2. Der Himmel als Vorbild

[111] Der Herzog sprach: »Gut fürwahr! Ist es möglich, durch die Belehrung über den Himmel an das Volk dieses zu beeinflussen?«

Der Meister sprach: »Ja. Aber auf diese Weise erkennen die Oberen noch nicht, wie sie Beil und Hellebarde handhaben müssen. Der Vater vertritt dem Sohn gegenüber den Himmel, der Fürst vertritt dem Beamten gegenüber den[111] Himmel. Wenn nun ein Sohn nicht seinem Vater dient und ein Beamter nicht seinem Fürsten dient, so empört er sich gegen den Himmel und ist verkehrt in seinem Wandel. Darum: Wenn ein Sohn seinem Vater nicht dient und nicht gehorcht, wenn ein Beamter seinem Fürsten nicht dient, so soll er hingerichtet werden.

In Übereinstimmung mit dem Himmel führt man die Strafen aus, während die Erde alle Dinge erzeugt. Darum wird der Heilige in seiner Belehrung des Volkes ihm den Himmel vorführen und die Erde als Ahn darstellen, um dadurch die Geisteskräfte des Volkes zu gebrauchen. Darum wird er in seinen hohen Methoden nicht höher gehen als der Himmel und in seinen tiefen Gedanken nicht tiefer als die Erde. Er ist in seinem Erkennen wesenhaft und liebt die Güte, um dadurch die Kräfte des Volkes gebrauchen zu können.

Indem so die Sittengesetze der drei dauernden Grundprinzipien15 klar wurden, wurden die Bezeichnungen nicht übertrieben. Wenn die Sitte verlorengeht, so bedeutet das Verderb; wenn die Bezeichnungen verlorengehen, so bedeutet das Unklarheit. Darum hat man sich im höchsten Altertum nicht gescheut, die Bezeichnungen des Himmels16 richtigzustellen.

Der Palast des Himmelssohns öffnete sich nach allen vier Gegenden, um so die Geschäfte auf Erden recht zu machen.

Der Himmelssohn trug (bei den Audienzen) das zur Prüfung bestimmte Nephritmaßzepter, die Fürsten trugen das vorn zugespitzte Nephritzepter, die Großwürdenträger trugen auf beiden Seiten zugespitzte Nephritzepter. Dadurch wurden die Geisteskräfte des Volkes in Ordnung gebracht.

Indem man diese drei vereinte und gemeinsam zum Ausdruck brachte, stellte man sich unter die kosmischen Zusammenhänge, um dadurch den Geschäften des Volkes ihre naturgemäße Richtung zu geben. Der Himmelssohn verkündigte den ersten Neumond des Jahres an die Fürsten und lenkte auf diese Weise die Bahn des Himmels, indem er sie sorgfältig zur Durchführung brachte und dadurch auf Erden seine Majestät kundtat. Die Fürsten brachten Tribute dar an den Himmelssohn, indem sie die Früchte ihrer Länder unter Angabe der Namen ablieferten. Darum: Wer nicht erschien, wurde sicher hingerichtet. Die Fürsten wurden durch ihre[112] Großwürdenträger geleitet und brachten ihre Tributstaatsmänner mit.

Der Himmelssohn ließ im zweiten Monat des Jahres einen Altar auf dem östlichen Anger errichten; er vereinte die fünf Farben17, stellte die fünf Waffen auf, vereinigte die fünf Geschmacksarten18. Dann ließ er die sechs männlichen und sechs weiblichen Tonarten hören und in ihnen die aus einer fünfstufigen Tonleiter aufgebaute Musik machen. Nachdem die Beschwörung vernommen war, wurde das Ziel für das Festschießen aufgestellt. Die Großfürsten maßen den Abstand der Zielscheibe. Die neun Würdenträger halfen den drei Großwürdenträgern, die drei Großwürdenträger sammelten sich um den Himmelssohn. Dann begab sich der Himmelssohn an seinen Platz, und die Fürsten begaben sich alle nach ihrem Rang an ihren Platz. Dann bestiegen die von dem Fürsten mitgebrachten Tributstaatsmänner (die als Schützen ihre Staaten zu vertreten hatten) die Tribüne. Die Schützen hielten den Bogen, legten den Pfeil darauf, ließen einander höflich den Vortritt und stiegen empor. Sie traten auf die Unterlage, um zu schießen. Ihr Sinn war entschlossen, ihre Mienen gefaßt. So zeigten sie im Rhythmus (der Musik) ihre Geschicklichkeit. Wer den Rhythmus traf, wurde mit Land belohnt; wer den Rhythmus nicht traf, der mußte Land abgeben.

Daß auf der Welt die rechte Bahn herrscht, kommt davon her, daß ein Himmelssohn (der seinen Namen verdient) da ist; daß in einem Staat die rechte Bahn herrscht, kommt davon her, daß der Fürst das ihm entsprechende Rechte erlangt; daß eine Familie nicht in Verwirrung gerät, kommt davon her, daß ein gütiger Vater da ist. Darum belehrt der Heilige das Volk dadurch, daß er das Nahe sieht und von da aus das Ferne mit seiner Klarheit erreicht.

Die Werke des Himmels sind klar, die Werke der Erde sind gedeihenbringend; das Werk des Menschen ist es, daß er sich mit diesen beiden zusammentut und Segen schafft. Wer dem entgegenarbeitet, heißt ein Narr. Ein Narr ist aufrührerisch, und die Aufrührerischen müssen hingerichtet werden. Wenn Friede auf Erden ist, so sind Staat und Familie in Ordnung, und auch die Menschen haben keine unzufriedene[113] Gesinnung. Wenn die kleinen Staaten ihr Leben führen ohne mühsame Einschränkung, wenn die großen ihr Leben führen in Ordnung, so wird die zahlreiche Bevölkerung sich zusammentun und die geringe im Frieden miteinander leben. Durch Opfern erlangen sie Glück, und in allen Kämpfen unterwerfen sie siegreich ihre Feinde. Das ist von Beamten und Volk die höchste Geisteskraft.«

15

nach dem Kommentar: Himmel, Erde und Mensch

16

= die natürlichen Bezeichnungen. Das alles ist mit Bezug auf die »Verwirrung« der Bezeichnungen im Staate Lu gesagt, wo die Adelsfamilien die Regierungsrechte usurpiert hatten.

17

Er stellte Banner in den fünf Farben der Himmelsrichtungen auf, bei denen sich die dort wohnenden Fürsten versammelten.

18

indem er sie zu einem Mahl einlud

Quelle:
Li Gi. Düsseldorf/Köln 1981, S. 111-114.
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