6,31-32: Der Âtman und die Organe.

[353] Ähnlich wie in der (vielleicht dem Verfasser vorschwebenden) Stelle Kena 1, wird der Âtman als der geschildert, welcher in Gestalt der Sinne auszieht und ebendieselben zügelt. Aber nicht nur die Sinne, sondern ebenso sehr alle durch dieselben aufgefassten Objekte sind ihrem Wesen nach Âtman, wie durch mehrere Zitate bekräftigt wird.


31. Woraus bestehend wandern diese Sinnesorgane in die Ferne? Wer ist es, der in ihnen auszieht [udgantâ, nicht udgamayitâ] und der sie zügelt? Das ist die Frage. Und die Antwort lautet: aus dem Âtman bestehen sie; denn der Âtman ist es, der in ihnen auszieht und der sie zügelt. Nämlich da sind die Apsaras' [die verführerischen Objekte], und da sind die von der [Âtman-]Sonne ausgehenden Lichtwellen; und mit fünf Strahlen derselben [mit den Sinnesorganen] zehrt sie an den Objekten. Fragt ihr, welches dieser Âtman sei? Nun, es ist der, von welchem es bereits hiess (2,4, oben S. 319), dass er nach seinen Merkmalen »rein, lauter, entleert, beruhigt« usw. sei, und welcher nur durch die ihm eigentümlichen Kennzeichen aufgefasst werden kann. Und als sein, des Kennzeichenlosen, Kennzeichen geben die einen an, dass er sei, was an dem Feuer die durch [die Körper] ziehende Hitze (vgl. oben 6,27, S. 349), und was an dem Wasser der lieblichste [d.h. reinste] Geschmack ist, und andre geben als sein Kennzeichen Rede, Ohr, Auge, Manas und Prâṇa an [der Scholiast verweist auf die Stelle: »des Hörens Hören« usw. Kena 2 Bṛih. 4,4,18], und wieder andre: Vernunft, Beharrlichkeit, Erinnerung, Bewusstsein (vgl. Ait. 3,2, oben S. 20). Aber[353] diese alle verhalten sich zu ihm wie hier zu dem Samen die Pflanze, oder wie zu dem Feuer der Rauch, die Flamme und die Funken. Hierzu zitieren sie die Stelle (6,26, oben S. 348):


Und gleichwie aus dem Feuer sprühn die Funken,

Wie Strahlen aus der Sonne, so bei ihm hier

Gehn wiederum die Lebenshauche alle

Hervor aus jenem nach der Reihenfolge.


32. Fürwahr, aus eben diesem gehen in ihm selbst [wenn nicht âtmanas zu lesen ist] hervor »alle Lebenshauche, alle Welten, alle Veden, alle Götter und alle Wesen; seine Upanishad (Geheimname) ist: die Realität der Realität« (Bṛih. 2,1,20). Und »gleichwie, wenn man ein Feuer mit feuchtem Holze anlegt, die Rauchwolken sich rings verbreiten, ebenso, fürwahr, ist aus diesem grossen Wesen ausgehaucht worden der Ṛigveda, der Yajurveda, der Sâmaveda, die [Lieder] der Atharvan's und der A giras', die Erzählungen, die Geschichten, die Wissenschaften, die Geheimlehren, die Verse, die Sinnsprüche, die Auseinandersetzungen und Erklärungen, – alle diese sind aus ihm ausgehaucht [viçvâ bhûtâni wohl nur alter Lesefehler für viçvasitâni] worden« (Bṛih. 2,4,10).

Quelle:
Sechzig Upanishads des Veda. Darmstadt 1963 [Nachdruck der 3. Aufl. Leipzig 1921], S. 353-354.
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