Kapitel XLII.
De magia naturali
oder
Von der Wunderkunst durch natürliche Mittel

[154] Diese, sagen sie, sei nichts anders, als die höchste Gewalt natürlicher Wissenschaften, daher sie die höchste Spitze und der vollkommenste Gebrauch der natürlichen Philosophie genennet wird, und dass sie sei in der Tat ein Stück der natürlichen Philosophie, welche durch Hilfe der natürlichen Wirkungen, und durch ihre unter ihnen selbsten geschickliche Applicationes solche Wundertaten über aller Menschen Verwunderung herfürbringt. Die Mohren und die Indianer haben sich dieser Kunst meistenteils beflissen, allwo die Kräuter, Steine und andere Sachen, die darzu dienlich sind, am besten sind zu bekommen gewesen; man gibet vor, dass der heilige Hieronymus, wie er an den Paulinus geschrieben, dieser Kunst soll gedacht haben, indem er saget: Apollonius Tyanaeus sei ein Magus oder Philosophus gewesen, wie auch die Pythagorici welche waren; von dieser Art gewesen sind diejenigen, welche den neugeborenen Christum beschenket und angebetet haben, welche die Ausleger des Evangelli die Weisen aus Chaldäa genennet[154] haben; ferner Hiarchas bei den Brachmanis, Tespion bei den Gymnosophisten, Budda bei den Babyloniern, Numa Pompilius bei den Römern, Zamolxis bei den Thraciern, Abbaris bei den Hyperboräern, Hermes bei den Ägyptiern, Zoroastes Eromasi Sohn bei den Persern; denn die Indianer, Äthiopier und Persianer, die haben meistenteils in dieser Kunst excellieret, dahero auch die Söhne der Könige in Persien (wie Plato in Alcibiade uns erzählet) darinnen unterrichtet worden, damit sie lernen möchten, wie sie ihrer Regierung vorstehen und dieselbe administrieren sollten. Und Cicero in seinen Büchern über die Weissagung spricht, dass bei den Persianern niemand zum Regiment kommen können, der nicht zuvor diese Kunst gelernet hätte. Dahero ist die Wunderkunst durch natürliche Mittel diese, welche aller natürlichen und himmlischen Sachen Wirkung und Kräfte wohl betrachtet, und ihrer Zusammenfügung mit einer sonderlichen Kuriosität nachgrübelt, und ihre verborgene und heimliche Kräfte kund machet, dasjenige was unten auf Erden ist, mit denjenigen Gaben, so über uns sind, also miteinander vereiniget und applizieret, dass oft erschreckliche Wunderdinge daraus entstehen müssen, nicht sowohl durch die Kunst als durch die Natur, darinnen jene dieser nur an die Hand gehet und eine Dienerin ist. Denn die Magi, als die akkuratesten Erforscher der Natur, die borgen dasjenige, was von der Natur herkommt, und applizieren dasselbe zu ihrem Tun, also, dass sie oftermals für der Zeit einen von der Natur herrührenden Effektum herfürbringen, welchen hernach der gemeine Mann für ein Wunderwerk hält, da es doch alles natürliche Sachen sind, nur dass man in der Zeit einen Vorzug nimmt. Zum Exempel, wenn man im Monat Martio aufgeblühete Rosen vorbringen, oder reife Bohnen und Weintrauben aufweisen kann, oder dass in wenig Stunden Petersilie aufwachse; ja was noch mehr ist, dass. Wolken, Regen, Donner und allerhand Art Tiere und vieler Sachen Verwandlung entstehen, wie[155] sich dessen rühmet Rogerius Bacon. Von diesen Werken haben geschrieben der Zoroastes, Hermes, Evantes König in Arabien, Zacharias Babylonius, Joseph Hebräus, Bocus, Aaron, Zenotenus, Abel, Ptolemäus, Geber, Zahel, Kiranides Almadal, Thetel, Alchindus, Nazabarus, Tebith, Berith, Salomo, Astapho, Hipparchus, Alcmäon, Apollonius, Tryphon und noch viele andere, von welchen teils noch ganze Bücher, teils nur Stücke vorhanden sind, welche ich selbsten gelesen habe. Aus den Neuern aber haben von dieser Kunst ihrer wenig und auch nicht viel geschrieben; da ist Albertus, Arnoldus de Villa nova, Lullius, Bacon und Aponus, wie auch ein Autor eines gewissen Buches, welches er ad Alphonsum sub nomine Picatricis hat lassen rausgehen, welcher aber zugleich viel abergläubische Sachen mit untergemischet hat, welches zwar auch andere mehr getan haben.[156]

Quelle:
Agrippa von Nettesheim: Die Eitelkeit und Unsicherheit der Wissenschaften und die Verteidigungsschrift. München 1913, Band 1, S. 154-157.
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