Siebenter Gesang.

[52] Der Erhabene sprach


An mir hängend mit Herz und Sinn, Andacht übend, auf mich gestützt,

Wie du mich ganz erkennen wirst, von Zweifel frei, das höre nun!

Dies Wissen und Erkennen dir verkünden will ich ohne Rest;

Wenn du's erkannt hast, bleibt dir hier nichts zu erkennen übrig mehr.

Unter Tausenden von Menschen strebt nach Vollendung einer kaum,

Von den erfolgreich Strebenden kennt wahrhaft mich kaum einer noch.

Erde, Wasser, Feuer, Äther, Luft, Sinn, Geist, Selbstbewußtsein auch –

Dies alles ist meine Natur, die sich achtfältig hat verteilt.

Die niedre ist das! außer ihr hab' ich noch eine höhere

Natur, – sie ist das Leben selbst und sie ist's, die die Welt erhält.

Aus ihrem Schoße kommen all die Wesen her – dies fasse recht!

Ich bin für diese ganze Welt der Urquell und der Untergang.

Es gibt nichts Höheres als mich, – kein andres Ding, was es auch sei! –

Auf mich ist dieses All gereiht wie Perlenreihen an der Schnur.

Ich bin des Wassers Feuchtigkeit, ich bin das Licht in Sonn' und Mond,

Das heilge Om der Veden all, der Ton im Äther, Kraft im Mann!

Der reine Duft im Erdenkloß, der Glanz im Feuer, das bin ich!

Das Leben in den Wesen all, die Buße in den Büßern auch.

Der ew'ge Same bin ich auch von allen Wesen – wisse dies!

Die Einsicht der Einsichtigen, der Würd'gen Würde, das bin ich.

Ich bin der Kraftbegabten Kraft, die frei von Neigung und Begier;

Die Liebe, die erlaubt und recht, in allen Wesen – die bin ich!

Ja, alles Sein – der Güte Reich, der Leidenschaft und Finsternis –

Es stammt aus mir, es ist in mir, – doch ich bin darum nicht in ihm![53]

Verwirret durch all dieses Sein in der drei Qualitäten Reich,

Erkennt die Welt es nicht, daß ich höher und unvergänglich bin.

Mein göttlich Scheinbild dieser Welt1, darüber kommt man schwer hinweg!

Doch wer mir selbst sich wendet zu, der zwinget dieses Zauberbild.

Die Frevler, die Gemeinen und die Toren kommen nicht zu mir;

Beraubt des Wissens durch den Schein suchen sie bei Dämonen Heil.

Vier Arten guter Menschen gibt's, die mich verehren, Arjuna:

Wer Leid trägt, wer erkennen will, wer Gut erwirbt, wer wissend ist.

Der Beste ist der Wissende, der andächtig nur eins verehrt;

Ich bin der Freund des Wissenden vor allem, und er ist mein Freund.

Vortrefflich sind sie alle, doch der Wissende, das ist mein Selbst,

Denn mit andächt'ger Seele kommt zu mir er als zum höchsten Heil.

Wenn der Geburten Reih' zu End', gelangt zu mir der Wissende;

»Gott ist das All!« – schwer findet sich ein Edler, welcher das erkennt.

Die, denen Gier das Wissen raubt, die gehn zu andern Göttern hin,

Halten an manche Regel sich, – sie lenkt die eigene Natur.

Und welche Gottheit einer auch im Glauben zu verehren strebt, –

Ich sehe seinen Glauben an und weis' ihm zu den rechten Platz.

Wenn er in festem Glauben strebt nach seines Gottes Huld und Gnad',

Dann wird zuteil ihm, was er wünscht, denn gern wend' ich ihm Gutes zu2.

Doch bleibt beschränkt nur der Erfolg bei denen, die beschränkten Sinns:

Die Götter findet, wer sie ehrt! wer mich verehrt, gelangt zu mir!

Unsichtbar bin ich! nur der Tor kann glauben, daß ich sichtbar ward!

Mein höhres Sein, das ewige, das höchste, blieb ihm unbekannt.

Nicht jedem bin ich offenbar, weil mich der Mâyâ Schein verhüllt,

Betört erkennt die Welt mich nicht, den Ungebornen, Ewigen.

Ich kenne die vergangenen, die gegenwärt'gen Wesen all,

Und die noch ruhn im Zukunftsschoß! doch niemand gibt es, der mich kennt.

Der doppelten Verwirrung Raub, die aus Neigung und Haß entspringt,[54]

Werden die Wesen allesamt in dieser Schöpfung ganz verwirrt.

Die frommen Menschen aber, die das Böse von sich abgetan,

Vom Doppel-Irrwahn auch befreit verehren sie mich festen Sinns.

Die zu mir flüchten, strebend nach Erlösung von Alter und Tod,

Die kennen dieses Brahman ganz, das höchste Selbst, das ganze Werk!

Die mich kennen als Haupt und Herrn der Wesen, Götter, Opfer all, –

Auch sterbend daran halten fest – die Frommen kennen wahrhaft mich.

1

Wörtlich: »Dieses mein göttliches, aus den Qualitäten gebildetes Scheinbild« – mâyâ, welches Wort ich weiterhin auch durch Zauberbild und Schein wiedergebe.

2

Gewiß ein weitherziger Standpunkt des großen Gottes gegenüber den Verehrern anderer Götter!

Quelle:
Bhagavadgita: Des Erhabenen Sang. Jena 1959, S. 52-55.
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