Lobgesang auf den Fürsten Hi von Lù.1

[504] Wie still die heil'gen Tempel steh'n,

An Bau und Ausstattung vollzogen!2

Höchst auserwählt war Kiāng Juân,3

Die nie von Tugend abgebogen!

Ihr war der Höchste HErr gewogen,

Und ohne Leiden, ohne Weh'n,

Genau als ihre Mond' entzogen,

Gebar sie den Heú-tsĭ zur Welt,

Dem aller Segen ward gesellt,

Mit Hirsen, spät und früh im Feld,

Und früh' und spätem Kraut und Spelt.

Bald ward ein Lehnstaat ihm bestellt,

Wo er das Volk ließ bau'n das Feld.

Da gab es Hirsen, schwarz und weiß,

Gab's Opferhirse, gab es Reiß.

Und bald in allen Landes Kreis

Führt' er Jü's Anfang fort mit Fleiß.4


Es war des Heú-tsĭ Nachgeschlecht,

Aus welchem König Thâi entsprang,

Der südlich wohnt' am Khî-Bergs Hang,

Im Anbeginn des Falls von Schāng;[505]

D'rauf Wên und Wù bei ihren Zeiten

Thâi's Anfang wußten fortzuleiten

Bis zu des Himmels Endbeschluß.

Und als es hieß auf Mŭ's Gebreiten:5

»Kein Zweifeln! keine Bangigkeiten!

Der Höchste HErr ist dir zur Seiten!«

Da zeigt' er Schâng's Geschwadern Streiten;

Ein Jeder that sein Heldenwerk.

Der König sprach: »Ohm, höre zu!6

Einsetz' ich deinen Erstgebor'nen,

Daß er als Fürst regier' in Lù,

Und viel dem Lande leg' ich zu,

Daß es dem Tschēu-Haus Hülfe thu'.«


Da setzt' er ein den Fürst von Lù,

Und gab die Ostmark im zu Handen.

Er wies ihm Berg' und Flüsse zu,

Sammt Gründen, Feldern, Nebenlanden.

Und nun kommt des Tschēu-Fürsten Enkel,

Es kommt der Sohn des Fürsten Tschuāng

Zum Opfer mit dem Drachenbanner

Und den sechs Zügeln, schmeidig, lang.

Nie bleibt's im Lenz und Herbst ihm fern,

Die Opfer fehllos darzubringen

Dem höchsten Herrschenden, dem HErrn;

Und seinem hohen Ahn Heú-tsĭ

Bringt er die Stiere, roth und rein.

Die nehmen's an, die freu'n sich sein

Und senden reichliches Gedeihen.

Der Tschēu-Fürst und die hohen Ahnen,

Auch diese segnen deine Bahnen.
[506]

Wird's Herbst, hat man des Opfers Acht.

Mit Stirnbrett Sommers schon bedacht,

Wird weißer Stier, wird rother bracht;

Die Stierpokale steh'n in Pracht;7

Rostbraten, Hackfleisch, Brühe lacht,

Dann Schüsseln, Näpfe, große Tracht;

Der Tanzchor ist vermannigfacht.

Heil für den frommen Sohn erwacht,

Es wird dir Glanz und Reichthum zugedacht,

Dein Leben lang und Alles gut gemacht,

Daß du dieß Ostland hältst in Wacht,

Und Lù bleibt stets in deiner Macht,

Unabgemindert, unversehrt,

Und unerschüttert, unbeschwert;

Dazu drei Alte, treu bewährt8

Wie Berg' und Gipfelhöh'n der Erd'.


Der Fürst kann tausend Wagen führen

Mit rothen Quasten, grünen Schnüren,

Die je zwei Speer' und Bogen zieren.

Sein Fußvolk sind dreimal Zehntausend

Im Muschelhelm mit rothen Schnüren,

Viel Fußvolks läßt sein Feuer spüren,

Die Sjûng, die Tī zur Zucht zu führen,9

Kīng, Schū zu zücht'gen nach Gebühren,

Daß nirgends Widerstand sich wagt zu rühren,

Und Glanz und Fülle wird dir zugesendet,

Und Lebensläng' und Reichthum dir gespendet;[507]

Gekrümmte Rück graues Haar –

Wer Greis ist, wird im Dienst verwendet;

Du wirst gedeih'n und wachsen immerdar

Wirst altern ohne deiner Kraft Gefahr,

Und tausendmal zehntausend Jahr'

Sind deine greisen Brauen Kummers bar.


Hoch spitzt das Thái-Gebirg sich zu,

Auf das man blickt im Lande Lù;

Der Kuēi, der Mūng sind uns zur Hand;10

Bald geht's in's fernste Morgenland

Bis zum Gebiet am Meeresstrand;

Der Hoâi-Barbar sucht Freundschaftsband,

Nicht Einer leistet Widerstand; –

Das bringt der Fürst von Lù zu Stand.


Den Fû-, den Jĭ-Berg wird er wahren,

Wird über Siü's Bewohner fahren

Bis zum Gebiet am Meeresstrand.

Die Mân, die Mĕ, die Hoâi-Barbaren,11

Die Horden dort im Mittagsland –

Nicht Einer leistet Widerstand,

Nicht Einer wagt Bejah'n zu sparen;

Lù's Fürsten huld'gen ihre Schaaren.


Der Himmel wendet Heil dem Fürsten zu.

Mit greisen Brauen schirmt er Lù,

Hält seinen Hof in Tschhâng und Hù,

Und bringt des Tschēu-Fürst ganz Gebiet herzu.12

Da schmaust der Fürst, ein froher Mann,

Mit Weib und greiser Mutter dann,

Mit Großen und Beamten lobesan;[508]

Hält Lehn und Land sich unterthan,

Und wird noch Segens viel empfah'n

Bei greisem Haar und Kindes Zahn.13


Vom Ts'hû-lâi wurden Fichtenstämme,

Cypressen von des Sīn-fù Seit'14

Gehau'n und in Gemessenheit

Nach Ruth' und Elle zubereit't.

Die Fichtenbalken waren breit,

Die Hallen wurden hoch und weit,

Und reich der Tempel Herrlichkeit,

Die Hî-ssē neu zu dieser Zeit15

Gebaut gar groß und hoch und weit

Zu alles Volks Zufriedenheit.

1

Hī kam 659 v. Chr. zur Regierung. Da die Fürsten von Lù von dem Tschēu-Fürsten abstammten, mithin eine Nebenlinie des regierenden Hauses warren, so wenden sich die beiden ersten Strophen zu dem Ursprung und Aufkommen desselben.

2

Hī hatte die Ahnentempel neu aufbauen lassen.

3

S. III. 2, 1.

4

Weil Jü die Lande entwässert und anbaufähig gemacht, so war ihr Anbau Fortsetzung seines Werkes.

5

S. III. 1, 2 die beiden Schlußstrophen.

6

Dieser König ist Tschhîng, und der Oheim der Tschēu-Fürst.

7

Die Trinkgefäße hatten Stiergestalt.

8

Die drei Alten werden als die Minister des Fürsten erklärt, wovon man nicht abzuweichen wagte. »Sān schēu tsŏ p'hêng« wäre wörtlich: »Drei Lebensalter machen (ihm) Freunde«, und vielleicht so zu verstehen, daß Hī drei Geschlechter bis in ihr hohes Alter überleben und durch seine treffliche Regierung zu Freunden haben werde.

9

Dieß waren wilde Horden im Westen und Norden. Kīng (auch Ts'hù genannt) war ein großer Staat im Süden, Schū lag im Osten. Diese Länder waren damals noch nicht völlig unterworfen.

10

Ebenfalls zwei Gebirgszüge in Lù.

11

Die schon öfter vorgekommenen wilden Gränzstämme.

12

Er wird alles Land wiedererobern, das von dem Fürstenthum im Laufe der Zeit abgenommen ist.

13

In sehr hohem Alter pflegen bekanntlich für die verlorenen Zähne noch einmal sehr feine hervorzusprossen. Auch Tschū-hī bemerkt, daß es ein Beweis hohen Alters sei, wenn die ausgefallenen Zähne durch zart wiedergewachsene ersetzt würden.

14

Wiederum zwei Gebirgszüge von Lù. Diese Schlußstrophe weiset auf die beiden Anfangsverse zurück, welche die Veranlassung des ganzen Liedes andeuten.

15

Hî-ssē, sonst Prinz Jü genannt, war ein Bruder des Ersten Hī und hatte die Herstellung der Ahnentempel geleitet.

Quelle:
Schī-kīng. Heidelberg 1880, S. 504-509.
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