Erster Khaṇḍa.

[779] Zunächst wird, im Anschluss an eine Stelle aus Mâṇḍûkya, der Om-Laut als die Einheit hingestellt, in welcher Brahman (Objektives) und Âtman (Subjektives) zusammenfliessen. Beide, Brahman und Âtman, sind (wie wiederum in Fortbildung der Theorie der Mâṇḍ. Up. von den vier Zuständen des Âtman entwickelt wird): 1) grob (Welt des Wachens, – Wachen), 2) fein (Traumwelt, – Träumen), 3) einheitlich (Samenwelt, – Tiefschlaf), 4) Turîya, Zuschauer, das reine Subjekt des Erkennens. Jeder der drei ersten Zustände ist caturâtman, »vierwesentlich«, d.h. versetzt mit den drei andern Zuständen, so dass jeder derselben a) Grobes, b) Feines, c) den Samen, d) den Zuschauer enthält. Eine andre Vierteilung findet im Turîya statt, indem derselbe a) ota, b) anujñâtṛi, c) anujñâ, d) avikalpa ist; auch die drei ersten Zustände haben teil an diesen vier Bestimmungen, durch die sie in den Turîya einmünden. Nur die letzte dieser Bestimmungen (avikalpa) ist vollkommen frei von der Illusion des Weltlebens.


Om!


Es begab sich, dass die Götter zu Prajâpati sprachen: Als jenen feiner als das Feine seienden Âtman erkläre uns den Om-Laut. – So sei es, sprach er.1[779]

»Om! diese Silbe ist die ganze Welt. Ihre Erläuterung ist wie folgt. Das Vergangene, das Gegenwärtige und das Zukünftige, dieses alles ist der Laut Om. Und was ausserdem noch über die drei Zeiten hinausliegend ist, auch das ist der Laut Om. Denn dies alles ist Brahman, Brahman aber ist dieser Âtman.«

Indem man diesen Âtman durch das Wort Om mit Brahman eins macht, und das Brahman mit dem Âtman durch das Wort Om eins macht, geniesse man jenes Eine, Alterlose, Unsterbliche, Furchtlose in dem Worte Om, versenke in dasselbe diese ganze dreikörperliche Welt, – denn aus ihm, so wisse man, besteht dieselbe, – und fasse sie zusammen in dem Worte Om. Dabei soll man den dreikörperlichen Âtman und das dreikörperliche höchste Brahman miteinander verknüpfen, sofern dieses grob ist und jener Grobes geniesst, dieses fein ist und jener Feines geniesst, dieses einheitlich ist und jener die Wonne geniesst.

»Dieser Âtman ist vierfach. Der im Stande des Wachens befindliche«, Grobes erkennende, »siebengliederige, neunzehnmündige, das Grobe geniessende«, vierwesentliche Viçva, Vaiçvânara ist sein erstes Viertel. – Der im Stande des Träumens befindliche«, Feines erkennende, »siebengliederige, neunzehnmündige«, das Feine geniessende, vierwesentliche »Taijasa«, Hiraṇyagarbha »ist sein zweites Viertel. – Der Zustand, wo er eingeschlafen keine Begierde mehr empfindet und kein Traumbild schaut, ist der Tiefschlaf. Der im Stande des Tiefschlafes befindliche, einsgewordene, durch und durch ganz aus Erkenntnis bestehende, aus Wonne bestehende, die Wonne geniessende, das Bewusstsein als Mund habende«, vierwesentliche »Prâjña«, Îçvara ist sein drittes Viertel. Er ist der Herr des Alls, er ist der Allwissende, er ist der innere Lenker, er ist die Wiege des Weltalls, denn er ist Schöpfung und Vergang der Wesen.«

Alle diese drei sind in Wahrheit nur Tiefschlaf, Traum und blosse Täuschung; denn der Âtman hat als einzigen Geschmack das Denken. Was aber weiter den Vierten betrifft, so ist auch er vierwesentlich, sofern in dem Turîya (Vierten) jeder der drei andern einmündet vermöge [der ihnen allen einwohnenden[780] Eigenschaften] Eingewoben, Bejaher, Bejahung und Indifferenz. Und auch von diesen sind die drei [ersten] nur Tiefschlaf, Traum und blosse Täuschung; denn er [der Âtman] hat als einzigen Geschmack das Denken. Über ihn ist diese Unterweisung:

Nicht Grobes erkennend und nicht Feines erkennend, noch nach beiden Seiten erkennend, weder bewusst noch unbewusst, auch nicht durch und durch aus Erkenntnis bestehend, unsichtbar, unbetastbar, ungreifbar, uncharakterisierbar, undenkbar, unbezeichenbar, nur in der Gewissheit des eigenen Selbstes gegründet, die ganze Weltausbreitung auslöschend, selig, beruhigt, zweitlos, – das ist [das vierte Viertel], das« eben »ist der Âtman, den« eben »soll man erkennen«, –

und auch der Îçvara (der persönliche Gott) wird verschlungen von dem Turîya (dem Vierten), – von dem Turîya!2

Fußnoten

1 Prajâpati knüpft seine Erörterungen zunächst an die Mâṇḍûkya-Upanishad an, aus der alles in Anführungszeichen Eingeschlossene entlehnt ist.


2 Der Turîya ist der Abgrund, welcher auch die Personifikation des Göttlichen als Îçvara verschlingt. Welche herrliche Lehre für den Okzidentalen, »wäre der Herrscher der Welt nicht auch der Lehre zu gross«. – Weber versteht die Worte îçvara-grâsas turîyaḥ dahin, dass, umgekehrt, der Turîya vom Îçvara verschlungen werde (Ind. Stud. IX, 128. 131). – Auf dieser Stufe des Verständnisses dürfte das (ebenda S. 137 gefällte und von den Kleinen wohlgefällig nachgesprochene) Urteil: »der mystische Tiefsinn wird zum wuchernden Unsinn«, – doch wohl etwas verfrüht sein.

Quelle:
Sechzig Upanishads des Veda. Darmstadt 1963 [Nachdruck der 3. Aufl. Leipzig 1921], S. 779-781.
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