Sechster Praçna.

[570] Nachdem man sich gewöhnt hatte, Prajâpati als das »vierundzwanzigteilige [in 24 Halbmonate geteilte] Jahr« zu betrachten (Gesch. d. Phil. I, 208), so lag es nahe, auch in den fünfzehntägigen Halbmonaten ihn wiederzufinden und das Schwinden und Anwachsen des Mondes als ein solches des Prajâpati aufzufassen, von dem fünfzehn Teile nach und nach vergehen und neu entstehen, während der sechzehnte Teil, als sein Wesen enthaltend, beständig bleibt (vgl. besonders Bṛih. 1,5,14). Daher öfter von dem sechzehnteiligen Prajâpati (Vâj. Samh. 8,36), oder auch, indem man[570] das Lebensprinzip von allen Teilen noch unterschied, von Prajâpati als siebzehnteilig die Rede ist (Çatap. Br. 10,4,1,16).

Prajâpati als Vorbild nehmend, schrieb man weiter auch dem Menschen sechzehn Teile zu, von denen fünfzehn schwinden und durch Nahrung wieder ergänzt werden, während der sechzehnte Teil nur mit dem Leben selbst verloren geht (vgl. namentlich die Erzählung Chând. 6,7). Wie wenig man übrigens ursprünglich wusste, welches die sechzehn Teile sein sollten, erhellt daraus, dass Çatap. Br. 10,4,1,17 die sechzehn Silben der Worte loman, tuac, asṛij, medas, mâṅsam, snâvan, asthi, majjâ (Haar, Haut, Blut, Saft, Fleisch, Sehne, Knochen, Mark) dafür gelten. – Diesen sechzehn Teilen des Menschen gilt die Frage unsers Abschnitts.

In der Antwort wird gezeigt, a. wie aus dem Purusha (d.h. hier dem Geiste, dem Âtman) die sechzehn Teile hervorgehen; b. wie sie in ihn zurückkehren.

a. Der Purusha schafft 1) den Prâṇa, als das Wesentlichste, an dessen Ausziehen und Bleiben sein eigenes Ausziehen und Bleiben gebunden sei; aus diesem 2) Çraddhâ, den Glauben, den wir schon in der Fünffeuerlehre als ursprünglichsten Keim des Menschen kennen lernten (Chând. 5,4,2. Bṛih. 6,2,9); 3-7) die fünf Elemente, wobei die Nominative vâyur, âpas statt der erforderlichen Akkusative sich aus Benutzung eines Verses erklären, dem wir teilweise auch Muṇḍ. 2,1,3 begegnen; 8) indriyam, die zehn Sinnesorgane als Einheit gefasst; 9) manas, 10) annam, Nahrung, 11) vîryam, die auf ihr beruhende Kraft, 12) tapas, 13) mantrâḥ, die Hymnen und Sprüche, 14) karman, das auf ihnen beruhende Werk, 15) lokâḥ, die Welträume, deren Besitz durch das Werk bedingt ist; 16) nâman, als die individuelle Bestimmtheit.

b. Die Rückkehr dieser Organe in den Purusha erfolgt wie die der Flüsse in den Ozean, welches, mit ähnlichen Worten in Prosa wie Muṇḍ. 3,2,8 in einem Verse, gelehrt wird.

Der ganze Abschnitt scheint aus Reminiszenzen andrer Stellen zusammengesetzt zu sein.


1. Da befragte ihn Sukeçan Bhâradvâja: »O Erhabener! Hiraṇyanâbha Kausalya, der Königssohn, kam zu mir und tat diese Frage: ›Weisst du den sechzehnteiligen Purusha?‹ – Zu ihm, dem Prinzen, sprach ich: ›Den weiss ich nicht; denn wenn ich ihn wüsste, wie sollte ich ihn dir nicht gesagt haben? [Nach Chând. 5,3,5 und ähnlichen Stellen, wo aber der Vater zum Sohne spricht.] Der verdorrt ja mit der Wurzel, welcher die Unwahrheit redet. Darum darf ich die Unwahrheit nicht sagen.‹ – Da bestieg er schweigend seinen Wagen und fuhr von dannen. Nun frage ich dich: Wo ist jener Purusha?« – 2. Da sprach er zu ihm: »Hier, innen im Leibe, o Teurer, ist dieser Purusha, in welchem jene sechzehn Teile entspringen.[571]

3. Dieser [Purusha] erwog: mit wessen Auszuge werde ich selbst ausgezogen sein, und mit wessen Bleiben werde ich bleiben? – 4. Da schuf er den Prâṇa; aus dem Prâṇa den Glauben, den Äther, der Wind, das Licht, das Wasser, die Erde, das Sinnesorgan; das Manas, die Nahrung; aus der Nahrung die Kraft, das Tapas, die Mantra's, das Werk, die Welträume und in den Welträumen den Namen auch.

5. Aber gleichwie diese Ströme fliessend zum Ozean ihren Gang nehmen und, in den Ozean gelangt, untergehen, wie ihre Namen und Gestalten verschwimmen, und es nur noch Ozean heisst, also auch geschieht es bei diesem Allschauenden, dass jene sechzehn Teile zum Purusha ihren Gang nehmen und, in den Purusha gelangt, untergehen; ihre Namen und Gestalten verschwimmen, und es heisst nur noch der Purusha, der aber verharrt ohne Teile und unsterblich. Darüber ist dieser Vers:


6. Wie Speichen in der Radnabe,

In ihm wurzeln die Teile fest,

Ihn, den man wissen muss, weiss ich,

Den Purusha, damit auch euch der Tod erschüttre nicht.«


7. Und zu ihnen allen sprach er: »Soweit weiss ich das höchste Brahman, nicht darüber hinaus ist es.«

8. Da verehrten sie ihn und sprachen: »Du bist unser Vater, der du uns aus dem Nichtwissen zu dem andern Ufer hinüberführst.«


Verehrung sei den höchsten Weisen!

Verehrung sei den höchsten Weisen!

Quelle:
Sechzig Upanishads des Veda. Darmstadt 1963 [Nachdruck der 3. Aufl. Leipzig 1921], S. 570-572.
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