Siebenter Khaṇḍa.

[792] Drei Abschnitte, welche die Identität des Âtman und Brahman in spielender Weise durch das Wort Om und den Nṛisiṅha beweisen sollen. 1) a ist Âtman, m ist wieder der Âtman, u ist der Löwe, der beide verbindet. – 2) a ist Âtman, m ist Brahman, welche beide der Laut u zusammenbindet. – 3) a ist Brahman, m der Âtman, beide durch u verbunden. – Dazwischen sind verschiedene Gedanken eingeschoben, welche, an sich sehr bedeutend, doch in diesem Zusammenhang einen fremdartigen Eindruck machen und vielleicht anderswoher herübergenommen sind.


1) a – u – m = Âtman – Löwe – Âtman.


Es begab sich, dass die Götter zu Prajâpati sprachen: Belehre uns weiter, o Erhabener. – So sei es, sprach er.

Man soll den Âtman, weil er ungeboren, nichtalternd, nichtwelkend, nichtsterbend, furchtlos, kummerlos, verblendungslos, hungerlos, durstlos und zweitlos ist [und alle diese zehn Prädikate im Sanskrit mit a beginnen], mittels des a-Lautes aufsuchen, – sodann den höchsten Löwen, weil er erhaben, erzeugend, von oben her eingegangen, aufrichtend, hochschauend, hochwirkend, hochfahrend, hocherleuchtend, hochschwärmend und wandlungserhaben ist [und alle diese zehn Prädikate im Sanskrit mit u beginnen], mittels des u-Lautes aufsuchen, – hierauf den Âtman als a-Laut, indem man das Vorderteil des u-Lautes heranholt, zum Löwen machen, – weiter, indem man mit dem Hinterteile [des u-Lautes] jenen Löwen heranholt, ihn wiederum mit jenem Âtman, weil er gross, machtvoll, massvoll, erlöst, hochgöttlich, hochherrlich, hochwesentlich, hochgeistig,[792] hochwonnig und hochgebietend ist [und alle diese zehn Prädikate im Sanskrit mit m beginnen], mittels des halben m-Lautes einsmachen.

Körperlos, organlos, odemlos, finsternislos, nur aus Sein, Denken und Wonne bestehend, wird der zum Selbstherrn, wer solches weiss!


2) a – u – m = Âtman – Bejahungslaut – Brahman.


Fragt man jemanden: wer bist du? so antwortet er: aham (Ich). Ebenso alles, was vorhanden ist. Darum ist aham (Ich) ein Name für alles (Bṛih. 1,4,1). Sein Anfangsbuchstabe und der a-Laut [in Om] ist derselbige, denn der [durch den a-Laut von Om bezeichnete] Âtman ist alles, denn er ist allem innerlich, denn alles dieses kann nicht sein, ohne einen Âtman (ein Selbst, ein Wesen) zu haben, alles dieses ist also Âtman. Darum soll man mittels des das Selbst von allem ausdrückenden a-Lautes den das Selbst von allem seienden Âtman erforschen.

Ferner ist alles dieses (diese ganze Welt) das aus Sein, Denken und Wonne bestehende Brahman. Denn alles dieses ist aus Sein, Denken und Wonne bestehend. Nämlich erstlich ist alles dieses seiend; denn man sagt [von allem Vorhandenen]: dieses ist ein Seiendes. Weiter ist auch alles dieses Denken (Geist, cit), denn es scheint und erscheint [ist Vorstellung]. Fragt ihr: was heisst »seiend«, so lautet die Antwort: es ist die Innewerdung, dass dieses ist und dieses nicht ist. Aber was ist die Innewerdung? Sie ist dieses und ist dieses nicht, so kann man, nicht mit Worten sondern nur durch die Innewerdung selbst, antworten.1 Ebenso kann man das Denken und die Wonne nicht durch Worte erklären, sondern nur verstehen, indem man sie inne wird. So muss auch alles andere in der Welt [das Denken und die Wonne, aus dem es besteht, selbst inne werden]. Dies ist die höchste Wonne. – Jenes Brahman also [dessen Wesenheit man so innerlich erleben[793] muss] heisst [im Nominativ] brahma. Seine Endsilbe und [in Om] der m-Laut [der ma-Laut, wie er im Sanskrit heisst] ist derselbige. Darum soll man mittels des m-Lautes [ma-Lautes] das höchste Brahman erforschen. Wird gefragt: ist dieses also [ist das Brahman der Âtman]? so antwortet man ohne zu zweifeln: u [was hier »ja« bedeuten soll2]. Darum soll man mit dem a-Laut den Âtman aufsuchen und ihn mit dem m-Laut als Brahman durch den u-Laut, ohne zu zweifeln, verbinden.

Körperlos, organlos, odemlos, finsternislos, nur aus Sein, Denken und Wonne bestehend, wird der zum Selbstherrn, wer solches weiss!


3) a – u – m = Brahman – Bejahungslaut – Âtman.


Diese ganze Welt ist Brahman, weil sie ewig ist, [und dieses] weil sie ugra, vîra, mahat, vishṇu, jvalat, sarvatomukha, nṛisiṅha, bhîshaṇa, bhadra, mṛityumṛityu, namâmi und aham ist; das Brahman aber ist dieses Ewige, weil es [gleichfalls] ugra, vîra, mahat, vishṇu, jvalat, sarvatomukha, nṛisiṅha, bhîshaṇa, bhadra, mṛityumṛityu, namâmi und aham ist. Darum soll man, nachdem man mit dem a-Laute das höchste Brahman gesucht hat, mit dem m-Laute den [Âtman als] Förderer des Manas und der Organe und [als] Zuschauer des Manas und der Organe suchen. – [Zwischenbemerkung über den Âtman:] Wenn derselbe [einschlafend] das Weltall nicht beaufsichtigt, dann geht das Weltall in ihn ein; und wenn er wieder erwacht, dann erhebt sich aus ihm das Weltall. Nachdem er so das Weltall aus sich herausgesetzt und es [wieder] an sich gezogen, zermalmt, verbrannt, verzehrt hat, so gibt er [abermals] sein Selbst dahin [als das Selbst] der Dinge und beharrt dabei trotzdem3 als überugra, übervîra, übermahân, übervishṇu, überjvalan, übersarvatomukha, übernṛisiṅha, überbhîshaṇa, überbhadra, übermṛityumṛityu, übernamâmi, überaham »in seiner eigenen Majestät« (Chând. 7,24,1). – Darum soll man diesen[794] [Âtman als m-Laut] mit dem höchsten Brahman als Inhalt des a-Lautes durch den u-Laut, ohne zu zweifeln, verbinden.

Körperlos, organlos, finsternislos, nur aus Sein, Denken und Wonne bestehend, wird der zum Selbstherrn, der solches weiss!

Darüber ist dieser Vers:


Zum Horn (a) das Halbhorn (u) herholend,

Verbinde man es (u) mit dem Horn (a);

Und ebenso durch dies (u) binde

Im letzten Horn (m) man jenes Horn (a).


Fußnoten

1 Vgl. Bṛih. 3,4,2, oben S. 436. Ähnlich wie dort Ushasta, meint Weber (Ind. Stud. IX, 157): »nun, das nennt man wenigstens sich billig abfinden!« – Yâjñavalkya mag auch ihm antworten.


2 U-kârasya avadhâraṇa-arthatvam loka-prasiddham, Schol.


3 Vgl. zu diesem Gedanken Bṛih. 5,1, oben S. 488.

Quelle:
Sechzig Upanishads des Veda. Darmstadt 1963 [Nachdruck der 3. Aufl. Leipzig 1921], S. 792-795.
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