Achter Khaṇḍa.

[795] Die Identität des Nṛisiṅha-Âtman und des Om-Lautes wird dadurch erwiesen, dass beide ota, anujñâtṛi, anujñâ, avikalpa sind. Im strengsten Sinne ist der Âtman allerdings nur avikalpa, und wenn er daneben auch als nicht-avikalpa bezeichnet wird, so liegt darin doch kein Widerspruch, weil (wie der folgende, letzte Abschnitt näher ausführen wird) das, was ihn zum nicht-avikalpa macht, keine Realität besitzt.


Weiter wird durch den Turîya [und seine vier Bestimmungen, ota, anujñâtṛi, anujñâ, avikalpa, die Einheit von Âtman und Om erwiesen].

a. Eingewoben und verwoben [der Welt] ist jener Âtman, der Löwe. Denn in ihm ist diese ganze Welt; denn er ist das Selbst von allem, er ist alles. Und doch ist er [in Wahrheit] nicht eingewoben, denn dieser Âtman ist zweitlos, einzig und ohne Unterschiede. Denn das Ding ist kein Seiendes, sondern er, der gleichsam eingewobene, ist ganz Sein, ganz Denken, ganz Wonne, nur einen Geschmack habend, unfassbar, ohne irgendeinen Zweiten.

Eingewoben und verwoben ist auch der Om-Laut; denn wenn man gefragt wird: ist es so? ist es nicht so? so antwortet man mit »Om« (Ja). Der Om-Laut ist ja die Rede; Rede aber ist diese ganze Welt; denn es gibt nichts hier, was nicht seine Benennung hätte. Auch ist der Om-Laut aus Denken bestehend; aus Denken bestehend aber ist die ganze Welt.[795]

Darum ist in dem höchsten Gotte dies beides [Âtman und Om] eins. Das ist das Unsterbliche, das Furchtlose, das Brahman. Denn Brahman ist das Furchtlose; zu dem furchtlosen Brahman wird, wer solches weiss. So die Geheimlehre.

b. Bejaher ist jener Âtman; denn er bejaht sein Selbst als [das Selbst] der ganzen Welt. Denn an sich ist diese Welt nicht selbsthaft. Und doch ist er [in Wahrheit] nicht eingewoben und nicht Bejaher; denn es haftet ihm nichts an, und er ist unwandelbar, da ausser ihm kein Seiendes ist.

Bejaher ist auch der Om-Laut, denn man bejaht mit dem Worte »Om« (Ja). Der Om-Laut ist ja die Rede; die Rede aber bejaht diese ganze Welt. Auch ist der Om-Laut aus Denken bestehend; das Denken (Geist, cit) aber macht diese ganze wesenlose Welt wesenhaft.

Darum ist in dem höchsten Gotte dies beides [Âtman und Om] eins. Das ist das Unsterbliche, das Furchtlose, das Brahman. Denn Brahman ist das Furchtlose; zu dem furchtlosen Brahman wird, wer solches weiss. So die Geheimlehre.

c. Bejahung als einzigen Geschmack habend ist jener Âtman. Denn er ist ganz aus Erkenntnis bestehend. Denn er ist vor dieser ganzen Welt herrlich auf leuchtend; darum ist er ganz aus Denken (Geist) bestehend. Und doch ist er [in Wahrheit] nicht eingewoben und nicht Bejaher [also auch nicht Bejahung]; denn nur sofern sie Âtman ist, ist diese Welt ein Seiendes.

Bejahung als einzigen Geschmack habend ist auch der Om-Laut, denn man bejaht mit dem Worte »Om« (Ja). Der Om-Laut ist ja die Rede, denn die Rede ist es, welche bejaht. Auch ist der Om-Laut aus Denken bestehend, denn das Denken ist es, welches bejaht.

Darum ist in dem höchsten Gotte dies beides [Âtman und Om] eins. Das ist das Unsterbliche, das Furchtlose, das Brahman. Denn Brahman ist das Furchtlose; zu dem furchtlosen Brahman wird, wer solches weiss. So die Geheimlehre.

d. Indifferenz ist jener Âtman, weil er ohne Zweiten ist.

Indifferenz ist auch der Om-Laut, weil er ohne Zweiten ist; denn ganz aus Denken bestehend ist der Om-Laut.[796]

Darum ist in dem höchsten Gotte dies beides [Âtman und Om] eins.

Unterschiedlos ist er und doch nicht unterschiedlos; und darin ist keine Spaltung (kein Widerspruch); denn in ihm ist keine Spaltung. Wer in ihm gleichsam eine Spaltung annimmt, der wird, hundertfach und tausendfach gespalten, »von Tod zu Tode verstrickt« (Bṛih. 4,4,19).

Darum ist dieses zweitlose, selbstleuchtende Hochwonnige der Âtman. Das ist das Unsterbliche, das Furchtlose, das Brahman. Denn Brahman ist das Furchtlose; zu dem furchtlosen Brahman wird, wer solches weiss. So die Geheimlehre.

Quelle:
Sechzig Upanishads des Veda. Darmstadt 1963 [Nachdruck der 3. Aufl. Leipzig 1921], S. 795-797.
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