Kĭ-fù's Loblied auf Tschúng-schan-fù.

[448] Der Himmel schafft das viele Volk,

Giebt's Etwas, giebt's Gesetz dafür;

Und was das Volk als Ew'ges hält,

Dieß lieben, das ist Tugendzier.

Der Himmel schaut' auf Tschēu's Gebieter,

Und wandt' ihm Glanz hienieden zu,

Er hütete des Himmelssohnes:

Und rief in's Leben Tschúng-schān-fù.


Die Tugend, an Tschúng-schān-fù offenbart,

Ist mild und gut, dem Recht gepaart;

Ausseh'n und Haltung fein bewahrt,

Sorgfalt, die keine Rücksicht spart.

Gesetz ist ihm der Vorzeit Art,

Und ernstlich er die Würde wahrt.

Dem Himmelssohne treu ergeben,

Führt er sein licht Geheiß in's Leben.


Der König hat dem Tschúng-schān-fù geheißen:

»Nun sei das Muster aller Fürsten,

Setz' deiner Ahnen Reihe fort.

Dem König selbst sei Schutz und Hort,

Trag' aus und ein des Königs Wort,

Sei du des Königs Zung' und Kehle

Und führ' hinaus sein Regiment,

Daß ihm entspreche jede Seele.«
[449]

Des Königs ernstliches Geheiß

Hat Tschúng-schān-fù getreu beschickt.

Ob Land' und Staaten gut, ob nicht,

Hat Tschúng-schān-fù gar scharf durchblickt.

Scharfblickend ist er ja, und weise,

Daß er sich selbst behüten kann.

Bei Tag und Nacht auch unverdrossen

Im Dienste von dem Einen Mann.1


Die Leute haben wol den Spruch:

»Ist etwas weich, verschluckt man es,

Ist etwas hart, aus spuckt man es«;

Doch also nicht thut Tschúng-schān-fù,

Der auch was weich ist, nicht verschluckt,

Der auch was hart ist, aus nicht spuckt;

Der nie die Schwachen unterdruckt,

Den Furcht vor Mächt'gen nie durchzuckt.


Die Leute haben wol den Spruch:

»Ist Tugend auch leicht wie ein Haar,

Vermögen Wenige sie auszuheben«,

Doch wenn ich schließe mit Bedacht,

Daß Tschúng-schān-fù vermag sie aufzuheben,

Hilft meine Lieb' ihm nicht darneben.

Ist in des Königs Kleid' ein Riß,2

So weiß auch Tschúng-schān-fù ihn wieder zuzuweben.


Tschúng-schān-fù brach vom Reise-Opfer auf;

Sein Hengstgespann war stark im Bug,

Voll Eifers jeder Mann im Zug,

Besorgt, er thu' ihm nicht genug.[450]

Das Hengstgespann flog fort im Lauf,

Acht Schellen klingelten darauf.

Der König hatte Tschúng-schān-fù geheißen:

Im Ostland bau' die Mauern auf.


Das Hengstgespann rannt' ohne Ruh,

Acht Schellen läuteten dazu.

Hinaus nach Ts'hî begab sich Tschúng-schān-fù,

Und kehren wird er heim im Nu. –

Dieß Lied hat ihm Kĭ-fù gemacht,

Daß es wie linder Hauch ihm kos't,

Und Tschúng-schān-fù bei seinen steten Sorgen

Das Herz besänftige mit Trost.

1

D.h. dem Könige, welcher Siuân war.

2

Selbstverständlich ist dieß ein Bild für des Königs Regierungshandlungen oder Beschlüsse.

Quelle:
Schī-kīng. Heidelberg 1880, S. 448-451.
Lizenz:

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