Schärfere Mahnungen.

[428] Der Höchste HErr hat sich gekehrt,

Elend das niedre Volk verzehrt.

Ihr redet, was sich nicht bewährt,

Beschließt, was nicht weithin begehrt;

Kein Weiser ist, d'ran ihr euch kehrt,

Und Redlichkeit ist ohne Werth.

Beschließt ihr, was nicht weit begehrt,

Halt' ich's der ernsten Weisung werth.


Schickt jetzt der Himmel schweres Leid,

So zeigt nicht solche Fröhlichkeit!

Ist jetzt der Himmel so erregt,

So zeigt euch nicht so unbewegt!

Stimmt' euer Reden überein,

Würd' auch das Volk bald einig sein;

Wär' euer Reden hold und mild,

So wär' das Volk auch bald gestillt.


Ob auch mein Dienst ein andrer ist,

Bin ich doch euer Mitgespann;

Doch wenn ich euch ermahnen will,

Hört ihr mich kalt verächtlich an.

Ich rede von der ernsten Pflicht,

Meint nicht, zum Lachen sei's nur so

Die Alten hatten einen Spruch:

»Nimm Rath an auch von Heu und Stroh«.
[429]

Stürmt jetzt der Himmel auf uns ein,

So treibt nicht solche Spötterei'n!

Doch sprech' ein Alter noch so wahr,

Die Jugend blickt hochmüthig d'rein.

Nicht ich red' Altersfaselei'n:

Ihr treibt mit Elend Spötterei'n;

Doch ist der Brand erst allgemein,

Wird weder Heil noch Hülfe sein.


Wenn jetzt des Himmels Zorn begann,

So gebt Geprahl und Schönthun d'ran!

Doch Würd' und Ernst ist schier hindann;

Ein Todtenknab' der beste Mann.1

Das Volk das seufz' und ächze wie es kann,

Zur Prüfung wagen wir uns nicht hinan.

Ob Noth schon Überhand gewann,

Nimmt sich doch Keiner unsrer Massen an.


Vom Himmel wird das Volk belehrt,

Wie Pfeifenklang vom Flötenhauch,

Wie Scepter von Halbsceptern auch,2

Wie Fassen von dem Handgebrauch;

Mehr wird zum Fassen nicht begehrt.

So wird das Volk gar leicht belehrt.

Doch ist das Volk so sehr verkehrt,

So bleibt doch selbst nicht auch verkehrt!


Die Guten sind ein Zaunverband,

Volksmassen eine Mauerwand,

Die großen Länder eine Wehr,

Die großen Stämm' ein Pfeilerstand,[430]

Die Tugendhaften Ruh-Gewähr,

Die Stammessöhn' ein Wall umher.

Laßt nicht den Wall zu Grunde geh'n!

Nicht Ihn voll Furcht alleine steh'n!3


Habt vor des Himmels Zorne Scheu,

Wagt nicht so eitle Spielerei!

Scheut auch des Himmels Wandelgang,

Wagt dieses Treiben nicht zu lang!

Der hohe Himmel schaut darein,

Er gehet mit euch aus und ein;

Der hohe Himmel sieht es klar,

Er wandelt mit euch immerdar.

1

Der Beste ist, wie der Todtenknabe beim Opfer, der dabei nur ißt und trinkt, ohne sonst etwas thun zu dürfen.

2

Zwei Halbscepter, zu sammengelegt sind von selbst ein Scepter. V. 5 erläutert den Sinn der Gleichnisse.

3

Ihn – nehmlich den König.

Quelle:
Schī-kīng. Heidelberg 1880, S. 428-431.
Lizenz:

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