Kapitel LXXIX.
De arte militari
oder
Von der Kriegeskunst

[26] Aber wir müssen von den Ackersleuten auf die Soldaten kommen, welche, wie Vegetius und auch Cato saget, vom Acker weggenommen und zum Kriege geschickt gemacht, oftermals die tapfersten Soldaten werden. Die Heil. Schrift bezeuget, dass der streitbare Cain ein Ackersmann und Jäger gewesen ist; Janus und Saturnus sind streitbare Götter gewesen und haben zuvor auf Erden ihr Leben mit dem Ackerbau zugebracht. Derowegen scheinet es, als wann diese Kunst keineswegs zu verachten wäre, welche (wie Valerius spricht) die Herrschaft über Italien dem römischen Reiche zuwege gebracht, und viele Städte, Länder und mächtige Völker in Botmässigkeit gewiesen, die Schlünde des Pontus, die Buchten der Meere und die alpischen und taurischen verschlossenen Berge aufgemachet hat.

Africanus Scipio, der rühmet sich (bei dem Ennio), dass er durch das Blut der Feinde sich den Weg zum Himmel eröffnet habe, welchem auch Cicero beigepflichtet, wann er spricht, auch Herkules sei auf diese Art in Himmel gestiegen.[26]

Diese Kunst sollen uns die Lazedämonier am ersten gewiesen haben, daher hat Hannibal, als er auf Italien ein Absehen gehabt, einen Lazedämonier zum Kriegesgeneral gemachet und zu sich genommen. Durch diese Kunst sind Königreiche und Länder stabilieret und auch wiederum verwüstet worden. Denn unter den Händen der tollkühnen Heerführer ist das streitbare Numantia, das schöne Korinth, das stolze Thebe, das gelehrte Athen, das heilige Jerusalem, Karthago, die Nebenbuhlerin Roms, und auch endlich das mächtigste Rom selbst gefallen.

Diese Wissenschaft oder Kunst, welche mit mehr Blute als des Draconis Gesetze geschrieben, weiset, wie man die Schlachtordnung anstellen, den Feind angreifen, anhalten, auf rechts und links vorstossen, wie man die Signale und Kommandorufe verstehen und ausführen soll, wie verfolgen und überwinden kann, wie man die Spiesse, Pfeile und das Gewehr recht brauchen, und nicht eher, als wann ganz keine Hoffnung zur Viktorie vorhanden, das Feld räumen soll, wie man den Flüchtigen nacheilen und sie niedermachen, den Feind fangen, denselben desarmieren, verfolgen, zerstreuen, die Seinigen aber wieder rekolligieren und zusammenhalten, und das Kriegesheer in eine gute Ordnung bringen oder, wann es geschlagen, seine Revanche suchen soll, auch was sonsten bei dem Kriege noch erfordert wird.

Diese Kunst weiset uns auch, wie eine Schiffsarmade aufzurichten, Schlösser und Läger aufzubauen, zu befestigen und mit Völkern zu besetzen, wie Wälle und Basteien aufzuführen, Schanzen zusammenzufügen, Gräben auszufüllen, Minen zu verfertigen, Mauern zu brechen, gute Waffen zu wählen, heimliche Gänge und Ausfälle anzurichten, wie die Zufuhr hereinzubringen, wie man sich gewisser Krieges-Stratagematum und -Listen gebrauchen soll; ferner lehret sie uns Städte zu belagern, die Geschütze recht zu gebrauchen, Mauren und Türme zu durchbohren, Städte und Dörfer anzuzünden und zu verwüsten, Kirchen und Schulen zu[27] berauben, Land und Leute zu vernichten, Gesetze mit Füssen zu treten, ehrliche Matronen, Witwen und Jungfern zu schänden und zu entführen, Bürger auszuplündern, zu martern, einzukerkern und ums Leben zu bringen.

In Summa, diese ganze Disziplin ist nur zum Schaden des menschlichen Geschlechts erfunden, und hat keinen andern Zweck und Endursache, als dass sie tüchtige Verheerer der Städte und berühmte Menschentotschläger ausbrüte, und aus Menschen wilde Bestien mache; daher ist der Krieg nichts anders, als vieler Leute Räuberei und Mörderei und die Soldaten nichts anders, als des gemeinen Wesens Verderber, besoldete Totschläger und Strassenräuber.

Auch weil des Krieges Ausgang allzeit ungewiss ist und oftermals durch das Glücke und nicht durch die Kunst der Sieg kommet, so saget mir: was helfen alle die oben erzähleten militarischen Künste, Regulen, Präcepta und Stratagemata? Ist nicht alle Kunst vergeblich und umsonst, wann das Glück allein entscheidet? Und gleichwohl hat der göttliche Plato diese Kunst gerühmet und befohlen, dass die Knaben dieselbe lernen, die Erwachsenen aber sich in den Krieg begeben sollen. Und Cyrus, der tapfere König, hat gesagt, sie wäre ebenso nütze, als der Ackerbau. Augustinus selber und Bernardus, grosse Lehrer bei der katholischen Kirchen, die haben sie gebilliget; auch die päpstlichen Decreta haben dieselbe gutgeheissen, obschon Christus und seine Apostel ganz anderer Meinung gewesen sind; ja die Kriegeskunst hat endlich, ohnerachtet Christus selbst widersprochen, einen nicht geringen Grad in der Kirche erhalten; da sind so viel Sekten und Orden heiliger Soldaten und Streiter entstanden, deren Religion und Andacht doch in nichts anders als Blutvergiessen, in Mord und Totschlag und in Raube und Piraterie bestanden, aber alles ist mit dem Deckmantel der Religion bemäntelt, und als wann es zur Ehre Gottes, zu Verherrlichung der Kirche und des christlichen Glaubens abgesehen[28] wäre, vorgewendet worden; gleich als wann Christus sein Evangelium nicht durch Lehren und Predigen, sondern durch Gewehr und Waffen, nicht durch Reue und Martyrium, sondern durch Drohungen, Krieg, Mord und Totschlag hätte wollen bekannt machen.

Und ist diesen Kriegsgurgeln nicht genug, dass sie wider die Türken, Mohren und Heiden ihre Tyrannei sehen lassen, sondern sie müssen Christen durch Christen mit ihren Flotten verderben und zunichte machen. Endlich sehen wir auch, dass diese Kunst oder der Krieg viel Bischöfe gemachet hat; ja es ist oftermals wegen des heiligen Papstesstuhles in der Welt widerlich gestritten und Krieg geführet worden, und ist der Papst, wie der heilige Episcopus Camotensis spricht, oftermals nicht ohne Vergiessung brüderlichen Blutes auf seinen Heiligen Stuhl erhoben worden, und dieses wird hernach die Beständigkeit im Martyrium genennet, wann um die grosse Katheder mit Vergiessung so vieler Christen Blut mächtig ist gestritten worden.

Von dieser militärischen Kunst haben geschrieben Xenophon, Xenocrates, Onesander, Cato, Censorius, Cornelius Celsus, Higinus, Vegetius, Frontinus, Helianus, Modestus; aus den Neueren Volturius, Nicolaus Florentinus, Jacobus Comes Purliliarum und einige andere. Und dieses sind nur Lehrer und nicht so gefährlich als die, welche den Krieg selbsten praktizieren. Aber die Gradus und Titul dieser Kriegsdisziplin sind nicht der Baccalaureus oder der Magister oder Doktor. Auch werden heutzutage nicht alle Soldaten Imperatoren genennet, Generalspersonen, Grafen, Freiherren, Ritter, Kapitäns, Hauptleute, Fähnriche oder wie dergleichen Titul sonst heissen, die aus Ehrgeiz und Unrecht entstanden sind; nein, die richtigen Namen wären: Räuber, Einbrecher, Entführer, Banditen, Diebe, Tempelschänder, Klopffechter, Frauenschänder, Kuppler, Hurer, Ehebrecher, Verräter, Staatskassenräuber, Viehdiebe, Spieler, Lästerer, Giftmischer, Vatermörder, Mordbrenner, Seeräuber, Tyrannen[29] und ich weiss nicht was mehr. Will man nun diese alle mit einem Namen nennen, so nenne man sie Soldaten oder ein Abschaum aller verbrecherischen Leute, welche zu diesen bösen Taten ihr böses Gemüt und ihre böse Art anreizet. Ihre Freiheit und Würde ist allein die Freiheit zu sündigen und zu rauben und nur dahin zu trachten, wie sie Schaden tun können; sie sind gleichsam ein Leib, dessen vornehmste Gliedmassen oder das Haupt der Teufel ist; hiervon saget Job: Corpus illius quasi scuta fusilia, et compactum squamis se prementibus; una uni conjungitur, et ne spiraculum quidem incedit per eas, una alteri cohaeret et tenentes se nequamquam separabuntur. Assistunt sibi, quia in unum convenerunt adversus Dominum, et adversus Christum ejus. Das ist: Seine stolze Schuppen sein wie feste Schilde, fest und eng ineinander; eine rühret an die andere, dass nicht ein Lüftlein darzwischen gehet; es hänget eine an der andern und halten sich zusammen, dass sie nicht voneinander zu trennen sind. Sie stehen beisammen und haben sich zusammen verschworen, wider den Herrn und seinen heiligen Christ.

Die Insignia oder Kennzeichen dieser Kriegskunst sind nicht Purpurgewänder, güldene Ringe und Ketten oder Tiaren, sondern hin und wieder an dem Leibe garstige Wunden und Narben. Ihre Übung kann anderer Gestalt nicht als mit Verderb und Schmerzen vieler geschehen. Ihr Leben ist Christo, der wahren Seligkeit, dem Frieden, der Liebe, der Unschuld und der Geduld ganz und gar zuwider. Ihre Belohnung ist eine Ehre oder Menschenadel, die mit Menschenblut erworben sind, und ihr Herrschen geschieht mit vieler Seelen Ruin und Schaden. Denn, weil die Endursache des Krieges die Viktorie oder der Sieg ist, so kann niemand ein Überwinder sein, er muss denn ein Totschläger sein, und niemand ist überwunden, wann er nicht jämmerlich ist getötet worden. Der Tod eines Soldaten ist elend; ein böses Epitaphium verschafft ihm die Sünde. Wer totschlägt, der ist im Unrecht,[30] wenngleich der Krieg gerecht sein sollte; denn nicht wegen der Gerechtigkeit des Krieges, sondern um des Gewinnes und der Beute willen dienen diese Mörder gegen die, die sie böslich umbringen. An denen aber, die rechtmässig umgekommen sind, haben ihre Totschläger das Amt von Henkern geübt und so ihren Adel wohl verdient. Denn wenn die Gesetze sonst scharf vorgehen gegen Diebe, Brandstifter, Räuber, Mörder und Banditen, so werden diese, wenn sie sich Soldaten nennen dürfen, geadelt und hoch geehrt.[31]

Quelle:
Agrippa von Nettesheim: Die Eitelkeit und Unsicherheit der Wissenschaften und die Verteidigungsschrift. München 1913, Band 2, S. 26-32.
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