III.

[187] 1,1.

Zwei schönbeflügelte, verbundene Freunde

Umarmen einen und denselben Baum;

Einer von ihnen speist die süsse Beere,

Der andre schaut, nicht essend, nur herab.


2.

Zu solchem Baum der Geist, herabgesunken,

In seiner Ohnmacht grämt sich wahnbefangen;

Doch wenn er ehrt und schaut des andern Allmacht

Und Majestät, dann weicht von ihm sein Kummer.


3.

Wenn ihn der Seher schaut, wie Goldschmuck strahlend,

Den Schöpfer, Herrn und Geist, die Brahmanwiege,

Dann schüttelt der Weise Gutes ab und Böses,

Eingehend fleckenlos zur höchsten Einheit.


4.

Er glänzt in allen Wesen als ihr Leben,

Der Weise, Kenner, – niemand spricht ihn nieder, –

Mit dem Âtman spielt er, freut er sich, befasst sich,

So ist der Trefflichste der Brahmankenner.


7.

Gross ist es, himmlisch, undenkbar gestaltet,

Und doch erglänzt es feiner als das Feine;

Ferner als Fernes und doch hier so nahe,

Geborgen hier, in des Betrachters Herzen.
[187]

8.

Nicht reicht zu ihm das Auge, nicht die Rede,

Nicht andre Sinnengötter, Werk, Kasteiung:

Wenn ruhig das Erkennen, rein das Herz ist,

Dann schaut man sinnend ihn, den Ungeteilten.


2,2.

Wer Wünsche noch begehrt und ihnen nachhängt,

Wird durch die Wünsche hier und dort geboren;

Wer aber wunschgestillt, wes Selbst bereitet,

Dem schwinden alle Wünsche schon hienieden.


3.

Nicht durch Belehrung wird erlangt der Âtman,

Nicht durch Verstand und viele Schriftgelehrtheit;

Nur wen er wählt, von dem wird er begriffen;

Ihm macht der Âtman offenbar sein Wesen.


4.

Nicht dem, der kraftlos, wird zuteil der Âtman,

Der lässig ist, der Tapas übt, das unecht;

Doch wer als Wissender strebt durch jene Mittel,

In dessen Brahmanheim geht ein der Âtman.


5.

Doch Weise, die erkenntnissatt, ihn fanden,

Ihr Selbst bereitet, leidenschaftlos, ruhig,

Sie, deren Seele wohlgerüstet, gehen

Von allher in das All, allgegenwärtig.


6.

Die der Vedântalehre Sinn ergriffen,

Entsagungsvoll, die Büsser, reinen Wesens,

In Brahman's Welt zur letzten Endzeit werden

Völlig unsterblich und erlöset alle.
[188]

8.

Wie Ströme rinnen und im Ozean,

Aufgebend Name und Gestalt, verschwinden,

So geht, erlöst von Name und Gestalt,

Der Weise ein zum göttlich höchsten Geiste.

Quelle:
Die Geheimlehre des Veda. Leipzig 1919, S. 187-189.
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