VIII. Ark'hi (Ârsheya-Upanishad).

[852] Der Deutung des Namens Ark'hi als Ârshikâ (von ṛishika), welche Weber, Literaturgesch., 2. Aufl., S. 180 aufstellt, ist die andere, ebenfalls von Weber (Ind. Stud. IX, 48) gegebene als Ârsheyâ (von ṛishi) entschieden vorzuziehen, da der Inhalt in einem Gespräche der fünf altvedischen Ṛishi's, Viçvâmitra, Jamadagni, Bharadvâja, Gautama und Vasishṭha, über das Wesen des Brahman besteht. Für die Abfassungszeit ist zunächst die Bemerkung gegen Ende hin massgebend, dass die posteri τοῦ K'hak rek'heschir, propter τὸ invenire hunc âtma, maschghouli igni Beischvantr fecerunt. Unter dem Ṛishi K'hak ist nicht etwa (wie der Urheber der Variante Kapl, Anquetil und Weber als möglich annehmen) Kapila, sondern Açvapati Kaikeya zu verstehen; denn dieser entwickelt Çatap. Br. 10,6,1. Chând. 5,11-24 (oben S. 144 fg). vor sechs Brahmanen die Lehre vom Agni Vaiçvânara als Âtman Vaiçvânara. Nach dem Vorbilde dieser Stelle definieren die fünf Ṛishi's unseres Stückes das Brahman der Reihe nach als den Luftraum, den Âkâça, das Sonnenlicht, das Blitzlicht und dasjenige, de quo non possunt dicere: hoc et illud est, wo wahrscheinlich im Texte die Yâjñavalkya-Formel neti, neti stand (vgl. über dieselbe oben S. 413. 448). Weitere Rückbeziehungen scheinen, wie die Nachweisungen zeigen, bis herab zu Praçna und möglicherweise Mâṇḍûkya vorzukommen. Im übrigen ist die Haltung des Stückes ziemlich altertümlich; wir dürfen in ihm einen schönen Nachklang der Gedanken der alten Upanishad's erkennen.


Es geschah einmal, dass die Ṛishi's zusammenkamen, um die Wahrheit zu erforschen; nicht um einander zu widerlegen, sondern um von einander die Wahrheit zu erfahren.


Da sprach, um sein Wissen zu zeigen, zuerst Viçvâmitra: »Was auf Erden und im Himmel ist, unbeweglich, in nichts anderm enthalten, alles in sich enthaltend, dem Âkâça gleich, der unbeweglich alles enthält und in nichts enthalten ist, in dem auch die dröhnenden, von Blitz schimmernden Wolken furchtbar brüllend dahinziehen, – dieses weiss ich als das Brahman. Denn wenn man es auch mit Feuer verbrennte[853] und mit Wasser benetzte und mit ledernen Riemen bände und zusammenknüpfte und mit Eisenhämmern schlüge und mit Nadeln durchstäche und auf Nägeln bettete und mit Eisennägeln durchbohrte und mit Schmutz überwürfe und mit der Axt behaute und ins Herz stiesse, so würde dies alles doch keine Spur an ihm zurücklassen, niemand kann es binden und niemand über es hinauskommen.«


Aber der Ṛishi Jamadagni billigte diese Rede nicht, denn er bedachte, dass, was auf Erden und im Himmel ist, vergänglich ist und begrenzt ist, weil es zwischen der Erde und dem Himmel ist, und er sprach: »Wovon du redest, o Viçvâmitra, das ist diese Luftraumwelt (antarikshaloka); diese weiss ich als eine Machtentfaltung (mahiman) des Brahman, nicht als das Brahman, denn diese Luftraumwelt ist in ihm enthalten. Wer diese Luftraumwelt, welche seine Machtentfaltung und in ihm enthalten ist, verehrt, der ist, wie diese Luftraumwelt, in Brahman enthalten und vergänglich. Und wer diese Luftraumwelt als das Brahman verehrt, der erleidet fort und fort den Vergang, darum dass er diese Machtentfaltung, die in Brahman ist, verehrt und nicht das Brahman weiss.«

Und jener sprach: »Was weisst denn du, das immer bleibt und nicht vergeht?«

Da sprach Jamadagni: »Dasjenige, in welchem Erde und Himmel sind, welches die Erde und den Himmel in sich gegründet hat, und selbst in nichts anderm gegründet ist, zu welchem niemand gelangen noch auch es sehen kann, und welches von nichts anderm umgeben ist, – dieses weiss ich als das Brahman. Denn in ihm laufen vielfach um die Weltlichter und vergehen nicht und fallen nicht herunter, auch verirren sie sich nicht und werden nicht müde; und wenn einer sein ganzes Leben durch liefe, so könnte er doch nicht bis zu ihm gelangen noch auch es sehen.

Einige sagen1: es sei das Wasser (âpas); andere: die[854] Finsternis (tamas, Ṛigv. 10,129,2); noch andere: das Licht; wieder andere: der Prâṇa; und manche: der Âkâça; und noch andere: der Âtman.«


Aber der Ṛishi Bharadvâja billigte diese Rede nicht und sprach: »Wer dieses also weiss, der weiss nicht davon die höchste Wahrheit; denn auch dieses, welches du weisst, ist vergänglich; denn was innerhalb der Welt ist, ist begrenzt und darum mangelhaft, und dadurch macht es auch das, was ausserhalb der Welt ist, [begrenzt und somit] mangelhaft. Auch dieses weiss ich als eine Machtentfaltung des Brahman und nicht als das Brahman; es ist der Bhûtâkâça (der Raum als Element), welcher diese Welt umgibt und doch innerhalb [des Brahman] ist. Wer diesen Bhûtâkâça, welcher seine Machtentfaltung und in ihm enthalten ist, verehrt, der ist, wie dieser Bhûtâkâça, in Brahman enthalten und vergänglich. Und wer diesen Bhûtâkâça als das Brahman verehrt, der tut übel daran und erleidet fort und fort den Vergang. Wer aber diesen Bhûtâkâça nur als in Brahman enthalten weiss und verehrt, der kommt zu vollem Alter und macht sich alles untertan.«

Und jener sprach: »Was weisst denn du, das immer bleibt und nicht vergeht?«

Da sprach Bharadvâja: »Jenes Licht, welches in der Sonnenscheibe ist und immer umläuft und schimmert und glüht und sehr hell ist und alles zu sich hin richtet, – dieses weiss ich als das Brahman. Denn es ist sich immer gleich und erscheint gleich aus der Ferne und Nähe, und ist nach allen Seiten zugewandt (Chând. 2,9,1 und die Anm).; und ob man auch laufen und springen möchte, um es zu erreichen, so kann man es doch nicht erreichen, noch dazu hingelangen; denn in der Nähe erscheint es fern und in der Ferne nah, und keiner vermag es, seine Grösse zu überwinden.«


Aber der Ṛishi Gautama billigte diese Rede nicht und sprach: »Auch dieses ist vergänglich; denn nur solange es mit der Sonnenscheibe verbunden ist, besteht ihr Licht. Auch wird ihr Licht von Weisen und Unweisen, Nichtdenkenden, Gemeinen, wie sie auf den Inseln und in den Gebirgen[855] wohnen, und zu denen die Schriftoffenbarung nicht gelangt ist, auch von diesen durch blosses Hinsehen erblickt; das Brahmanlicht aber ist nicht von dieser Art, denn niemand, dem es nicht gelehrt worden, kann dasselbe schauen. Ich weiss das Sonnenlicht als eine Machtentfaltung des Brahman. Wer das Sonnenlicht als eine Machtentfaltung des Brahman also weiss und verehrt und den goldnen Mann (purusha), welcher im Innern der Sonne gesehen wird mit goldnem Haar, bis in die Nagelspitzen ganz von Golde2, – wer also das Sonnenlicht verehrt, der ist gross unter allen Wesen, der ist von allem die Grundlage und der Stützpunkt, der kommt zu vollem Alter, und alles lebt in seinem Schatten. Die Sonne, wenn sie aufgeht, kann des Brahman Grösse nicht überschreiten, sondern ist ihm untergeben und geht auf nach seinem Befehle (vgl. Kâṭh. 4,9). Wer nun die Sonne als durch sich selbst aufgehend weiss und verehrt, der tut übel daran und erleidet fort und fort den Vergang. Wer aber das Licht der Sonne als eine Machtentfaltung des Brahman weiss und verehrt, und weiss, dass sie auf sein Geheiss aufgeht, der geht ein in Lichtwesenheit und kommt zu vollem Alter, und alles lebt in seinem Schatten, wer dieses, also wissend, verehrt.«

Und jener sprach: »Was weisst denn du, das immer bleibt und nicht vergeht?«

Da sprach Gautama: »Jener leuchtende und dahinfahrende Blitz, welcher in der Ferne nah und in der Nähe fern erscheint, dem nichts Geschleudertes an Schnelligkeit gleichkommt, – diesen weiss ich als das Brahman.«


Aber der Ṛishi Vasishṭha billigte diese Rede nicht und sprach: »An dem Dröhnen der Wolke und dem Schimmer wird der Blitz erkannt, und danach ist er verschwunden. Von Weisen und Nichtweisen wird er durch blosses Hinsehen erblickt, indem sie ihn einander zeigen; das Brahmanlicht aber ist nicht von dieser Art; denn niemand, dem es nicht gelehrt worden, kann dasselbe schauen; und wem es gelehrt worden,[856] der schaut das Brahmanlicht im eigenen Herzen. Ich weiss das Licht des Blitzes als eine Machtentfaltung des Brahman, nicht als Brahman. Wer den Blitz als eine Machtentfaltung des Brahman weiss und verehrt, der gelangt zur Machtentfaltung, kommt zu vollem Alter, und alles lebt in seinem Schatten.«

Und jener sprach: »Was weisst denn du, das immer bleibt und nicht vergeht?«

Und Vasishṭha überlegte bei sich und sprach: »Dasjenige, von dem sie sagen: ›es ist nicht so, es ist nicht so‹ (neti, neti), das ist das Brahman. Dieses Brahman ist der Âtman, ohn' Ende, ohne Alter, ohne Ufer; nicht ausserhalb und nicht innerhalb, allwissend, lichtgestaltig, ohne Hunger und ohne Durst; er führt aus dem Nichtwissen zu dem andern Ufer hinüber (vgl. avidyâyâḥ, param pâram târayasi, Praçna 6,8); er ist das Licht im Herzen; er ist der Herr des Weltalls, der Gebieter des Weltalls, der Fürst des Weltalls (Bṛih. 4,4,22), die Stätte des Weltalls; ihn überwindet keiner; er ist Schöpfung und Vergang der Wesen (vgl. Mâṇḍ. 1,5); er ist der preiswerte Hüter des Weltalls.

Als diesen Âtman verehrten die Nachkommen des [Açvapati] Kaikeya das Feuer Vaiçvânara (Çatap. Br. 10,6,1. Chând. 5,11-24). Als diesen verehrten sie bei den Opfern den Indra, weil er den Heerscharen Hilfe gewährt und die Opfer veranlasst und sehr gross ist und die Spenden entgegennimmt; denn er ist der Hüter der Wesen, und alles geht ihn an und preist ihn mit den Sprüchen des Veda. Seine Schatzkammer ist die ganze Erde, er tötet den Dämon Ahi. Er ist im Weltmeere, er verleiht jedem Tüchtigkeit durch seine Macht; wer ihn kennt, ruft ihn an vor allem Tun.«

Als die Ṛishi's diese Rede des Vasishṭha hörten, da stimmten sie zu, dass man das Brahman also wissen muss, zollten ihm daselbst Verehrung und wurden seine Schüler.


Verehrung dem Agni!

Verehrung dem Indra!

Verehrung dem Prajâpati!

Verehrung dem Brahman!


Fußnoten

1 Dieser Absatz fällt aus dem Tone des Ganzen heraus und gibt sich dadurch ziemlich deutlich als eine schon im Sanskrit-Original vorhandene Interpolation zu erkennen.


2 Die Übereinstimmung mit Chând. 1,6,6 ist so weitgehend, dass wir wohl ein Zitat dieser Stelle annehmen und die Übersetzung dementsprechend gestalten dürfen.

Quelle:
Sechzig Upanishads des Veda. Darmstadt 1963 [Nachdruck der 3. Aufl. Leipzig 1921], S. 852-857.
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