Fünfter Praçna.

[569] Die Meditation des Brahman bedarf, bei dessen gänzlicher Unerkennbarkeit, eines äussern Symbols; als solches dient, je später um so mehr, der alte Opferruf Om, und nachdem schon Kâṭh. 2,15-17 seine Bedeutung als Inbegriff aller Veden (d.h. als das Brahman) hervorgehoben worden war, so tut unsere Stelle einen Schritt weiter auf dem von den spätern Upanishad's so viel betretenen Wege, indem sie den Laut Om in seine drei Morae (a + u + m) zerlegt und für Meditation einer derselben alsbaldige Wiederkehr zu einem bevorzugten Menschendasein verheisst (eine Auffassung, welche mit der Lehre von Pitṛiyâna und Devayâna, wie sie Chând. 5,3 fg. Bṛih. 6,2 vorgetragen wird und auch oben, Praçna 1, anerkannt wurde, in Widerspruch steht); zwei Moren führen, wenn sie meditiert werden, zum Monde und zurück zum Erdendasein, entsprechend dem Pitṛiyâna, drei Moren in das Brahman, d.h. auf dem Devayâna, von welchem keine Wiederkehr ist.


1. Da befragte ihn Çaivya Satyakâma: »Wer, o Erhabener, unter den Menschen bis zu seinem Hinscheiden den Laut Om meditiert, welche Stätte erwirbt der dadurch?« Und er sprach zu ihm:

2. »Fürwahr, o Satyakâma, der Laut Om ist das höhere und das niedere Brahman.1 Darum erlangt der Wissende, wenn er sich auf denselben stützt, das eine oder das andere.

3. Wenn er ein Element desselben meditiert, so gelangt er, durch dasselbe belehrt, [nach dem Tode] schnell zur Lebendigkeit. Ihn führen die Ṛig-Hymnen hin zur Menschenwelt;[569] daselbst erlangt er Askese, Brahmanwandel und Glauben (vgl. oben 1,2) und geniesset Hoheit.

4. Wenn er zu zwei Elementen in seinem Denken gelangt, dann wird er [nach dem Tode] von den Yajus-Sprüchen emporgeführt in die Luft zur Somawelt [zum Monde]. Und nachdem er in der Somawelt Herrlichkeit genossen hat, so kehret er wieder zurück.

5. Wenn er hingegen durch alle drei Elemente des Lautes Om den höchsten Geist meditiert, so wird er, nachdem er in das Licht, in die Sonne eingegangen, wie eine Schlange von ihrer Haut (vgl. Bṛih. 4,4,7), also von dem Übel befreit; von den Sâman-Liedern wird er emporgeführt zur Brahmanwelt; dann schaut er ihn, der höher ist als dieser höchste Komplex des Lebens [d.h, als die individuelle Seele2], den in der Burg [des Leibes] wohnenden Geist. Darüber sind diese Verse:


6. Drei Elemente, wenn man stirbt, verwendet,

Zusammenhängend und nicht unverwendet,

Indem den äussern, innern, mittlern Bräuchen

Vollauf genügt wird, – so steht fest der Geist.


7. Durch Ṛic's hierher, durch Yajus' in den Luftraum,

Durch Sâman's dorthin, was die Weisen verkünden,

Zu ihm, auf Om gestützt, gelangt der Wisser,

Der jenes ruhig, alterlos, unsterblich, furchtlos Höchste ist.«


Fußnoten

1 Hier nicht in dem spätern Sinne dieser Ausdrücke als nirguṇam und saguṇam brahma, sondern so zu verstehen, dass sie dem Erkenntnisteile und dem Werkteile des Veda, oder der höhern und niedern Wissenschaft in Muṇḍ. 1,1,4-6, entsprechen.


2 So nach Ça kara zu Brahmasûtra 1,3,13, System des Vedânta S. 214. (Mit dem ebendaselbst in der Anmerkung erwähnten Quidam stimmt überein der Kommentator der Praçna-Upanishad. Kann dieser also wohl Ça kara sein?)

Quelle:
Sechzig Upanishads des Veda. Darmstadt 1963 [Nachdruck der 3. Aufl. Leipzig 1921], S. 569-570.
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