Zweiter Prapâṭhaka.

[317] Weiter folgt die Belehrung des Bṛihadratha durch Çâkâyanya über den Âtman, welche bis 6,30 fortläuft, während 6,31-7,11 einen Nachtrag bilden. Diese Belehrung besteht darin, dass Çâkâyanya von 2,3 bis 4,6 (nach dem Komm. p. 155,8 und M. Müller bis 6,30; vgl. jedoch den Schluss von 4,6 und die Anmerkung dort) ein ihm von Maitri mitgeteiltes Gespräch wiedererzählt, in welchem die Vâlakhilya (»Kahlköpfe«) genannten Ṛishi's von Kratu Prajâpati (einem der sieben weltschaffenden Ṛishi's und Söhne des Brahman), der nach den Purâna's (Mârk. P. 52,24. Bhag. P. 4,1,39) ihr Vater ist (vgl. 6,29 p. 155,3), belehrt werden.

Der zweite Prapâṭhaka behandelt die Frage, wie der Âtman in den Körper eingeht. Im Anschluss an die Anschauungen der ältern Upanishad's (vgl. Taitt. 2,6. Bṛih. 1,4,7. Chând. 6,3,3. Ait. 1,3,12) und unter vielen, teils wörtlichen, Bezugnahmen auf dieselben (siehe die Anmerkungen) wird erzählt, wie Prajâpati die seelenlosen Leiber schafft und dann als Prâṇa (Leben) in dessen fünf Verzweigungen, prâṇa, apâna, vyâna, samâna, udâna, in sie hineinfährt. Diese letztern werden, im Widerspruch mit den ältern Upanishad's und Ça kara, aber (bis auf den udâna) übereinstimmend mit dem Vedântasâra (§ 94-98), erklärt: prâṇa ist der Odem (beides, Einhauch und Aushauch), apâna der Darmwind, [317] samâna der Verdauungswind, udâna der Wind des Schluckens und Vomierens; vyâna ist das Band zwischen prâṇa und apâna (Atmung und Sekretion), kommt aber zuletzt, weil er auch den udâna voraus setzt. Der Purusha selbst aber (d.h. der Âtman) wird in der Körperwärme (Chând. 3,13,8) und dem Verdauungsfeuer (Bṛih. 5,9) wieder gefunden, wozu als Beleg Bṛih. 5,9 wörtlich zitiert wird. Eben derselbe wird durch ein weiteres Zitat aus Chând. 3,14,2 als das Brahman geschildert, worauf eine an Kâṭh. 3,3-4 angelehnte Schilderung des psychischen Apparates den Abschluss bildet.


1. Da nun aber sprach der ehrwürdige Çâkâyanya sehr erfreut1 zu dem Könige: »O grosser König Bṛihadratha, du Banner des Ikshvâku-Geschlechtes, gar schnell sollst du des Âtman kundig und deines Zweckes teilhaftig werden, – bist du doch weltberühmt unter dem Namen Marut2 (der Wind). Fürwahr, er [der Âtman] ist ja doch dein eignes Selbst (âtman).« – »Welches Selbst meinst du, o Ehrwürdiger?« – Da sprach er zu ihm also:

2. »Derjenige, welcher, ohne dass der Atem stockte, emporgestiegen, entweichend und doch nicht entweichend, die Finsternis verscheucht, das ist der Âtman (das Selbst). Also hat es der verehrungswürdige Maitri erklärt. Denn so sagt die Schrift3: ›Was nun diese Vollberuhigung [die Seele im Tiefschlafe] ist, so erhebt sie sich aus diesem Leibe, gehet ein in das höchste Licht und tritt dadurch hervor in eigner Gestalt, – das ist der Âtman, so sprach der Meister, das ist das Unsterbliche, das Furchtlose, das ist das Brahman.‹

3. Dieses, fürwahr, ist die Lehre vom Brahman, ist die Lehre aller Upanishad's, o König, wie sie uns von dem verehrungswürdigen Maitri erklärt worden ist. Die will ich dir«, so fuhr er fort, »mitteilen. Nämlich da waren die sündefreien, kraftgestählten, zeugungserhabenen Vâlakhilya's, wie berichtet wird. Die sprachen zu Kratu Prajâpati: ›O Ehrwürdiger![318] Dieser Leib ist doch, wie ein Wagen, ohne Bewusstsein. Welches ist nun das übersinnliche Wesen, welches eine solche Macht besitzt, dass es den so beschaffenen Leib mit Bewusstsein erfüllt und aufrichtet und sein Beweger ist? Was du darüber, o Ehrwürdiger, weisst, das wollest du uns sagen!‹ – Da sprach er zu ihnen: 4. ›Derjenige, der, wie es heisst, erhaben über [dem Welttreiben] steht wie die Asketen über den Sinneseindrücken [des Hörens, Fühlens, Sehens, Riechens, Schmeckens], das ist eben der, welcher rein, lauter, entleert, beruhigt, odemlos, selbstlos, endlos, unvergänglich, fest, ewig, ungeboren und frei »auf seine eigne Grösse sich gründet« [wie es Chând. 7,24,2 heisst], und er ist es, der diesen Leib mit Bewusstsein erfüllt und aufrichtet, und der auch sein Beweger ist.‹ – Da sprachen sie: ›O Ehrwürdiger, wie kann von diesem, wenn er ein solcher, gar nicht [dem Welttreiben] angehöriger, ist, dieser so beschaffene [Leib] mit Bewusstsein erfüllt und aufgerichtet werden, und wie kann er sein Beweger sein?‹ – Da sprach er zu ihnen:

5. ›Fürwahr, dieser Subtile, Ungreifbare, Unsichtbare, der da Purusha heisst, kehrt unwissentlich in diesem Leibe ein mit einem Teile von sich, ähnlich wie bei einem Schlafenden das Erwachen unwissentlich erfolgt. Was aber dieser Teil von ihm ist, das ist eben jener rein Geistige, in den einzelnen Menschen Vorhandene, der Örtlichkeit Kundige (kshetrajña), welcher sich bekundet durch das Vorstellen [des Manas], das Entschliessen [der Buddhi] und das Ichbewusstsein [des Aha kâra] als Prajâpati unter dem Namen Viçva [der Individuelle, vgl. Mâṇḍ. 3. Gauḍap. 1,1-4. Vedântasâra § 138]; und durch [ihn als] das Bewusstsein wird dieser Leib mit Bewusstsein erfüllt und aufgerichtet, und er ist auch sein Beweger.‹ – Da sprachen sie: ›O Ehrwürdiger, wenn durch diesen, der ein solcher, gar nicht [dem Welttreiben] angehöriger, ist, dieser so beschaffene [Leib] mit Bewusstsein erfüllt und aufgerichtet wird, und er sein Beweger ist, wie kann das geschehen?‹ – Da sprach er zu ihnen:

6. ›Prajâpati, fürwahr, bestand allein zu Anfang. Er hatte keine Freude, da er allein war [vgl. Bṛih. 1,4,3]. Indem er seine Gedanken auf sich selbst richtete [sich zum Objekt der[319] Erkenntnis machte, vgl. die ἐπιστροφή der Neuplatoniker], schuf er die vielen Geschöpfe. Die sah er bewusstlos und leblos wie einen Stein, regungslos wie einen Baumstamm dastehen. Da hatte er keine Freude. Und er beschloss: ich will, um sie zum Bewusstsein zu erwecken, in sie hineinfahren. Da machte er sich selbst, wie ein Wind ist, und wollte in sie hineinfahren. Aber als einer vermochte er es nicht, [sondern erst] als er sich fünffach geteilt hatte; als solcher wird er Prâṇa, Apâna, Samâna, Udâna, Vyâna genannt. Nämlich derjenige, welcher nach oben hinausgeht, das ist der Prâṇa; und der nach unten geht, das ist der Apâna; und der, durch welche diese beiden zusammengehalten werden, das ist der Vyâna; und [derjenige, welcher], was an der Nahrung der gröbste Bestandteil ist4, zum Apâna abführt, und, [was] der feinste5, in jedes einzelne Glied überführt, das ist der Samâna genannte. Doch ist unter diesen der Vyâna seiner Natur nach der letzte, und auch der Udâna kommt seiner Entstehung nach noch dazwischen.6 Derjenige endlich, welcher das Getrunkene oder Gegessene entweder wieder ausbricht oder herunterschluckt, ist der Udâna.

Nun aber [so wie bei der Somapressung] das Upâṅçu-Gefäss dem Antaryâma-Gefäss, und das Antaryâma-Gefäss dem Upâṅçu-Gefäss gegenübersteht, [und zwischen beiden der den Soma auspressende Upâṅçusavana-Stein liegt,] so hat zwischen jenen beiden [Prâṇa und Apâna, welche dem Upâṅçu-Gefässe und Antaryâma-Gefässe verglichen wer den7] der Gott die [dem Soma, der mittels des, dem Vyâna entsprechenden8, Upâṅçusavana-Steines gekeltert wird, vergleichbare] Hitze erzeugt [eigentlich: gekeltert], und diese Hitze ist der Purusha, der[320] Purusha aber ist der Agni Vaiçvânara. Darum heisst es an einer andern Stelle: »Dieses ist das Feuer Vaiçvânara (das allen Menschen gemeinsame), welches hier inwendig im Menschen ist, durch welches diese Nahrung verdaut wird, die man so isst. Von ihm rührt jenes Geräusch her, welches man höret, wenn man sich so die Ohren zuhält. – Wenn er [der Âtman] im Begriffe steht, auszuziehen, so hört man jenes Geräusch nicht [mehr]« (Bṛih. 5,9; vgl. Chând. 3,13,8).

Indem er [Prajâpati] also sich fünffach teilte, barg er sich in der Höhle [des Herzens]. »Geist ist sein Stoff, Leben sein Leib, Licht seine Gestalt, sein Ratschluss ist Wahrheit, sein Selbst der Äther« [wie es Chând. 3,14,2 heisst]. Er aber, aus diesem Herzensinnern heraus, da er seinen Zweck noch nicht erreicht hatte, verlangte: »Ich will die Objekte geniessen!« Darum brach er diese Löcher (Kâṭh. 4,1), trat durch sie heraus und geniesst mittels der fünf Zügel die Sinnendinge. Nämlich was diese Erkenntnissinne (buddhi-indriyâṇi) sind, das sind seine Zügel, und die Tatsinne (karma-indriyâṇi) sind seine Rosse, sein Wagen ist der Leib, das Manas der Wagenlenker, aus Prakṛiti bestehend ist seine Peitsche9; denn von die ser angetrieben, tummelt er sich um als dieser Leib, wie ein Rad [angetrieben] vom Töpfer (vgl. Çvet. 1,6), und so wird dieser Leib mit Bewusstsein erfüllt und aufgerichtet, und ebenso ist er sein Beweger.

7. Dieser Âtman, fürwahr, wird in dieser Welt, wie die Weisen lehren (uçanti, vgl. ishṭam, δόγμα), von den hellen und dunkeln Früchten der Werke nicht überwältigt (vgl. Kaush. 3,8, oben S. 50. Chând. 4,14,3, S. 127. Taitt. 2,9, S. 233. Bṛih. 4,4,22 usw.). Nur gleichsam (iva) durchwaltet er die einzelnen Leiber, weil er unoffenbar, subtil, unsichtbar, ungreifbar, selbstlos (nirmama) ist. Standortlos, hat er in dem Nichtrealen als Täter, obgleich er Nichttäter ist, seinen Standort. Aber als rein, fest, unwankbar, unbefleckbar, unentwegt, unbegehrend »steht er da, wie ein Zuschauer, in sich selbst[321] stehend«.10 Die Erfüllung [d.h. die Vergeltung der Werke] geniessend (ṛitabhuk, vgl. Kâṭh. 3,1 ṛitam pibantau), sich selbst verstrickend in das aus den Guṇa's [Sattvam, Rajas, Tamas] geflochtene Gewebe, so steht er da, – so steht er da.‹

Fußnoten

1 Vgl. Kâṭh. 1,15-16. 2,9.


2 Auch 6,30 p. 162 heisst der König Marut. Bṛihadratha kommt im Ṛigveda nur als Beiwort der Ushas, nicht der Marut's vor, welche nur vidyudratha, pṛishadaçva u. dgl. heissen. Vielleicht liegt eine Verwechslung dieser Epitheta vor.


3 Chând. 8,3,4, welche Stelle also hier, wie es scheint, von Maitri zitiert wird.


4 yo 'yam sthavishṭho dhâtur annasya, in Anlehnung an Chând. 6,5,1: (annasya) yaḥ sthavishṭho dhâtus, tat purîsham bhavati.


5 Es ist vielmehr der mittlere, welcher nach Chând. a.a.O. zu Fleisch wird.


6 Dieser vielleicht interpolierte Satz soll erklären, warum der Vyâna in der Aufzählung vorher zuletzt steht.


7 Der Kommentator zitiert hierzu die Stelle Maitr. Samh. 4,5,6 (p. 72 Schr).: »Der Prâṇa und Apâna, fürwahr, sind der Upâṅçu und der Antaryâma, und der Vyâna ist der Upâṅçusavana, weil jene beiden Schöpfgefässe diesem Presssteine bis zur dritten Kelterung hin nicht von der Seite kommen.«


8 Der Kommentator zitiert hierzu die Stelle Maitr. Samh. 4,5,6 (p. 72 Schr).: »Der Prâṇa und Apâna, fürwahr, sind der Upâṅçu und der Antaryâma, und der Vyâna ist der Upâṅçusavana, weil jene beiden Schöpfgefässe diesem Presssteine bis zur dritten Kelterung hin nicht von der Seite kommen.«


9 Das ganze Bild ist, mit Modifikationen, entlehnt aus Kâṭh. 3,3-4, wo der Âtman Wagenfahrer, der Leib Wagen, die Buddhi Wagenlenker, das Manas Zügel, die Sinne Rosse, die Sinnendinge ihre Bahn sind.


10 prekshakavad avasthitaḥ, svasthaçca, vgl. Sâ khya-kârikâ, Vers 65: prakṛitim paçyati purushaḥ, prekshakavad avasthitaḥ, susthaḥ.

Quelle:
Sechzig Upanishads des Veda. Darmstadt 1963 [Nachdruck der 3. Aufl. Leipzig 1921], S. 317-322.
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