Graefe, Albrecht von

Graefe, Albrecht von
Graefe, Albrecht von

[620] Graefe, Albrecht von, Prof. der Augenheilkunde an der Universität Berlin, geb. 22. Mai 1828 in Berlin als Sohn des berühmten Chirurgen Carl Ferdinand von G. (1787 bis 1840), begann 1843 das Studium in seiner Vaterstadt. 1847 promoviert, erhielt er in der Staatsprüfung das Zeugnis »vorzüglich gut« und begab sich im Herbst 1848 nach Prag, wo er, angeregt von Ferdinand Arlt, der Augenheilkunde vorzugsweise sich zuwendete. Er besuchte in den beiden folgenden Jahren die Kliniken von Sichel und Desmarres in Paris, hierauf diejenigen von Jaeger, Vater und Sohn in Wien, trat in London zu W. Bowman und G. Critchett in nähere Beziehungen und lernte hier auch Donders aus Utrecht kennen, der ihn in verschiedenen Richtungen anregte. 1850 kehrte v. G. nach Berlin zurück, begann seine Thätigkeit als Augenarzt und fand sowohl beim Publikum, wie in ärztlichen Kreisen überraschend schnell Anerkennung. In diese Zeit fällt die epochemachende Entdeckung des Augenspiegels durch Helmholtz, welchen G. mit den dankbaren Worten: »Helmholtz hat uns eine neue Welt erschlossen« als erster in die praktische Augenheilkunde einführte. 1852 erfolgte seine Habilitation als Privatdozent mit der Abhandlung: »Über die Wirkung der Augenmuskeln«. Kurz darauf machte ein von ihm in der Berliner Gesellschaft für wissenschaftliche Medizin gehaltener Vortrag über die Schieloperation gerechtes Aufsehen; es gelang ihm, das bestehende Misstrauen gegen diese Operation zu beseitigen. 1854 gründete er das »Archiv für Ophthalmologie«, dessen erster Band fast nur seine eigenen Arbeiten: »Beiträge zur Physiologie und Pathologie der schiefen Augenmuskeln« – »Über Doppelsehen nach Schieloperationen und Incongruenz der Netzhäute« [620] und »Ueber die diphtherische Conjunctivitis und die Anwendung des Causticum bei acuten Entzündungen« enthält. Sehr bald traten der Redaktion Arlt und Donders bei. In das Gebiet der Amblyopien brachte G. durch die genaue methodische Untersuchung des Gesichtsfeldes grössere Klarheit. Auch widmete er nicht einseitig alle seine Kräfte der Augenheilkunde, er verfolgte die Fortschritte auf den übrigen Gebieten der Medizin mit dem regsten Interesse. Er war, wie Horstmann in der älteren Quelle mit Recht hervorhebt, der erste, der den Nachweis lieferte, dass die Schwachsichtigkeiten und Erblindungen infolge von Gehirnleiden, welche man früher als Lähmung d. Sehnerven aufgefasst hatte, grösstenteils auf einer Neuritis optica beruhten; auch stellte er die Beziehungen zwischen Hirntumoren und der sogenannten Stauungspapille klar. Ein glänzender Beweis für seinen diagnostischen Scharfblick war das Erkennen der Embolie der Arteria centralis retinae, welche eine plötzlich auftretende einseitige Erblindung veranlasst. Unsterblich sind die Verdienste, welche er sich auf dem Gebiete der glaukomatösen Erkrankungen erworben hat. Die durch ihn geschaffene Möglichkeit, durch die Iridektomie eine grosse Anzahl zum sicheren Untergang verurteilter Augen zu erhalten, ist eine der ganzen Menschheit erwiesene Wohlthat. Die jetzt fast allgemein übliche Methode der Staaroperation, die modifizierte Linear-Extraktion, wodurch die Verluste, welche früher etwa 10% betrugen, auf 2 bis 3% herabgemindert wurden, verdanken wir ihm ebenfalls. Der Ruf v. G.'s, welcher 1857 zum e. o. und 1866 zum ord. Professor ernannt wurde, hatte sich immer weiter verbreitet, Augenleidende aus den fernsten Ländern suchten bei ihm Rat und Hilfe. Ärzte kamen selbst über den Ozean her, um sich durch ihn in das Gebiet der Ophthalmologie einführen zu lassen. Nicht nur der[621] gediegene wissenschaftliche Inhalt seiner Rede, auch die Form und Art und Weise seines Vortrages fesselten seine Hörer, welche nur zum geringsten Teil aus Studenten, zum grössten aus Ärzten bestanden, welche spezialistisch sich auszubilden die Absicht hatten. Leider war der Körper v. G.'s nicht den ihm zugemuteten Anstrengungen gewachsen. Zu einer früher überstandenen Hämoptoe gesellten sich öftere Anfälle von Pleuritis; an einem derselben erkrankte er 1861 in Baden-Baden; an ihn schloss sich ein jahrelanges Leiden an, dem v. G., der sich trotzdem keine Ruhe gönnte, 20. Juli 1870 unterlag. 22. Mai 1882 wurde in Berlin sein Denkmal enthüllt, wobei C. Schweigger die Rede hielt. Mit v. G. beginnt die neuere Periode der Augenheilkunde; d. grösste Teil der z.T. noch lebenden späteren Ophthalmologen entstammt seiner Schule.

Quelle:
Pagel: Biographisches Lexikon hervorragender Ärzte des neunzehnten Jahrhunderts. Berlin, Wien 1901, Sp. 620-622.
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