Drittes Brâhmaṇam.

[413] Sehen wir zunächst von den Schlusssätzen über neti neti und satyasya satyam ab, so haben wir in diesem Brâhmaṇam eine sekundäre Systematisierung sehr verschiedener Elemente vor uns. – Wiederholt schon begegneten wir dem Vâyu-Prâṇa als einem Symbole des Brahman, und nicht weniger gebräuchlich ist die Anschauung des Brahman als Weltraum und Raum im Menschen, speziell im Herzen. Diese beiden Vorstellungen werden hier nicht sehr geschickt zusammengefasst, indem dem als Vâyu und Weltraum, als Prâṇa und Raum im Menschen ungestalteten Brahman das gestaltete Brahman (alle übrigen Kräfte und Erscheinungen in der Natur und im Menschen) gegenübergestellt wird. Als Essenz (rasa) des gestalteten Brahman wird Sonne und Auge, als Essenz des ungestalteten (mit Anlehnung an Vorstellungen wie Chând. 1,6-7) der Purusha in beiden bezeichnet, dessen Schilderung an Chând. 1,6,6-7 erinnert. Besonders unglücklich ist es, wenn dem Gestalteten, Sterblichen als »dem Stehenden« das Ungestaltete, Unsterbliche als »das Gehende« gegenübertritt und hierunter nicht nur Vâyu-Prâṇa, auf den allein diese letzte Bestimmung passt, sondern auch der Aussen- und Innenraum subsumiert wird. Auch die Bezeichnung von Vâyu und Aussenraum, Prâṇa und Innenraum als tyam (d.i. tyad) ist bei dem Gebrauche, der sonst von diesem (das erkennende, und darum transzendente Subjekt in uns bedeutenden) Ausdrucke gemacht wird (Bṛih. 3,9,9. Taitt. 2,6), nicht zu billigen. Noch weniger lässt es sich ertragen, wenn der Autor, allem Anscheine nach doch, um seinen Purusha in Sonne und Auge zu charakterisieren, schliesslich zu der Formel »neti neti« greift, welche Yâjñayalkya immer nur in den höchsten und heiligsten Momenten (Bṛih. 4,2,4. 4,4,22. 4,5,15. 3,9,26, mit einem stehenden, und nur hier fehlenden, Zusatze) gebraucht, um die völlige Verschiedenheit des Brahman von allem Erkennbaren auszudrücken. Unser Autor gibt eine Erklärung der Formel, was ja auch für die sekundäre Art der Verwendung zeugt. Und so dürfte denn wohl auch die zweite Formel satyasya satyam nur aus Bṛih. 2,1,20 entlehnt sein.


1. Fürwahr, es gibt zwei Formen des Brahman, nämlich das Gestaltete und das Ungestaltete, das Sterbliche und das Unsterbliche, das Stehende und das Gehende, das Seiende und das Jenseitige (tyam).

2. Dieses ist das Gestaltete, was vom Winde und vom[413] Luftraume verschieden ist [Erde, Wasser, Feuer]; dieses ist das Sterbliche, dieses das Stehende, dieses das Seiende; von diesem Gestalteten, diesem Sterblichen, diesem Stehenden, diesem Seienden ist jener die Essenz, der dort glüht [die Sonne]; denn er ist die Essenz des Seienden.

3. Hingegen das Ungestaltete ist der Wind und der Luftraum; dieses ist das Unsterbliche, dieses das Gehende, dieses das Jenseitige; von diesem Ungestalteten, von diesem Unsterblichen, von diesem Gehenden, von diesem Jenseitigen ist die Essenz jener Purusha (Mann, Geist), der dort in jener [Sonnen-]Scheibe ist; denn er ist die Essenz des Jenseitigen.

– Soviel in bezug auf die Gottheit.

4. Nunmehr in bezug auf das Selbst. – Dieses ist das Gestaltete, was vom Odem und von dem Raume im Innern des Leibes (âtman) verschieden ist [Erde, Wasser und Feuer als Stoffe des Leibes]; dieses ist das Sterbliche, dieses das Stehende, dieses das Seiende; von diesem Gestalteten, diesem Sterblichen, diesem Stehenden, diesem Seienden ist jenes die Essenz, was das Auge ist; denn es ist die Essenz des Seienden.

5. Hingegen das Ungestaltete ist der Odem und der Raum im Innern des Leibes; dieses ist das Unsterbliche, dieses das Gehende, dieses das Jenseitige; von diesem Ungestalteten, diesem Unsterblichen, diesem Gehenden, diesem Jenseitigen ist die Essenz jener Purusha, der hier in dem rechten Auge ist; denn er ist die Essenz des Jenseitigen.

6. Und die Gestalt dieses Purusha ist wie ein [gelbes] Safrangewand, wie ein weisses Schaffell, wie ein [roter] Indragopa-Käfer, wie Feuers Flamme, wie eine [weisse] Lotosblüte, wie wenn es plötzlich blitzet.5 – Fürwahr, wie wenn es plötzlich blitzet, so wird dem Glück zuteil, der solches weiss. – Aber die Bezeichnung für ihn [den Purusha] ist: »es ist nicht so! es ist nicht so« (neti, neti); denn nicht gibt es ausser dieser [Bezeichnung], dass es nicht so ist, eine andre (na hi etasmâd ›iti na‹ iti anyat param asti).6 – Sein[414] Name aber ist: »die Realität der Realität«; nämlich die Lebensgeister sind die Realität, und er ist ihre Realität.

Quelle:
Sechzig Upanishads des Veda. Darmstadt 1963 [Nachdruck der 3. Aufl. Leipzig 1921], S. 413-415.
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