmütiger Sinn bei großer Verstandesbeschränktheit allen Schwärmern und Ränkeschmieden offenlag und schon sehr zu fanatischen Anwandlungen hinneigte. Ein Bittgesuch der Einwohner von Kehl, deren Häuser durch das Geschütz der Verbündeten eingeäschert worden, wollte sie zwar bei dem russischen Kaiser durch ihr Fürwort unterstützen, hielt jedoch den armen Leuten unwillig vor, eigentlich hätten sie es nicht verdient; denn in Kehl seien die Werke Voltaires gedruckt worden, nämlich vor fünfzig Jahren durch Beaumarchais, welches sträflichen Unternehmens denn freilich diese Kehler Abgebrannten so wenig wie ihre Väter schuldig noch kundig waren, wie sich aus ihrem Erbieten zeigte, beide Übeltäter sogleich auszuliefern!

Nach der Rückkehr der Monarchen von Vertus mehrte sich der Zufluß der Fremden in Paris ungemein, besonders der Russen, welche früher durch militärische Vorbereitungen[125] und Pflichten waren abgehalten worden. Ich hatte die Freude, den General von Tettenborn wiederzusehen, er zog in die Wohnung, welche Stein bisher innegehabt und ihm überwiesen hatte, ganz in meiner Nähe, und wir konnten mit Bequemlichkeit uns besprechen und für den Tag verabreden. Nicht so leicht war dies mit dem General Grafen zu Bentheim, der weitab wohnte und auch durch den Dienst in Anspruch genommen war, denn die Brigade gehörte zu den Truppen, welche Österreich zur Besatzung von Paris beitrug. Wir waren jedoch soviel als möglich beisammen, und um beide teure Kriegsobern sowie bei dem Obersten von Pfuel vereinigten sich die schönsten Kreise früherer Waffengenossen.

Unsere preußischen Freunde kamen nun auch immer zahlreicher vom Heer und aus der Heimat an, die Gesellschaft wurde bunter und lauter; denn jedermann kam als Sprecher eigener Meinungen und als Vertreter fremder Stimmen, und bei völliger Freiheit der Äußerung machten sich die kühnsten Forderungen nachdrücklich kund. Es war auffallend, wie das Amt und die Stellung der Personen sich bereits der Gesinnung unterordneten, die Meinung machte sich geltend als solche; wer sie sagte, darauf kam wenig an; der untere Kanzleibeamte, der da wußte, daß Blücher oder Gruner ihm recht gaben, stellte sich trotzig dem Geheimrat, ja, dem Minister entgegen, wenn Volkstümliches zu vertreten war. Wir sahen den Oberstlieutenant von Barnekow ankommen, dessen natürlicher Freimut arglos die ungeheuersten Sachen in die Welt hinausschrie und in seiner rauhen Aufrichtigkeit nur durch seine schöne bewunderte Frau noch etwas gemäßigt wurde. Aus Berlin erschienen der Doktor Heinrich Meyer, der Professor Kiesewetter, Friedrich Schulz mit dem Beinamen »vom Theater« und endlich auch der Turnmeister Jahn; alle gewaltige Mitsprecher und deshalb gefürchtet und geschont von hoch stehenden Männern, die man solchen Zugeständnisses kaum für fähig hielt. Jahn insbesondere wurde ordentlich gefeiert, der Staatskanzler[126] lud ihn ein und ergötzte sich an dem wilden Aussehen, während die starken Reden ihm größtenteils unvernommen vorübergingen; Minister, Generale und Geheimräte suchten mit Jahn das beste Vernehmen, er selbst würde vielleicht gesagt haben, sie »brüderten« mit ihm. Doch gefiel ihm der vornehme Kreis eigentlich nicht, er fühlte sich trotz seiner Ungebundenheit doch beengt und zog weit die Gesellschaft seiner Gesellen und Kumpane vor, mit denen er sich im Palais Royal festsetzte und dort durch sein in aller Kraft und Breite sich entfaltendes Deutschtum sowohl Franzosen als Deutsche in Erstaunen setzte. Zu den welschen Aufwärtern in der Kaffeekneipe wurde deutsch gesprochen, mit den undeutschen Gästen nicht viel Federlesens gemacht, bei Streitigkeiten gleich die Schelle oder die Fuchtel angeboten, jedoch unterblieben ernste Kämpfe, weil man sich nicht einmal zu diesen verständigen konnte. Die Spaziergänger sammelten sich und staunten die deutschen Bären an, die ihnen bald mehr zur Lust als zum Ärger waren. Jahn hätte gern nachträglich noch die Siegessäule des Platzes Vendôme zerstört; er schloß auch die Österreicher in sein Deutschtum ein, und als diese die venezianischen Pferde von dem Triumphbogen vor den Tuilerien abnahmen, stieg er mit vielen andern Zuschauern, Deutschen und Engländern, auf den obern Raum des Bogens, betrat den seiner Rosse schon entblößten Siegeswagen und sprach von dieser Rednerbühne herab eine freie Anrede an die Versammlung, wobei er zuletzt noch besonders an die Österreicher sich wandte und sie aufforderte, nun auch jene Säule nicht länger zu dulden.

Dergleichen Vorgänge waren bei den schwebenden Verhandlungen und Volksgärungen in Paris nicht unerheblich; sie zeigten eine Stimmung, deren Umfang und Entwickelung niemand berechnen konnte. Im preußischen Heere waltete große Unzufriedenheit, die Krieger glaubten ihre Sache mit Frankreich noch weiter ausfechten zu müssen und meinten ein Recht zu haben, nach dem Erfolge zu fragen, der[127] aus den Waffentaten gewonnen sein sollte. Was man von den künftigen Friedensbedingungen hörte, schien unvorteilhaft und schmachvoll; man wußte wohl, daß Hardenberg und Humboldt angestrengt kämpften, aber als man vernahm, daß Preußen endlich nachgebe, glaubte man die leitenden Staatsmänner der Schwäche beschuldigen zu müssen und warf ihnen vor, die Volksgesinnung und Heldenkraft, auf die sie sich stützen sollten, zu mißkennen, zu verabsäumen. Blücher, der jetzt sein Hauptquartier wieder näher in Versailles hatte und so wie Gneisenau nun häufig nach Paris kam, schimpfte in seiner Kraftsprache heftig, wollte dem Lord Castlereagh zu Leibe, glaubte dem Kaiser Alexander die Augen öffnen zu müssen, und seine Schritte wurden für die Minister ängstlich und für die Monarchen unbequem, so daß man schon fragte, ob es zu dulden sei, daß die Kriegsleute hier sich eine Gewalt über ihre Gebieter anmaßten.

Das Verdienst Hardenbergs nicht so schnöden Mißurteilen, wie schon gegen ihn laut wurden, unverteidigt preiszugeben, versuchte ich, dasselbe für unverblendete Augen in das rechte Licht zu stellen, und sandte folgenden Aufsatz in die Zeitungen von Hamburg und Augsburg:

Für denjenigen, der ohne andere Rücksicht lediglich auf den Sachinhalt der gegenwärtigen Verhältnisse mit offenen, geraden Sinnen blickt, scheint die Beantwortung der Frage, was jetzt zunächst zu tun obliege, ganz einfach, und er mag wohl oft sehr verwundert sein, daß sie für so verwickelt gehalten wird. Den Sieg haben wir davongetragen, die Gewalt haben wir in Händen, tun wir daher, was rechtens ist! Dies ist die Stimme der öffentlichen Meinung, und nach dieser Schlußfolge richtet sie ihre Forderungen und Erwartungen über das zu Geschehende ein. Eine edle Gesinnung, wie sie dem bessern Geiste unserer deutschen Landsleute so herrlich inwohnt, läßt nicht zu, daß die Bestimmung dessen, was denn hier rechtens sei, bloß einseitig für uns geschehe; nein, dem besiegten Volke unmittelbar nach dem Siege das Recht[128] alles dessen, was wahrhaft volkstümlich ist, ebenso zugesprochen wie uns, und schon wachen eifrig deutsche Schriftsteller für französisches Volkstum und Freiheit wie für die unserige. Wir wollen nicht, daß den Franzosen eine Herrschaft aufgedrungen werde, die sie nur unwillig und vielleicht nur beim Anblick unserer Waffen ertragen; wir wollen aber ebensowenig, daß uns vorenthalten werde, was wir zu fordern berechtigt sind, da das Glück der Waffen unsern unvertilgbaren Ansprüchen endlich Kraft gegeben hat. Diese allerdings sehr einfachen Wahrheiten sind es, welche in den Unterhandlungen durchbrechen sollten; allein die Formen, in welchen die Staatsverhältnisse geführt und betrachtet werden, erlauben keineswegs so unbedingt die Anwendung eines auch noch so glücklich herausgefundenen und deutlich erkannten Grundsatzes, und das Wissen und Wollen steht bei dem Staatsmanne, wie bei tausend andern menschlichen Bemühungen, von dem Handeln oft durch eine große Kluft entfernt, die freilich der nicht sieht, der nicht über sie hinwegzukommen braucht. Wir mögen daher nur immer eingestehen, daß die hiesige Lage der Dinge durch das Zusammentreffen so außerordentlich verschiedener Vorteile, Ansichten und Möglichkeiten zu den allerschwierigsten gehört und, wenn nicht größeres Unheil daraus erwachsen soll, keineswegs durchgerissen, sondern entwickelt werden muß. Die Sprache des Staatsmannes darf nicht die Sprache des Volksredners sein, jener soll vorstellen, wo dieser ergreifen kann, und allerdings ist das freie Erfinden des Gedankens ein von dem Anwenden desselben unter gegebenen Bedingungen sehr verschiedenes Geschäft. Wenn wir aber nicht eben zu denjenigen gehören, die von dem Staatsmanne alles ausgeführt verlangen, was in bloßer Gedankenverbindung als richtig erscheint, so sind wir dagegen auch sehr von denjenigen entfernt, die mit ärmlicher Geistesbeschränkung ihr diplomatisches Geschäft als eine absonderliche Welt betrachten, die, für sich bestehend, in eigenen Formen fortgehen müsse und von dem Leben der Völker nichts aufnehmen,[129] noch von deren Ansprüchen Rechnung halten kann. Wir glauben vielmehr, daß beides sich glücklich vereinigen läßt, ja gewiß jedesmal vereinigt sein muß, sobald nur echte gute Gesinnung und Geschicklichkeit zusammen sind. Warum zum Beispiel sollte nicht ein Staatsmann auftreten können und über die eine der oben bezeichneten volkstümlichen Forderungen den versammelten Ministern in aller Form Erörterungen vorlegen, in denen etwa folgendes gesagt würde: »Die Ruhe und Sicherheit der europäischen Staaten gegen die von Frankreich her unaufhörlich erneuerte Gefahr zu beschützen war der Zweck des neuen Bündnisses der großen Mächte, deren Vereinigung in Wien glücklicherweise noch stattfand, als die Ereignisse im Anfange des März so dringende Maßregeln geboten. Die Völker, allzulange dem Unglücke des Krieges und dem noch schrecklichern der grausamsten Unterdrückung preisgegeben, erwarten endlich mit der Wiedererlangung des gestörten Friedens auch die Bürgschaft seiner Dauer; wir müssen diese Bürgschaft fordern, wenn wir im geringsten die Früchte so vieler Anstrengungen und Opfer und so vielen vergossenen Blutes einernten wollen. Die bisher zur Sprache gebrachten Punkte sind für die Erreichung jenes Zweckes bei weitem nicht hinlänglich. Bonaparte ist in den Händen der Verbündeten: das ist unleugbar sehr viel, aber noch lange nicht genug. Ein großer Teil seiner Anhänger befindet sich noch in Frankreich und ist mächtig und angesehen; sein Heer unterwirft sich dem Scheine nach, aber derselbe Geist beseelt es noch immer, und seine Auflösung selbst zerstreut vorteilhaft die Kräfte, die vereint besser mit einem Schlage zu treffen wären. Der König kann nicht als Vermittler eines festen und dauerhaften Friedens mit Europa betrachtet werden, da wir uns gestehen müssen, daß sein Thron nichts weniger als fest steht. Die Bourbons überhaupt haben wenige Freunde, und diejenigen, die ihnen wirklich ergeben sind, vertrauen nicht ihrer Kraft. Da es für uns schwierig wäre, den Sachen in Frankreich diejenige Wendung zu geben, durch welche die[130] Regierung volkstümlich und daher sicher und dauerhaft würde, so müssen wir wenigstens unsere Sache so zu stellen suchen, daß wir nicht stets neue Erschütterungen zu fürchten haben. Wir bedürfen wirklicher Gewähr. Diese können wir weder in dem Vorschlage, große Kriegssteuern auszuschreiben und zum Erbauen von Festungen zu verwenden, noch in dem andern Vorschlage erkennen, eine bedeutende Truppenzahl in Frankreich zurückzulassen und die Grenzfestungen eine Zeitlang besetzt zu halten. Solche Maßregeln sind in mehr als einer Hinsicht ungenügend und selbst gefährlich; sie steigern die Erbitterung aufs höchste und geben, wie Preußen es gezeigt hat, dem unterdrückten Volke mit der Zeit nur neue Kraft und Begeisterung. Wir sind fern davon, uns von dem Geiste der Eroberung leiten zu lassen, wir wollen aber auch nicht beständig in der Gefahr sein, erobert zu werden. Hier ist kein anderer Ausweg, als die Grenzen Frankreichs so zu bestimmen, daß von der Nordsee bis zum Mittelmeer alle Angriffspunkte, die Frankreich früherhin über seine Nachbarn zu gewinnen gewußt, davon getrennt und dem Staatenverein, zu welchem sie ehemals gehört, zurückgegeben werden. Keiner unserer Verträge, keine unserer Erklärungen kann uns darin hinderlich sein, wie bereits in einer andern Denkschrift bewiesen ist; Deutschland fordert es mit lauter Stimme; die Niederlande, die Schweiz, Sardinien fühlen dasselbe Bedürfnis. Wir sind unsern Zeitgenossen und unsern Nachkommen dafür verantwortlich, eine Sache von solcher Wichtigkeit, von der das Glück und die Gestalt der Zukunft abhängen, nicht zu versäumen. Bedenken wir, daß, seit Heinrich II. die drei Bistümer an sich riß, die Geschichte nicht aufhört, uns Eroberungen Frankreichs über das Deutsche Reich zu zeigen; bedenken wir, wie oft die Franzosen über Mainz in das nördliche Deutschland einfielen, wie oft längs der Donau hinab in Österreich, mit welcher Leichtigkeit sie die Schweiz und Italien einnahmen! Ja, die Schlacht am 18. Juni selbst, wenn sie glücklich gewesen wäre, führte Bonaparten sogleich[131] wieder an die Maas bis zum Rhein. Es wäre ein gefährlicher Irrtum, wenn wir glaubten, die Gemüter in Frankreich durch Schonung und Großmut zu versöhnen; sie verzeihen uns nie, daß wir gesiegt haben. Seien wir gemäßigt und großmütig in jeder andern Rücksicht, nur nicht, wo es auf unsere Sicherheit und bei uns Deutschen auf das Recht unseres Vaterlandes ankömmt. Rußland freilich, entfernt, mächtig und groß, hat hiebei nur ein mittelbares Interesse; aber ihm wie England muß gleicherweise daran liegen, Europa nicht immer neuen Stürmen preisgegeben zu sehen; Österreich, Preußen, die Niederlande, alle deutschen Mächte zweiter Ordnung, die Schweiz und Italien haben in diesem Augenblicke kein dringenderes Interesse. Was Preußen insbesondere betrifft, so würden seine Minister außerdem sich es nicht verzeihen können, wenn sie die so teuer erkaufte Gelegenheit versäumten, von Frankreich eine Entschädigung für die ungeheuren Erpressungen und Auflagen, unter welchen Preußen durch die Franzosen geseufzt hat, zurückzufordern und die noch dauernden Anstrengungen des Volks zu erleichtern und die gebrachten Opfer wenigstens zum Teil zu ersetzen.« Diese Sprache ist im Sinne der öffentlichen Meinung und im Geiste der echten Diplomatik; falls es nötig wäre, die Wichtigkeit des Gesagten noch durch ein äußeres Ansehen zu erhöhen, so könnte dies wohl nicht besser geschehen, als wenn wir unsern Lesern die Versicherung geben, wie wir denn hiemit tun, daß wir ihnen keine bloß erfundene Redeübung, wie etwa gesprochen werden könnte, sondern mit den Worten eines edeln und hochgepriesenen Staatsmannes ein Beispiel dessen, wie wirklich gesprochen worden ist, mitgeteilt haben.

Das eingeschaltete Stück Rede war nämlich ein Auszug aus Hardenbergs Note vom 4. August, die er bei den Friedensverhandlungen eingereicht und auf deren Inhalt er so lange als möglich bestanden hatte.

Die Franzosen wurden unseres langen Verbleibens mit jedem Tage überdrüssiger und hofften, durch innere Befestigung[132] der Regierungsmacht, durch Verstärkung des Thrones mittelst der Volksvertretung, uns gegenüber eine entschiedenere Stellung anzunehmen. Die Kammern waren deshalb einberufen, und man meinte, wir würden vor der öffentlichen Erörterung, der man eine gewisse Freiheit zugestehen mußte, schon früher die Flucht nehmen oder doch nicht lange aushalten. Fouché hatte der Natur der Dinge nach alles Erdenkliche tun müssen, um die Kammer der Deputierten vorherrschend royalistisch zu machen; die Umstände wirkten zu diesem Zwecke günstig mit: im Süden hatten die Royalisten augenblicklich die Oberhand, im Norden hielt die Truppenmacht der Verbündeten die Bonapartisten und Liberalen im Schach, die Hofpartei war der nächsten Kammer sicher. Doch mußte Fouché bald gewahr werden, daß er zu seinem eigenen Falle mitgeholfen; denn kaum sah jene Partei so festen Boden unter ihren Füßen, als sie um so ungebärdiger zu werden begann und vor allem den Jakobiner Fouché und bonapartistischen Herzog von Otranto nicht länger als Minister des Königs dulden wollte, dessen Bruder durch die Zustimmung von jenem unter dem Henkerbeile gefallen war. Dem Könige jedoch war der verhaßte Minister bequem, und er hielt ihn noch einige Zeit oder vielmehr der Minister sich selbst, indem er sich als noch unentbehrlich vorspiegelte; er ließ auch seine Vögel deshalb wieder etwas im Sinne der Liberalen die Flügel schlagen. Mein Artikel im »Deutschen Beobachter« vom 14. September drückt den damaligen Zustand folgendermaßen aus:

Nachdem die Monarchen nun sämtlich von Vertus zurück sind, werden mit neuer Tätigkeit die Geschäfte betrieben, und man sagt allgemein, daß sie binnen kurzem zum Schlusse gebracht werden sollen. Es scheint alles der Hauptsache nach schon völlig abgeredet, und die Hoffnungen derjenigen, welche so beispiellose Erfolge nicht mochten fruchtlos wieder aus den Händen gegeben sehen, sind sehr zusammengeschmolzen. Vergebens haben die preußischen Staatsmänner vorgestellt, daß eine solche Gelegenheit, zum[133] zweiten Male versäumt, vielleicht in einer langen Reihe von Jahren nicht wiederkehrt und dann wieder mit ungeheuren Anstrengungen, in harten, zweifelhaften Kämpfen, mit dem Blute und Leben von Hunderttausenden erkauft werden muß, was jetzt mit einem Federstrich gewonnen wäre; daß wir nichts Ungerechtes wollen, sondern die gerechteste Sache von der Welt, die als solche vor Gott und Menschen bestehen muß, die Integrität Deutschlands, die Rückkehr der Länder zum deutschen Staatenbund, die Unschädlichmachung Frankreichs durch die Wegnahme seiner immerwährenden Angriffspunkte gegen Deutschland: die Politik nimmt einen andern Weg als diese Gedanken deutscher Patrioten, die Politik in ihrer Vereinigung und Berücksichtigung verschiedenartiger Interessen tötet alle einzelnen, statt sie zu beleben, und so fanden sich Hindernisse auf Hindernisse, so daß mancher, statt seine gerechten Forderungen erfüllt zu sehen, am Ende noch froh ist, aus so vielfältiger Verwickelung mit heiler Haut herauszukommen, ohne neues eingebüßt zu haben. Der Freiherr vom Stein ist wieder abgereist; seinen Unwillen teilen viele, deren Mißvergnügen weniger ausbrechen darf. Das deutsche Publikum wird diejenigen nicht verkennen, die die Sache des Vaterlandes treulich verfochten haben; wenn man ihnen auch nicht zum Siege Glück wünschen kann, so kann man es ihnen doch zur mutvollen Tapferkeit. Unter den Franzosen dauert die Parteiwut heftig fort. Die Royalisten strengen alle Kräfte an, um in der Verwaltung, im Heer, in den Kammern der Volksvertreter und selbst bei den fremden Mächten die Oberhand zu erlangen; sie sind blind und taub gegen alle Vorstellungen der gemäßigten Partei, sie denken: jetzt oder nie! und haben darin recht; denn wenn sie diesen Augenblick versäumen, so sind sie verloren auf ewig. Aber sie werden die Oberhand dennoch nicht behaupten, die Zahl der Köpfe ist gegen sie und die Intelligenz ebenfalls. An Fähigkeit, Einsicht und Mut ist ihnen die Partei der Freiheitsfreunde weit überlegen. Die Jakobiner lachen zu dem[134] augenblicklichen Übergewicht der Royalisten, sie meinen, das habe nichts zu bedeuten, damit würden sie schon fertig werden. Fouché, dessen Sturz mit allen ersinnlichen Anstrengungen versucht wurde, steht fester als je und läßt seine Macht mehr als vorher fühlen. Schon haben einige Zeitungen wieder mit großer Kühnheit gegen die Fanatiker gesprochen und Chateaubriands Rede im Wahlkollegium unkluger Albernheit bezüchtigt. Wenn es aber richtig ist, daß Frankreich von scheinheiligen Schönsprechern und Redensartenschmieden kein Heil zu erwarten hat, so ist es jedoch nicht minder wahr, daß auch die feine Staatsklugheit und listige Tätigkeit dazu nicht hinreicht und daß ein Ministerium nötig wäre, dessen Mitglieder wirklich die wahre Achtung der Nation besäßen und keine frühere Flecken auf sich trügen.

Allein die Aushülfe polizeilicher Ränke war schnell erschöpft; der König widerstand dem wiederholten Andrange der Prinzen nicht lange, Fouché bekam seine Entlassung; er hatte getan, was man von ihm gewollt, nämlich sich entbehrlich gemacht, wie es nicht anders sein konnte; denn, verräterisch nach allen Seiten, hatte er keinen Halt als die Stellung des Augenblicks, jeder Schritt führte zum Abgrunde. Unter den Fremden sahen diejenigen, denen er vertraut geworden war und die ferner mit ihm gut fertig zu werden hofften, sein Ausscheiden mit Bedauern. Aus Scham ließen ihm die Gegner noch eine Anstellung auswärts: er wurde zum Gesandten nach Dresden bestimmt, worin Argwöhnische eine feindliche Postierung gegen Preußen sehen wollten, wogegen von dieser Seite die Ernennung Gruners ebendahin die entsprechendste Maßregel schien.

Es ist aber endlich Zeit, auch dem eigentlich diplomatischen Gange der Friedensverhandlungen einen Überblick zu widmen. Die Schriften der Franzosen sind hier nicht ausreichend. Wir haben über diesen Gegenstand eben zwei schätzbare deutsche Schriften empfangen vom Professor Schaumann und vom Freiherrn von Gagern, und ich kann,[135] auf diese verweisend, hier um so kürzer sein. Tagebücher aus dieser Zeit von mir selbst und von andern leihen meiner Erinnerung genaue Angaben und ursprüngliche Farben. Meine Betrachtung wird sich indes hauptsächlich auf die preußischen Verhältnisse hier beschränken.

Ich muß gleich zuerst die Bemerkung aufstellen, daß bei den Pariser Verhandlungen sowenig wie bei denen des Wiener Kongresses nach eigentlichen Grundsätzen verfahren wurde; es galt vielmehr, wie bei allen praktischen Fragen, zunächst die verschiedenen Ansprüche wechselseitig zum Vergleich zu bringen, und wenn man sich hiebei auf Grundsätze berief, so war es, weil sie jenen dienten. Diejenige Macht selber, welche nun am eifrigsten den Grundsatz des Kronrechts der Bourbons und des fortbestehenden Bündnisses mit ihnen durchführte, hatte diesen Grundsatz früher am ersten verneint; gerade England hatte erklärt, der Krieg solle nicht den Zweck haben, dem französischen Volk irgendeine Regierung aufzunötigen. Die Monarchen handelten nach der Lage der Dinge, nach den entschiedenen Tatsachen oder nach den Ergebnissen, die sich als die wahrscheinlichsten ankündigten. Wer hätte auch in diesen außerordentlichen, schwer überschaubaren, noch nie dagewesenen, rasch aufeinanderfolgenden Verhängnissen, in diesem Gewühl stürmender Kriegskräfte und kämpfender Leidenschaften ein unbestritten Rechtes nur erkennen, geschweige denn festhalten können? Solche Forderungen gelten in ruhigen, geordneten Zuständen; in revolutionären Erschütterungen gilt die Tat und rechtfertigt sich als solche durch ihren Inhalt; dies ist nicht nur da der Fall, wo das Bestehende umgestürzt wird, sondern auch da, wo dasselbe sich gegen den Umsturz zu wehren hat; ein Nichtachten der Regel, ein Schweigen der Gesetze, eine Diktatur findet in großen Bewegungen immer statt, wenn auch der Name dabei nicht ausgesprochen wird.

Unstreitig war das politische Verhältnis der Verbündeten zu den Bourbons in den verschiedenen Zeitpunkten dieser[136] ganzen Krise nicht immer gleich, dasselbe wechselte mehrmals; ein anderes war es bei der Landung Napoleons, ein anderes während des Fluchtaufenthaltes in Gent, ein anderes nach der Entscheidungsschlacht, durch welche die Wiedereinsetzung möglich wurde und mit Wellingtons Hülfe wirklich geschah. Die verbündeten Monarchen fanden bei ihrer Ankunft in Paris Ludwig XVIII. wieder auf seinem Thron und konnten dieses nicht füglich ungeschehen machen; dieses eine stand fest, während sonst alles in Frage schwebte. Nachdem England den entscheidenden Schritt getan und Rußland ihm, wenn auch minder eifrig, beigestimmt, konnte Österreich nicht widersprechen und Preußen ebensowenig dazu berufen sein. Einfache Verneinung hätte auch wenig gefruchtet, um etwas zu bedeuten, hätte sie zugleich für eine andere Seite sich erklären und auf sie stützen müssen; wer aber, der auch nur obenhin die Verhältnisse kennt, dürfte für denkbar halten, daß etwa Österreich offen mit den Bonapartisten oder Preußen mit den Liberalen gemeine Sache gemacht hätte? Die Wendung, welche den Dingen gegeben war, konnte für die Sache Preußens und Deutschlands nicht ungünstiger sein, das ist keine Frage; allein diese Wendung war einmal gegeben, und wir müssen von vornherein nur gleich eingestehen, daß unter den waltenden Umständen keine vereinzelte Kraft oder Geschicklichkeit mehr imstande war, die daraus folgenden Nachteile zurückzudrängen.

Als noch die Ereignisse eines Ungewissen Krieges in Aussicht standen, hatten die vier Hauptverbündeten, um die hohe Leitung der gemeinsamen Angelegenheiten zu führen, einen Rat von Ministern eingesetzt, der nunmehr von selbst auch das Friedensgeschäft in die Hände nahm. Jeder dieser Staaten hatte zwei Bevollmächtigte; Österreich war durch den Fürsten von Metternich und den Freiherrn von Wessenberg vertreten, Preußen durch den Fürsten von Hardenberg und Freiherrn von Humboldt, für England traten der Herzog von Wellington und Lord Castlereagh ein, für Rußland[137] der Graf Rasumowski und der Graf von Nesselrode. Nach Umständen nahmen auch andere Beauftragte derselben Staaten an den Verhandlungen teil; als diese förmlicher zu werden begannen, von der Mitte des Septembers an, führte Gentz das Protokoll. Da die Monarchen, mit Ausnahme des Prinzregenten von England, persönlich zugegen waren, so konnten die Minister leicht täglich und stündlich die Weisungen empfangen, welche durch die mündlichen Besprechungen der Monarchen sich im voraus schon bedingt hatten. Scheinbar erleichtert, waren die Verhandlungen im Grunde hiedurch doch nur erschwert, da die Einwirkungen mannigfach, augenblicklich und gar nicht zu berechnen waren; dieser Umstand wurde besonders dadurch erheblich, daß die Franzosen, wiewohl von dem Rate selber ausgeschlossen, doch im lebhaftesten Verkehr mit dessen Leitern standen. Unter solchen Umständen wurden die Pariser Beratungen eröffnet, und zwar anfangs nur in vertraulichem, vereinzeltem Austausche von meist noch unbestimmten Ansichten, Meinungen, Wünschen. Ludwig XVIII. ernannte drei Bevollmächtigte, welche mit jenem Ministerrate in Verhandlung traten, aber dessen Beratungen nicht beiwohnten, den Fürsten von Talleyrand, den Herzog von Dalberg und den Baron Louis. Sie waren gehalten, dem Ministerrate die Protokolle ihrer Sitzungen vorzulegen, und empfingen darauf die Mitteilungen, welche die Lage der Sachen für nötig erachten ließ.

In der ersten Zeit konnte von eigentlichen Friedensgrundlagen noch nicht die Rede sein; man hatte mit den dringenden Forderungen zu tun, welche den augenblicklichen Zustand betrafen: den Fortgang der Ereignisse, das Schicksal Napoleons, den Rückzug und die Unterwerfung der französischen Truppen, die fortgesetzte Beschießung der Festungen, ferner die Ausdehnung der Besetzung des Landes, die Verteilung und Verpflegung der in Frankreich eingerückten Heere, die Verwaltung der ihnen angewiesenen Provinzen, die Maßregeln der allgemeinen Sicherheit und[138] Ordnung. Schon über diese Gegenstände zeigte sich in den Ansichten der Verbündeten eine merkliche Verschiedenheit, nicht nur wegen des Anteils, den jede Macht dabei für sich zu nehmen hatte, sondern auch wegen der gemeinsamen Haltung gegenüber den Franzosen. England und Rußland wollten Frankreich wieder als den Freund ansehen, den man in aller Weise schonen müsse; Preußen war der Meinung, daß man in Feindesland und noch im Kriege sei. Die Gewalt der Dinge erzwang, was die Gunst gern versagt hätte, den harten Druck des Krieges konnte nichts abwenden, denn die Heeresmacht der Verbündeten war selbst für die Bourbons unentbehrlich, das Land mußte sie nähren und bezahlen, und Wellington sowenig als Blücher konnte seine Truppen darben lassen.

Die vier Mächte kamen überein, die großen Angelegenheiten unter sich allein abzumachen und von den beigetretenen Verbündeten fürerst keine Bevollmächtigten zuzulassen, doch sollten deren Gesandte von dem Gange der Sachen in Kenntnis erhalten und späterhin, wenn die besondern Interessen zur Sprache kämen, auch zur Beratung zugezogen werden. Die geschlossenen Verträge hatten dies anders erwarten lassen, und die Staaten zweiten und dritten Ranges, hauptsächlich aber die deutschen, zeigten darüber großes Mißvergnügen. Besonders Bayern, Württemberg und Hannover sowie auch die Niederlande beschwerten sich, allein ohne Erfolg; die großen Mächte fühlten schon zu sehr den Mangel der Einheit, um einzuwilligen, daß größere Mannigfaltigkeit die Verwickelung noch vermehrte. Auch Preußen, übrigens der deutschen Sache redlich vorkämpfend, hielt jenen Gesichtspunkt fest und stimmte der Verneinung bei, welche von den andern Mächten schon ausgesprochen, von England sogar gegen Hannover, das heißt gegen sich selbst, da die Stimme Hannovers immer nur die von England sein konnte.

Allerdings wäre es ein unermeßlicher Vorteil gewesen, wenn Preußen bei seinen Forderungen sich auf das übrige[139] Deutschland hätte stützen können, dem Könige zunächst wäre dadurch das Vertrauen erhöht worden, Österreich hätte seinen Beitritt nicht versagen können, England und Rußland wären solcher gedrängten Masse gegenüber nachgiebiger gewesen. Doch man werfe einen Blick zurück auf die damalige Beschaffenheit Deutschlands! Niemals war Deutschland mehr auseinander, niemals mehr in Mißmut, Argwohn und Feindschaft verstockt; der Deutsche Bund, der alles vereinen sollte, war noch nicht ins Leben getreten, und was hätte selbst der vermocht? Im Norden Sachsen und Hannover, im Süden Bayern, im Westen die Niederlande gegen Preußen feindlich oder verstimmt, wo hätten die Anknüpfungspunkte einer nationalen Gemeinschaft sich finden lassen? War im Sturme der Ereignisse, in der verstatteten kurzen Frist dies alles zu ändern, das verwilderte Feld in fruchtbaren Acker umzuwandeln? Auf Einbildungen und Wünsche seine Rechnung zu stellen, wo solche tatsächliche Wirklichkeit vorliegt, darf dem Staatsmanne nicht zugemutet werden.

Aber ebendeshalb, weil die Lage der Dinge so war und als solche nur so wirken konnte, wie der Erfolg es leider gezeigt, gerade deshalb ist dem Verlangen beizustimmen, daß für die Zukunft ein anderes Verhältnis sich bilde, damit die Vertretung Deutschlands nach außen in voller Kraft wirken könne und ein wahrhafter Ausdruck der Gesamtheit werde. In unserem politischen Zustande ist hier ein wunder Fleck, welchen Herr Schaumann richtig aufgezeigt hat und dessen Heilung unsere Staatsmänner sich zur Aufgabe stellen mögen, die jedoch schwerlich als einzelne, sondern nur im Zusammenhange mit vielen anderen gelöst werden kann! In dem bisherigen Entwickelungsgange des Bundeswesens ist dafür nichts zu hoffen, hat doch nicht einmal der Zollverein auf diesem Wege sich bilden können, sondern nebenan seine besondere Bahn suchen und durchbrechen müssen!

Der vorurteilslose Blick auf die Tatsachen muß indes überzeugen, daß Preußen bei den Friedensverhandlungen in[140] Paris, obschon Deutschland weder vertretend noch von ihm unterstützt, dennoch die deutsche Sache fest ins Auge gefaßt und für sie gekämpft hat, solange nur Hoffnung war, im Rate der Verbündeten dafür noch andere Stimmen zu gewinnen. Daß dies nicht gelang, daran war, außer der natürlichen Gleichgültigkeit der nichtdeutschen Mächte für eine ihnen fremde Sache, besonders das falsche Verhältnis schuld, in welches England und Rußland sich gleich anfangs zu den Bourbons gestellt hatten. Nachdem diese unter dem Ansehen und Schutz Englands tatsächlich wieder als Landesherrschaft eingesetzt waren, machte Rußland es sich zur Aufgabe, jede Minderung ihres Landes zu hintertreiben.

Die wichtigsten Ergebnisse wurden, wie bei solchen Gelegenheiten fast immer, auch hier vertraulich und mündlich erzielt, ehe sie amtlich und schriftlich hervortraten; jedoch müssen wir uns hauptsächlich an letzterem Faden hinleiten, da jener unerreichbar im Dunkel liegt. Das erste erhebliche Aktenstück, dem wir begegnen in bezug auf die Stellung der Verbündeten zu Frankreich, ist eine Denkschrift vom 28. Juli, welche russischerseits dem Ministerrat übergeben wurde. Sie ist vom Grafen Kapodistrias unterzeichnet und verfaßt, aber unzweifelhaft nichts anderes als der getreue Ausdruck des Sinnes, welchen der Kaiser Alexander damals hegte. Das Verhältnis des Grafen war durchaus nicht von der Art, die Darlegung einer ihm persönlichen Ansicht zu erlauben, wohl aber gründete sich alle Gunst, in welcher er aufzusteigen begann, auf die Geschicklichkeit und Feinheit, mit denen er den Sinn seines Herrn auffaßte, zum Teil erriet und vervollständigte, jedenfalls in Worte kleidete. Als Staatsmann, der seinem Herrn Rat erteilt und Vorschläge macht, trat er viel später auf, als er schon festen Fuß in den Geschäften hatte; damals galt er nur als Schreiber. In dieser Denkschrift nimmt sich Rußland der Sache Frankreichs mit großmütigem Eifer an, verneint, daß die Verbündeten mit dem jetzt wieder königlichen Frankreich im Kriege seien, behauptet, daß Frankreich vielmehr mit[141] ihm im Bunde stehe, will keine Gebietsabtretung von Frankreich fordern, sondern nur Geldzahlungen, bis zu deren Abtrag ein Grenzstrich des Landes von den Verbündeten besetzt bleiben möchte. Für Rußland war dies allerdings genug; was hätten ihm Gebietsabtretungen gefruchtet, von denen ihm unmittelbar kein Anteil beschieden sein konnte? Statt solchen Anteils aber anderweitig ihm gelegene Erwerbungen zu machen, war zu schwierig und weitaussehend, um dafür eine Richtschnur aufzugeben, welche sowohl der persönlichen Großmut des Kaisers als auch seiner Staatsklugheit am besten entsprach. Denn Rußland hatte keinen Grund, das bourbonische Frankreich zu fürchten und konnte dessen Schwächung nicht wünschen, da hiedurch notwendig andere Mächte verstärkt worden wären, die sich einst gegen Rußland wenden konnten und denen in solchem Falle ein kräftiges Frankreich zur Hemmung wurde.

Die Franzosen fanden ihre Sache durch die russische Denkschrift bestens vertreten und beeilten sich, dieselben Ansichten wiederholt und mit Nachdruck auszusprechen. Besonders bemühte sich Talleyrand, durch einen den Verbündeten eingereichten Aufsatz, die künftige Sicherheit gegen Frankreichs revolutionäre Übergriffe als vollkommen verbürgt durch dessen künftige Regierungsform hinzustellen, obschon sie im wesentlichen dieselbe bleiben sollte, die sie schon vorher gewesen, und obschon es am Tage lag, daß sie selber durch nichts gesichert war und Frankreich in keinem Falle durch sie gehindert wurde, aufs neue gegen das Ausland, namentlich gegen Deutschland, eine drohende Übermacht zu entfalten. Talleyrand tat ganz unbefangen, als wenn einzig die Revolution und Bonaparte die Ruhe und Ordnung der Staaten gestört hätten; was von den früheren Königen seit mehr als anderthalbhundert Jahren in dieser Weise ausgeführt oder versucht worden, sollte ganz vergessen sein.

Allein den Deutschen war es in frischem Gedächtnis! Unsere Arndt, Görres, Rühs und andere hatten es vielfach und[142] nachdrücklich den Völkern in Erinnerung gebracht, und auch bei den Staatsmännern war der Gedanke lebendig, die Verhältnisse auf den Grund reifer Geschichtserwägung jetzt richtiger und schärfer festzustellen, als dies im Ersten Pariser Frieden geschehen war. Stein hatte sich in diesem Sinne kräftig ausgesprochen, Gagern und Münster dachten ebenso, unsere Kriegsmänner, an ihrer Spitze Blücher, Gneisenau, Knesebeck und Grolman, hatten kein anderes Absehen. In dem Ministerrate der Verbündeten trat Preußen durch seine Bevollmächtigten Hardenberg und Humboldt für jene Richtung auf und behauptete mit guten Gründen das Recht, von Frankreich außer beträchtlichen Zahlungen auch die Rückgabe ehemals deutscher Lande zu begehren. Demgemäß wurde alsbald eine von Humboldt verfaßte Denkschrift eingereicht, in welcher dessen bewährter Scharfsinn die von Kapodistrias aufgestellten Sätze widerlegte, ihre Scheingründe in ihrer Unhaltbarkeit dartat und sowohl die Wirklichkeit des Kriegsstandes als auch das Recht des Sieges und das Bedürfnis neuer Grenzen für Deutschland mit einleuchtender Folgerung erwies. Der Umfang der Abtretungen, die zu begehren seien, wurde hier noch nicht ausgesprochen, doch blieb darüber kein Zweifel; denn in einer von Hardenberg selbst verfaßten Eingabe vom 4. August, welche die Grundlagen der ganzen mit Frankreich zu führenden Verhandlung erörterte und aufstellte, forderte er bestimmt für die Niederlande die vorliegende Reihe von Festungen, für Deutschland das Elsaß und die Festungen der Mosel und Saar. Diese Forderungen wurden durch eine zweite Denkschrift Hardenbergs vom nämlichen Tage, die ich früher im Auszuge schon mitgeteilt, nochmals eindringlich vorgelegt und dabei angedeutet, wieviel weiter man deutscherseits noch gehen könnte, wenn man alles zurücknehmen wollte, was die Franzosen seit zweihundert Jahren durch Waffengewalt und noch mehr durch Arglist von Deutschland abgerissen.

Damit die gegen Frankreich geltend zu machenden Ansprüche in geschlossener Kraft und vollem Gewicht aufträten,[143] fügte Hardenberg seinen diplomatischen Erörterungen zwei ebenso gehaltvolle als einleuchtende Ausführungen bei, in welchen Knesebeck den Gegenstand mit festem Scharfblicke hauptsächlich aus militärischem Gesichtspunkte ins Auge faßte. Desgleichen wurde eine bündige Denkschrift Jordans angeschlossen, worin die Bedrückungen und Verluste, welche Preußen durch die Gewalt und weit mehr noch durch die Unredlichkeit der Franzosen erlitten hatte, ausführlich nachgewiesen und in einer angehängten Übersicht zur ungeheuren Summe von elfhundertundfünfundachtzig Millionen Franken aufgerechnet wurden. Doch alle Rückerstattungen durch Geld, welche ohnehin bis zu vollständigem Ersatz nicht aufsteigen konnten, erklärte Preußen für ungenügend und bestand auf Abtretung von Land, hierin den besondern eigenen Vorteil kaum berücksichtigend; denn nur die verhältnismäßig geringsten Strecken, das Saarbrücker Ländchen und andere kleine Stücke, konnten hiebei dem preußischen Lose zufallen, gemäß ihrer Lage mußte die Hauptmasse der möglichen Abtretung den Verbündeten für andere Zwecke zur Verfügung stehen.

Wir wissen bereits, daß England und Rußland keineswegs auf diese Ansichten eingehen wollten. Von englischer Seite wurden durch Lord Castlereagh in einer Denkschrift die Grundsätze, nach welchen Frankreich zu behandeln sei, in ganz entgegengesetzter Weise aufgestellt, deren Ungenügendes jedoch Hardenberg in einem Schreiben an Metter-nich glimpflich darlegte. Noch weniger haltbar war die von Kapodistrias in einer zweiten Denkschrift versuchte Antwort auf die Humboldtschen Bemerkungen; da sie aus dem Kreise schon widerlegter Annahmen nicht hinausgingen, so bedurften sie keiner neuen Widerlegung. Allein auch Österreich, ohne so warm die Sache Frankreichs zu führen wie England und Rußland, hatte schon durch eine Denkschrift Metternichs die Erklärung gegeben, daß der jetzt geführte Krieg nicht als Eroberungskrieg gelten und daher auch keine Gebietsabtretung zur Folge haben könne, eine solche würde[144] nur die eben durch den Wiener Kongreß befestigten politischen Verhältnisse aufs neue zerrütten und einzig der bewaffnete Jakobinismus, gegen welchen allein der Krieg geführt worden, den wesentlichen Vorteil davon haben. Eine Entschädigung für die Kriegskosten, desgleichen ein in militärischer Hinsicht wünschenswertes Umlegen einiger Grenzzüge wurden als billig angesehen, dagegen als besonders notwendig die Annahme eines beschränkenden Maßes für die französische Verfassung hervorgehoben, damit diese künftig mehr im Einklange mit den Zuständen der anderen Mächte sei. Der Ausdruck »bewaffneter Jakobinismus« war in dieser Zeit ein Lieblingswort von Gentz, und er begriff darunter alles Konstitutionswesen, das er am liebsten von Grund aus in Frankreich zerstört gesehen hätte, zum guten Beispiel für Deutschland, welchem dergleichen durch die Bundesakte zugesichert zu sehen ihn schon wie ein beängstigender Alp drückte. Doch dieser Punkt, die Verfassung zu beschränken, welches mehr als jede andere Forderung die innere Selbständigkeit Frankreichs bedrohte und ganz geeignet war, nicht den Jakobinismus allein, sondern die ganze Nation, die Bourbonisten mit eingeschlossen, unversöhnlich zu erbittern und zu bewaffnen, kam in den weitern Verhandlungen nicht ernstlich mehr zur Sprache. Daß Österreich keine Landabtretung von Frankreich wollte, darf uns wenig befremden, wenn wir die Lage dieser Macht etwas näher ins Auge fassen. Das Elsaß konnte nur eine Verstärkung Süddeutschlands werden, sowohl im Falle der Verteilung als im Falle der Gründung eines neuen Staates, denn auch dieser würde, wie schon Bayern, Württemberg und Baden, sich zu Österreich bald in politischem Gegensatze gefühlt haben, und selbst der auch sonst nicht gerade zündende Gedanke, daß der Erzherzog Karl zum Fürsten des Elsasses erhoben würde, konnte jene Besorgnis mindern. Übrigens hatte Österreich allen Grund, nicht durch neuen Ländertausch im Westen auch im Osten sehr unbeliebige Anträge desfalls aufzuwecken, indem Rußland mancherlei[145] Begehrlichkeit dort blicken ließ und das neu errichtete Königreich Polen den Anspruch auf weitere Grenzen gar nicht verhehlte. Die Staatsklugheit Österreichs als solche war daher nicht zu tadeln, um so weniger, als ihm durch das Zusammenstehen in dieser Frage mit Preußen kein Gewinn erwachsen konnte, wohl aber sein Stimmen für Rußland ihm diese Macht und zugleich England und Frankreich verpflichten mußte, deren Mitwirkung zu manchen noch rückständigen Anordnungen in Deutschland ihm nicht gleichgültig sein durfte.

Mit jedem Tage gewann die Sache der Franzosen mehr Bestand und Einfluß; ihren Klagen, Vorstellungen, Zuflüsterungen und Wünschen diente die mannigfachste, unermüdlichste Beredsamkeit; ihre geselligen Vorteile, ihre Gewandtheit und Schmeichelei fanden zahllose Zugänge. Was nicht im ersten Sturme gegen sie war erlangt worden, wurde mit jedem Tage unmöglicher zu erlangen. Es half nichts, daß wackere deutsche Kräfte den Forderungen Preußens zustimmten, ohne doch diesem sich anzuschließen, daß mit besonderem Eifer Gagern in der Niederlande Namen und in seinem eigenen, daß der Graf von Münster für Hannover, der Fürst von Wrede für Bayern, der Graf von Wintzingerode für Württemberg die gerechten Ansprüche Deutschlands durch vereinzelte Denkschriften verteidigten, daß Stein das ganze Gewicht seines Namens und seine beim Kaiser von Rußland einst vielvermögende Gunst aufbot, um in dessen Gesinnungen eine Änderung zu bewirken; ebenso verhallte die öffentliche Stimme in deutschen Flugschriften und Tagesblättern machtlos; nichts vermochte den einmal gefaßten und täglich durch rastlose Betriebsamkeit bestärkten Willen der drei Mächte zu erschüttern. Lord Castlereagh wiederholte mit Festigkeit die Ansichten seines Hofes in einer zweiten Denkschrift vom 2. September und trieb damit die Sachen zur Entscheidung, denn wenn Österreich in seiner bisherigen Haltung verblieb und es nicht gelang, den Kaiser Alexander umzustimmen, so stand Preußen völlig[146] allein und mußte sich der Mehrheit fügen oder aus dem Bündnis heraustreten.

Der weitere Verlauf läßt sich kurz zusammenfassen. Nachdem der Entwurf des neuen Vertrages abseiten der Verbündeten in mehreren bei Castlereagh gehaltenen Konferenzen beraten und am 19. September schließlich festgestellt worden, erfolgte am 20. September die Zuziehung der französischen Bevollmächtigten Talleyrand, Dalberg und Louis, denen der Entwurf als der Ausdruck des gemeinsamen Willens der Verbündeten mitgeteilt wurde. Die französischen Bevollmächtigten erklärten in ihrer schon im voraus bereiteten und fertiggehaltenen Antwort vom 21. September die Bedingungen für allzu hart und sprachen weitläufig über die Grundsätze, nach welchen die Lage Frankreichs müsse beurteilt werden. Da hierauf keine Rücksicht genommen wurde, so legten die französischen Minister ihre Stellen nieder, weil sie dergleichen Bedingungen nicht zu unterzeichnen noch in den nächstens zusammentretenden Kammern zu vertreten wagten. An ihre Stelle trat der Herzog von Richelieu, der in russischen Diensten sich das Zutrauen des Kaisers Alexander erworben hatte und jetzt für die Bourbons ein willkommener Vermittler war. Dieser unterzeichnete nun in der Konferenz vom 2. Oktober die Friedensgrundlagen.

Mit Festsetzung dieser Grundlagen war allerdings die Hauptsache schon getan, und die Monarchen eilten nun, Paris zu verlassen, der Kaiser von Rußland ging schon am 28. September und der Kaiser von Österreich am 29. September fort, der König von Preußen am 9. Oktober; allein die Verhandlungen waren damit keineswegs zum Abschlusse gebracht; es waren noch zahlreiche Übereinkünfte und Anordnungen zu treffen, militärische und finanzielle Maßregeln festzusetzen, die Vollziehung des Beschlossenen einzuleiten. Die Franzosen erlangten im einzelnen noch manchen Vorteil; die wenige Landabtretung, die Geldzahlungen, der Umfang und die Dauer der militärischen Besetzung eines Teiles[147] von Frankreich, welche ebenso zur Stütze der Bourbons als zur Sicherheit der Verbündeten angeordnet war, alles wurde auf ein geringeres Maß herabgedungen, nicht ohne den fortgesetzten Widerspruch Preußens, der aber bei der entschiedenen Willfährigkeit Englands und Rußlands nichts ausrichten konnte. Der Abschluß des vollständigen Friedensvertrags mit allen seinen Beiwerken und Anhängen kam erst am 20. November zustande. Das diplomatische Hauptquartier blieb aber noch bis zum Ende des Monats in Paris, die Minister, der Stab und der ganze Troß.

Die Tage, schon etwas herbstlich, verliefen in gewohnter Weise, es gab immer genug Arbeit und fehlte nicht an Erholung. Verabredete Zusammenkünfte mit Gentz, Nostitz, Gruner und Stägemann, entweder um Merkwürdigkeiten zu besehen oder um morgens bei Austern, abends bei Gefrornem uns in freiem Gespräch zu ergehen, ließen bleibende Erinnerungen zurück. Die Art, wie Paris die Zeitereignisse und sich selbst in Witz und Scherz abspiegelte, uns Fremde gleich den Einheimischen in ausdrucksvollen Zerrbildern, in muntern Gesangsweisen und lustigen Worten neckend und beißend durchnahm, diente uns zur großen Belustigung. Eines Abends im Théâtre des Variétés sah ich mit Nostitz, Pfuel und Stägemann eine Vorstellung der »Anglaises pour rire«, wo Brunet und Potier mit unübertrefflich komischer Kraft als englische Mädchen erschienen und das wiehernde Gelächter der Zuhörer keinen Augenblick innehielt, aber zum wahren Sturm anwuchs, als mitten im Stück mit Geräusch eine Logentür sich auftat und der Herzog von Wellington an die Brüstung trat, den das Publikum sogleich erkannte und nicht mehr aus den Augen ließ, um sich an den Eindrücken zu weiden, die der über seine Landsleute ergossene Spott ihm verursachte; er hatte den guten Sinn, fröhlich mitzulachen und bis zum Ende ruhig auszudauern. Unangenehmer war es einige Zeit vorher im Théâtre Favart hergegangen, als er daselbst, bürgerlich gekleidet, in der königlichen Loge Platz genommen hatte; das Publikum hielt[148] die bürgerliche Kleidung für jene Loge nicht schicklich und wollte darin eine Verletzung der Ehrfurcht sehen, die dem Könige gebührte, und wiewohl man annehmen kann, daß unter den Anwesenden genug Leute waren, die selber den König wenig ehrten, so war doch die Bewegung gegen den fremden Feldherrn so einstimmig und gewaltsam, der Ruf »Milord à la porte!« und »A bas l'étranger!« und selbst »A bas le voleur!« so betäubend und andauernd, daß Wellington wirklich gezwungen wurde wegzugehen. Wir konnten nicht leugnen, daß die Franzosen in ihrer damaligen grausamen Demütigung und Zerrissenheit bei solchen Anlässen immer noch eine Stärke und Einheit des Nationalgefühls erkennen ließen, die wir auf unserer Seite gar sehr vermißten.

Ich hatte während einiger Zeit den Staatskanzler seltener gesehen oder nur zum Mittag, entweder bei ihm oder bei Frau von Jordis, und mir schien, als sei er nicht ganz so wie sonst gegen mich. Hiezu stimmte, was mir Gruner in tiefem Geheimnis anvertraute, es sei im Werke, mich zu einer Gesandtschaft zu geben, und zwar sei wieder von Wien die Rede; er aber meinte, daß ich lieber mit ihm nach Stuttgart gehen sollte, wohin er zum Gesandten bestimmt worden, da die Sache mit Dresden schon wieder aufgegeben sei. Ich war über diese Eröffnung etwas erstaunt, sollte ich aber auswärts angestellt werden, so schien mir allerdings das Verhältnis mit Gruner und der Ort höchst erwünscht. Ich ging zu Hardenberg, und mit einiger Klage, daß er mich nicht bei seiner Person behalten wolle, erinnerte ich ihn an die ihm bekannten Schwierigkeiten wegen Wien und weshalb ich Stuttgart vorzöge. Da hörte ich mit Erstaunen, daß Hardenberg berichtet war, ich selber sei es, der nicht bei ihm bleiben wolle, und nun er das Gegenteil höre, könne von einer auswärtigen Bestimmung nicht mehr die Rede sein! Ich verließ ihn mit großer Zuversicht. Allein wenige Tage darauf beschied er mich eines Vormittags zu sich und begann mit freundlichen Worten eine Entschuldigung, daß er dennoch der letzten Verabredung entgegen mir eine auswärtige[149] Bestimmung zuweise; er habe meine Sache hauptsächlich im Gesichtspunkt meines eigenen Besten überdacht, er wolle mir nur geradezu sagen, daß er in mir die ungemeinsten Fähigkeiten erkenne, die mich entschieden für die Laufbahn diplomatischer Missionen bezeichneten, in der ich es weit, er könne es mit Zuversicht aussprechen, sehr weit bringen würde! Da sich diese Prophezeiung im geringsten nicht erfüllt hat, so wird man es wohl nicht allzu ruhmredig finden, daß ich sie hier anführe, wenigstens will mich dies eher ein bescheidenes Bekenntnis dünken; denn vorausgesetzt, das günstige Urteil sei richtig gewesen – was hier doch notwendig zweifelhaft wird –, so kann im Sinne der meisten wohl kein Vorwurf einen Menschen schärfer treffen als der, daß er nicht gewußt habe, seinen entschiedenen Anlagen auch persönlichen Erfolg zu geben! Hardenberg aber in seiner guten Meinung fügte noch hinzu, er habe mir gleich für den Anfang wahrlich nichts Schlechtes ausgedacht, ich solle eine selbständige Mission erhalten als Geschäftsträger in Karlsruhe, welcher Posten in der nächsten Zeit durch die Umstände von besonderer Wichtigkeit sein werde. Dies war freilich mehr, als ich irgend hätte ansprechen dürfen, und ich konnte mir den Wechsel gefallen lassen; zumal sich aus dem ganzen Zusammenhange wohl erraten ließ, wie mißlich das Verhältnis gewesen wäre, das mich ohne weitere Stütze als des Fürsten guten Willen an seine Person gebunden hätte.

Quelle:
Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten des eigenen Lebens. Berlin 1971, S. 108-150.
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