Kapitel LXV.
De mendicitate
oder
Von der Bettelei

[289] Zu einem gemeinen und religiösen Wesen gehöret auch die Unterhaltung der Armen und Kranken, damit nicht einer wegen des Armuts sündige und stehle, oder mit seinem Bettelngehen die Stadt mit der schädlichen Pest anstecke, oder gar durch Hunger sterbe, nicht zu geringer Schande des menschlichen Geschlechts. Daher sind Armenhäuser aus dem gemeinen Fisco mit guter Intention und nicht ohne sonderliche Pietät an vielen Orten aufgerichtet worden, und werden noch durch Privat- und reicher Leute Almosen erhalten.

Denn öffentlich in der Stadt rum betteln gehen, ist schon anfänglich bei allen Völkern verboten worden. Auch ist in dem alten Testament den Juden durch Mosen gesagt worden: ein Armer und Bettler soll unter euch gar nicht sein. In den römischen Gesetzen von gesunden und starken Bettlern, hat Kaiser Justinianus hart verboten, dass derjenige, welcher arbeiten kann und betteln ginge, gleich sollte beim Kopfe genommen und in die Dienstbarkeit gejaget werden. Im evangelischen Gesetze aber hat Christus[289] befohlen: was überbleibet, das soll man den Armen geben, dass kein Bettler oder Dürftiger unter dem Volke zu finden sei, sondern, dass Gleichheit gehalten werde. Wie Paulus zu den Korinthern spricht: Vestra abundantia illorum inopiam suppleat, ut et illorum abundantia vestrae inopiae sit supplementum, et fiat aequalitas, sicut scriptum est: Qui multum habuit, non abundavit, et qui modicum, non minoravit. Das ist: So diene euer Überfluss ihrem Mangel, auf dass auch ihr Überschwang hernach diene eurem Mangel, und mag eine gewisse Gleichheit im Volke sein. Wie geschrieben stehet: der viel sammlete, hatte nicht Überfluss, und der wenig sammlete, hatte nicht Mangel. Und an die Epheser schreibet er: Qui furabatur, jam non furetur, magis autem laboret, operando manibus quod bonum est, ut habeat, unde tribuat necessitatem patienti. Das ist: Wer gestohlen hat, der stehle nicht mehr, sondern arbeite und schaffe mit den Händen etwas Gutes, auf dass er habe zu geben dem Dürftigen. Auch befiehlet er den Thessalonichiern, dass sie mit den Händen arbeiten und Sorge tragen sollen, dass sie was für sich bringen, und gibet ihnen die Lehre: qui nolit operari, non manducet. Wer nicht arbeiten will, der solle auch nicht essen; die aber das Widerspiel tun, denen verbeut er die Gemeine der Gläubigen. Und in der Epistel an den Timotheum verdammet er diejenigen, welche ihren Unterhalt durch Betteln verdienen und meinen, dass Betteln eine Gottesfurcht sei.

Und die päpstlichen Decreta befehlen, dass man nur denjenigen Armen soll Almosen geben, welche nicht arbeiten können; die andern aber, die solche nehmen, die rechnet das geistliche Recht unter die Diebe, Strassen- und Kirchenräuber. Und hier lernen wir, dass wir nicht sowohl mit der Armut ein Mitleiden haben, als die Bettelei selbsten verfluchen sollen. Die Kunststückchen aber, die solche Bettler, nur einen Gewinnst davon zu tragen, zu praktizieren wissen, die sollen billig von uns allen verflucht sein; denn sie wollen[290] lieber wider Gottes Gebot für den Kirchentüren tödliche Kälte und brennende Hitze ausstehen, ja entsetzliche Schmerzen und selbst den Tod erleiden, als in den Armenhäusern leben und mit ihrer Gabe zufrieden sein und ihre Krankheiten heilen lassen. Und was noch ärger ist: als es ihnen gleich oftermals so elend gehet, so sind sie doch bei ihrem schlechten Zustande Gotteslästerer, Flucher, Verächter Gottes Worts, Schimpfer, Trunkenbolde, und stellen sich, als wann sie andächtig beteten, da sie doch Christum und sein Evangelium verachten; so gleichen sie weniger den Märtyrern Gottes als den Verdammten der Hölle.

Es ist noch eine andere Art nichtswürdiger Bettler, mit welchen billig kein Mitleiden zu haben ist, nämlich, die sich mit Vogelleim, Mehl, Blut und Jauche und sonst anderer unflätiger Materie schmieren, nur dass sie wollen vor wund und aussätzig angesehen sein; andere stellen sich krank, als wann sie die schwere Not oder eine andere Krankheit am Halse hätten; andere als wann sie wallfahrten gingen, und das Brot darzu für den Türen suchen müssten. Diese würden doch wohl mit Königen nicht tauschen, brauchen sie sich doch um Krieg und Frieden nicht zu bekümmern, sind vom Schoss, Steuer, Kontribution und andern bürgerlichen Oneribus befreiet, können wegen Betruges, Diebstahls, Totschlages und anderer bösen Taten nicht fürs Recht gefordert werden, können ungehindert im Lande rumstreichen, müssig und ungehindert wie Heilige Gottes. Wir habens auch erfahren, dass aus dieser schlimmen Rotte einem Reiche oder Republik nicht geringer Schade entstanden ist; indem sie aus Vorwand des Bettels die Heimlichkeiten der Länder und Städte ausforschen, und hernachmals durch ihre List und Arglistigkeit oder Gewinnstes halber des Landes Beschaffenheit dem Feinde offenbaren, und Verräterei, wo sie nur können, anspinnen. Durch diese Brut sind viele Städte im Feuer aufgangen, Brunnen vergiftet und die Pest oder andere böse Krankheiten ins Land gebracht worden, wie für wenig Jahren Frankreich,[291] und insonderheit die Stadt Trier solches mit ihren grössten Schaden erlitten hat. Zu diesen schönen Bürschchen gehöret auch das Volk, welches wir die Zigeuner nennen:


Quas aliena juvant, propriis habitare molestum.

Fastidit patrium non nisi nosse solum.


Das ist: Sie durchstreichen fremde Lande, aber von ihrem Vaterlande halten sie nichts, nur dass sie sich noch davon nennen. Denn diese sind entsprungen aus dem Lande zwischen Ägypten und Äthiopien, aus dem Geschlechte Chus, des Sohnes Cham, eines Kindes des Noe, welche noch heutiges Tages den Fluch ihres ersten Urgeschlechters auf dem Halse haben; sie vagieren in der ganzen Welt rum, schlagen im Felde ihre Zelte auf, und bestehet ihr ganzer Haufe in Strassenräubern und Dieben, sie vertauschen oder verkaufen den Leuten gewisse Sachen, sagen ihnen wahr, und suchen also mit Betrug ihre Nahrung und Unterhalt. Volaterranus hat dafür gehalten, dass es persische Völker wären, und hätten den Namen Uxii, und hat in diesem Stück auf den Scilarem gesehen, welcher die konstantinopolitanische Chronica geschrieben und gesaget hat, dass der Kaiser Michaël Traulus aus der Wahrsagerkunst der Uxiorum das Reich habe bekommen, welche Uxii hernach durch die Donauländer sich ausgebreitet und überall den europäischen Völkern wahrgesaget haben. Polydorus hat gemeinet, es wären Assyrier oder Cilicier, welches ein Volk in Asien gewesen.

Nun aber hat diese Bettlerseuche nicht allein unter weltlichen und geringen Spitzbubenplatz genommen, sondern sie ist auch unter die geistlichen und religiosischen Leute, unter die Mönche und Pfaffen eingeschlichen; dahero kommen gewisse Brüder und Mönchsorden, aus welchem Klei und Mehl diejenigen sind, welche aus Prätext der Religion, wie sie sagen, gewisse Reliquien der Heiligen rumtragen, sich heilig stellen, und mit vielen erdichteten Wundern den Zorn der Heiligen ankündigen, Indulgentien und Ablasse[292] versprechen, und also unterm Schein, dass sie deswegen Almosen für ihre Brüder sammeleten, scharren sie einen grossen Reichtum zusammen; sie streichen das Land durch und nehmen von einfältigen Bauersleuten oder leichtglaubigen Bauersweibern Schafe, Lämmer, Böcke, Kälber, Schweine, Milch, Käse, Eier, Schinken, Wein, Öl, Butter, Hühner, Weizen, Wolle, Flachs und Geld; und wann sie nun die Gegend also geputzet haben, so kommen sie mit ihrer schweren Bürde nach Hause und schmausen und saufen, bis sie wieder was Neues holen. Da werden sie mit grossem Frohlocken von ihren Brüdern aufgenommen und gelobet, dass sie das elende und simple Volk, welches sich eingebildet, dass sie Gott dadurch einen angenehmen Dienst getan, so wacker um das ihrige geputzet haben; und meinet noch wohl gar dieser Orden, dass sie Gott und den Heiligen angenehme Opfer brächten, wann sie also mit ihrem Raube beladen, mit grossem Schaden des gemeinen Wesens ihre Trabanten ausschicken, und solch faule und auf der Bärenhaut liegende Mönche mästen. Die Werke der Barmherzigkeit aber, weswegen ihnen diese Geschenke gegeben werden, die verachten sie und werden ganz von ihnen aus den Augen gesetzet.

Der Apulejus hat ihre Personen artlich wissen darzustellen in seinem »Esel«, wo er von den Priestern der Syrischen Göttin redet.

Zu diesen gesellen sich auch die rechte Bettelmönche und Begharden, wie sie genennet werden, welche den Gewinnst gegen die Heiligkeit eingetauschet haben und zu keinem andern Ende diesen Religionsorden angenommen haben, als dass sie unter dem Vorwande der Armut mit einer frechen Bettelei alle Örter durchkriechen, und mit einer unverschämten Stirne und importuner Heuchelei überall Geld zusammenscharren, und mit einem artlichen Betrug in Kirchen und Schulen, an Höfen und in grosser Herren Palästen, in Beichten und Predigten, von Predigtstühlen und ihren andern Burgen, solches unter das Volk ausbreiten, ihre Ablasswaren verkaufen, von wucherhaftigen[293] Kauf- oder räuberischen Edelleuten Gaben erpressen, oder die gröbern Bürger und das ungelehrte gemeine Volk und abergläubische alte Weiber ums Geld putzen, oder nach Art der Schlangen das närrische Weibesvolk an sich ziehen, damit sie einen Zutritt zu den Männern hätten, um sie ebenfalls zu hintergehen. Diese Bettelmönche, indem sie sich durch ihre Kleidung also stellen und Armut affektieren, und wie man das Geld nicht achten oder den Ehrgeiz meiden solle, so suchen sie nichts anderes darunter, als gross Geld zusammenzuscharren, laufen deswegen über Land und Meer und klopfen an alle Häuser, Buden und Gewölbe an, ministrieren die heiligen Ämter nur gegen Bezahlung, bitten nicht sowohl um Almosen, als dass sie vielmehr tyrannisch einen Tribut fordern; sie mischen sich in allerhand Händel, schliessen unglückliche Heiraten, richten Testamenta auf, und stossen sie wieder übern Haufen, vergleichen Rechtssachen, reformieren Klosterjungfrauen, und dieses alles ihres Vorteils und Nutzens halber.

Das sind die schönen brüderlichen Mönchskünste, mit welchen viele unter ihnen sich so ein Ansehen und Autorität gemachet haben, dass Päpste und Monarchen eine Furcht für sie gehabt haben; sie haben dadurch mehr als bankiermässige oder fürstliche Schätze gesammelt, und mit ihren viel tausend Dublonen Bischofsmützen oder den Kardinalshut gekaufet oder wohl gar um den päpstlichen Stuhl gebuhlet.

Sehet, so viel kann diese Religionsbettelkunst. Und indem sie einen so grossen Reichtum besitzen, meinen sie doch, dass sie ihrem Gelübde der Armut gar genug täten, wann sie kein Geld mit den Fingern anrühren, da sie doch allezeit ihren Judam bei sich haben, der den Beutel träget und Rechnung tut; und dürfen so sich unterstehen mit Petro und Johanne zu sagen: Argentum et aurum non est mecum. Gold und Silber ist nicht bei mir. Wann sie aber hier nicht mit Lügen umgingen und ihre Rede aufrichtig wäre, so hätten sie auch das Recht zu sprechen: Surge et ambula![294] Stehe auf und gehe hin. Und wären mit ihrem Patre, dem Francisco, Geld und Sünden los, geböten den Kreaturen, verwandelten das Wasser in Wein, gingen durch das Wasser mit trockenem Fusse; die wilden Wölfe machten sie zahm, richteten einen Falken ab sie des Morgens zu wecken, verböten den Schwalben das Zwitschern, geböten dem Feuer und täten andere Wunderwerke, welche dieser heilige Mann soll getan haben. Aber alle tun dieses nicht, welche sagen, Herr, Herr, sondern tragen nur, wie die Stoischen Affen, das Zeichen und die Kleider Christi und Francisci; seinen Willen und Meinung nehmen sie nicht in acht.

Wider diese Bettelmönche hat vor Zeiten geschrieben Richardus Episcopus Armachanus und Malleolus Praepositus Tigurinus, auch Johannes Episcopus Camotensis und viel andere; welche Schriften noch wohl zu erdulden wären, wann sie nicht sowohl diese reli giosische Bettelkunst als deren Missbrauch verdammet hätten. Aber es mag von diesen für diesmal genug sein, damit wir zu andern auch kommen mögen.[295]

Quelle:
Agrippa von Nettesheim: Die Eitelkeit und Unsicherheit der Wissenschaften und die Verteidigungsschrift. München 1913, Band 1, S. 289-296.
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