VI. Bestätigunserlebnisse beim Kreislauf des Lichts

[100] Meister Lü Dsu sprach: Es gibt vielerlei Bestätigungserlebnisse. Man darf sich nicht mit kleinen Ansprüchen begnügen, man muß sich zu dem Gedanken erheben, daß alle Lebewesen erlöst werden müssen. Man darf nicht leichten und nachlässigen Herzens sein, sondern man muß danach streben, daß die Worte durch Taten bewiesen werden.

Wenn während der Ruhe ununterbrochen dauernd der Geist die Empfindung einer großen Heiterkeit hat, als wäre er trunken oder neu gebadet, das ist ein Zeichen, daß das lichte Prinzip im ganzen Leib harmonisch ist; da beginnt die Goldblume zu knospen. Wenn dannweiterhin alle Öffnungen stille sind und der silberne Mond inmitten des Himmels steht und man das Gefühl hat, daß diese große Erde eine Welt des Lichts und der Helligkeit ist, so ist das ein Zeichen, daß der Leib des Herzens sich zur Klarheit öffnet. Das ist das Zeichen, daß die Goldblume aufgeht.

Weiterhin fühlt sich der ganze Leib fest und stark, so daß er nicht Sturm oder Reif fürchtet. Dinge, die andere Menschen für unerfreulich halten, können mir, wenn ich ihnen begegne, die Helligkeit des Samengeistes nicht trüben.


Meditation 3. Stadium: Ablösung des Geistleibes zu selbständiger Existenz
Meditation 3. Stadium: Ablösung des Geistleibes zu selbständiger Existenz

Gelbes Gold füllt das Haus, weißer Nephrit bildet die Stufen. Faule und stinkende Dinge auf Erden, die sich mit einem Hauch der wahren Kraft berühren, werden sofort wieder lebendig. Rotes Blut wird zu Milch. Der zerbrechliche Fleischesleib ist eitel Gold und Edelstein. Das ist ein Zeichen, daß die Goldblume sich kristallisiert.

Das Buch von der Erfolgreichen Kontemplation (Ying Guan Ging) sagt: »Die Sonne sinkt im großen Wasser und Zauberbilder von Baumreihen entstehen«. Der Untergang der Sonne bedeutet, daß im Chaos (der Welt vor der Erscheinung, der intelligiblen Welt) das Fundament gelegt wird: das ist der polfreie Zustand (Wu Gi). Höchste Güte ist wie das Wasser, rein und ohne Flecken. Das ist der Herr der großen Polarität, der Gott, der hervortritt im Zeichen der Erschütterung (Dschen)19. Die Erschütterung hat als Bild das Holz, darum entsteht das Bild von Baumreihen. Eine siebenfache Reihe von Bäumen bedeutet das Licht der sieben Körperöffnungen (oder Herzöffnungen). Im Nordwesten ist die Richtung des Schöpferischen. Wenn es um einen Platz weiterrückt, so steht das Abgründige da. Die Sonne, die ins große Wasser sinkt, ist das Bild des Schöpferischen und Abgründigen. Das Abgründige ist die Richtung der Mitternacht (Maus, Dsï, Norden). Zur Wintersonnenwende ist der Donner (Dschen) inmitten der Erde ganz verborgen und bedeckt. Erst wenn das Zeichen der Erschütterung erreicht ist, tritt der Lichtpol wieder über die Erde hervor. Das ist das Bild der Baumreihen. Das übrige läßt sich entsprechend erschließen.

Der zweite Abschnitt bedeutet, hierauf das Fundament zu errichten. Die große Welt ist wie Eis, eine gläserne Juwelenwelt. Der Lichtglanz kristallisiert sich allmählich. Darum entsteht eine hohe Terrasse und darauf erscheint im Lauf der Zeit Buddha. Wenn das Goldwesen erscheint,[102] wer sollte es sein außer Buddha? Denn der Buddha ist der goldene Heilige der großen Erleuchtung. Dies ist eine große Bestätigungserfahrung.

Nun gibt es drei Bestätigungserfahrungen, die man prüfen kann. Die erste ist, daß, wenn man in den Meditationszustand eingetreten ist, die Götter20 im Tale sind. Man hört da Menschen reden wie etwa in der Entfernung von einigen hundert Schritten, jeden einzelnen ganz klar. Aber die Laute klingen alle wie ein Echo in einem Tal. Man hört sie immer, sich selbst hört man nie. Dies nennt man die Anwesenheit der Götter im Tal.

Zuweilen kann man Folgendes erfahren: Sowie man in Ruhe ist, so beginnt das Licht der Augen aufzuflammen, so daß vor einem alles ganz hell wird, wie wenn man in einer Wolke wäre. Öffnet man die Augen und sucht seinen Leib, so findet man ihn nicht mehr. Dies nennt[103] man: »In der leeren Kammer wird es hell.« Da ist innen und außen alles gleich hell. Das ist ein sehr günstiges Zeichen.


des Donners, Frühlings, Ostens, Holzes. Das Schöpferische, der Himmel, steht bei dieser Einteilung im Nordwe sten, das Abgründige im Norden.


VI. Bestätigunserlebnisse beim Kreislauf des Lichts

Oder wenn man in der Meditation sitzt, wird der Fleischleib ganz glänzend wie Seide oder Nephrit. Das Sitzen fällt einem schwer, man fühlt sich emporgerissen. Dies heißt: »Der Geist kehrt zurück und stößt an den Himmel.« Mit der Zeit kann man erleben, daß man wirklich emporschwebt.

Diese drei Erfahrungen lassen sich alle jetzt schon machen. Aber es läßt sich nicht alles aussprechen. Entsprechend der Veranlagung der Menschen erscheinen jedem verschiedene Dinge. Wenn man nun die eben erwähnten Dinge erfährt, so ist das ein Zeichen einer guten Anlage. Mit diesen Dingen ist es, wie wenn man Wasser trinkt. Man bemerkt selbst, ob das Wasser warm oder kalt ist. So muß man sich von diesen Erfahrungen selbst überzeugen, dann erst sind sie echt.

19

Vgl. I Ging, Abschnitt Schuo Gua (Über die Zeichen). Dschen ist das Zeichen

20

20. Vgl. Laotse Taoteking, Abschnitt 6.

Quelle:
Das Geheimnis der goldenen Blüte. Olten/Freiburg i. Br. 1971, S. 100-105.
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