Des Reiches Verfall.

[461] Der milde Himmel zürnt ergrimmt,

Der Himmel schickt was uns vernichtet.

Er peinigt uns mit Hungersnoth.

Rings wandert aus das Volk und flüchtet;

Heimath und Gränzen sind zu Grund gerichtet.


Der Himmel wirft sein Strafnetz aus:

Freßwürmer, die am Innern zehren,

Dummköpfe, Harte, Leut' ohn' Ehren,

Verwirrungsstifter, Rechtsverdreher, –

Die herrschen, unserm Lande Zucht zu lehren.


Den Unverschämten, den Verläumdern

Weiß man kein Makel aufzubürden;

Und uns, die stets in Sorg' und Noth,

Die allzulang' schon ohne Ruh',

Setzt man herab in unsern Würden.


Wie wenn in einem dürren Jahre

Das Gras es nicht zum Wachsen bringt;

Wie Wasserkraut auf einem Baume,

So steht dieß Land vor meinem Blick;

Nichts, was da nicht mit Elend ringt.
[462]

Der Wolstand der Vergangenheit

War nicht wie dieser Zeit;

Und alles Schmerzliche von heut'

War nicht wie dieses Leid.

Sind Jene Hülsen, Diese Kern, –

Warum nicht weichen sie von selbst,

Und zieh'n mein Bangen nur hinaus?


Ach, wenn ein Landsee trocken wird,

Kommt's nicht von seinen Ufern her?

Wenn eine Quelle trocken wird,

Kommt's nicht von ihrer Mitte her?

So wird der Schaden immer größer.

Mein Bangen d'rum steigt immer mehr.

Trifft nicht mich selbst das Unglück schwer?


Empfingen Könige vordem ihr Amt,

So gab es des Scháo-Fürsten Gleichen,1

Die fügten täglich hundert Lì zum Reich;2

Jetzt – täglich mindern sie um hundert Lì das Reich.

O weh' der jammervollen Lage!

Ist von den Männern dieser Tage

Denn Keiner mehr den Alten gleich?

1

Mehrere Fürsten dieses Namens waren kräftige und ruhmvolle Stützen des Thrones gewesen.

2

Lì = die bekannte chinesische Meile deren 250 auf einen Grad gehen.

Quelle:
Schī-kīng. Heidelberg 1880, S. 461-463.
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