Die einzelnen Linien

[72] Anfangs eine Neun bedeutet:

Keine Beziehung zu Schädlichem, das ist nicht ein Makel.

Bleibt man der Schwierigkeit bewußt,

so bleibt man ohne Makel.


Großer Besitz, der noch im Anfangsstadium ist und noch keine Anfechtung erfahren hat, ist ohne Makel; denn es ist noch gar keine Gelegenheit vorhanden, Fehler zu machen. Aber es sind noch viele Schwierigkeiten zu überwinden. Nur wenn man sich dieser Schwierigkeiten bewußt bleibt, wird man wirklich innerlich frei von der Möglichkeit des Hochmuts und der Verschwendung und hat jeden Makel im Prinzip überwunden.


Neun auf zweitem Platz bedeutet:

Ein großer Wagen zum Beladen.

Man mag etwas unternehmen. Kein Makel.


Großer Besitz besteht nicht allein in der Menge der Güter, die einem zur Verfügung stehen, sondern vor allem in ihrer Beweglichkeit und Verwendbarkeit. Dann mag man sie zu Unternehmungen gebrauchen und bleibt frei von Verlegenheit und Fehlern. Unter dem großen Wagen, dem man viel aufladen kann und mit dem man weit fahren kann, sind tüchtige Gehilfen verstanden, die einem zur Seite stehen, die ihrer Aufgabe gewachsen sind. Solchen Leuten kann man eine große Verantwortung aufladen, was bei wichtigen Unternehmungen nötig ist.


Neun auf drittem Platz bedeutet:

Ein Fürst bringt ihn dem Sohn des Himmels dar.

Ein kleiner Mensch kann das nicht.


Es ist die Sache eines hochherzigen, freisinnigen Menschen, daß er seinen Besitz nicht als sein ausschließliches persönliches Eigentum betrachtet, sondern dem Herrscher bzw. der Allgemeinheit zur Verfügung stellt. Dadurch stellt er sich auf den richtigen Standpunkt dem Besitz gegenüber, der niemals als Privatbesitz von Dauer sein kann. Ein engherziger Mensch ist freilich dazu nicht imstande. Für ihn schlägt großer Besitz zum Schaden aus, da er, statt zu opfern, behalten will3.


Neun auf viertem Platz bedeutet:

Er macht einen Unterschied[73]

zwischen sich und seinem Nächsten.

Kein Makel.


Es ist eine Stellung gekennzeichnet, die zwischen reichen und mächtigen Nachbarn steht. Das bringt Gefahr. Da gilt es, nicht rechts und nicht links zu sehen, frei zu bleiben von Neid und dem Versuch, es andern gleichzutun. So bleibt man frei von Fehlern4.


Û Sechs auf fünftem Platz bedeutet;

Wessen Wahrheit umgänglich ist und doch würdig, der hat Heil.


Die Lage ist sehr günstig. Ohne äußeren Zwang, nur infolge der ungesuchten Aufrichtigkeit, gewinnt man die Menschen, daß sie auch in aufrichtiger Wahrheit einem zugetan sind. Doch genügt zur Zeit des Besitzes von Großem die Milde allein nicht. Sonst könnte leicht Frechheit allmählich aufkommen. Dieses Aufkommen von Frechheit muß durch Würde in Schranken gehalten werden, dann ist das Heil gewiß.


Oben eine Neun bedeutet:

Vom Himmel her wird er gesegnet, Heil!

Nichts, das nicht fördernd ist.


In der Fülle des Besitzes und der Macht bleibt man bescheiden und ehrt den Weisen, der außerhalb des Weltgetriebes steht. Dadurch stellt man sich unter den segensreichen Einfluß vom Himmel her, und alles geht gut.

Konfuzius sagt über diesen Strich: »Segnen bedeutet helfen. Der Himmel hilft dem Hingebenden, die Menschen helfen dem Wahrhaftigen. Wer in Wahrhaftigkeit wandelt und hingebend ist in seinem Denken und dann noch die Würdigen hochhält, der wird vom Himmel her gesegnet. Er findet Heil und nichts ist, das nicht förderlich wäre.«

Fußnoten

1 Der Sinn des Zeichens stimmt mit dem Worte Jesu überein: »Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen.«


2 Man könnte denken, das Zeichen »Zusammenhalten«, Nr. 8, sei noch günstiger, da dort ein Starker die fünf Schwachen um sich versammelt. Dennoch ist das hier beigefügte Urteil »Erhabenes Gelingen« viel günstiger. Das kommt daher, daß die von dem starken Herrscher Zusammengehaltenen dort nur einfache Untertanen sind, während hier dem sanftmütigen Herrn lauter starke und tüchtige Männer als Gehilfen zur Seite stehen.


3 Es ist hier vom Besitz derselbe Grundsatz ausgesprochen, der in dem Worte ausgedrückt ist:


»Wer sein Leben behalten will, der wird es verlieren,

Wer aber sein Leben verliert, der wird es behalten.«


4 Eine andere Übersetzung, die allgemein akzeptiert ist, würde lauten:


Er verläßt sich nicht auf seine Fülle. Kein Makel.


Das würde bedeuten, daß man sich von Fehlern freihält dadurch, daß man hat, als habe man nicht.


Die einzelnen Linien
Quelle:
I Ging. Köln 141987, S. 72-74.
Lizenz:

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