Schöpfungsmythe

[40] Die Welt war anfangs Wasser, eine wogende Flut. Es wünschte sich fortzupflanzen, kasteite sich und tat Buße. Als es Buße tat, entstand ein goldenes Ei. Es gab damals noch kein ›Jahr‹. Das goldene Ei schwamm solange umher, als die Zeit eines Jahres beträgt.

Daraus entstand in einem Jahre ein Mann, der Prajâpati. Darum gebiert innerhalb eines Jahres eine Frau oder Kuh oder Stute; denn innerhalb eines Jahres entstand Prajâpati. Er durchbrach das goldene Ei, fand aber keinen Halt. Da trug ihn, umherschwimmend, für die Dauer eines Jahres das goldene Ei. Nach Jahresfrist wünschte er zu sprechen. Er sagte bhûr, da entstand die Erde; er sagte bhuvar, da entstand der Luftraum; er sagte suvar, da entstand der Himmel. Darum wünscht ein Kind nach Jahresfrist zu sprechen; denn nach Jahresfrist sprach Prajâpati.

Als er zum erstenmal sprach, sagte Prajâpati ein und zwei Silben; darum sagt ein Kind, wenn es zum erstenmal spricht, ein und zwei Silben.

Die fünf Silben (bhûr usw.) machte er zu den fünf Jahreszeiten. Das sind diese fünf Jahreszeiten. Prajâpati erhob sich nach Jahresfrist so über diese entstandenen Welten; darum wünscht ein Kind nach Jahres frist sich zu erheben; denn nach Jahresfrist erhob sich Prajâpati.

Er wurde tausend Jahre. Wie einer zum anderen Ufer eines Flusses hinübersieht, so sah er zum anderen Ufer seines Lebens.

Singend und sich kasteiend wandelte er, sich Nachkommenschaft wünschend, umher. Er legte in sich Zeugungskraft; er schuf mit dem Munde die Götter (deva); diese Götter wurden für den Himmel (div) geschaffen, darum sind die Devas Devas. Als sie für den Himmel geschaffen wurden, war es für den, der sie geschaffen hatte, wie Tag. Darum sind die Devas Devas, weil es für den, der sie geschaffen hatte, wie Tag war.[41]

Mit seinem abwärts gehenden Hauch schuf er die Asuras; diese wurden für die Erde geschaffen. Für ihn, der sie erschaffen hatte, war es gleichsam dunkel.

Er wußte: ›Ich schuf ein Übel, weil es für mich nach ihrer Erschaffung gleichsam dunkel wurde.‹ Daher durchbohrte er sie mit Unheil, daher gingen sie zugrunde. Darum sind die Geschichten von den Göttern und Asuras, die man teils im Epos, teils in der Sage erzählt, nicht wahr. Denn ›daher durchbohrte Prajâpati sie mit Unheil, daher gingen sie zugrunde‹. Das hat ein Prophet in dem Verse ausgesprochen: ›Nicht hast du irgendeinen Tag gekämpft, nicht lebt dir, Herr, ein Feind. Eine Täuschung nur ist es, was man von deinen Kämpfen sagt: nicht heut noch früher hast du einen Feind bekämpft.‹1

Was für ihn nach Schaffung der Götter wie Tag war, das machte er zum Tage; was für ihn nach Schaffung der Asuras wie dunkel war, das machte er zur Nacht. Das ist Tag und Nacht.


(XI, 1, 6, 1 ff.)

1

Man beachte den hier zutage tretenden Zweifel an dem Inhalt der mythologischen Überlieferung.

Quelle:
Upanishaden. Altindische Weisheit aus Brâhmanas und Upanishaden. Düsseldorf/Köln 1958, S. 40-42.
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