Dieses Werkes Schlussrede

[187] Höret derohalben ihr Esel, die ihr mit euren kleinen Eselchen aus Befehl Christi durch seine Apostel, die Boten der rechten Weisheit und Verkündiger des Evangelii, die ihr losgezählet seid von der Finsternis des Fleisches und des Blutes, ihr Esel, wollet ihr diese heilige und wahre Weisheit des Lebensbaumes annehmen, und nicht die Weisheit des Baumes vom Guten und Bösen, wollet ihr alle andere menschliche Wissenschaften preisgeben, sie mögen sein, wie sie wollen, sie mögen bestehen in gewisser Reden Schlusssätzen oder in der Ursachen Grübeleien oder in andern Meditationen und Erfindungen? Ihr seid jetzo nicht in der philosophischen Schule und unter den Weltweisen, ihr seid in euch selbsten, darum wisset ihr alles; euch ist alles anvertrauet, euch ist gegeben die Erkenntnis aller Dinge; dieses müssen alle Academici bekennen, und bezeuget es auch die Heilige Schrift, denn Gott hat alles wohl geschaffen, im besten und höchsten Grad, darinnen es bestehen kann. Denn gleichwie er die Bäume voller Früchte, also hat er auch die Seelen als vernünftige Bäume voller Formen und Erkenntnisse geschaffen; aber durch die Sünde unserer ersten Eltern ist alles wieder verdunkelt worden, und ist die Vergessenheit, die Mutter der Unwissenheit, eingeschlichen. Derowegen[187] tut nun weg die Decke eueres Verstandes, die ihr mit der Finsternis der Unwissenheit eingewickelt seid; speiet aus den tödlichen Trank, welcher euch mit einer Vergessenheit trunken gemachet hat; wachet auf zum wahren Licht, die ihr durch einen unvernünftigen Schlaf ganz eingelullt worden seid, und gehet nun mit erhobenem Gesichte von Klarheit zu Klarheit. Denn wie Johannes spricht: Uncti estis a spiritu sancto et nostis omnia. Das ist: Ihr seid gesalbte von dem Heiligen Geist und wisset alles. Und wiederum: Non necesse habetis, ut aliquis vos doceat, quia uncetio ejus docet vos de omnibus; ipse enim solus est qui dat os et sapientiam. Das ist: Ihr habt nicht vonnöten, dass euch jemand lehre, weil euch des Geistes Salbung von allem lehret, denn dieser ist allein, welcher den Mund und die Weisheit gibet.

David, Esaia, Ezechiel, Jeremias, Daniel, Johannes der Täufer und andere Propheten und Apostel mehr, die haben nicht studieret, sondern sind aus Bauern, Schäfern und Idioten die Gelehrtesten unter allen worden; König Salomo ist in dem Traume einer Nacht aller Weisheit, aller obern und untern Dinge voll worden und voll der Erkenntnis des Weltlaufes, und hat also regieret, dass seinesgleichen nicht gewesen ist; und alle diese Menschen sind sterblich gewesen, wie ihr auch seid, ja auch grosse Sünder. Ihr möchtet aber vielleicht sagen: Nur wenigen ist dieses widerfahren. Und:


Pauci quos aequus amavit

Jupiter aut anders evexit ad aethera virtus

Diis geniti potuere.


Das ist: Sehr wenige, an welchen der grosse Gott ein sonderliches Gefallen durch ihre sonderliche Tugend, haben es den Göttern mögen nachtun. Aber verzaget nicht, sondern habet guten Mut, denn Gottes Hand ist nicht verkürzet allen die ihn anrufen und ihn in aller Treue fürchten und gehorsam sind.

Antonius und sein christlicher Knecht Barbarus,[188] die haben durch ein dreitägiges Gebet alle himmlischen Wissenschaften vollkömmlich erlanget, wie Augustinus dieses bezeuget. Ihr aber, die ihr nicht könnet gleich den Aposteln und Propheten und andern heiligen Männern mit einem hellleuchtenden Verstande solches selber anschauen, nehmet den Verstand von denjenigen, welche es mit einem wahrhaftigen Gesichte angeschauet haben. Diesen Weg muss man suchen, dieser ist noch überlei, spricht Hieronymus ad Rufinum, also dass, was der Geist den Propheten und Aposteln eingegeben, das müsset ihr mit Fleiss lesen in den Buchstaben, in den Buchstaben, sage ich, welche durch heilige Oracula gegeben und von der Kirchen mit gleichförmiger Einstimmigkeit sind aufgenommen worden, nicht aber in den Buchstaben, welche Menschenwitz ausgedacht hat; denn diese können mir den Verstand nicht erleuchten, aber wohl dunkel machen.

Darum wendet euch zu Mosen, zu den Propheten, zu Salomon, zu den Evangelisten und zu den Aposteln, welche mit jeglicher Lehre, Weisheit, Sitten, Sprache, Weissagungen, Oraculn, Wundern und Heiligkeit durch und durch geglänzet und von den göttlichen hohen Sachen als von Gott selbsten belehret, von den irdischen Dingen aber übermenschlich geredet haben und Gottes und der Natur Heimlichkeiten uns mit einem klaren Licht gewiesen.

Denn alle göttlichen und natürlichen Heimlichkeiten, alle Sitten- und Vernunftgesetze, alle Wissenschaft vergangener, gegenwärtiger und künftiger Dinge, die werden uns in der heiligen Bibel Sprüchen gezeiget. Derowegen warum wollet ihr euch dann ruinieren und ins Verderben stürzen, da ihr die Wissenschaft suchet bei denjenigen, die selber mit Nachgrübeln die ganze Zeit ihres Lebens zugebracht, und Zeit, Mühe und Arbeit verloren und keiner Sache Grund und Wahrheit nicht gefunden haben?

O ihr Narren und gottlosen Leute, die ihr die Gaben des Heiligen Geistes verachtet und arbeitet, dass[189] ihr von den treulosen Philosophis und Meistern der Irrtümer das lernen wollet, was ihr von Christo und dem Heiligen Geiste lernen solltet. Meinet ihr närrischen Leute denn, dass ihr aus des Socratis Unwissenheit die rechte Wissenschaft schöpfen könnet? Aus des Anaxagorae Finsternis das Licht? Aus des Democriti Brunnen eine Tugend? Aus des Empedoclis Unsinnigkeit einen Verstand? Aus des Diogenis Fasse eine Gottesfurcht? Aus des Carneadis und Archesilai Dummheit einen Witz? Aus dem gottlosen Aristotele und ungläubigen Averroë eine Weisheit? Aus der Platonischen Superstition einen Glauben? Ach ihr guten Leute, wie irret ihr und werdet betrogen von betrogenen Betrügern.

Aber ich bitte euch, kommt doch zu euch selbsten, die ihr die Wahrheit liebet! Gehet doch weg von dem schädlichen und garstigen Nebel der Menschensatzungen und kommet doch zu dem wahren Lichte und höret doch eine Stimme vom Himmel, eine Stimme, die uns von oben her lehret und klärer als die Sonne weiset, dass ihr unrecht seid! Was verziehet ihr doch, die wahre Weisheit anzunehmen? Höret doch das Oraculum Baruch, da er spricht: Deus est et non existimabitur alius ad illum. Hic adinvenit omnem viam disciplinae, et tradidit eam Jacob puero suo, et Israëli dilecto suo, dans legem et praecepta, atque ordinans Sacrificia. Das ist: Dieser ist unser Gott und keiner ist ihm zu vergleichen. Der hat allen Weg der Weisheit funden, und hat sie gegeben Jacob, seinem Diener und Israel seinem Geliebten. Darnach ist er erschienen auf Erden und hat bei den Leuten gewohnet. Er ist auf Erden gesehen worden und hat öffentlich gelehret, was in dem Gesetze und bei den Propheten rätselsweise ist gelehret worden.

Und damit ihr nicht denket, dass solches nur göttliche Sachen angehe, sondern dass es auch auf natürliche zu deuten sei, so höret doch was der weise Prediger Salomon von sich selber schreibet, wann er spricht: Ipse mihi dedit eorum, quae sunt, scientiam[190] veram ut sciam dispositiones orbis terrarum, et virtutes elementorum, initium, consumationem, medietatem et vicissitudines temporum, anni cursus, stellarum dispositiones, naturas animalium, iram bestiarum, vim ventorum, cogitationes hominum, differentias virgultorum, virtutes radicum et quaceunque sunt abscondita et improvisa didici. Omnium enim artifex docuit me sapientiam. Das ist: Er selbst hat mir gegeben gewisse Erkenntnis aller Dinge, dass ich weiss, wie der Erdkreis gemachet ist und die Kraft der Elemente, der Zeit Anfang, Ende, Mittel und Wandel, wie der Tag zu- und abnimmet, wie das Jahr herumlauft, wie die Sterne stehen, die Art der zahmen und wilden Tiere, wie der Wind so stürmet, und was die Leute im Sinn haben, mancherlei Art der Sträucher und Kraft der Wurzeln, ich weiss alles, was heimlich und verborgen ist, denn er, der aller Natur Werkmeister ist, lehrete mich's.

Denn die göttliche Wissenschaft ist unendlich; es gehet ihr nichts ab, sie begreifet alles in sich. Wisset derowegen, dass nicht durch langen Fleiss, sondern durch des Geistes Demut und Gebet und Reinigkeit des Herzens, nicht durch einen kostbaren Vorrat vieler Bücher, sondern durch einen reinen Verstand und Schlüssel der Wahrheit die Wissenschaft muss erlanget werden; denn die Menge der Bücher beschweret den Leser und machet ihn nichts klüger, und wer vielen Autoribus folget, der irret mit vielen.

In dem einen Bibelbuche ist alles enthalten und wird uns darinnen alles gelehret, jedoch dergestalt, dass es nur von den Erleuchteten kann verstanden werden; den andern sind es Parabeln und Rätsel und mit vielen Siegeln verschlossen. Derowegen betet zu Gott, eurem Herrn, in wahrem Glauben und zweifelt nicht, es werde das Lamm aus dem Stamm Juda kommen, und euch das versiegelte Buch der Erkenntnis auftun; dieses ist das heilige und wahre Lamm, welches alleine die Schlüssel der Wissenschaft und der Unterscheidung hat. Er, welcher das Lamm ist, tut[191] auf und niemand schleusset zu; er schliesset zu und niemand kann auftun. Das Lamm ist Jesus Christus, das Wort, der Sohn Gottes des Vaters und die gottschaffende Weisheit, ein wahrer Lehrer, der Mensch worden, wie wir sind, dass er uns zu Kindern Gottes mache, wie er selbsten ist, gesegnet von nun an bis in Ewigkeit. Aber, damit ich euch, wie mau saget, nicht über den Seiger aufhalte, so will ich meiner Rede hiemit machen ein Ende.[192]


Quelle:
Agrippa von Nettesheim: Die Eitelkeit und Unsicherheit der Wissenschaften und die Verteidigungsschrift. München 1913, Band 2.
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