7. Der Dienst am Staat

[190] Der Meister hat gesagt: »Wenn man einem Fürsten dienen will, so soll man ihm zuerst die Ratschläge, die man ihm zu geben hat, vorlegen. Wenn er einen in Dienst nimmt, so setzt man seine Person daran, sich als zuverlässig zu erweisen. So wird der Fürst dem Beamten eine Verantwortung auferlegen, und der Beamte wird für das, was er vorgeschlagen hat, zu sterben wissen. So erhält er sein Gehalt nicht umsonst und wird sich selten der Strafe aussetzen.«

Der Meister sprach: »Wenn man einem Fürsten dient und sich mit wichtigen Ratschlägen einführt, so darf man auf reichen Gewinn hoffen; wenn man sich mit unwichtigen Ratschlägen einführt, so wird man auf geringen Gewinn hoffen. Der Edle wird nicht für geringe Ratschläge ein großes Gehalt annehmen oder für große Ratschläge ein geringes Gehalt annehmen.«

Der Meister sprach: »Der Edle wird im Dienst des Fürsten ihm nicht zu minderwertigen Vorhaben helfen und keinen Wert auf geschickte Reden legen. Wenn er nicht den richtigen Mann findet (der ihn beim Fürsten einführt), so läßt er sich nicht einführen ...«

Der Meister sprach: »Wenn man einem Fürsten fernsteht und ihm Mahnungen erteilt, so ist das Aufdringlichkeit; wenn man ihm nahesteht und keine Mahnungen erteilt, so steckt man unverdienten Gewinn ein.«

Der Meister sprach: »Der Hausminister hilft dem Fürsten die innere Harmonie wahren, der Großminister kümmert sich um die Hofbeamten, der Aufsichtsminister um die Regierung der vier Weltgegenden.«[190]

Der Meister sprach: »Im Dienst eines Fürsten soll man mahnen (wenn er Fehler macht), aber nicht seine Fehler feststellen ...«

Der Meister sprach: »Wenn man in den Dienst eines Fürsten zögernd eintritt, aber immer bereit ist, sich zurückzuziehen, so herrscht Ordnung in den Stellungen. Wenn man jedoch in den Dienst eines Fürsten eilig eintritt, aber zögernd sich zurückzieht, so gibt es Verwirrung. Darum nimmt der Edle drei Verbeugungen entgegen, ehe er eintritt, aber es bedarf nur eines Wortes, daß er sich zurückzieht. Auf diese Weise bleibt er fern von Unordnung.«

Der Meister sprach: »Wer, wenn der Fürst, dem er dient, dreimal seinen Rat mißachtet hat, nicht sein Gebiet verläßt, dem ist es um das Einkommen zu tun. Und wenn andere behaupten, er begehre nicht danach, so glaube ich es nicht.«

Der Meister sprach: »Im Dienst des Fürsten muß man den Anfang vorsichtig bedenken und das Ende sorgfältig im Auge behalten.«

Der Meister sprach: »Der Fürst kann seine Diener erhöhen und erniedrigen, er kann sie reich machen und arm machen, er kann sie am Leben lassen oder töten, aber er kann sie nicht zu einem Unrecht zwingen.«

Der Meister sprach: »Wer einem Fürsten in Heeresangelegenheiten dient, der weicht der Gefahr nicht aus. Wer bei Hofe dient, der wird auch geringe Pflichten nicht ablehnen. Aber eine Stellung einzunehmen und die damit verbundene Arbeit nicht zu übernehmen, ist unrecht. Wenn daher der Fürst seinem Beamten einen Auftrag gibt und dieser ist damit einverstanden, so wird er sich die Sache sorgfältig überlegen und dann ausführen. Ist er nicht damit einverstanden, so wird er sich die Sache dennoch sorgfältig überlegen und sie ausführen, und wenn er die Arbeit zu Ende geführt, dann wird er sich zurückziehen: Das ist die großzügige Art, wie ein Beamter handelt.«

Der Meister sprach: »Nur der Himmelssohn empfängt sein Schicksal vom Himmel. Der Staatsmann empfängt sein Schicksal vom Fürsten. Wenn das Schicksal (das ihm sein Fürst durch seine Ernennung bereitet) im Einklang mit dem Rechten ist, so hat er ein Schicksal, dem er sich fügen darf. Wenn dieses[191] Schicksal im Widerspruch mit dem Rechten ist, so hat er ein Schicksal, dem er widerstehen muß ...«

Der Meister sprach: »Der Edle wird einen Menschen nicht völlig nach seinen Reden beurteilen. Wenn der rechte Weg auf Erden herrscht, so tragen die Taten Zweige und Blätter; wenn der rechte Weg auf Erden fehlt, so tragen die Reden Zweige und Blätter.

Deshalb wird der Edle, wenn er zu jemand kommt, der eine Beerdigung hat und er ihm keinen Beitrag gewähren kann, ihn nicht fragen, wieviel Ausgaben er habe. Wenn er zu einem Kranken kommt, dem er nichts mitbringen kann, so wird er ihn nicht fragen, was er sich wünsche. Wenn ein Gast ihn besucht, den er nicht beherbergen kann, so wird er ihn nicht fragen, wo er zu wohnen gedenke3. So ist der Verkehr eines Edlen wie Wasser, der Verkehr eines Gemeinen wie Süßwein. Der Edle ist unauffällig, aber hilfreich fördernd; der Gemeine ist honigsüß, aber richtet zugrunde.«

Der Meister sprach: »Der Edle lobt die Menschen nicht nur mit dem Munde; deshalb werden die Leute gewissenhaft. Wenn der Edle jemand fragt, ob er friert, so kleidet er ihn. Wenn er jemand fragt, ob er hungert, so speist er ihn. Wenn er etwas Gutes von einem Menschen erwähnt, so zeichnet er ihn aus ...«

Der Meister sprach: »Wenn man mit dem Munde gefällig ist und die Wirklichkeit entspricht dem nicht, so zieht man sich Unwillen und Haß zu. Darum wird der Edle, ehe er die Verantwortung eines Versprechens auf sich nimmt, sich lieber etwas unbeliebt ma chen ...«

Der Meister sprach: »Der Edle geht in seiner Anhänglichkeit an andere nicht vom Äußerlichen aus; denn man trifft Gemeine, die einem in Wirklichkeit fernstehen, aber dem Aussehen nach anhänglich sind; sie sind wie Räuber, die Mauern und Wände durchbrechen.«

Der Meister sprach: »Die Gefühle müssen wahr, die Reden geschickt sein.«

3

Vgl. Kü Li I, IV, 37 f., wo zum Schluß noch der Satz steht: Wenn man jemandem etwas schenkt, so sagt man nicht: komm und hol es dir. Wenn man jemandem etwas geben will, so fragt man ihn nicht, was er sich wünsche.

Quelle:
Li Gi. Düsseldorf/Köln 1981, S. 190-192.
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