6,18-30: Der Yoga und seine Frucht. Eingang des Bṛihadratha zur Vollendung.

[342] Den Schluss der Belehrungen, welche Çâkâyanya dem Bṛihadratha erteilt, bildet naturgemäss die praktische Philosophie, worunter, dem Geiste der Upanishadlehre entsprechend, nicht irgendwelche Ethik,[342] sondern nur der Weg verstanden werden kann, welcher zum höchsten Ziele führt. Dieses Ziel ist Erkenntnis des Âtman und, auf Grund derselben, Einswerdung mit dem Âtman. Bei der Erkenntnis steht der Âtman dem erkennenden Subjekte immer noch als ein Andres, Objektives gegenüber. Erst indem diese Zweiheit schwindet, wird der vijñânamaya âtman zum ânandamaya (Taitt. 2), und es tritt ein Zustand ein, welcher im Gegensatze zu dem des Wachens, Träumens, Tiefschlafes von unsrer Upanishad (in Übereinstimmung mit Mâṇḍûkya-Up. 7) der vierte (turya, turîya) genannt wird. Die Möglichkeit dieses Zustandes, ja die Berechtigung desselben ist nach Analogien des Christentums und des Neuplatonismus nicht zu bezweifeln. – Bedenklicher (weil künstlich, und weil alles Künstliche als solches schon gewissermassen unecht ist) ist die in Indien aus den Upanishadgedanken von der überintellektuellen Einswerdung mit dem Âtman hervorgegangene, Yoga (»Anschirrung, Ins-Werk-Setzung«) genannte Praxis, diesen überintellektuellen Zustand durch Zurückziehung der Organe von der Aussenwelt, Anhalten des Atmens usw. künstlich herbeizuführen. Da eine ganze Reihe späterer Upanishad's die Verherrlichung des Yoga bezweckt, auch ein eignes philosophisches System ihm gewidmet ist, so fehlt es nicht an Mitteln, diese absonderliche Erscheinung der indischen Kultur zu studieren, und man wird wohltun, sie in ihrem ganzen Zusammenhange kennen zu lernen, ehe man zu ihrer Beurteilung schreitet. Was unsre Upanishad darüber bietet, ist nächst Kâṭh. 6,6-13 und Çvet. 2,8-15 vielleicht das älteste Vorhandene und noch ziemlich unentwickelt und unabgeklärt. Statt der acht »Glieder« des Yoga, welche das System kennt (Yogasûtra 2,29), werden, mit Auslassung der drei vorbereitenden und unter Hinzufügung von tarka, folgende sechs aufgezählt: prâṇâyâma, Regelung des Atmens, pratyâhâra, Zurückziehung der Organe von den Sinnendingen, dhyânam, Meditation, dhâraṇâ, Fixierung des Denkens, tarka, Kontrollierung dieses Fixierens, samâdhi, Versenkung. Auf diesem Wege gelangt man zur Freiheit nicht nur von der Aussenwelt, sondern auch von dem eignen (individuellen) Selbst, was mit einem neuen und kühnen Ausdrucke nirâtmakatvam genannt wird, – gelangt man von dem çabdabrahman, (der Silbe om, im weitern Sinne dem ganzen Veda) zum açadbdabrahman, welches nicht mehr erkennbar, aber, nach einigen, im Ohrensausen oder in der Körperwärme unmittelbar wahrnehmbar ist. Dieses açabdabrahman ist Brahman, ist Vishnu und ist Rudra, und der Weg zu ihm durch die hier zuerst genannte sushumnâ, durch Durchdringung des Herzensäthers, durch Ablösung der Taitt. 2 aufgezählten Schichten, wird in phantastischer, wenig zusammenstimmender Weise beschrieben.

Am Ende des Gespräches folgen die üblichen Ermahnungen, diese Lehre keinem Unwürdigen mitzuteilen und eine Schilderung des Erlösten und seiner Freiheit gegenüber der Unfreiheit der andern. Nach einer etwas dunkeln Polemik, betreffend, wie es scheint, die vom Sâ khyastandpunkte aus unentschieden bleibende Frage, ob eigentlich die Prakṛiti oder der Purusha erlöst werde, endet mit 6,30 die Erzählung von Bṛihadratha mit der Beschreibung seines Einganges zur Vollendung.
[343]

18. Folgendes ist die Ordnung zur Bewerkstelligung derselben [der Einheit]: Anhalten des Atems, Zurückziehung der Sinnesorgane, Meditation, Fixierung des Denkens, Kontrollierung derselben und Versenkung; dieses wird der sechsgliedrige Yoga genannt. Hierdurch geschieht es, dass (bis auf den Schluss Muṇḍ. 3,1,3):


Wenn ihn der Seher schaut, wie Goldschmuck strahlend,

Den Schöpfer, Herrn und Geist, die Brahmanwiege,

Dann gibt der Weise Gutes auf und Böses,

Einsmachend alles in dem Ew'gen, Höchsten.


Denn so heisst es:


Wie, wenn in Flammen ein Berg steht,

Wild und Vögel weg von ihm fliehn,

So fliehen allezeit Sünden

Weg von dem, welcher Brahman kennt.


19. Und an einem andern Orte heisst es: ›Fürwahr, wenn der Wissende, nach aussen zu das Manas zurückhaltend und die Sinnendinge als Prâṇa in sich zur Ruhe bringend, ohne Vorstellen infolgedessen besteht, dann soll er, weil doch die Prâṇa genannte individuelle Seele hier entstanden ist aus dem, was nicht Prâṇa ist, darum als Prâṇa den Prâṇa in dem, was turyam (das Vierte) genannt wird (Mâṇḍûkya-Up. 7 fg)., niederhalten.‹ Denn so heisst es:


Was unbewusst im Bewusstsein

Weilt, undenkbar, geheimnisvoll,

Darin Bewusstsein eintauche

Und das Li gam, des Grunds beraubt.7


20. Und an einem andern Orte heisst es: ›Noch eine höhere Fixierung (dhâraṇâ) besteht darin, dass man, indem man die Zungenspitze gegen den Gaumen presst und Rede, Manas und Atem unterdrückt, das Brahman mittels der Kontrollierung[344] (tarka, dieser Übung) schaut.‹ Wer so durch sein Selbst das Selbst, feiner als das Feine erglänzend, unter Schwinden des Manas, sieht, der, indem er durch sein Selbst das Selbst gesehen, wird selbstlos (nirâtman), und vermöge der Selbstlosigkeit ist er als unmessbar und grundlos zu denken. – Dieses ist das, Erlösung bedeutende, höchste Geheimnis. Denn so heisst es:


Durch Lautermachung des Denkens

Tilgt gutes er und böses Werk.

Mit lauterm Selbst im Selbst weilend,

Wird er teilhaftig ewiger Lust.


21. Und an einem andern Orte heisst es: ›Eine Ader steigt empor, die heisst Sushumnâ, die Geleiterin des Prâṇa, zwischen den Gaumenseiten abgesondert [in der uvula? vgl. Taitt. 1,6, oben S. 219]; auf dieser, die vereinigt ist mit dem Prâṇa, dem Laute Om und dem Manas, steige er empor, und indem er zum Gaumen hin die [Zungen-]Spitze kehrt und die Sinnesorgane zur Einheit zusammenfasst (samyojya), schaut er als Grösse die Grösse (vgl. Chând. 7,24,1)‹; dadurch gelangt er zur Entselbstigung (nirâtmakatvam), und wegen der Entselbstigung ist er dann nicht teilhaft der Lust oder des Schmerzes, sondern er erlangt die Absolutheit (kevalatvam). Denn so heisst es:


Dann aber, vorher stillstehend

Des eingehaltnen Odems Wind,

Durchbricht die Schranke, wird eins er

Am Haupt mit dem, was schrankenlos.


22. Und an einem andern Orte heisst es: ›Fürwahr, zwei Brahman's sind zu überdenken, das Wort und das Nichtwort; und eben durch das Wort wird das Wortlose offenbar gemacht.‹ Hier bedeutet das Wort den Laut Om; durch diesen emporgestiegen [vgl. Praçna 5], gelangt man in dem Nichtworte zur Vernichtung. Denn weiter heisst es: ›Dieses ist der Weg, ist das Unsterbliche, ist die Vereinigung und so die Seligkeit.‹ Nämlich gleichwie eine Spinne am Faden emporklimmend [aus dem Verliess, in welches sie hinabgestiegen, wieder] ins Freie gelangt, so, fürwahr, gelangt der Meditierende, durch den Laut Om emporsteigend, zur Freiheit.[345]

In andrer Weise glauben vorzügliche Lehrer des Wortbrahman, wenn sie das Ohr mit dem Daumen schliessen (Chând. 3,13,8, vgl. Bṛih. 5,9), das Geräusch des Äthers, der im Herzen ist (Chând. 8,1,1), zu vernehmen. Siebenfach ist dessen Ähnlichkeit, nämlich mit Strömen, mit einem Glöcklein, mit einem Blechtopfe, einem Rade, mit Froschgequake [bheka-viḥkṛindhikâ, wohl korrumpiert], mit Regen, mit dem Reden in einem geschlossenen Raume. Dieses, individuelle Bestimmungen (zu pṛithag vgl. Chând. 5,18,1) an sich tragende, [Wort-Brahman] überschreitend, gehen sie in dem höchsten, wortlosen, unoffenbaren Brahman unter; daselbst sind sie ohne individuelle Eigenschaften, ohne individuelle Unterschiede gleichwie die zum Honigseim eingegangenen mannigfachen Blumensäfte (Chând. 6,9,1). Denn so heisst es (Mahâbh. 12, 8540; cf. Brahmavindu 17. Sarvadarçanasamgraha p. 147,2):


Zwei Brahraman's muss der Mensch kennen,

Das Wortbrahman und das zuhöchst;

Wer bewandert im Wortbrahman,

Erreicht das höchste Brahman auch.


23. Und an einem andern Orte heisst es: ›Das Wort (-brahman) ist die Silbe Om; aber die Spitze desselben ist dasjenige, welches beruhigt, wortlos, furchtlos, kummerlos, Wonne, gesättigt, fest, unbeweglich, unsterblich, unerschütterlich, stetig, den Namen Vishṇu trägt und zur Erhabenheit über alles führt; darum soll man diese beiden verehren!‹ Denn so heisst es:


Der höh're Gott und der nied're,

Der da Om-Laut mit Namen heisst,

Der wortlose, wesensleere,

Den meditiert am höchsten Ort.


24. Und an einem andern Orte heisst es (vgl. Muṇḍ. 2,2,3-4): ›Der Leib ist der Bogen, die Silbe Om der Pfeil, das Manas seine Spitze, die Finsternis [des Nichtwissens] das Ziel; indem man die Finsternis durchbohrt, gelangt man zu dem nicht mit Finsternis Behafteten (vgl. Chând. 8,4,1 sakṛidvibhâtam und Kâṭh. 5,15); und wer so das mit ihr Behaftete durch bohrt hat, der hat geschaut, einem schimmernden Funkenkreise8[346] vergleichbar, das sonnenfarbige, krafterfüllte, finsternisjenseitige (Vâj. Samh. 31,18; tamasaḥ paryam scheint Acc. zu sein von tamasaḥ pari, Ṛigv. 1,50,10) Brahman, welches (nach Kâṭh. 5,15) in jener Sonne, sowie im Monde, im Feuer, im Blitze erglänzt; und indem er Ihn (masc). geschaut hat, geht er (Vâj. Samh. l.c). zur Unsterblichkeit ein.‹ Denn so heisst es:


Vertiefung, innerm Sein geltend,

Greift doch nach Aussenzielen auch;

So wird objektlos Bewusstsein

Objekthaft wiederum gemacht.

Doch die Lust, die beim Hinschmilzen

Des Geist's sich selbst zum Zeugen nur

Besitzt, ist Brahman, rein, ewig,

Der wahre Weg, die wahre Welt.
[347]

25. Und an einem andern Orte heisst es: ›Wenn einer, die Sinne wie im Schlafe niedergehalten, durch reinheitlichstes Denken, gleichwie in einem Traume, in der Höhle der Sinnesorgane und doch nicht unter ihrer Botmässigkeit, jenen, Praṇava (Om) genannten, lichtgestaltigen, schlummerlosen, alterlosen, todlosen, kummerlosen Lenker erschaut, dann wird er selbst zu jenem, Praṇava genannten, lichtgestaltigen, schlummerlosen, alterlosen, todlosen, kummerlosen Lenker‹ [dem Gedanken nach = Muṇḍ. 3,2,9]; denn so heisst es [als Begründung des Vorhergehenden wenig passend]:


Weil er so Leben und Om-Laut

Und alle Mannigfaltigkeit

Bindet, oder sie sich binden,

Wird Yoga (Bindung) es genannt.

Denn des Lebens und Geist's Einheit

Und aller Sinnwerkzeuge auch,

Und alles Seins Verabschiedung,

Die ist es, die man Yoga nennt.


26. Und an einem andern Orte heisst es: ›Gleichwie der Vogelsteller [der zugleich Fischer ist] die Wasserbewohner mit seinem Netzwerke herauszieht und sie in dem Feuer seines Bauches opfert, ebenso, fürwahr, zieht man diese Prâṇa's [Lebenshauche] mit dem Laute Om heraus und opfert sie in dem leidlosen Feuer [des Brahman, Âtman]‹; dieses [Feuer] nun weiter ist wie ein heisses [mit geschmolzener Butter gefülltes] Tongefäss, und gleichwie die Butter in dem heissen Tongefässe durch die Berührung mit [brennendem] Gras oder Holz aufflammt, also auch flammt jener Nicht-Prâṇa Genannte durch die Berührung mit den Prâṇa's auf, und was dabei aufflammt, das ist die Erscheinungsform des Brahman, das ist ›der höchste Schritt des Vishṇu‹ (vgl. Kâṭh. 3,9), das ist das Rudrasein des Rudra; und dieses, indem es sodann unzähligfach sein Selbst zerteilt (vgl. Chând. 7,26,2), erfüllt diese Welten. Denn so heisst es (vgl. Bṛih. 2,1,20. Muṇḍ. 2,1,1):


Und gleichwie aus dem Feuer sprühn die Funken,

Wie Strahlen aus der Sonne, so bei ihm hier

Gehn wiederum die Lebenshauche alle

Hervor aus jenem nach der Reihenfolge.
[348]

27. Und an einem andern Orte heisst es: ›Fürwahr, das ist die Glut des höchsten, unsterblichen, körperlosen Brahman, was in dem Körper die Hitze ist (dem Sinne nach Chând. 3,13,8); ihr dient dieser [Körper] als Schmelzbutter [die jene Hitze zum Aufflammen bringt und dadurch sichtbar macht]; und wenn sie dann offenbar wird, so bleibt sie dennoch in dem Äther [des Herzens] eingehüllt; darum stossen sie durch die völlige Konzentration den Herzensäther so beiseite, und indem dann gleichsam das Licht jener [Hitze, die Brahman ist] hervortritt, so geht einer infolgedessen alsbald in ihre Wesenheit ein, ähnlich wie ein in die Erde vergrabenes Stück Eisen alsbald zu dem Erdesein eingeht; und wie jenes in Erde umgewandelte Stück Eisen vom Feuer, Eisenschmied und ähnlichen Einwirkungen nicht mehr leidet, so wird ähnlich auch das [individuelle] Bewusstsein mitsamt seinem Substrate alsdann zu nichte.‹ Denn so heisst es:


Die Ätherhülle im Herzen

Ist Wonne, ist der höchste Sitz,

Ist unser Selbst, unser Yoga,

Ist Feuers und der Sonne Glut.


28. Und an einem andern Orte heisst es: ›Wer, die Elemente [aus denen sein Leib besteht], die Sinnesorgane und die Sinnendinge dahintenlassend, den Bogen ergreift, dessen Sehne Pilgerschaft, und dessen Bügel Charakterstärke heisst, und, indem er mit dem Pfeile Eigendünkellosigkeit jenen ursprünglichen Versperrer der Pforte zu Brahman [den Aha kâra] niederschlägt, – auf dem Haupte trägt er [der Aha kâra] die Krone der Verblendung, in den Ohren die Ringe der Begierde und des Neides, in der Hand den Stab der Schlaffheit, Trunkenheit und Arglistigkeit, er ist des Eigendünkels Oberherr, und indem er den Bogen ergreift, dessen Sehne Zorn, und dessen Bügel Habgier heisst, pflegt er mit dem Pfeile Verlangen seine Mitgeschöpfe zu morden, – wer diesen niederschlägt und sodann auf dem Schiffe Om überfährt über den Äther im Herzen, der wird in dem ihm offenbar gewordenen innern Äther nach und nach, wie der Minerale suchende Bergmann in der Grube vordringt, also bis zu der Halle des Brahman vordringen, die aus den vier Netzen [dem nahrungartigen, odemartigen, manasartigen,[349] erkenntnisartigen, Taitt. 2] bestehende Hülle des Brahman durchbrechen, mittels Belehrung durch einen Lehrer, und sodann, rein, geläutert, ledig, beruhigt, prâṇalos, âtmanlos, unendlich, unvergänglich, fest, ewig, ungeboren und frei auf seine eigne Grösse gegründet stehen (Chând. 7,24,1), und indem er sich auf seine eigne Grösse gegründet sieht, blickt er gleichwie auf ein dahinrollendes Rad (vgl. Kaush. 1,4, oben S. 26) auf das Rad des Samsâra hin.‹ Denn so heisst es:


Wer sich sechs Monde lang anstrengt,

Von Weltlichkeit stets frei, dem wird

Unendlich, allerhöchst, geheim,

Vollkommne Yogakraft zuteil.


Doch wer, von Rajas und Tamas

Erfüllt, selbst wohl erleuchtet sonst,

An Kinder, Weiber und Sippschaft

Sich hängt, dem wird sie nie zuteil.«


29. Nachdem Çâkâyanya also gesprochen und, in sich versunken, jenem [Brahman] Verehrung dargebracht hatte, sprach er: »Durch dieses Brahmanwissen, o König, haben den Weg zum Brahman die Söhne des Prajâpati [die Vâlakhilya's, nach dem Scholiasten] erstiegen; denn volles Genügen, Abhärtung gegen die Gegensätze [wie Kälte und Wärme, Vedântasâra 21] und Beruhigung des Gemütes erlangt man durch Übung des Yoga«, sprach er.

»Dieses Allergeheimnisvollste«, fuhr er fort, »soll man keinem kund machen, der nicht Sohn oder Schüler, und der noch nicht beruhigt ist. Wer aber keinem andern [als dem Lehrer] anhängt und mit allen Tugenden geschmückt ist, dem mag man es mitteilen.

30. Om! In einer reinen Gegend (Chând. 8,15) soll man als ein Reiner in der Realität feststehen, das Reale studieren, das Reale reden, das Reale meditieren, dem Realen opfern [in der oben 6,9 geschilderten Weise]. Dadurch wird einer in dem realen Brahman, welches nach dem realen Manne Verlangen trägt, vollendet und ein andrer: sein Lohn ist die Lösung von den Stricken, und ohne zu hoffen, ohne zu fürchten,[350] sowenig von andern wie von sich selbst, ohne mehr etwas zu wünschen, erlangt er unvergängliche, unermessliche Seligkeit und verharrt in ihr. Denn die Freiheit von Wünschen ist wie die vortrefflichste Hebung des trefflichsten Schatzes. Denn [von Natur] ist der Purusha aller Wünsche teilhaftig [anders Schol., Cowell, M. Müller]; und nur sofern er Entschliessung, Vorstellung, Selbstwahn [die Eigenschaften von Buddhi, Manas, Aha kâra] als Li gam [psychischen Leib] annimmt, wird er gebunden, und sofern das Gegenteil eintritt, ist er erlöst. – Zwar lehren einige: es sei der Guṇa [Sattvam, Rajas, Tamas], welcher, zufolge der Differenzierung der Prakṛiti, in die Gebundenheit der Entschliessung [usw.] verfalle, denn indem die Schuld der Entschliessung [usw.] aufgehoben werde, erfolge die Erlösung. – [Aber dem ist nicht so!] ›Denn nur mit dem Verstande (manas) sieht man und mit dem Verstande hört man; Verlangen, Entscheidung, Zweifel, Glaube, Unglaube, Festigkeit, Unfestigkeit, Scham, Erkenntnis, Furcht, alles dies ist nur Manas‹ [wie die Schrift Bṛih. 1,5,3 sagt, woraus folgt, dass das Manas nur karaṇam, Werkzeug der Bindung, nicht kartṛi, der Gebundene selbst ist; hingegen wer gebunden wird, das ist als Bhûtâtman der Purusha; denn, wie es schon oben, 3,2 S. 323, von ihm hiess:] ›vom Strome der Guṇa's fortgerissen und besudelt, wird er haltlos, schwankend, gebrochen, begehrlich, ungesammelt, und in den Wahn [des Ichbewusstseins] verfallend wähnt er: »ich bin dieser, mein ist dieses«, und bindet sich selbst durch sich selbst wie ein Vogel durch das Netz.‹ – Es ist somit der Purusha, welcher, sofern er Entschliessung, Vorstellung, Selbstwahn als Li gam annimmt, gebunden wird, und sofern das Gegenteil eintritt, erlöst ist. Darum soll man verharren ohne Entschliessung, ohne Vorstellung, ohne Selbstwahn; das ist das Kennzeichen der Erlösung, das ist hienieden der Wegführer zu Brahman (vgl. Bṛih. 4,4,23), die Öffnung der Pforte, und durch sie wird man ans jenseitige Ufer dieser Finsternis gelangen, denn in ihm sind alle ›Wünsche beschlossen‹ (Chând. 8,1,5), und mit Bezug darauf zitieren sie (z.B. Kâṭh. 6,10) den Vers:
[351]

Erst wenn gelangt zum Stillstande

Mit den fünf Sinnen Manas ist,

Und unbeweglich steht Buddhi,

Das nennen sie den höchsten Gang.«


Also sprach Çâkâyanya, und in sich selbst versunken [schwieg er]. Ihm zollte Marut [d.h. der König Bṛihadratha] in gebührender Weise die Verehrung, und seines Zweckes teilhaftig geworden, zog er den Nordweg der Sonne, denn dorthin ist kein Zugang auf einem Seitenwege9, sondern dorthin führt nur der Brahmanweg [der Devayâna], und nachdem er durch die Sonnenpforte eingedrungen, stieg er weiter [durch die Chând. 5,10,2 genannten Stationen] empor. In bezug darauf zitieren sie die Verse [welche nur eine Ausmalung des Verses Chând. 8,6,6 = Kâṭh. 6,16 sind]:


Unendlich sind dessen Strahlen,

Der als Fackel im Herzen steht,

Weiss, nicht weiss, schwärzlichgelb, dunkel,

Rotbraun auch und von zartem Rot.


Von ihnen führt empor ein Strahl,

Der durch die Sonnenscheibe dringt,

Höher noch als die Welt Brahman's;

Auf ihm geht man den höchsten Gang.


Noch andrer Strahlen sind hundert,

Die nach oben verbreiten sich,

Auf denen zu den Wohnsitzen

Der Götterscharen man gelangt.


Noch andre Strahlen gehn abwärts,

Mannigfaltig, von mattem Glanz,

Durch die zum Werkgenuss hierher

Wider Willen die Seele eilt.


Darum ist die Ursache für Neugeburt, Himmel und Erlösung der [als jene Fackel im Herzen strahlende] verehrungswürdige Âditya.


[352] Nachdem mit dem Schlusse der Reden des Çâkâyanya und der Schilderung von dem Eingange des Königs Bṛihadratha zur Vollendung das Thema der Upanishad absolviert ist, so folgen weiterhin von 6,31 bis zu Ende der Upanishad 7,11 Nachträge, die sich durch den neuen Anfang und durch die Art, wie sie das früher Abgehandelte wieder aufnehmen, um es fortzuentwickeln und näher auszuführen, deutlich als solche kennzeichnen. Die Themata dieser Nachträge sind folgende:

6,31-32. Der Âtman und die Organe.

6,33-38. Das Opfer und das Prâṇâgnihotram.

7,1-7. Âditya als der Âtman.

7,8-10. Polemik gegen Häresien.

7,11. Epilog.

Quelle:
Sechzig Upanishads des Veda. Darmstadt 1963 [Nachdruck der 3. Aufl. Leipzig 1921], S. 342-353.
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