Die einzelnen Linien

[134] Anfangs eine Neun bedeutet:

Macht in den Zehen.

Fortmachen bringt Unheil.

Das ist gewißlich wahr.


Die Zehen sind ganz unten und sind bereit voranzuschreiten. So ist große Macht an niederer Stelle geneigt, gewaltsam den Fortschritt zu erzwingen. Das würde aber, wenn man so weiter macht, sicher ins Unheil führen. Daher ist als Rat eine Warnung beigefügt.


Neun auf zweitem Platz bedeutet:

Beharrlichkeit bringt Heil.


Die vorausgesetzte Lage ist, daß die Pforten des Erfolgs sich zu öffnen beginnen. Der Widerstand beginnt zu weichen. Man kommt machtvoll voran. Dies ist der Punkt, wo allzu leicht der Übermut einsetzt, der sich nicht zügeln kann. Darum das Orakel, daß Beharrlichkeit – nämlich im inneren Gleichgewicht, ohne übertriebene Machtwirkung – Heil bringt.


Neun auf drittem Platz bedeutet:

Der Gemeine wirkt durch Macht, der Edle wirkt nicht so.

Fortmachen ist gefährlich.

Ein Ziegenbock stößt gegen eine Hecke

und verwickelt seine Hörner.


Das Pochen auf Macht führt zu Verwicklungen, wie ein Bock, der gegen eine Hecke stößt, seine Hörner verwickelt. Während der Gemeine, wenn er im Besitz der Macht ist, darin schwelgt, macht es der Edle nicht so. Er ist sich der Gefahr des Weitermachens unter allen Umständen bewußt und verzichtet daher rechtzeitig auf bloße Machtentfaltung.


Û Neun auf viertem Platz bedeutet:

Beharrlichkeit bringt Heil.

Die Reue schwindet.

Die Hecke öffnet sich, es gibt keine Verwicklung.

Die Macht beruht auf der Achse eines großen Wagens.


Wenn man beharrlich und still fortarbeitet an der Beseitigung[135] der Widerstände, dann gelingt es schließlich1. Die Hemmnisse weichen, und der Anlaß zur Reue, der auf einer Übertreibung der Anwendung von Macht beruht, verschwindet.

Die Macht zeigt sich nicht äußerlich, aber sie hat die Wirkung, daß sie schwere Lasten voranbringt wie ein großer Wagen, dessen Stärke auf seiner Achse beruht. Je weniger man die Macht nach außen hin anwendet, desto stärker wirkt sie.


Sechs auf fünftem Platz bedeutet:

Verliert den Bock in Leichtigkeit.

Keine Reue.


Der Bock zeichnet sich durch äußere Härte bei innerer Schwäche aus. Nun ist die Lage so, daß alles ganz leicht ist; kein Widerstand ist mehr vorhanden. Da mag man das kampfbereite, bockige Wesen ablegen und wird es nicht zu bereuen haben.


Oben eine Sechs bedeutet:

Ein Bock stößt gegen eine Hecke.

Er kann nicht zurück, er kann nicht voran.

Nichts ist fördernd.

Merkt man die Schwierigkeit, so bringt das Heil.


Wenn man sich zu weit vorwagt, so kommt man an einen toten Punkt, wo man weder vorwärts noch rückwärts kann und alles nur dazu dient, die Sache noch verwickelter zu machen. Bei solchem Eigensinn kommt man in unüberwindliche Schwierigkeiten. Wenn man die Lage einsieht und nicht fortmachen will, sondern sich beruhigt, so wird mit der Zeit alles wieder gut werden.

Fußnoten

1 Das gilt auch für Kämpfe mit der eigenen unvollkommenen Natur. Auch hier gilt es, trotz dauernder Rückfälle nicht müde zu werden, sondern fortzumachen, bis der Erfolg sich einstellt und der Moment eintritt, wo es heißt:


»Alles Vergängliche,

In Sünden Verfängliche,

Es war einmal.


Es wachsen Flügel,

Es hebt sich der Riegel

Zum ewigen Saal.«


Die einzelnen Linien
Quelle:
I Ging. Köln 141987, S. 134-136.
Lizenz:

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