Erster Prapâṭhaka.

[315] Nach einer kurzen Anknüpfung an das Opferritual mit dem üblichen Gedanken, dass dasselbe eine Vorbereitung auf die Erkenntnis des Âtman sei, folgt die Erzählung von dem Könige Bṛihadratha aus dem Geschlechte des Ikshvâku (also wohl der Râmâyaṇa 1,71,7 erwähnte), der seinem Throne entsagt und in den Wald zieht, um Askese zu üben. Zu ihm tritt der verehrungswürdige Çâkâyanya und gewährt ihm einen Wunsch. Als solchen erbittet Bṛihadratha mit einer an Chând. 7,1,3 erinnernden Wendung die Kenntnis des Âtman. Çâkâyanya sträubt sich, wie Yama in Kâṭh. 1, und bietet dem Könige andre (irdische) Wünsche an. Diese lehnt der König ab, indem er die leidvolle Beschaffenheit und die Hinfälligkeit alles Irdischen bejammert. Der Pessimismus ist auch den alten Upanishad's nicht fremd (bahuvyâhito vâ' ayam bahuço lokaḥ, Talav. Up. Br. 3,28,5; ato 'nyad ârtam, Bṛih. 3,4,2. 3,5,1. 3,7,23; anandâ nâma te lokâḥ, Bṛih. 4,4,11. Kâṭh. 1,3. 26-28 usw)., aber Deklamationen über das Elend des Daseins wie diese hier wurden wohl erst nach Ausbildung der Sâ khyalehre und nach dem Aufkommen des Buddhismus Brauch, aus dessen »heiliger Wahrheit vom Leiden« das ishṭaviyoga-anishṭasam-prayoga (1,3 p. 8) vielleicht geradezu herübergenommen ist.


1. Ein Opfer an Brahman in Wahrheit ist das Feuerschichten der Altvordern. Darum soll der Opferspender, nachdem er jene Feuer geschichtet hat, den Âtman überdenken! Dadurch erst wird das Opfer zu einem vollkommenen, fürwahr, und zu einem vollständigen. – Aber wer ist der, den man überdenken soll? – Der, welcher der Prâṇa heisset. Darüber ist diese Erzählung.

2. Es begab sich, dass ein König mit Namen Bṛihadratha, nachdem er seinen Sohn in die Herrschaft eingesetzt hatte, in der Erkenntnis, dass dieser Leib vergänglich ist, sich der Entsagung zuwandte und in den Wald hinauszog. Dort gab er sich der höchsten Kasteiung hin, indem er, in die Sonne schauend und mit emporgereckten [und dadurch absterbenden[315] Armen, dastand. Nach Ablauf von eintausend Tagen nahte sich ihm, [leidenschaftslos] gleichwie eine Flamme ohne Rauch1 und durch seine Glut gleichsam versengend, der des Âtman kundige verehrungswürdige Çâkâyanya. »Stehe auf, stehe auf und wähle dir einen Wunsch!« so sprach er zu dem Könige. Der bezeugte ihm seine Verehrung und sprach: »O Ehrwürdiger! ich bin nicht des Âtman kundig.2 Du kennst seine Wesenheit, wie wir vernommen, diese wollest du uns erklären!« – »Ach, das ist vormals gewesen3; es ist schwer tunlich, diese Frage [zu beantworten]; wähle dir, o Nachkomme des Ikshvâku, andre Wünsche4!« so sprach Çâkâyanya. – Da neigte sich der König mit seinem Haupte bis auf die Füsse desselben und rezitierte folgende Litanei:

3. »O Ehrwürdiger!

In diesem aus Knochen, Haut, Sehnen, Mark, Fleisch, Same, Blut, Schleim, Tränen, Augenbutter, Kot, Harn, Galle und Phlegma zusammengeschütteten, übelriechenden, kernlosen Leibe, – wie mag man nur Freude geniessen!5

In diesem mit Leidenschaft, Zorn, Begierde, Wahn, Furcht, Verzagtheit, Neid, Trennung von Liebem, Bindung an Unliebes, Hunger, Durst, Alter, Tod, Krankheit, Kummer und dergleichen behafteten Leibe, – wie mag man nur Freude geniessen!

4. Auch sehen wir, dass diese ganze Welt vergänglich ist so wie diese Bremsen, Stechfliegen und dergleichen, diese Kräuter und Bäume, welche entstehen und wieder verfallen.

Aber, was rede ich von diesen! Gibt es doch andre, grössere, – mächtige Kriegshelden, einige von ihnen Welteroberer, Sudyumna, Bhûridyumna, Indradyumna, Kuvalayâçva, Yauvanâçva, Vadhryaçva und Açvapati, Çaçabindu und Hariçcandra, Ambarîsha, Nahusha und Çaryâti, Yayâti, Anaraṇya, Ukshasena und andre, ja, auch Könige wie Marutta und[316] Bharata, – sie alle mussten, vor den Augen ihrer Verwandtenschar, ihre grosse Herrlichkeit aufgeben und aus dieser Welt in jene Welt hinüberwandern.

Aber, was rede ich von diesen! Gibt es doch andre, grössere, – Gandharven, Dämonen, Halbgötter, Kobolde, Geisterscharen, Unholde, Schlangen, böse Genien und dergleichen, deren Ausrottung wir sehen.

Aber, was rede ich von diesen! Gibt es doch noch andre Dinge, – Vertrocknung grosser Meere, Einstürzen der Berge, Wanken des Polarsterns, Reissen der Windseile [welche die Sternbilder an den Polarstern binden], Versinken der Erde, Stürzung der Götter aus ihrer Stelle, – in einem Weltlaufe, wo derartiges vorkommt, wie mag man da nur Freude geniessen! Zumal auch, wer ihrer satt ist, doch immer wieder und wieder zurückkehren muss!

Darum errette mich! Denn ich fühle mich in diesem Weltlaufe wie der Frosch in einem blinden [wasserlosen] Brunnenloche. Du, o Ehrwürdiger, bist unsre Zuflucht, – du bist unsre Zuflucht!«

Fußnoten

1 Kâṭh. 4,13.


2 Vgl. Chând. 7,1,3.


3 Also: Die Âtmanlehre ist zur Zeit des Verfassers aus der Mode gekommen. Wodurch wohl anders, als durch die Ausbreitung des Buddhismus? Vgl. auch Gesch. d. Phil. I, 42 fg.


4 Vgl. Kâṭh. 1,21.


5 Vgl. zu der ganzen Rede Kâṭh. 1,26-29.

Quelle:
Sechzig Upanishads des Veda. Darmstadt 1963 [Nachdruck der 3. Aufl. Leipzig 1921], S. 315-317.
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