Sitten und Lebensweise.

[16] Kein Volk hat ohne eine starke sittliche Grundlage jemals eine eigne Cultur entwickelt. Manche Forderungen an das sittliche Handeln gehen schon aus der Behauptung der Persönlichkeit im Zusammenleben hervor. Niemand will sein oder der Seinigen Leben gefährdet sehen, Niemand in seinem Weibe oder seinem Eigenthume geschädigt, Niemand belogen oder betrogen werden. Solche Forderungen kann man nicht an Andere stellen, ohne vom Gewissen überführt zu werden, daß man selbst sie zu erfüllen habe. Dann aber erkennt man auch, daß man dieß vor allem wollen muß, und erhebt sofort die weitere Forderung, es solle von Allen gewollt werden. Aus der allgemeinen Anerkennung dieser Forderung entsteht das Sittengesetz.

Über diesen anfänglichen Zustand finden wir die alten Chinesen bereits weit hinaus. Von dem höheren, dem edlen Menschen verlangten sie Gottesfurcht und Beobachtung heiliger Bräuche, ein reines fleckenloses Leben mit würdiger Haltung auch in der Einsamkeit, Tapferkeit und unbestechliche Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Wolthätigkeit, Wahrhaftigkeit und Rechtschaffenheit in allen Verhältnissen.

Es ist aber nicht zu verwundern, wenn unter dem Einflusse der geschilderten Religionsanschauungen die Pietät, die[16] ehrerbietige treue Hingebung, als die erste aller Tugenden und als die Grundlage aller Tugenden anerkannt wurde. Von Uralters nahm man fünf Grundverhältnisse der Menschen an, in denen sie sich zu erweisen habe und deren pflichtgemäße Beobachtung die allgemeine Lebensordnung bedinge. Es waren dieß die Verhältnisse zwischen Obrigkeit und Unterthanen, Eltern und Kindern, Mann und Weib, älteren und jüngeren Brüdern und zwischen Freunden. Davon galt die ehrerbietige Hingebung der Kinder an Vater und Mutter (das Hiáo), die treue Sorge für sie, wenn sie gealtert waren, als das Preiswürdigste und ist bis heute ein Grundzug des chinesischen Wesens, dessen mehr als viertausendjähriger ununterbrochener Bestand wol als eine Erfüllung der Verheißung des vierten Gebotes anzusehen ist. Auch diese Eigenthümlichkeit dürfte Zustände der ältesten Menschheit fortsetzen und erklärt zugleich die hohe Verehrung, die den Vorschriften, Einrichtungen, Sitten und Vorbildern des Alterthums zugewendet wurde. Sie war ebensosehr eine kräftige Förderung des Ahnendienstes, als dieser wiederum sie in lebendiger Übung erhielt, und sie hatte die natürliche Folge, daß auch unter den Mitlebenden die Alten überall geachtet und geehrt wurden. Unsre Lieder zeigen, daß diese fromme Kindespflicht nicht bloß sittliche Forderung, sondern wirklicher Herzensdrang war. Wie oft beklagen Krieger im Felde, daß sie nun ihre Eltern nicht nähren und pflegen können, und sogar ungerathene Söhne klagen sich an, daß sie der Mutter Kummer bereiten.

Nun war es aber eine andere, gleichfalls schon alte Eigenthümlichkeit der Chinesen, möglichst Alles, auch sittliche Verhältnisse, unter gewisse unverbrüchliche Formen und Formeln zu bringen. So wir denn auch, was nur als freie Bethätigung unbegränzter Liebe Werth hat, die selbstloseste Hingebung, die bescheidenste Unterwürfigkeit des Sohnes gegen den Vater zur gesetzlich formulierten Forderung. Der Sohn ist ganz unselbständig und abhängig vom Vater, nach diesem von der[17] Mutter, und das erstreckt sich, wenn er verheirathet ist, auch auf seine Frau. Neben dem Stammnamen erhält ein Sohn bei seiner Geburt einen Kindheitsnamen, mit dem zwanzigsten Jahre aber einen Ehrennamen, mit welchem er von da an von Anderen angeredet wird, während er auch dann, von sich selbst sprechend, aus Bescheidenheit sich wol mit seinem Kind heitsnamen bezeichnet. Ein Verstorbener erhält einen ihn ehrenden Todtennamen, mit welchem er unter den Ahnen der Familie aufgeführt wird. Beim Tode der Eltern war in alter Zeit eine einjährige, nur beim Kaiser eine dreijährige Trauer vorgeschrieben, doch wurde diese später allgemein. Während derselben mußte man sich den öffentlichen Geschäften und mancherlei Genüssen entziehen und in durchaus weißer Kleidung einhergehen. Die Unterlassung dieses Gebrauches wurde als ein Zeichen des Sittenverfalls beklagt; wie es denn freilich einen Mangel kindlicher Pietät anzeigt.

Da nur die Söhne die Familie fortsetzen und vornehmlich ihnen die kindlichen Pflichten beim Leben und nach dem Tode der Eltern zufielen, während die Töchter durch Heirath aus der Familie traten, so wurde nur auf die Geburt von Söhnen ein wirklicher Werth gelegt, Töchter fanden wenig Beachtung. Um Söhne zu erhalten, damit das Geschlecht fortdauere, war daher die Verehelichung von größte Wichtigkeit und galt allgemein als Pflicht, auch als Pflicht gegen die Vorfahren, die auch künftig der schuldigen Ehren und Opfer nicht entbehren sollten.

Schon frühe scheint man bemerkt zu haben, daß Ehen unter Verwandten und in zu großer Jugend geschlossen, schädlich seien für die Kraft und Gesundheit der Nachkommen. Die Verbindung eines Paares von demselben Familiennamen war daher unerlaubt, und obgleich dem Sohne mit dem zwanzigsten Jahre der Männerhut, der Tochter mit dem fünfzehnten die Nestelnadel feierlich übergeben wurde, um sie dadurch für Erwachsene zu erklären, so war es doch Regel, daß der Mann[18] mit dem dreißigsten, das Mädchen nicht vor dem zwanzigsten Jahre heirathete.

Hierzu bedurfte der Mann der Einwilligung seiner Eltern, und waren sie gestorben, so wurde dieselbe von ihren Geistern an der geweiheten Stätte feierlich erbeten. Zunächst war es dann erforderlich, daß durch eine dritte Person die Werbung bei den Eltern des Mädchens angebracht wurde und diese ihre Zusage ertheilten. In der alten Zeit beruhte die Wahl selbst wol meist auf gegenseitiger Neigung; denn unsre Lieder zeigen, daß damals die Geschlechter keineswegs streng von einander abgeschlossen gewesen seien, daß vielmehr ein freier und natürliche. Verkehr unter ihnen stattgefunden habe, Liebesverhältnisse auch nicht selten gesucht, angeknüpft und bis zur Ehe fortgeführt wurden. Nach angenommener Werbung erfolgten feierliche Besuche des Bräutigams bei dem Brautvater, zuerst um die Zustimmung der Ahnen zu erwirken, dann zur Feststellung der Familiennamen, ferner zur Befragung des Looses; Geschenke für die Braut wurden übersendet; endlich durch die Weissagung ein glücklicher Tag für die Hochzeit ermittelt. Zu diesem bereitete sich das junge Paar durch Fasten und Reinigungen vor; wenn er erschien, kleideten beide sich in purpurrothe Seide und allerlei Schmuck, die Mutter that der Braut eine Schärpe um, der Bräutigam holte sie in einem besondern Wagen ab und fuhr ihr dann nach seiner Wohnung voraus. Hier empfing er sie, führte sie binein zu seinen Eltern, stellte sie den Geistern seiner Ahnen vor, und dann ward mit Verwandten, Freunden und Nachbarn ein festliches Hochzeitmahl gehalten. Später Aufzeichnungen schreiben bei dem Allen vielerlei Feiergebräuche und Förmlichkeiten vor, von denen indeß unsre Lieder kaum etwas andeuten. Wahrscheinlich nahmen dieselben mit dem Range des Bräutigams zu, reichten zum Theil aber wol nicht bis in das Alterthum hinauf. Nach einigen Liedern scheinen sie ziemlich läßlich behandelt, gelegentlich auch wol umgangen worden zu sein. Übrigens waren für[19] die Eheschließungen auch bestimmte Zeiten im Jahre vorgeschrieben Auf die Erfüllung eines Eheverlöbnisses konnte geklagt werden, dann mußte aber auch allen herkömmlichen Bräuchen genügt sein.

Jeder Verheirathete hatte nur Eine vollberechtigte Frau, womit sich das untere Volk in der Regel begnügte. Doch waren Nebenfrauen, die dann mit einfacheren Feierlichkeiten geheirathet wurden, gestattet, ja sie gehörten bei dem Kaiser, den Fürsten und Hochgestellten zur Vollständigkeit des Hof- und Haushalts. Jedenfalls wurde nicht bloß die Versorgung der Töchter, sondern auch Zucht und Sittlichkeit durch fieses Institut befördert. Mag es aber, wie es auch noch besteht, unsern Begriffen von der Ehe widerstreben, so sollten wenigstens die nicht so entrüstet darüber auffahren, die vor der Vielweiberei des Königs David und andrer heiliger Männer des alten Testaments andächtig die Augen zuschließen. Auch war dieß Verhältniß in China schon in der alten Zeit rechtlich besser geordnet, als jemals im Volke Israel. Die Nebenfrauen waren der eigentlichen Gemahlin untergeordnet, ihre Kinder gehörten dieser und galten daher als völlig legitim. Allerdings konnte dieß Verhältniß schwere Mißstände für die erstberechtigte Gattin herbeiführen, wenn etwa eine Nebenfrau von dem Mann mehr als billig begünstigt wurde, wenn sie ihre Söhne den andern vorzudrängen wußte; allein es finden sich auch Beispiele der zärtlichsten Freundschaft zwischen der Gemahlin und einer Nebenfrau.

In dem Verhältnisse der Frau zum Manne zeigt sich, wie die kalte Härte des Gebotes vom warmen Leben menschlicher Zuneigung aufgelöst wird. Die Frau sollte zu dem Manne stets als zu ihrem »hohen Herrn« mit Ehrfurcht hinaufblicken, sie war ihm zu Unterwürfigkeit und strengem Gehorsam verpflichtet. Unsre Lieder aber geben reichliche Zeugnisse von sehr glücklichen Ehen, von dem vertraulichsten Einverständnisse der Gatten bei einer sehr würdigen Stellung der Frau, von liebevoller[20] Anhänglichkeit bald auf der einen, bald auf der anderen Seite, und das Verlangen nach dem im Kriege oder im Reichsdienste abwesenden Manne spricht sich wiederholt auf das anmuthigste aus. Indeß wird uns auch der Tadel unwürdiger, werden uns Klagen vernachlässigter, zurückgesetzter, ja verstoßener Frauen nicht vorenthalten.

An Bildern fraulicher Beschäftigungen im Hause und für das Haus fehlt es nicht. Darin thätig und rührig zu sein, galt auch im alten China als löbliche Pflichterfüllung. So sehen wir die Frauen jedes Ranges geschäftig bei der Pflege der Seidenwürmer, bei der Anfertigung von Geweben und Kleidung, beim Einsammeln von Kräutern und Pflanzen zur Nahrung und zum Opferdienst, bei der Bereitung von Speisen, Einmachen von Früchten, und was sonst dahin gehören mag. Die Frauen der Ackerleute halfen auch bei den Feldarbeiten.

Starb der Mann, so konnte die Wittwe sich wieder verheirathen; allein es galt als preisenswerth, dieß abzulehnen, und edle weibliche Gemüther verharrten trotz alles Drängens auch dann bei ihrer Trauer und ihrer Treue.

Was die Beschäftigungen der Männer anlangt, so gedenken wir zunächst der zahlreichen Classe der Gebildeten, welche aus den Abkömmlingen der vielen Fürstenhäuser und der überaus großen Beamtenschaft hervorging, und gegenüber den Ständen der Ackerbauer, Handwerker und Kaufleute einen besonderen Stand ausmachte, sich in einzelnen Fällen auch wol aus diesen Ständen rekrutirte. Es war dieß eine Aristokratie im besten Sinne, da von jedem Gebieten den oder Vornehmen Besitz und Förderung der Bildung verlangt wurde, und im Reiche nur die Gebildetsten auch die Mächtigsten wurden. In dieser Beziehung ward zwischen den Angehörigen der Fürstenhäuser und den Söhnen der Beamtenschaft kein Unterschied gemacht. Alle widmeten sich auf irgend eine Weise dem öffentlichen Dienste im Frieden oder Kriege und mußten den Dienst von unten auf beginnen. Sie verharrten dann entweder lebenslänglich[21] darin, oder zogen sich später auch wieder in das Privatleben zurück.

Für Anstellung und Beförderung entschied nicht das Wissen allein. Es zeugt von ächter Weisheit, daß die Tüchtigkeit des Einzelnen nach der gleichmäßigen sittlichen, geistigen und körperlichen Ausbildung geschätzt wurde. Um diese erlangen zu können, bestanden Schulen durch das ganze Reich, und zwar nach Alter Fähigkeit und Lehrgegenständen fünffach abgestufte. In die Kleinschulen traten die Achtjährigen ein, die Funfzehnjährigen in die Großschulen. Wer in diesen sich auszeichnete, wurde in das Distriktslyceum, und wer in diesem, in die hohe Fürstenschule aufgenommen. Die vorzüglichsten Schüler der letzteren erhielten in der kaiserlichen Hochschule ihre völlige Ausbildung. Nur von den beiden letzteren Anstalten ist in den Liedern die Rede; alle aber waren eben so sehr Erziehungs-, als Lehranstalten, wie dieß die Rubriken zeigen, nach denen die Abgegangenen schließlich beurtheilt wurden. Es waren dieß 1) die sechs Tugenden: Verstand, Menschenfreundlichkeit, Weisheit, Wahrhaftigkeit, Maaßhalten und Einträchtigkeit; 2) die sechs Pflichten: kindliche Ehrerbietung, Treue in der Freundschaft, gütiges Benehmen, Verwandtenliebe, Zuverlässigkeit und Barmherzigkeit; 3) die sechs Wissenschaften und Künste: die religiösen und sonstigen Gebräuche, die Musik, das Bogenschießen, das Wagenlenken, das Schriftthum, wozu alle literarische Kenntnisse und die der Schriftzeichen und Schriftarten gehörten, endlich die Arithmetik. Diesen Stücken scheint Manches ungerechnet worden zu sein, von dem wir jedoch nur unbestimmte Nachrichten haben. Das spätere Examinationswesen bestand im alten Reiche noch nicht. Man befragte das Urtheil der Lehrer und die Stimme des Volkes.

Wie wir wissen, durften die Söhne der anderen Stände an dem Unterricht in den Schulen teilnehmen; wiederum mußte auch der höhere Stand bei den eigentümlichen Besitz- und Besoldungsverhältnissen genauere Kenntnisse von der Landwirthschaft[22] haben, auf welche der bei weitem größte Theil der Bevölkerung ebenfalls angewiesen war. Von jeher hielt man den Ackerbau hoch in Ehren. Man erkannte, daß er die Grundlage eines gesunden Volkskörpers sei, und die aufmerksame Pflege, die man ihm widmete, hatte ihn früh vervollkommnet. Der genau eingetheilte Boden wurde mit Pflug und Karst trefflich bearbeitet und für den Reiß mit Bewässerungsanlagen versehen. Die Getraidearten unterschied man sorgsam, behandelte jede ihrer Natur gemäß und reinigte die aufgegangenen Saaten fleißig von Unkraut und Ungeziefer. Nicht mindere Sorgfalt wurde der Ernte zugewendet, sowie der Aufbewahrung des Geernteten theils in Speichern, theils in Feimen. Allerlei Nutzpflanzen zur Nahrung, zu Geweben, zum Färben, wie Anil oder Indigo und Krapp, wurden gleichfalls angebaut. Es werden mancherlei Gemüse erwähnt, wie sie auch uns nicht fremd sind, Melonen und mehre Kürbißarten wurden gepflegt, Fruchtbäume, wie Kastanien, Pfirsich-, Kirschen-, Mispel-, Pflaumenbäume wurden gezogen, ebenso der Maulbeer für die Seidenzucht.

Auch die Viehzucht erfreute sich aufmerksamer Pflege. Jenseits der Ackerländereien lagen große Weidepläß für Pferde, Rindvieh, Schafe und Schweine. Zahmes Geflügel belebte die Umgebung der Wohnungen und auch an Hunden fürs Haus und zur Jagd fehlte es nicht. – Merkwürdig ist es, daß sich schon in den ältesten Zeiten der Gebrauch findet, das Eis in Kellern oder Gruben für die heiße Jahreszeit aufzubewahren, um sich dann Kühlung damit zu verschaffen.

Das Vorhandensein vielartiger Gewerbe erweist sich aus der Erwähnung ihrer Erzeugnisse. Es gab Bau- und Zimmerleute, Ziegler und Töpfer. Metalle, edle und geringere, wurden gewonnen und verarbeitet zum Gebrauch wie zum Schmuck; man kannte bereits Vergoldung. Eisen war schon vor dem zwölften Jahrhundert v. Chr. in Verwendung. Kostbare Steine wurden geschliffen und gravirt. Arbeiten aus Holz und Bambus[23] sowie das kunstreiche Flechten von Körben und den viel angewandten Matten mußte zahlreiche Hände beschäftigen. Leder und Pelze wurden gegerlei und für mancherlei Gebrauch zubereitet. Die Färbereien lieferten ihre Produkte. Wagen und Waffen wurden hergestellt und mit allerlei Zierrath geschmückt. Musikalische Instrumente wurden verfertigt. Und so wäre noch Manches zu nennen, was einen schon beträchtlich ausgebildeten Zustand gewerblicher Thätigkeit bezeugt.

Während sich nun erklärlicher Weise in den Städten, wo Fürsten oder höhere Beamte ihre Sitze hatten, das Gewerbe sammelte, die ackerbauende Bevölkerung aber in Dörfern und Weilern seßhaft war, und doch jeder Theil sich auf die Erzeugnisse des anderen angewiesen sah, mußte sich bald, um beiden zu genügen, ein Handelsstand als Vermittler darbieten, der sich dann ebenfalls in den Städten niederließ. Geregelte Markt ordnungen, feste Bestimmungen über Münze, Maaße und Gewicht, treffliche Landstraßen waren dem Aufkommen des Handels schon in den frühesten Zeiten günstig. Indeß machten die damaligen engeren Gränzen des Reiches den Bewohnern manche Produkte wünschenswerth, welche nur im Auslande zu erhalten waren, wo man dann wiederum chinesische Waaren begehrenswerth fand. Daraus erwuchs ein Handelsverkehr in entlegenere Länder, von welchem, wie das Schū-kīng zeigt, schon im elften Jahrhundert v. Chr. die Gesetzgebung Notiz nahm.

Wurde aber so eben der Wohnplätze gedacht, so darf die Bauart nicht unbeachtet bleiben. Auch bei dieser war Alles durch Herkommen und Gesetz geregelt und es bestand eine strenge Baupolizei. Die Bauart mach es erklärlich, warum os in China durchaus an baulichen Denkmälern und auch nur Trümmern derselben aus dem Alterthume gebricht. Denn nicht bloß Privathäuser, auch die Paläste und Ahnentempel der Fürsten waren Pisebauten. Ihre Mauern wurden aus Erde oder Lehm errichtet, der zwischen Leerwänden d.i. zwischen Gerüsten von übereinandergesetzten Brettern, eingeschürtet und[24] festgestampft wurde. Aus Fichten- oder Cypressenholz bestanden die gezimmerten Deckbalken, auch die Thür- und Fensterrahmen sowie die Thüren. Fußböden und Wege in den Höfen waren mit Ziegeln gepflastert. Die Richtung der Häuser nach den Himmelsgegenden und die Stellung der Thüren und Fenster waren genau bestimmt. Die Städte mit ihren schnurgeraden Straßen waren von Wällen oder Mauern eingeschlossen und Gärten und Baumpflanzungen machten ihre Umgebungen freundlich Pflanzungen von Weiden-, Maulbeer-, Sandel- und dergleichen Bäumen scheinen sich bis in die Dörfer hineingezogen zu haben.

Draußen aber, in der freien Natur, wimmelten Flüsse und Seeen von Fischen vieler Art, die sich zum Fang boten, ausgedehnte Wälder und Haiden auf Bergen und unfruchtbarem Tieflande von allerlei wildem Gethier, das zur Jagd anlockte. Mit Reusen und Netzen wurde wol nur gewerbsmäßig gefischt und das Angeln mehr als ein mitbringendes Vergnügen betrieben. Dagegen sehen wir theils aus Liebhaberei, theils um der Beute willen rüstige, auch wol einmal überkühne Jäger dem Wiide nachstellen; sind sie vornehmeren Standes, dann auf ihren Wagen mit dem Viergespann, wobei, wie immer, alle vier Pferde nebeneinander geschirrt sind; sind es Fürsten, dann mit zahlreichen Teilnehmern in derselben Weise. Da es außer Hasen, Dachsen, Rothwild und Federwild auch Wildschweine, Wölfe, Bären, Nashörner und Tiger zu erlegen galt, so waren die Jagden nicht bloß eine Belustigung und nebenbei einträglich durch den Gewinn von Fleisch, Häuten, Pelzen, sie befreiten auch das Land von schädlichen und reißenden Thieren, übten zugleich die Kraft und Gewandtheit der Männer und wurden dadurch eine treffliche Vorschule für den Krieg, als welche sie auch ausdrücklich gepriesen werden.

Denn nicht immer war der Krieg zu vermeiden. Zwar wurde der Friede als ein hohes Gut geliebt und gepriesen, auch war man bei allem Triebe nach Macht und Gebietsvergrößerung[25] überzeugt, die roheren Nachbarbevölkerungen für den Anschluß an das Reich durch den bloßen Einfluß der höheren Cultur allmählich zu gewinnen, weßhalb die alte Zeit keine Eroberungskriege kennt; dennoch waren bald Empörungen in entlegenen Provinzen niederzuwerfen, bald benachbarte wilde Stämme, die in das Reich einbrachen, zu bekämpfen und zurückzutreiben, und es gab Zeiten, in denen ein Krieg auf den anderen folgte. Wenn dann die Kriegsmacht aufgestellt ward; so wurden die Führer aller Grade so wie die Wagenkämpfer – geritten ward überhaupt nicht – aus dem Stande der Gebildeten genommen; denn ein Unterschied zwischen Civil- und Militairbeamten fand nicht statt. Das zahlreiche Fußvolk aber wurde durch das Aufgebot der kriegsfähigen ansässigen Bevölkerung aufgebracht. Da diese dann plötzlich aus ihrem geordneten Leben, aus ihren Erwerbs und Familienverhältnissen herausgerissen wurden, erklärt es sich, daß wir so häufigen unmuthigen Klagen über die Beschwerden und Entbehrungen bei den Feldzügen oder der Gränzwacht, über die gestörten häuslichen Verhältnisse, über das vergebliche Sehnen nach der Heimath begegnen. Weder ein keckes Spielen mit der Gefahr und die Luft an Abenteuern, noch die Prahlerei mit erheucheltem Heldenmuthe lag im Charakter des Volkes. Die Männer gingen ungern in den Krieg und gestanden dieß offen. Die Schlachten selbst und glänzende Siege riefen aber auch wieder eine kriegerische Begeisterung hervor, wie mehr als eins unsrer Lieder sie bezeugen, und die feste Zuversicht auf das Fortleben nach dem Tode, auf die auch dann noch stattfindende Verbindung mit den Heimgelassenen konnte nur unerschrockene, todesmuthige Kampfer machen.

Doch das berührt schon Dinge, die nicht in diesen Abschnitt gehören, dem wir, so vieles hier auch noch zu sagen wäre, nur noch ein Dreifaches hinzufügen. Zuerst, daß die Sklaverei im alten China unbekannt war. Zweitens, daß Eunuchen erst kurz vor dem achten Jahrhundert v. Chr. vorkommen.[26] Endlich, daß die in einem Liede (I. 11, 6.) erwähnte barbarische Sitte, mit dem gestorbenen Fürsten andre Menschen, ja hohe Beamte lebendig zu begraben, nur im Staate Ts'hîn vorkam, dessen Fürst und meiste Bevölkerung Tataren waren, auch von den Chinesen selbst scharf getadelt wurde.

Quelle:
Schī-kīng. Heidelberg 1880, S. 16-27.
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