Lied der Krieger beim Feldzuge gegen die Hiàn-jün.1

[264] Pflückt Farrenkeim! pflückt Farrenkeim!2

Die Gabelfarne sind im Sprossen.

O ging' es heim! o ging' es heim!

Doch wol ein Jahr ist dann verflossen.

Uns blieb nicht Haus, nicht Hausgenossen,

Dieweil die Hiàn-jün sich ergossen.

Und Ruh' und Rast sind ausgeschlossen,

Dieweil die Hiàn-jün sich ergossen.


Pflückt Farrenkeim! pflückt Farrenkeim!

Nun sind die Gabelfarne zart.

O ging' es heim! o ging' es heim!

Den Herzen bringt nur Leid die Fahrt.

Leidvolle Herzen brennen hier,

Bald hungern wir, bald dürsten wir,

Und eh' nicht unsre Gränzdienst' enden,

Ist nicht um Nachricht heimzusenden.3
[265]

Pflückt Farrenkeim! pflückt Farrenkeim!

Nun sind die Gabelfarne hart.4

O ging' es heim! o ging' es heim!

Der zehnte Jahrsmond steht in Wart.5

Doch Königsdienst will keine Trägen;

Wir dürfen nicht der Ruhe pflegen.

Die Herzen sind voll Leid und Schmerz:

Denn weiter geht's, nicht heimathwärts.


Was aber prangt so herrlich da?

Waldkirschen, welche Blüthen tragen?

Was fähret auf der Straße da?

Das ist des Heeresfürsten Wagen!

Sein Kriegeswagen ist bespannt,

Vor dem vier Hengste stolz sich wiegen.

Wer wagt zu rasten und zu ruh'n?

Ein Monat läßt uns dreimal siegen!


Vier Hengste sind davorgespannt,

Vier Hengste, kühn und kampferhitzt,

Auf die der Heeresfürst sich stützt,

Die der gemeine Mann beschützt, –

Vier Hengste, Flügeln gleichgebracht,

Fischköcher, elfne Bogenpracht, –6

Wie hielten wir nicht täglich Wacht?

Gar heftig drängt der Hiàn-jün Macht.
[266]

Vordem, da wir hinausmarschirt,

Da neigten sich die schwanken Weiden;

Nun, wenn wir wieder heimwärts zieh'n,

Wird Schneefall stöbern aus den Heiden.

Der Marsch ist weit und nicht zu neiden,

Nicht Durst, nicht Hunger sind zu meiden;

Uns wird die Qual das Herz zerschneiden,

Und Keiner weiß von unsern Leiden.7

1

Die Hiàn-jün sind nach Ssē-má-thsiān die Hiūng-nû, d.i. die Hunnen, die zu Ende des 10. Jahrh. v. Chr. den Norden des Reichs beunruhigten, in welche Zeit auch dieser Vater der chinesischen Geschichtschreibung dieses Lied setzt.

2

Die Keime der Gabelfarne sind eßbar.

3

Wahrend des Gränzkrieges kann Niemand abgesendet werden um sich nach dem Ergehen der heimgelassenen Familien zu erkundigen.

4

Gegen Ende des zweiten Monats gehen die Gabelfarne auf, sind zu Anfang des dritten noch zart und werden um die Mitte desselben hart.

5

Sie fürchten, der zehnte Monat werde sie noch im Felde finden. Bis zu Ende dieser Strophe ist der Feldherr noch nicht bei den Kriegern; daher die gedrückte Stimmung, die sich bei seinem Erscheinen, in der vierten Strophe in Siegesgewißheit verwandelt.

6

Der Köcher ist mit Fischhaut überzogen und der Bogen hat »elfenbeinerne Spitzen« (siáng mi). Die verzierten Waffen sind Auszeichnung des Feldherrn.

7

Keiner der Heimgelassenen nehmlich. Der Rückmarsch in später Jahreszeit wird äußerst beschwerlich sein.

Quelle:
Schī-kīng. Heidelberg 1880, S. 264-267.
Lizenz:

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